European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00042.17K.0824.000
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Erst‑ und Zweitbeklagten relevieren in ihrem Rechtsmittel die Fragen, ob sich die Bindungswirkung von Strafurteilen auch auf gekürzte Urteilsausfertigungen gemäß § 270 Abs 4 StPO und ob sich die Bindungswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung der Zweit‑ und Drittbeklagten (im Rahmen der Zurechnung ihres Verhaltens als Erfüllungsgehilfen im Sinn des § 334 ASVG) auch auf die Erstbeklagte als Dienstgeberin erstreckt. Damit sprechen sie keine erhebliche Rechtsfrage an.
2.1 Zur Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Verurteilung hat der verstärkte Senat in der Entscheidung 1 Ob 612/95 ausgesprochen: „ Wirkt die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, dass der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muss, und wirkt dieses für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so kann sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe. “
Dies bedeutet, dass das Zivilgericht keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen zum Nachweis der strafbaren Handlung, zu ihrer Zurechnung und zum Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen treffen darf. Die Bindungswirkung bezieht sich demnach auf den Nachweis, dass der Verurteilte die im Schuldspruch bezeichneten Tathandlungen begangen hat und diese ihm zurechenbar sind, auf die rechtliche Qualifikation der festgestellten Tathandlungen und den Kausalzusammenhang zwischen den festgestellten Tathandlungen und dem eingetretenen Erfolg sowie auf die Erfüllung eines Qualifikationsmerkmals für den angewendeten höheren Strafsatz (RIS‑Justiz RS0074219; RS0036911).
2.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Zweitbeklagten aufgrund der Feststellungen des Erstgerichts nicht nur bekannt war, dass die Verwendung von Doka-Schalungsplatten für die Erstellung von Arbeitsplattformen bei der Erstbeklagten üblich war und dies schon früher so gehandhabt wurde, sondern er aufgrund des Spruchs der strafgerichtlichen Verurteilung auch damit habe rechnen müssen, dass die Doka-Platten nicht gegen Verrutschen gesichert waren und die errichtete Plattform daher nicht unverschiebbar war, entspricht den dargestellten Grundsätzen zur Bindungswirkung einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung.
Der Umstand, dass eine gekürzte Urteilsausfertigung hergestellt wurde, vermag an diesen Grundsätzen nichts zu ändern. Als rechtskräftige Entscheidungen im Sinn des § 411 ZPO kommen alle Urteile eines Zivilgerichts ebenso wie alle verurteilenden Erkenntnisse eines Strafgerichts in Betracht. § 411 ZPO unterscheidet nicht zwischen einzelnen Urteilsarten. Es ist auch nicht etwa entscheidend, dass das Urteil in einem kontradiktorischen Verfahren zustande gekommen ist (vgl RIS‑Justiz RS0120239; RS0105380). Durch die Einführung gekürzter Urteilsausfertigungen nach mündlicher Verkündung des Urteils und ohne Erhebung eines Rechtsmittels (§ 417a ZPO; § 270 Abs 4 StPO) sollte eine Arbeitsersparnis und ein Beschleunigungseffekt erzielt werden (vgl 2 Ob 42/14m). Auch in einem solchen Fall liegt ein normales Urteil mit allen Rechtswirkungen vor (vgl 4 Ob 135/03m). Gleiches gilt für ein Strafurteil mit gekürzter Urteilsausfertigung; auch dafür ist die Rechtskraft des Urteils vorausgesetzt (11 Os 81/98). Auch eine gekürzte Urteilsausfertigung hat – wenn auch in gedrängter Form – alle Tatsachenfeststellungen zu enthalten, die für die Überprüfung der rechtlichen Beurteilung erforderlich sind (RIS‑Justiz RS0125764; 11 Os 162/11z).
2.3 Für das weitere Argument, dass das Strafgericht die dem Zweit- und Drittbeklagten angelasteten Tathandlungen nur irrtümlich derart weitreichend (auch in Bezug auf das Annehmen-Müssen der nicht rutschsicheren Verlegung) in den Spruch aufgenommen habe, bestehen keine Anhaltspunkte. Sollten die Erst- und Zweitbeklagten die Ansicht vertreten, die im Spruch angelasteten Tathandlungen stünden mit einer Verurteilung nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB in Verbindung, so wäre diese Schlussfolgerung nicht zwingend. Für die Annahme dieser Qualifikation wäre entscheidend, dass aufgrund des Verhaltens bei ex ante‑Betrachtung der Tod eines Menschen mit außergewöhnlich hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten war (vgl Burgstaller in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 81 Rz 10 und 23).
