OGH 8ObS12/16x

OGH8ObS12/16x27.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer und Mag. Regina Albrecht in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** E*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, 1150 Wien, Linke Wienzeile 246, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 940 EUR sA (Insolvenz‑Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. April 2016, GZ 10 Rs 37/16h‑12, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 26. Februar 2016, GZ 12 Cgs 175/15k‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBS00012.16X.0927.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der späteren Insolvenzschuldnerin vom 8. 1. 2015 bis 5. 6. 2015 als Angestellte beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Angestellte im Metallgewerbe (KV).

Vom 8. 1. 2015 bis 30. 4. 2015 war die Klägerin geringfügig mit fünf Stunden pro Woche und einem Monatsgehalt von 405,98 EUR brutto beschäftigt. Ab 1. 5. 2015 bis zu ihrem vorzeitigen Austritt gemäß § 25 IO am 5. 6. 2015 war sie im Rahmen einer 33‑Stunden‑Woche mit einem Gehalt von 2.461,62 EUR brutto angestellt.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von (weiteren) 940 EUR an aliquoten Sonderzahlungen mit der Begründung ab, dass angesichts der Änderung der Wochenstundenzahl eine Mischberechnung anzustellen sei.

Die Klägerin vertritt in ihrer dagegen gerichteten Klage den Standpunkt, die Sonderzahlungen seien nach dem KV anhand der im Monat November bzw im Monat der Auszahlung gebührenden Gehälter zu berechnen. Diese fixe Regelung lasse für Abweichungen keinen Raum.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bei zweckmäßiger und vernünftiger Auslegung des KV sei die innerhalb der Sonderzahlungsperiode stark veränderte Einkommenssituation durch Anstellung einer Mischberechnung zu berücksichtigen. Dieses Ergebnis harmoniere mit den Aliquotierungsregelungen für ein‑ und austretende Arbeitnehmer, der Abzugsmöglichkeit für zu viel bezahlte Sonderzahlungen bei unterjährigem Ausscheiden in der Endabrechnung und der Berechnungsmethode bei Beendigung eines Lehrverhältnisses mit anschließender Angestelltentätigkeit.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge. Der Kollektivvertrag regle die Sonderzahlungsberechnung bei Änderung des Beschäftigungsausmaßes innerhalb der Abrechnungsperiode nicht. Eine vernünftige und zweckentsprechende, den gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer berücksichtigende Auslegung führe jedoch zu dem vom Erstgericht erzielten Ergebnis. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Anordnung könne noch nicht geschlossen werden, dass die Kollektivvertragsparteien eine Änderung des Beschäftigungsausmaßes bei den Sonderzahlungen überhaupt nicht berücksichtigen wollten. Es wäre systemwidrig, den vorliegenden Fall einer wesentlichen Änderung anders zu behandeln als den der Weiterbeschäftigung nach Beendigung einer Lehre, für den der KV eine Mischberechnung ausdrücklich vorsehe. Die ordentliche Revision sei zulässig, da der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung regelmäßig eine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung von der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung abhängt, deren rechtliche Bedeutung sich auf einen großen Personenkreis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern erstreckt. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Der Oberste Gerichtshof vertritt in seiner auch vom Berufungsgericht zitierten ständigen Rechtsprechung den Grundsatz, dass kollektivvertragliche Sonderzahlungen bei wesentlichen Änderungen des Entgelts wegen Wechsels vom Lehr- zum Arbeitsverhältnis während der Abrechnungsperiode im Zweifel zu aliquotieren sind, wenn der Kollektivvertrag dies wenigstens ganz allgemein, insbesondere für den Fall vorsieht, dass ein Arbeitnehmer während des Jahres eintritt oder austritt. Auch dann, wenn eine ausdrückliche, klarstellende Regelung fehlt, ist dann eine Aliquotierung vorzunehmen, basierend einerseits auf der Lehrlingsentschädigung für die Dauer der Lehrzeit und andererseits auf dem Gehalt für die Dauer des folgenden Dienstverhältnisses (8 ObA 175/00v, DRdA 2001, 427 [ Löschnigg ]; so auch bereits 4 Ob 104/78 [4 Ob 105/78] = SZ 52/75 = Arb 9781 [KV für die metallverarbeitende Industrie]).

Dieses Ergebnis beruht auf der Überlegung, dass durch die Weiterbeschäftigung nach Beendigung der Lehrzeit nicht ein bestehendes Arbeitsverhältnis einfach fortgesetzt, sondern ein neues, das ganz anderen Zielen, Rahmenbedingungen und Rechtsvorschriften unterliegt, begründet wird (4 Ob 104/78).

