European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBS00013.14S.0123.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kläger tritt der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht entgegen, dass für eine Sicherung seiner Ansprüche nach § 1 Abs 1 IESG eine gesetzliche Pflichtversicherung in Österreich nach § 3 Abs 1 ASVG (Territorialitätsprinzip nach Beschäftigungsort) oder nach § 3 Abs 2 ASVG (Ausnahmen von diesem Prinzip) bestehen muss (vgl dazu 8 ObS 243/00v). Auch bestreitet er seine Beschäftigung in Deutschland nicht.
Sein Argument, die Versicherungsbeiträge samt IESG‑Zuschläge seien in Österreich geleistet worden und Rückabwicklungen seien nach § 69 Abs 2 Satz 1 ASVG ausgeschlossen, ist schon deshalb nicht tragfähig, weil es auf das bloß tatsächliche Bestehen einer Sozialversicherung in Österreich nicht ankommt. Dementsprechend stützt sich der Kläger in seinen weiteren Ausführungen auf den sozialversicherungsrechtlichen Entsendungstatbestand nach § 3 Abs 2 lit d ASVG iVm Art 12 Abs 1 der VO 883/2004/EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.
2.1 Mit den Voraussetzungen für eine Entsendung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits eingehend befasst. Danach setzt die Entsendung iSd § 3 Abs 2 lit d ASVG voraus, dass das Arbeitsverhältnis seinen Schwerpunkt im Entsendungsstaat (besser: entsendenden Staat) behält, wobei die erforderliche Dichte der ‑ vor dem Hintergrund der sozialpolitischen Zwecke des Sozialversicherungsrechts zu beurteilenden ‑ Inlandsbeziehung im Bestehen eines gewöhnlichen Arbeitsorts im Inland vor der Entsendung oder in der Absicht der Parteien des Arbeitsvertrags gelegen sein kann, dass die Arbeitsleistung nach dem Ende der Entsendung im Inland fortgesetzt werden soll. Ist nur eine Entsendung des Arbeitnehmers ins Ausland ohne vorherige oder nachfolgende Arbeitsleistung im Inland beabsichtigt, so liegt eine die Versicherungspflicht begründende ausreichende Inlandsbeziehung nur dann vor, wenn Dienstgeber und Dienstnehmer bei Vertragsabschluss ihren Sitz bzw gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben (VwGH Zl 2000/08/0134; Zl 2007/08/0013).
Diese Erwägungen werden vom Obersten Gerichtshof geteilt.
2.2 Im Anlassfall lag der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht in Österreich. Die Voraussetzungen für eine die Sozialversicherungspflicht begründende ausreichende Inlandsbeziehung sind nicht gegeben.
3. Die im gegebenen Zusammenhang ‑ im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ‑ zu berücksichtigenden unionsrechtlichen Vorgaben bestehen in Art 12 Abs 1 der VO 883/2004/EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit; die Vorgängerbestimmung findet sich in Art 14 Abs 1 der VO 1408/71/EWG.
Nach Art 12 Abs 1 der VO 883/2004/EG setzt der sozialversicherungsrechtliche Entsendungstatbestand voraus, dass
1. der Arbeitnehmer im Staat der gewöhnlichen (schwerpunktmäßigen) Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers seine Beschäftigung ausübt und
2. vom Arbeitgeber zur vorübergehenden Arbeitsleistung in einen anderen Mitgliedstaat entsendet wird, sofern
3. die voraussichtliche Dauer der Entsendung 24 Monate nicht überschreitet bzw der Arbeitnehmer nicht eine andere Person ablöst.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bleibt es allerdings unerheblich, ob der Dienstnehmer ausschließlich für Arbeiten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Sitzmitgliedstaats des Arbeitgebers eingestellt wird (vgl schon EuGH Rs 19/67, Van der Vecht).
3.2 Im Anlassfall sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Auch die inhaltlich vergleichbaren Kriterien der Vorgängerbestimmung des Art 12 Abs 1 der VO 883/2004/EG, nämlich des Art 14 Abs 1 der VO 1408/71/EWG (siehe dazu VwGH Zl 2000/08/0134), wären nicht erfüllt.
Es ergibt sich somit, dass die Beurteilung nach § 3 Abs 2 lit d ASVG mit den unionsrechtlichen Vorgaben der VO 883/2004/EG im Einklang steht. Damit bestand für den Kläger keine Sozialversicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG.
4.1 Dieses Ergebnis steht schließlich auch mit der Insolvenzrichtlinie 2008/94/EG (Neukodifikation der Richtlinie 80/987/EWG idF der Richtlinie 2002/74/EG) im Einklang.
Art 9 der Insolvenzrichtlinie regelt die Zuständigkeit der Garantieeinrichtung für grenzüberschreitende Fälle. Abs 1 leg cit lautet:
„(1) Ist ein Unternehmen, das im Hoheitsgebiet mindestens zweier Mitgliedsstaaten tätig ist, zahlungsunfähig im Sinn von Art 2 Abs 1, so ist für die Befriedigung der nicht erfüllten Arbeitnehmeransprüche die Einrichtung desjenigen Mitgliedsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die betreffenden Arbeitnehmer ihre Arbeit gewöhnlich verrichten oder verrichtet haben.“
In der Entscheidung C‑310/07, Holmqvist , hat der Europäische Gerichtshof die Bedeutung der Wendung „im Hoheitsgebiet mindestens zweier Mitgliedstaaten tätig“ geklärt. Danach muss das in einem Mitgliedstaat ansässige Unternehmen im anderen Mitgliedstaat über eine feste wirtschaftliche Präsenz verfügen, die durch das Vorhandensein von Personal gekennzeichnet ist, das es ihm ermöglicht, dort Tätigkeiten zu entfalten (Rn 34). Im Fall eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Transportunternehmens lässt sich allein daraus, dass ein von ihm dort angestellter Arbeitnehmer Warenlieferungen zwischen diesem Staat und einem anderen Mitgliedstaat durchführt, nicht schließen, dass das Unternehmen über eine feste wirtschaftliche Präsenz in einem anderen Mitgliedstaat verfügt (Rn 35).
4.2 Nach den Feststellungen befand sich der Wohnsitz, der Aufenthaltsort und der Ort der Arbeitsverrichtung des Klägers in Deutschland. Damit sind die Kriterien für eine feste wirtschaftliche Präsenz des Arbeitgebers in Deutschland nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfüllt. Da der in Österreich ansässige Arbeitgeber in Deutschland über eine feste wirtschaftliche Präsenz verfügt und sich der Ort der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung des Klägers in Deutschland befand, ist die Zuständigkeit der deutschen Garantieeinrichtung nach Art 9 der Insolvenzrichtlinie begründet (vgl dazu 8 ObS 19/11v).
5. Insgesamt ergibt sich, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts von den dargestellten Grundsätzen nicht abweicht. Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
Die Anregung des Klägers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht aufzugreifen, weil die hier maßgebenden unionsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bzw des Obersten Gerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs geklärt sind und in der Auslegung der zugrunde liegenden unionsrechtlichen Normen keine Zweifel bestehen (vgl RIS‑Justiz RS0082949).
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