Von diesen Erwägungen abgesehen könnte der von den Erst- und Zweitbeklagten behauptete „Mangel“, selbst wenn er vorliegen würde, nicht im Zivilverfahren berücksichtigt werden, sondern müsste vorab im Strafverfahren korrigiert werden.
Das Berufungsgericht hat festgehalten, dass das Strafgericht den Zweitbeklagten (wie auch den Drittbeklagten) wegen fahrlässiger Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt hat und er nicht wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen gemäß § 81 Abs 1 Z 1 StGB verurteilt wurde. Zudem hat es ausgeführt, dass eine strafgerichtliche Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nach § 80 StGB für die Annahme groben Verschuldens für sich allein noch nicht ausreicht. Dementsprechend hat das Berufungsgericht die Beurteilung der (auch) im Spruch angelasteten Tathandlungen als grob fahrlässig selbständig, also ohne Annahme einer „Bindung“ vorgenommen. Diese Vorgangsweise ist zutreffend.
3. In Bezug auf die Erstbeklagte ist es richtig, dass gegenüber Dritten, die am Strafverfahren nicht beteiligt waren und denen kein rechtliches Gehör zukam, keine Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils angenommen wird (RIS‑Justiz RS0097968). Im Anlassfall war die Erstbeklagte allerdings am Strafverfahren beteiligt, zumal die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer (Verbands-)Geldbuße gegen die Erstbeklagte beantragt hatte. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgewiesen, dass es keinen Nachweis für einen Vermögensvorteil der Erstbeklagten aus dem Verhalten der verurteilten Mitarbeiter (der Zweit- und Drittbeklagten) gäbe. Der Umstand, dass der Antrag abgewiesen wurde, ändert an der Verfahrensbeteiligung der Erstbeklagten nichts.
4. Der Drittbeklagte vertritt in seiner außerordentlichen Revision die Ansicht, dass bei Beurteilung des groben Verschuldens das Verhalten des Verunfallten miteinzubeziehen sei. Der – im Zuge von Sicherheitsunterweisungen belehrte – Verunfallte habe gegen die ihm aufgetragene Vorgangsweise nicht protestiert. Daher sei das Verhalten des Verunfallten in seiner Gefährlichkeit mit jenem des Drittbeklagten gleichwertig.
Damit zeigt der Drittbeklagte ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf.
5.1 Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts erteilte der Drittbeklagte die Weisung, die Doka-Schalungsplatten – trotz von ihm erkannter sicherheitsrelevanter Unsachgemäßheit – als Arbeitsplattform zu verwenden; er wusste auch, dass die beiden Arbeiter die Doka-Platten ungesichert auflegen würden. Aufgrund der Stellung des Drittbeklagten als Vorarbeiter war der von ihm verlangte Protest des Verunfallten weder angezeigt noch hätte dieser etwas genützt. Zudem hat der Verunfallte nach den Feststellungen Anweisungen seiner Vorgesetzten immer befolgt, was dem Drittbeklagten auch bekannt sein musste. Der Drittbeklagte unterschätzt offenbar immer noch die Gefährlichkeit seiner Anweisungen, zumal er in seinem Rechtsmittel darauf hinweist, dass eine Absturzgefahr „lediglich“ über eine Höhe von 3 m bestanden habe.
5.2 Davon abgesehen hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in der Entscheidung 8 ObA 26/17g darauf hingewiesen, dass dem von der Rechtsprechung angenommenen Grundsatz, wonach es § 334 Abs 3 ASVG nicht ausschließe, bei der Beurteilung der Frage, ob der Dienstgeber grob fahrlässig gehandelt habe, das Verhalten des Versicherten mitzuberücksichtigen, die Überlegung zugrunde liegt, dass der Dienstgeber mit einem völlig unvernünftigen (Fehl-)Verhalten des Dienstnehmers nicht rechnen muss, sofern der Dienstgeber die gebotenen Sicherheitsvorkehrungen getroffen sowie die erforderlichen Sicherheitsanweisungen erteilt und deren Einhaltung kontrolliert hat. Ein solcher Fall liegt hier gerade nicht vor, weil der Drittbeklagte die unsachgemäße und gefahrenbegründende Weisung erteilt hat, die Doka-Platten in ungesicherter bzw unbefestigter Form für die Arbeitsplattform in 3 m Höhe (über dem ersten Obergeschoß) zu verwenden.
6. Insgesamt gelingt es weder den Erst- und Zweitbeklagten noch dem Drittbeklagten, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentlichen Revisionen waren daher zurückzuweisen.
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