2. Für den vorliegenden Fall einer bloßen Änderung des Beschäftigungsausmaßes innerhalb eines ununterbrochenen Angestelltendienstverhältnisses ist diese Rechtsprechung daher nicht unmittelbar einschlägig.

Die Frage, ob das Erfordernis einer Mischberechnung der Sonderzahlungen im dargestellten Sinn dennoch verallgemeinerungsfähig ist, wurde bisher in der höchstgerichtlichen Judikatur noch nicht beantwortet. Die Entscheidungen 8 ObA 30/04a (RIS-Justiz RS0118927) und 9 ObA 85/10f sprachen diese Konstellation grundsätzlich an, ließen die Antwort aber offen, weil der anzuwendende KV jeweils eine ausdrückliche Regelung für die Berechnung der Jahresremuneration bei innerhalb des letzten Jahres eingetretenen Lohnschwankungen vorsah.

Den Kollektivvertragsparteien ist es grundsätzlich unbenommen, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen an bestimmte Bedingungen zu knüpfen (RIS‑Justiz RS0048332), soweit deren Ausgestaltung nicht gegen die gesetzlichen Rahmenbedingungen oder gegen grundlegende Wertungen der Arbeitsrechts‑ und Sozialrechtsordnung verstößt. Strittige Fragen hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, der Anspruchshöhe und der Anspruchsdauer sind durch Interpretation der jeweiligen kollektivvertraglichen Bestimmungen zu lösen (8 ObA 30/04a; RIS‑Justiz RS0048332; Rabl in Reissner [Hrsg], AngG 2 § 16 AngG Rz 51 ff). Diesem Grundsatz folgend hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 85/10f einen kollektivvertraglichen 13-wöchigen Durchrechnungszeitraum bei schwankender Entgeltshöhe nach dem KV für Handelsangestellte als angemessen beurteilt.

3. Der im vorliegenden Fall maßgebliche § 13 KV für Angestellte des Metallgewerbes lautet auszugsweise:

(1) Allen Angestellten gebührt einmal in jedem Kalenderjahr ein 13. und 14. Monatsgehalt (Weihnachtsremuneration und Urlaubszuschuss). (…)

(2) Der Berechnung des 13. Monatsgehalts ist das im November gebührende Monatsgehalt (Lehrlingsentschädigung, Fixum) zugrunde zu legen. Der Berechnung des 14. Monatsgehalts ist das im Monat der Auszahlung gebührende Monatsgehalt (Lehrlings-entschädigung, Fixum) zugrunde zu legen.

Bei Angestellten, die während des Kalenderjahres ihre Lehrzeit vollendet haben, setzt sich das 13. und 14. Monatsgehalt aus dem aliquoten Teil der letzten monatlichen Lehrlingsentschädigung und aus dem aliquoten Teil des Angestelltenbezugs zusammen. (…)

(4) Den während des Kalenderjahres eintretenden oder austretenden Angestellten (Lehrlingen) gebührt der aliquote Anteil des 13. und 14. Monatsgehaltes entsprechend der im Kalenderjahr zurückgelegten Dienstzeit. Angestellte, die das 13. und 14. Monatsgehalt bereits erhalten haben, aber noch vor Ablauf des Kalenderjahres ausscheiden, ist der verhältnismäßig zu viel bezahlte Anteil, der auf den restlichen Teil des Kalenderjahres entfällt, bei der Endabrechnung in Abzug zu bringen. (...)

Die kollektivvertragliche Bezugnahme auf das Entgelt eines konkreten Monats steht – entgegen den Revisionsausführungen – einer Aliquotierung nicht entgegen. Damit wird zwar festgelegt, in welcher Höhe die Sonderzahlungen zustehen, wenn es im Bezugszeitraum zu schwankenden Entgelthöhen gekommen ist, aber nicht ausgeschlossen, dass andere Umstände, insbesondere eine Änderung des Beschäftigungsausmaßes, Berücksichtigung finden können.

Die Aliquotierungsregeln für Lehrlinge und unterjährig beschäftigte Angestellte, vor allem aber die anteilige Rückverrechnung einer erhaltenen Sonderzahlung im Fall des Ausscheidens des Angestellten vor Ablauf des Kalenderjahres machen vielmehr deutlich, dass die Kollektivvertragsparteien durchaus nicht davon ausgegangen sind, dass die Sonderzahlungen (wie es dem Standpunkt der Klägerin entsprechen würde) auf jeden Fall in voller Höhe des Gehalts des Bezugsmonats zustehen müssen, sofern nur das Dienstverhältnis am Stichtag aufrecht war.

