OGH 8ObA280/95

OGH8ObA280/9514.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer und die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing. Walter Holzer und Ignaz Gattringer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagen Partei Gregor D*****, vertreten durch Dr.Peter Kaupa, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte Partei Klaus F*****, vertreten durch Dr.Ferdinand Pieler, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 52.027,08 brutto, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.April 1990, GZ 7 Ra 19/95-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21.März 1994, GZ 15 Cga 338/93x-17, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die vorinstanzlichen Urteile werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung lautet:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 52.027,08 brutto samt 4 % Zinsen aus S 41.513,50 ab 15.8.1992 bis 18.9.1992 und aus S 52.027,08 ab 19.9.1992 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 52.288,80 (einschließlich S 6.694,80 Umsatzsteuer und S 12.120,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war in der Zeit vom 18.7.1989 bis zum 28.6.1992 beim Beklagten im Rahmen eines ursprünglich bis zum 17.1.1993 abgeschlossenen Lehrausbildungsverhältnisses als Kfz-Mechaniker-Lehrling beschäftigt. Die Lehrlingsentschädigung betrug bis zum 17.7.1992 S 1.640,- brutto wöchentlich, ab dem 18.7.1992 S 2.240,-. Er hat, bezogen auf das während der beanspruchten Kündigungsfrist beginnende Urlaubsjahr, 30 Werktage Urlaubsanspruch, die er nicht konsumiert hat.

In den Jahren 1990 und 1991 war der Kläger im Rahmen seines Lehrverhältnisses beim Beklagten hauptsächlich mit den für den Mechanikerberuf typischen Tätigkeiten betraut und besuchte die Berufsschule.

Im Jahre 1992 besuchte er bis 31.1.1992 die Berufsschule. Im Februar 1992 arbeitete er ohne Unterbrechung (20 Arbeitstage) im Betrieb des Beklagten und war dort mit für den Mechanikerberuf typischen Tätigkeiten betraut. Lediglich einen Halbtag (3 Stunden 50 Minuten) wurde er am 6.2.1992 zum Autopolieren eingesetzt (erstgerichtliches Urteil S.5).

Im März 1992 arbeitete der Kläger nur von Montag, dem 2.3. bis Freitag, dem 6.3. und von Freitag, dem 20.3. bis Freitag, dem 27.3. (11 Arbeitstage). Von Montag, dem 9.3. bis Donnerstag, dem 19.3. und ab Montag, dem 30.3. befand er sich im Krankenstand, der bis Freitag, dem 26.6.1992, dauerte. Noch vor Wiederantritt der Arbeit erklärte der Kläger zum 28.6.1992 seinen vorzeitigen Austritt aus dem Lehrverhältnis mit der Begründung, er sei vom Beklagten überwiegend zu berufsfremden Tätigkeiten verwendet worden.

Hiezu wurde festgestellt, daß der Kläger an den 11 Tagen, die er im März 1992 arbeitete, folgende Tätigkeiten verrichtete:

Am Dienstag, dem 3.3. war er 1 Stunde und 20 Minuten und am Mittwoch, dem 4.3. vormittags mit Kanalreinigungsarbeiten beschäftigt. Am Nachmittag des 4.3. reinigte er drei Stunden ein Auto; am Donnerstag, dem 15.3. vormittags reinigte er ebenfalls ein Auto. Am Nachmittag dieses Tages und am Freitag, dem 6.3. hatte er ein Gestell für die Autoreifen zu reinigen; er mußte dieses mit einem Kaltreiniger einlassen und anschließend mit einem Dampfstrahler abspritzen.

Am Montag, dem 23. und Dienstag, dem 24.3.1992 polierte er Autos. Diese Arbeiten waren mit dem Umstecken der Reifen, Ölwechsel, Wechsel der Dieselfilter und Luftfilter, dem Gängigmachen der vorderen und hinteren Bremsen und anderen Kleinarbeiten verbunden.

Am 25.3.1992 mußte er wiederum ein Auto polieren, Reifen umstecken und einen Spiegel montieren. Am Montag, dem 2.3., Freitag, dem 20.3. und an seinen beiden letzten Arbeitstagen Donnerstag und Freitag, dem

26. und 27.3.1992 war er ganztägig mit berufsspezifischen Arbeiten betraut. Danach kehrte er aus dem dreimonatigen Krankenstand nicht mehr zur Arbeit zurück.

