European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00028.17H.0524.000
Spruch:
Das Verfahren 9 Ob 28/17h wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 10. Mai 2017 zu 3 Ob 28/17i gestellten Antrag auf
Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
Die Beklagte ist eine im Handelsregister des Vereinigten Königreichs eingetragene Bank mit Sitz in London und einer Zweigniederlassung in Frankfurt (Deutschland). Sie ist Emittentin des Zertifikats X***** (ISIN:DE000BC0BMA7), das institutionelle Investoren zeichneten und ihrerseits am Sekundärmarkt unter anderem an Verbraucher in Österreich weiterverkauften.
Der Kläger mit Wohnsitz in Wien erwarb im April 2008 solche Zertifikate über ein Konto der C*****bank G***** AG mit Sitz in Graz.
Dem Zertifikat liegt eine Unternehmensanleihe in Form einer Inhaberschuldverschreibung zugrunde. Der Rückzahlungsbetrag und damit der Wert des Zertifikats richtet sich nach einem Index, der aus einem Portfolio von mehreren Zielfonds gebildet wird, sodass der Wert des Zertifikats unmittelbar mit diesem Portfolio verknüpft ist. Dieses Portfolio sollte von der X***** GmbH errichtet und verwaltet werden. Die Emission der Zertifikate erfolgte auf Grundlage eines Basisprospekts vom 22. September 2005 und eines Konditionenblatts vom 20. Dezember 2005 samt Anhängen. Der Basisprospekt wurde auch bei der österreichischen Kontrollbank notifiziert. Das öffentliche Angebot zur Zeichnung lief von 20. Dezember 2005 bis 24. Februar 2006, die Emission erfolgte am 31. März 2006.
Die abwickelnde Clearingstelle dieses Erwerbs war eine AG mit Sitz in Frankfurt am Main. Dort ist auch die Globalurkunde des Zertifikats hinterlegt. Die Beklagte überließ die Investition der durch die Schuldverschreibung lukrierten Gelder der X***** GmbH als Investmentmanager. Der Trading Manager und Fonds Advisor dieser GmbH nutzte seinen maßgeblichen Einfluss auf das Unternehmen, um durch die Investitionsentscheidungen seinem groß angelegten Schneeball-Betrugssystem neues Kapital zuzuführen. Die Gelder sind großteils verloren, die Zertifikate sind wertlos.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 22.381,13 EUR sA Zug um Zug gegen Übergabe der näher bezeichneten Wertpapieranteile, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für den Schaden, der ihm aus seiner am 15. April 2008 getätigten Investition in dieses Wertpapier entstanden und noch nicht bezifferbar sei oder künftig entstehen werde. Außerdem begehrt er Rechnungslegung. Der Kläger stützt sich einerseits auf vertragliche, andererseits auf deliktische (Schadenersatz‑)Ansprüche.
Zur internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beruft sich der Kläger auf die Gerichtsstände der Art 15 iVm 16, hilfsweise des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete die internationale Unzuständigkeit des Erstgerichts ein.
Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage zurück. Der Kläger könne die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts weder aus Art 15 Abs 1 noch aus Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001 ableiten, weil eine über die aus dem bloßen Halten der Anleihe resultierende vertragliche Beziehung hinausgehende Verpflichtung der Beklagten ihm gegenüber aus dem gesamten Akteninhalt nicht erkennbar sei. Daher sei das Erstgericht für vertragliche Ansprüche jedenfalls nicht international zuständig. Zu den hilfsweise geltend gemachten deliktischen Ansprüchen iSd Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 zählten auch Prospekthaftungsansprüche. Ein unerlaubtes Handeln im Zuständigkeitsbereich des Erstgerichts sei dem Vorbringen nicht zu entnehmen; der Erfolgsort richte sich nach dem Bankkonto, auf dem der Schaden eingetreten sei. Dieser liege ebenfalls außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Erstgerichts.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Der Erfüllungsort iSd Art 5 Nr 1 lit a EuGVVO 2001, auf den sich der Kläger (entgegen der Ansicht des Erstgerichts) berufen könne, liege in Frankfurt und damit außerhalb Österreichs. Die Anwendung des Art 5 Nr 1 EuGVVO führe daher nicht zur Begründung der internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts. Dass dem Kläger der Gerichtsstand des Erfüllungsorts zur Verfügung stehe, habe aber zur Konsequenz, dass er sich nicht auf Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 stützen könne, weil die Anwendung dieser Bestimmung ausgeschlossen sei, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen angesehen werden könne.
In seinem – vom Rekursgericht (angesichts der Vielzahl der beim Erstgericht gegen die Beklagte anhängigen gleichgelagerten Klagen) zugelassenen – Revisionsrekurs macht der Kläger zusammengefasst geltend, dass die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte gegeben sei. Vom vertraglichen Anspruch auf Erfüllung aus der Anleihe sei der Anspruch auf Schadenersatz aus dem Titel der Prospekthaftung strikt zu trennen. Der Anspruch auf Schadenersatz wegen Prospekthaftung sei weder auf die Erfüllung des Anleihevertrags gerichtet noch handle es sich um einen Sekundäranspruch, der aus der Verletzung einer vertraglichen Pflicht resultiere; er sei deliktischer Natur. Die von der Klage umfassten Ansprüche seien selbständig und unterlägen als eigenständige Rechtsschutzbegehren im Hinblick auf die internationale und innerstaatliche Zuständigkeit gesonderten Voraussetzungen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig.
Über seine Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache des Obersten Gerichtshofs zu 3 Ob 28/17i zu entscheiden sein, in der dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen gestellt wurden:
Ist nach Art 5 Nr 3 der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen für außervertragliche Ansprüche wegen Prospekthaftung dann, wenn
- der Anleger seine durch den mangelhaften Prospekt verursachte Anlageentscheidung an seinem Wohnsitz getroffen hat
- und er aufgrund dieser Entscheidung den Kaufpreis für das am Sekundärmarkt erworbene Wertpapier von seinem Konto bei einer österreichischen Bank auf ein Verrechnungskonto bei einer anderen österreichischen Bank überwiesen hat, von wo der Kaufpreis in der Folge im Auftrag des Klägers an den Verkäufer überwiesen wurde,
(a) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Anleger seinen Wohnsitz hat,
(b) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale jener Bank liegt, bei der der Kläger sein Bankkonto hat, von dem er den investierten Betrag auf das Verrechnungskonto überwiesen hat,
(c) jenes Gericht zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Sitz/die kontoführende Filiale der Bank liegt, bei der sich das Verrechnungskonto befindet,
(d) nach Wahl des Klägers eines dieser Gerichte zuständig,
(e) keines dieser Gerichte zuständig?
Das vorliegende Verfahren betrifft einen gleichgelagerten Sachverhalt, weshalb sich bei der inhaltlichen Behandlung des Revisionsrekurses auch dieselben Rechtsfragen stellen wie im Verfahren zu 3 Ob 28/17i.
Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583).
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