OGH 8ObS311/99i

OGH8ObS311/99i29.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf und Rudolf Randus als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen der Kläger 1. Daniela M*****, 2. Eva M*****, ua, vertreten durch Mag. Dominik Maringer, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen S*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (Erstklägerin S 210.292,64 netto sA; Zweitklägerin S 329.907,47 netto sA), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 1999, GZ 12 Rs 100/99h-22, mit dem infolge der Berufungen der Erst- und Zweitklägerinnen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. September 1998, GZ 19 Cgs 79-86/97-16, soweit es die Erst- und Zweitklägerinnen betrifft, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich der Erst- und Zweitklägerin wiederhergestellt wird.

Die Erst- und Zweitklägerin haben die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bis 30. 6. 1996 betrieb die Restaurante Pizzeria M***** GesmbH (in der Folge: M GmbH) in Salzburg einen gastronomischen Betrieb. Geschäftsführer der Firma waren die Ehemänner der Erst- und Zweitklägerinnen. Diese sowie die Erstklägerin waren zu je 25 % Gesellschafter der GmbH; die restlichen 25 % hielt ein weiterer Familienangehöriger.

Seit 1989 waren Gaststätte und Gastgarten im Eigentum der Ehemänner der Erst- und Zweitklägerinnen, die die Räumlichkeiten an die M GmbH vermieteten. Das gesamte Inventar stand seit Jänner 1995 im Eigentum eines Dritten, der es der GmbH zur unentgeltlichen Benützung überließ.

Die Erst- und Zweitklägerinnen sowie sechs weitere Kläger waren Dienstnehmer der M GmbH, bis sie am 30. 6. 1996 ihren vorzeitigen Austritt wegen Vorenthaltens des Entgelts seit Jänner 1996 erklärten.

Ab 1. 7. 1996 führte die I***** Gaststätten GesmbH (in der Folge: I GmbH) am Standort der M GmbH ein italienisches Lokal.

Die I GmbH war bereits Ende 1994 gegründet worden; Geschäftsführer waren zunächst die Erst- und Zweitklägerinnen sowie deren Ehemänner. Seit 26. 6. 1996 sind die Erst- und Zweitklägerinnen alleinige handelsrechtliche Geschäftsführerinnen und Gesellschafterinnen der I GmbH (die im Übrigen zwischenzeitig gemäß § 39 FBG aufgelöst ist, nachdem am 25. 1. 2000 der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels kostendeckenden Vermögen abgewiesen wurde).

Mit 1. 7. 1996 wurden die ehemaligen Geschäftsführer der M GmbH, die Ehemänner der Erst- und Zweitklägerinnen, von der I GmbH als Angestellte beschäftigt; die übrigen sechs Angestellten (ehemalige Dritt- bis Achtkläger) begründeten neue Dienstverhältnisse zur I GmbH. Die I GmbH kaufte das vorhandene Warenlager der M GmbH, bestehend aus Lebensmittelbeständen im Wert von S 12.000,--. Mit gleichem Tag wurde auch ein Bestandverhältnis über die Geschäftsräumlichkeiten der M GmbH zwischen den Ehegatten der Erst- und Zweitklägerinnen und der I GmbH abgeschlossen. Der neue Geschäftsbetrieb übernahm einen Großteil der Lieferanten der M GmbH, auch die Speisekarte blieb im Wesentlichen unverändert.

Am 19. 9. 1996 wurde über das Vermögen der M GmbH das Konkursverfahren eröffnet.

Die Erst- und Zweitklägerinnen beantragten (ebenso wie die sechs weiteren Dienstnehmer der M GmbH) in der Folge Insolvenz-Ausfallgeld für ihre Ansprüche aus rückständigem Lohn und aus der Beendigung ihrer Dienstverhältnisse zur M GmbH.

Die beklagte Partei lehnte die Forderungen auf Insolvenz-Ausfallgeld mit der Begründung ab, dass die Dienstverhältnisse iSd § 3 AVRAG auf die I GmbH übergegangen seien, weshalb keine Ansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds erhoben werden könnten; dieser Übergang der Arbeitsverhältnisse könne nicht zu Lasten des Fonds umgangen werden.

Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren der ursprünglich acht Kläger ab. Die Dienstverhältnisse sämtlicher Kläger seien ungeachtet der vorzeitigen Austritte am 30. 6. 1996 nicht beendet worden, sondern im Zeitpunkt des Betriebsüberganges noch aufrecht gewesen und die I GmbH als neuer Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die Arbeitsverhältnisse der Kläger eingetreten. Von dieser Eintrittsautomatik des § 3 AVRAG seien auch die Dienstverhältnisse der Erst- und Zweitklägerin erfasst, da auch ihr vorzeitiger Austritt aus dem Dienstverhältnissen erfolgt sei, um einer Haftung des neuen Arbeitgebers für ihre Ansprüche aus den Dienstverhältnissen zu entgehen. Auch ihre Dienstverhältnisse seien zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges am 1. 7. 1996 noch aufrecht gewesen. Nach dem Betriebsübergang seien die Dienstverhältnisse einvernehmlich nicht mehr weitergeführt worden, da die Klägerinnen als Geschäftsführerinnen tätig geworden seien. Sie hätten als Geschäftsführerinnen der erwerbenden I GmbH die Verpflichtungen der übergebenden M GmbH gekannt bzw kennen müssen, weshalb die gesamtschuldnerische Haftung der M GmbH nicht eingreife. Es bestünden daher keine gesicherten Ansprüche iSd § 1 Abs 2 IESG.

Die Klagsabweisung gegenüber den sechs weiteren Dienstnehmern (ursprünglich Dritt- bis Achtkläger) erwuchs in Rechtskraft. Lediglich die Erst- und Zweitklägerin erhoben Berufung, der das Berufungsgericht Folge gab, das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich der diese Klägerinnen betreffenden Verfahren aufhob und insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwies; zugleich sprach es aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil OGH-Rechtsprechung zu den entscheidungswesentlichen Rechtsfragen fehle.

In rechtlicher Hinsicht meinte das Berufungsgericht, dass das Erstgericht bei seinen Überlegungen außer Acht gelassen habe, dass die Erst- und Zweitklägerin beim Erwerber des Betriebes nicht weiter als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien, sodass ein Eintritt des Erwerbers in ihre Dienstverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten des ehemaligen Arbeitgebers nicht in Betracht komme. Die Stellung als Organmitglied unterscheide sich selbst dann, wenn es in einem Dienstverhältnis zur juristischen Person stehe, grundlegend von der Stellung eines (anderen) Arbeitnehmers. Dies gelte insbesondere auch im Fall des Betriebsüberganges. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung in Deutschland, die wegen der Vergleichbarkeit der Rechtslage auch auf österreichische Verhältnisse übertragen werden könne, gingen Dienstverhältnisse von Organmitgliedern nicht auf den Unternehmenserwerber über. Diese dienstrechtliche Besonderheit müsse auch gelten, wenn vor dem Unternehmenserwerb ein (normales) Dienstverhältnis bestanden und diese Dienstnehmer den Betrieb als Organmitglieder, also quasi als Arbeitgeber weiterführten. Ein derartiger Positionswechsel sei selbst dann, wenn mit den Organmitgliedern ein Dienstverhältnis begründet worden wäre - was im konkreten Fall außerdem nicht geschehen sei -, nicht als Fortsetzung des früheren Dienstverhältnisses anzusehen. Die Organmitglieder schieden ab Begründung ihrer Organstellung aus dem Schutzbereich des IESG aus. Es gebe auch keine Anhaltspunkte im Verfahren, dass dieser Wechsel der Rechtsstellung missbräuchlich zu Lasten des IESG-Fonds erfolgt sei. Nach den Umständen des Falles könne nicht unterstellt werden, dass der vorzeitige Austritt der Erst- und Zweitklägerinnen in Umgehungsabsicht erfolgt sei, um einer Haftung des neuen Arbeitgebers für ihre Ansprüche aus dem Dienstverhältnissen zu entgehen. Die Dienstverhältnisse der Klägerinnen seien daher nicht auf die I GmbH übergegangen.

Zu prüfen bleibe die Frage, ob die postulierte Subsidiarität der Ansprüche gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gegenüber Ansprüchen gegen den (mit-)haftenden Erwerber den Klagsforderungen entgegenstehe. Abgesehen davon, dass die diesbezügliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auf massive Kritik der Lehre gestoßen sei, könnten die Erst- und Zweitklägerinnen im konkreten Fall nicht mit Erfolg auf die vorrangige Inanspruchnahme des Erwerbers verwiesen werden, weil die Haftung des Erwerbers in Fällen, in denen die Arbeitsverhältnisse nicht auf den Betriebsübernehmer übergingen, auf den im § 1409 ABGB normierten Umfang reduziert seien. Da der Erwerb des übernommenen Betriebes nur aus Lebensmittelbeständen im Wert von S 12.000,-- bestanden habe, sei der Haftungsfonds des Erwerbes nicht annähernd ausreichend, um die Ansprüche der Klägerinnen zu befriedigen. Es spreche daher nichts gegen eine sofortige Inanspruchnahme des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds für die rückständigen Ansprüche der Klägerinnen aus den Dienstverhältnissen zum Veräußerer des Betriebes. Da Feststellungen zur Höhe der Ansprüche fehlten, sei die angefochtene Entscheidung insoweit aufzuheben und dem Erstgericht eine diesbezügliche Verfahrensergänzung aufzutragen gewesen.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Klägerinnen beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist Zweck des IESG eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltsansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung ihres eigenen Lebensunterhaltes sowie des Lebensunterhaltes ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (SZ 64/54; SZ 66/124; SZ 67/142 ua). Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die auf eine nicht von diesem Gesetzeszweck umfasste Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds hinauslaufen, mit der Absicht, mit der Gegenleistung nicht den Arbeitgeber sondern den Fonds zu belasten, sind sittenwidrig (SZ 66/8; SZ 70/232; 8 ObS 146/98y). Dies gilt auch dann, wenn die Absicht des Arbeitnehmers nicht vordergründig darauf gerichtet war, den Fonds sittenwidrig zu schmälern, sondern dies nur mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen wurde (8 ObS 295/98k; 8 ObS 32/99k; 8 ObS 48/99p).