Die am Regelungszusammenhang und -zweck orientierte Interpretation des KV führt vielmehr zu dem Ergebnis, dass er keine bestimmte Regelung für den Fall vorsieht, dass es innerhalb des Kalenderjahres im aufrechten Angestelltenverhältnis zu einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes gekommen ist und damit eine planwidrige Lücke vorliegt.

4. Für bestimmte, typische Fälle des Wechsels des Beschäftigungsausmaßes hat der Gesetzgeber selbst Regelungen über die Berechnung der Sonderzahlungen angeordnet, die eine Aliquotierung in dem der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung entsprechenden Ausmaß im Kalenderjahr vorsehen (§ 16 Abs 2 AngG, § 19d Abs 5 AZG; § 15j Abs 7 MSchG, § 8b Abs 7 VKG; § 11 Abs 2 AVRAG).

In Lehre und Literatur wird eine analoge Anwendung dieser Mischberechnung auf alle Fälle der unterjährigen Veränderung des Beschäftigungsausmaßes befürwortet, sofern der anzuwendende Kollektivvertrag diesbezüglich eine Regelungslücke aufweist ( Preiss in ZellKomm² § 16 AngG Rz 30; Heilegger in Heilegger/Klein/Schwarz , Arbeitszeitgesetz 4 § 19d Rz 104; Löschnigg , Arbeitsrecht 12 6/176; Schrank , AZG 3 § 19d Rz 101; Rauch , AR 10 381; Rabl aaO § 16 AngG Rz 51).

5. Dieser Auffassung ist auch beizupflichten. Die Aliquotierung der Sonderzahlungen bei Änderungen des Beschäftigungsausmaßes ist zur Herstellung eines gerechten Ausgleichs der sozialen und wirtschaftlichen Interessen geboten, weil damit die Höhe der Sonderzahlungen vom tatsächlich verdienten Entgelt abhängig gemacht wird und nicht von einer möglicherweise bloß zufälligen Bezugsgröße zum Fälligkeitszeitpunkt.

Diese Auslegung ist im Fall eines Wechsels von Teilzeit auf Vollzeit – oder, wie im Fall der Klägerin, einer Erhöhung des Beschäftigungsausmaßes – auch nur scheinbar nachteilig, weil auch in diesem Fall das tatsächlich verdiente Entgelt maßgebliche Bezugsgröße ist und keine unsachliche Behandlung dieser Dienstnehmer zu erkennen ist.

Umgekehrt wäre aber das Unterbleiben der Aliquotierung in jenen Fällen, in denen es während des vorangegangenen Bezugszeitraums zu einer Herabsetzung der Arbeitszeit gekommen ist, für die Betroffenen benachteiligend, weil ihnen – anders als vor Jahresende ausgetretenen Mitarbeitern – ihre während der Vollzeitbeschäftigung anteilig erworbenen Sonderzahlungs-anwartschaften wegen der Herabsetzung der Arbeitszeit nachträglich gekürzt würden. Es besteht keine sachliche Rechtfertigung für dieses Ergebnis, das dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeitbeschäftigten in der Richtlinie über Teilzeitarbeit (RL 97/81/EG in der durch die RL 98/23/EG geänderten Fassung) auf unionsrechtlicher Ebene widersprechen würde.

6. Mit einer alternativen Heranziehung des arithmetischen Mittels der Gehaltsansätze für die Sonderzahlungsberechnung, wie sie die Revision eventualiter anstrebt, könnte kein rechnerisch sachgerechtes, mit der zeitlichen Aliquotierung auch nur annähernd gleichwertiges Ergebnis erzielt werden.

Der Revision konnte daher nicht Folge gegeben werden.

Ein Kostenersatz nach Billigkeit an den unterliegenden Kläger iSd § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG setzt voraus, dass seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Kostenersatz nahelegen und auch tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen.

Es ist Sache des Versicherten, Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, geltend zu machen, es sei denn, sie ergeben sich aus dem Akteninhalt (RIS-Justiz RS0085829 [T1]). Im vorliegenden Fall hat sich die Klägerin zwar auf rechtliche Schwierigkeiten berufen; dass ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse darüber hinaus einen Kostenersatzanspruch nahelegen, hat sie aber weder vorgebracht, noch sind (bei verzeichneten Revisionskosten von 335,64 EUR) aus dem Akt ausreichende Anhaltspunkte ableitbar.

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