Der Kläger begehrt auf Grund seines vorzeitigen Austrittes aus seinem Lehrverhältnis zur beklagten Partei eine Kündigungsentschädigung für die Dauer der Kündigungsfrist, Weihnachtsremuneration und Urlaubszuschuß für die Dauer des aufrechten Lehrverhältnisses sowie der Kündigungsfrist und Urlaubsentschädigung für das während der Kündigungsfrist neu begonnene Urlaubsjahr 1992/93 im Gesamtbetrag von S 52.027,08 brutto sA.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor: Er habe den Kläger während der Dauer des aufrechten Lehrverhältnisses nicht für berufsfremde Arbeiten herangezogen, lediglich einmal habe der Kläger einen im Betriebsgebäude befindlichen Abwasserkanal, und zwar ebenso wie die anderen Betriebsangehörigen, reinigen geholfen. Beim Aufstellen von Reifengestellen seien Facharbeiten angefallen. Das Autowaschen und -polieren sei als Endarbeit nach der technischen Überprüfung und den Lackierarbeiten bei der Auf- bzw. Vorbereitung von Neu- und Gebrauchtwagen erfolgt, weshalb diese Arbeiten keine berufsfremde Tätigkeit darstellten. Insgesamt habe der Kläger während der Dauer des aufrechten Lehrverhältnisses eine Ausbildung entsprechend den Ausbildungsvorschriften für den Lehrberuf Kfz-Mechaniker erhalten, weshalb er zum vorzeitigen Austritt nicht berechtigt gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Beide Instanzen vertraten die Ansicht, daß der Kläger "ab Februar 1992" überwiegend mit berufsfremden Arbeiten betraut gewesen sei, weshalb er zum vorzeitigen Austritt berechtigt gewesen sei und der Entgeltanspruch zu Recht bestehe. Der Lehrberechtigte habe auch bei krankheits- bzw. ausbildungsbedingter vorübergehender Abwesenheit des Lehrlings im entsprechenden Umfang für seine Ausbildung Sorge zu tragen. Dem könne auch die eine Woche vor der Rückkehr getroffene Arbeitseinteilung nicht entgegenstehen, weil der Lehrling ja auch zur Unterstützung des eingeteilten Ausbildners zu dessen Arbeiten herangezogen werden könne.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt, die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Hiemit versucht der Beklagte in Wahrheit unzulässigerweise die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zu bekämpfen; im übrigen betreffen die gerügten Aktenwidrigkeiten Fragen der rechtlichen Beurteilung, auf die noch unten zurückgekommen wird (§ 510 Abs 3 ZPO).

Vorweg ist festzuhalten, daß die von den Vorinstanzen aus den oben wiedergegebenen Tatsachenfeststellungen abgeleitete Schlußfolgerung unhaltbar ist. Der Kläger war im Februar 1992 voll seinen Ausbildungszwecken entsprechend verwendet worden, denn während 20 Arbeitstagen war er nicht einmal einen halben Arbeitstag lang bloß mit dem Polieren eines Autos beschäftigt; hiebei handelt es sich um einen geringfügigen Zeitraum, der nicht ins Gewicht fiele (Arb 10.360), selbst wenn es sich beim Autopolieren um keine berufsspezifische Arbeit handelte.

Im letzten Monat seiner effektiven Ausbildungszeit im März 1992 änderte sich die Verwendung des Klägers. Von den 22 Arbeitstagen war er an 9 Tagen krank, so daß sie aus der Betrachtung ausscheiden. Von den verbleibenden 11 Arbeitstagen war der Kläger an 4 Arbeitstagen voll mit berufsspezifischen Arbeiten beschäftigt.

Lediglich in der Woche vom 2.3. bis 6.3.1992 war er überwiegend nicht mit berufsspezifischen Arbeiten betraut; berufsspezifisch war er nur ca. 1 1/2 Tage lang tätig. Zirka 3/4 eines Arbeitstages wurde er zu Kanalreinigungsarbeiten eingesetzt; einen Tag lang mußte er Autos und 1 1/2 Tage lang ein Gestell für die Reifenlagerung reinigen.

In seinen letzten 6 Arbeitstagen vom 20.3.bis 25.3.1992 war er die Hälfte der Zeit voll mit berufsspezifischen Arbeiten betraut. Die übrigen drei Tage dieser Woche war er mit Autopolieren und verschiedenen, oben erwähnten Mechaniker-Kleinarbeiten betraut.

