OGH 8ObA33/19i

OGH8ObA33/19i24.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Hochwimmer & Horcicka, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport), *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 1.265,60 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 2016, GZ 12 Ra 67/16h‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Juli 2016, GZ 20 Cga 39/16m‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00033.19I.0924.000

 

Spruch:

I. Das Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der am 17. 3. 1973 geborene Kläger ist als Vertragsbediensteter in einer Kaserne im Bundesland Salzburg beschäftigt. Bei der Begründung des Dienstverhältnisses am 29. 5. 1996 wurde der Vorrückungsstichtag des Klägers mit 12. 12. 1992 festgesetzt. Mit Wirksamkeit vom 1. 12. 1996 gebührte ihm das Gehalt der Gehaltsstufe 2. Als nächster Vorrückungstermin kam der 1. 1. 1997 in Betracht.

Der Kläger beantragte am 5. 2. 2015 die Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags unter Berücksichtigung folgender vor seinem 18. Lebensjahr geleisteter Dienstzeiten (Lehrzeiten): Vom 1. 9. 1988 bis 30. 6. 1989 bei den A***** sowie vom 1. 8. 1989 bis 17. 3. 1991 bei der Bäckerei S*****. Die Beklagte hat über diesen Antrag nicht entschieden. Unter Berücksichtigung dieser Vordienstzeiten (nach Maßgabe des VBG 1948 idF BGBl I 2010/82) ergäbe sich der Vorrückungsstichtag mit 21. 12. 1989. Hätte die Beklagte die Regelung des § 19 Abs 1 zweiter Satz VBG 1948 idF BGBl I 2010/82, wonach der für die Vorrückung in die zweite in jeder Entlohnungsgruppe in Betracht kommenden Entlohnungsstufe erforderliche Zeitraum fünf Jahre, ansonsten zwei Jahre beträgt, nicht zur Anwendung gebracht, hätte sich durch die neue Festsetzung des Vorrückungsstichtags die besoldungsrechtliche Situation des Klägers so verbessert, dass für den Zeitraum vom 1. 3. 2013 bis 1. 3. 2016 eine Entgeltdifferenz in Höhe von 1.265,60 EUR brutto nachzuzahlen gewesen wäre.

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung dieser Entgeltdifferenz. Die gesetzlichen Bestimmungen in der Fassung der Bundesbesoldungsreform 2015 seien auf den Kläger nicht anzuwenden, da er vor Inkrafttreten der Reform den Antrag auf Anrechnung der Vordienstzeiten gestellt habe. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber mit der Bundesbesoldungsreform 2015 die unionsrechtlichen Vorgaben für die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr nur unzureichend umgesetzt. In Wirklichkeit sei damit die unzulässige Altersdiskriminierung perpetuiert worden. Solange kein System zur Beseitigung der Diskriminierung wegen des Alters hergestellt sei, müssten die unionsrechtswidrigen Vorschriften unangewendet bleiben.