Wird ein Unternehmen zunächst von einer GmbH betrieben, deren Gesellschafter und Organe die Ehemänner von dort angestellten Arbeitnehmerinnen sind und wird dieses Unternehmen nach Austritt dieser Arbeitnehmerinnen wegen größerer Entgeltrückstände (hier für sechs Monate) kurze Zeit vor Insolvenz dieser GmbH sodann von einer GmbH übernommen und weitergeführt, deren Gesellschafter und Geschäftsführer diese Arbeitnehmerinnen sind, während nunmehr ihre Ehemänner als Arbeitnehmer tätig sind, dann läuft dieser Wechsel von (faktischer) Arbeitgeber- und Arbeitnehmereigenschaft zwischen den nahen Angehörigen in der Regel darauf hinaus, den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds sittenwidrig zu belasten, indem jeweils die gemäß § 1 Abs 6 Z 2 IESG von der Sicherung ausgeschlossenen Bezüge des als Geschäftsführer fungierenden Ehegatten entnommen und zur Bestreitung der Kosten der Lebensführung herangezogen werden, während zu Lasten des Fonds das Arbeitsentgelt des als Arbeitnehmer beschäftigten Ehegatten unbeglichen bleibt (vgl SZ 70/232). Zieht man auch noch in Betracht, dass die wesentlichen Betriebsmittel nicht Eigentum der die Klägerinnen als Arbeitnehmerinnen beschäftigenden M GmbH waren, sondern entweder - wie Gaststätte und Gastgarten - den Gesellschaftern und Geschäftsführern der M GmbH gehörten und dieser vermietet wurden oder - wie das gesamte Inventar - Eigentum eines Dritten waren, der sie der M GmbH unentgeltlich zur Verfügung stellte, sodass der das Unternehmen übernehmenden I GmbH von der kurz danach in Konkurs verfallenen M GmbH lediglich Lebensmittelbestände im Wert von S 12.000,-- übertragen wurden und die Haftung der das Unternehmen fortführenden I GmbH gemäß § 1409 ABGB weitestgehend vermieden wurde, dann führt die für den Fonds äußerst nachteilige Gestaltung der Arbeits- und Gesellschaftsverhältnisse durch die beiden beteiligten Ehepaare dazu, dass die bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung völlig atypischen Arbeitsverhältnisse der Klägerinnen nicht mehr vom Sicherungszweck des IESG erfasst sind. Da es, wie oben ausgeführt, nichts ändert, wenn die Absicht nicht in erster Linie oder allein darauf gerichtet ist, den Fonds sittenwidrig zu belasten, wäre es auch nicht von Bedeutung, wenn die Bestellung der Ehefrauen der bisherigen Geschäftsführer zu alleinigen Geschäftsführerinnen der den Betrieb weiterführenden I GmbH vor allem deswegen erfolgt sein sollte, weil am 26. 6. 1996 die - am 19. 9. 1996 erfolgte - Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der M GmbH und damit der Ausschluss der bisherigen Geschäftsführer von der Ausübung des Gewerbes gemäß § 13 Abs 5 GewO bereits abzusehen war. Auch wenn man mit dem Berufungsgericht den Klägerinnen nicht unterstellt, dass der vorzeitige Austritt - und die Fortsetzung der Tätigkeit als im Hinblick auf ihre Beteiligung von jeweils 50 % nicht mehr als Arbeitnehmerinnen zu qualifizierende Gesellschafter-Geschäftsführerinnen - nur in der Absicht vorgenommen wurde, eine Haftung der das Unternehmen fortführenden I GmbH für ihre Ansprüche aus den beendeten Arbeitsverhältnissen zu vermeiden, ist daher von einer vom Schutzzweck des IESG nicht umfassten Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds auszugehen.

Dem Rekurs war daher im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils Folge zu geben (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG.

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