OGH 8ObA66/23y

OGH8ObA66/23y13.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter MMag. Dr. Andreas Schlegel(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat des Österreichischen Integrationsfonds, 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 26,vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Österreichischer Integrationsfonds, 1030 Wien, Schlachthausgasse 30, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegendas Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 2023, GZ 10 Ra 4/23s‑34, womit das Urteil des Arbeits- und SozialgerichtsWien vom 18. August 2022, GZ 16 Cga 94/21s‑21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00066.23Y.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.977,90 EUR (darin enthalten 329,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] DerBeklagte ist ein Fonds, welcher auf ein zwischen dem Bundesministerium für Inneres und dem UN‑Flüchtlingshochkommissär im Jahr 1959 geschlossenes Abkommen über die Errichtung des „Flüchtlingsfonds der Vereinten Nationen Wien“ zurückgeht. Nach der Satzung ist die Tätigkeit des Beklagten nicht auf Gewinn gerichtet und verfolgt den gemeinnützigen Zweck der Förderung von Angelegenheiten der gesellschaftlichen Integration und des Zusammenlebens von Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund in Österreich. Der Beklagte beschäftigt rund 400 Mitarbeiter. Der beim Beklagten errichtete Aufsichtsrat besteht aus vier Aufsichtsratsmitgliedern. Der klagende Betriebsrat fasste am 5. 11. 2020 den Beschluss, seine Mitglieder M* und C* als Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden, was vom Beklagten abgelehnt wird.

[2] Der klagende Betriebsrat begehrt die Feststellung, dass er das Recht habe, seine Mitglieder M* und C* im gesetzlichen Rahmen in den Aufsichtsrat desBeklagten zu entsenden. Der Beklagte sei nicht als Tendenzbetrieb zu qualifizieren, weil der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der Vermittlung von Sprachkenntnissen liege. Selbst bei Vorliegen eines Tendenzbetriebs würde nur das Stimmrecht der entsandten Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat entfallen, nicht aber das Entsenderecht.

[3] Der Beklagte wendet ein, dass der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der vielfältigen Unterstützung von asyl- und schutzberechtigten Personen gelegen sei und es sich dementsprechend um einen Tendenzbetrieb handle, bei dem eine Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat ausgeschlossen sei. Im Übrigen sei das Feststellungsbegehren nicht hinreichend bestimmt.

[4] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.

Nach § 21 Abs 12 BStFG 2015 bestehe bei Fonds, für die ein Aufsichtsrat eingerichtet ist, ein Recht des Betriebsrats auf Entsendung von Arbeitnehmervertretern, wenngleich deren Stimmrecht im Fall eines Tendenzbetriebs eingeschränkt sei. Der Kläger habe das Recht auf Entsendung der namentlich genannten Mitglieder, wobei das Feststellungsbegehren angesichts des ausdrücklichen Hinweises auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinreichend bestimmt sei. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 21 Abs 12 BStFG 2015 zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revision des Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, unzulässig.

[6] 1. Nach § 21 Abs 12 BStFG 2015 gilt § 110 ArbVG, wonach der Betriebsrat zwei Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat entsendet, für Fonds sinngemäß, wobei diese Arbeitnehmervertreter bei Beschlüssen, die politische, koalitionspolitische, konfessionelle, wissenschaftliche, erzieherische oder karitative Zwecke im Sinn des § 132 Abs 1 ArbVG betreffen, nicht stimmberechtigt sind. Daraus ergibt sich, dass der Kläger ein Recht auf Entsendung von Arbeitnehmervertretern hat, ohne dass es darauf ankäme, ob es sich beim Beklagten um einen Tendenzbetrieb im Sinn des § 132 Abs 1 ArbVG handelt. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst – wie im vorliegenden Fall – eine klare und eindeutige Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656).

[7] 2. Auch wenn bei Aktiengesellschaften, die als Tendenzbetrieb geführt werden, nach § 132 Abs 1 ArbVG keine Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat entsendet werden, bestehen an der Verfassungskonformität des § 21 Abs 12 BStFG 2015, wonach bei Fonds, die in diesen Bereichen tätig sind, bloß das Stimmrecht der Arbeitnehmervertreter beschränkt ist, keine Bedenken. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums nämlich frei, in unterschiedlichen Rechtsbereichen selbständige Ordnungssysteme zu schaffen, die den jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen (Grabenwarter/Frank, B-VG Art 7 Rz 18, Khakzadeh in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Art 7 B‑VG Rz 38). Dass der Oberste Gerichtshof zur Verfassungskonformität eines Gesetzes noch nicht Stellung genommen hat, kann keine erhebliche Rechtsfrage begründen, wenn die vom Rechtsmittelwerber geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt werden (RS0116943; RS0122865)

[8] 3. Der Kläger hatte damit das Recht, die mit Beschluss vom 5. 11. 2020 nominierten Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden. Nach § 9 Abs 1 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 17. 6. 1974 über die Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat (BGBl 1974/343 idgF) endet die Funktion der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, wenn sie vom Betriebsrat abberufen werden oder der neu konstituierte Betriebsrat Arbeitnehmervertreter entsendet. Für die davon abweichende Rechtsansicht des Beklagten, dass bereits im Entsendungsbeschluss des Betriebsrats die Funktionsperiode der Arbeitnehmervertreter angeben werden müsse, findet sich im Gesetz kein Anhaltspunkt, sodass auch insofern keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RS0042656 [T63]).

[9] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und damit Anspruch auf Kostenersatz (RS0112296).

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