Die Beklagte entgegnete, dass mit der Bundesbesoldungsreform 2015 der Vorrückungsstichtag durch das Besoldungsdienstalter ersetzt worden sei. Dabei handle es sich um ein neues Besoldungssystem. Die am Stichtag 11. 2. 2015 (Kundmachung der Reform) im Dienststand befindlichen Bediensteten seien in dieses neue System übergeleitet worden. Gemäß § 94a Abs 1 VBG gelange § 169c GehG auch auf Vertragsbedienstete zur Anwendung. In der zuletzt genannten Bestimmung seien die Überleitung sowie eine Besitzstandswahrung normiert. Die Überleitung auf der Grundlage des Monatsgehalts für Februar 2015 sei deshalb erfolgt, um die Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung aller Bediensteten zu vermeiden. Gemäß § 100 Abs 70 VBG idF BGBl I 2015/32 seien die Bestimmungen über den Vorrückungsstichtag in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden. Dabei handle es sich um eine echte Rückwirkung. Das neue Besoldungssystem stehe mit dem Unionsrecht im Einklang.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müssten Beschäftigungszeiten auch vor dem 18. Lebensjahr angerechnet werden. Dies habe der Gesetzgeber mit der VBG‑Novelle BGBl I 2010/82 vorgesehen. Allerdings sei der erste Vorrückungszeitraum von zwei Jahren auf fünf Jahre verlängert worden. In der Folge habe der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, dass eine Verlängerung des Vorrückungszeitraums die Altersdiskriminierung nicht beseitige. Aus diesem Grund sei mit der Bundesbesoldungsreform 2015, BGBl I 2015/32, der Vorrückungsstichtag durch das Besoldungsdienstalter ersetzt worden. Die Überleitung erfolge allerdings auf Basis des Überleitungsbetrags für Februar 2015. Dadurch werde die Altersdiskriminierung nicht beseitigt. Ein EU-konformes System sei nach wie vor nicht gegeben. Gemäß § 100 Abs 70 Z 3 VBG sei das alte System des Vorrückungsstichtags in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden. Diese Bestimmung habe zur Konsequenz, dass eine Beseitigung der Altersdiskriminierung nicht mehr durchführbar wäre, also nicht mehr geltend gemacht werden könnte. Dies widerspreche der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C‑530/13, Schmitzer, § 100 Abs 70 Z 2 und 3 VBG sowie § 169c Abs 6a GehG (iVm § 94a VBG) seien daher richtlinienkonform dahin zu reduzieren, dass ihnen keine Anwendbarkeit für in der Vergangenheit liegende Sachverhalte zukomme. Diese Bestimmungen würden sich daher nur auf nach dem Inkrafttreten der Besoldungsreform 2015 (am 12. 2. 2015) entstandene Ansprüche beziehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und billigte die Begründung des Erstgerichts gemäß § 500a ZPO. Der Kläger habe daher Anspruch auf Nachzahlung der geltend gemachten Entgeltdifferenz. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der richtlinienkonformen „Auslegung“ des § 100 Abs 70 Z 3 VBG eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheine.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist – wie bereits in dem in dieser Rechtssache ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 28. 3. 2017, 8 ObA 16/17m, ausgeführt wurde – zulässig und im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Mit dem genannten Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 28. 3. 2017, 8 ObA 16/17m, wurde das Verfahren wegen Präjudizialität der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 19. 12. 2016 zu 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Nachdem diese Entscheidung nunmehr vorliegt, war das Verfahren von Amts wegen fortzusetzen.

In dieser Rechtssache erkannte der EuGH mit Urteil vom 8. 5. 2019, Österreichischer Gewerksschaftsbund, Gewerkschaft öffentlicher Dienst gegen Republik Österreich, C‑24/17, wie folgt:

„1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Bestandsvertragsbediensteten in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Vertragsbediensteten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.

2. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Vertragsbediensteten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Vertragsbediensteten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Vertragsbediensteten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Vertragsbedienstete hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird. ...“

Infolge dieser Entscheidung wurde das Besoldungsrecht des Bundes zur Herstellung seiner Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht mit BGBl I 58/2019 (2. Dienstrechts-Novelle 2019) umfassend novelliert und für Vertragsbedienstete, deren Vorrückungsstichtag bei der Anrechnung unter Ausschluss der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegenen Zeiten festgesetzt wurde, nach Maßgabe der §§ 94b ff VBG 1948 („Umsetzung der Richtlinie 2000/78 “) eine Neueinstufung nach einem einheitlichen Regelwerk vorgesehen. Diese Regelungen idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 wurden mit 1. 1. 2004 in Kraft gesetzt (§ 100 Abs 89 Z 1 VBG 1948). Sie betreffen ua am Tag der Kundmachung der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 (8. 7. 2019) anhängige einschlägige Verfahren, wobei die Neufestsetzung im Rahmen dieser Verfahren zu erfolgen hat (§ 94b Abs 3 VBG 1948). Das neu festgesetzte Besoldungsdienstalter ist nach Maßgabe des § 94b Abs 6 VBG 1948 auch ausdrücklich rückwirkend für die Bemessung der Bezüge maßgeblich (s auch AB 657 BlgNR XXVI. GP S 7).

Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (RS0031419; 9 ObA 134/15v mwN). Da dies hier der Fall ist, ist die neue Rechtslage auch im vorliegenden Verfahren zu beachten.

Nach § 182a ZPO hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (RS0037300 [T46]). Das hat umso mehr bei geänderter Rechtslage zu gelten. Die Parteien müssen Gelegenheit haben, zur neuen Rechtslage ein Vorbringen zu erstatten (RS0037300 [T26]). Daraus folgt, dass das Klagebegehren nach Maßgabe der neuen Rechtslage zur Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung des Klägers und der Bemessung seiner Bezüge zum Gegenstand einer Erörterung vor dem Erstgericht zu machen ist.

Zusammenfassend besteht zum Klagebegehren im Hinblick auf die neue Rechtslage Erörterungsbedarf. Dies hat zur Folge, dass der Revision der Beklagten Folge zu geben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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