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger in unzulässigem Ausmaß zu nicht berufsspezifischen Arbeiten eingesetzt war, ist davon auszugehen, daß der Lehrberechtigte den Lehrling nur zu solchen Tätigkeiten heranziehen darf, die mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind (§ 9 Abs 2 BAG). Diese Bestimmung, welche eine entsprechende Ausbildung des Lehrlings in seinem Lehrberuf sicherstellen soll (EB 876 BlgNR 11. GP), verbietet eine Verwendung des Lehrlings zu "berufsfremden" Tätigkeiten (s auch § 32 Abs 1 lit d BAG). Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Tätigkeit noch "mit dem Wesen der Ausbildung vereinbar" ist, ist der Inhalt des in den jeweiligen Berufsausbildungsvorschriften enthaltenen Berufsbildes (§ 8 Abs 2 BAG), in welchem jene wesentlichen Fähigkeiten und Kenntnisse festgelegt werden, die der Lehrberechtigte während der Ausbildungszeit zu vermitteln hat (Arb 10.181, 10.360). Schwierig ist die Abgrenzung, in welchem Ausmaß der Lehrling zu Hilfsverrichtungen herangezogen werden darf und wo die Grenze zwischen den Hilfsverrichtungen und den berufsfremden Tätigkeiten verläuft. Bei den Hilfsverrichtungen handelt es sich um Tätigkeiten, ohne die die dem Lehrberuf eigentümlichen Arbeiten nicht ausgeführt werden können. Die - nach Lehrjahren gegliederten - wesentlichen Fähigkeiten und Kenntnisse, die während der Ausbildung zu vermitteln und daher im Berufsbild festzulegen sind, ergeben sich aus den dem Lehrberuf eigentümlichen Arbeiten samt Hilfsverrichtungen und den Anforderungen, die die Berufsausbildung stellt. Das Ausmaß von notwendigen Hilfsverrichtungen muß jedenfalls stets beschränkt bleiben und die Hilfsverrichtungen einen echten sachlichen Bezug zur Ausbildung haben (Berger-Fida-Gruber, BAG 172, 208 id damals gF; BAG (1994) 193, 219).

Berufsfremd war zweifellos die einmalige Heranziehung des Klägers zum Kanalreinigen. In einer einmaligen kurzfristigen Heranziehung zu einer solchen offensichtlich notwendigen Arbeit kann aber grundsätzlich eine Verletzung der Ausbildungsvorschriften nicht gesehen werden, die zum vorzeitigen Austritt berechtigen würde, soferne sie nicht schikanös erfolgte, was hier vom Kläger gar nicht behauptet wird. Ob der Kläger zu dieser Arbeit im Rahmen seiner Treuepflicht gegenüber seinem Lehrherrn verpflichtet gewesen wäre, kann daher dahingestellt bleiben.

Das Autoreinigen während eines Tages und das Reinigen des Gestells für die Autoreifen durch 1 1/2 Tage ist zwar eine Hilfsarbeitertätigkeit, für die keine Kfz-Ausbildung notwendig ist. Die Vermittlung dieser Kenntnisse ist den Ausbildungsvorschriften (V BGBl 271/1974 id damals gF BGBl 355/1976) nicht zu entnehmen, jedoch handelt es sich durchaus um für einen Kfz-Mechaniker nicht unnütze Fertigkeiten und Kenntnisse, insbesondere im Hinblick darauf, daß er in seiner späteren Berufslaufbahn mit der Überprüfung der ordnungsgemäßen Durchführung derartiger Arbeiten durch Hilfskräfte konfrontiert sein wird.

Nach der Art der Verwendung des Klägers im festgestellten geringen zeitlichen Gesamtausmaß war keinesfalls zu befürchten, daß er in seiner einschlägigen Ausbildung verkürzt würde, auch wenn sich diese Arbeiten in der ersten Februarwoche 1992 gehäuft hätten. Von einer gröblichen, also ins Gewicht fallenden Verletzung der Ausbildungspflicht kann demgemäß nicht gesprochen werden (Arb 10.181, 10.360).

In den letzten sechs Arbeitstagen war der Kläger während der Hälfte der Zeit voll ausbildungsspezifisch eingesetzt. An den übrigen drei Tagen verrichtete er neben Autopolieren verschiedene, oben erwähnte kleinere Reparaturen und Servicearbeiten, die durchwegs berufsspezifisch und auch verantwortungsvoll sind (zB Bremseneinstellen). Auch das Autopolieren selbst ist nicht völlig berufsfremd, sondern zählt, wie der Beklagte richtig vorbringt, zu den Endarbeiten nach der technischen Überprüfung und nach Lackiererarbeiten und ist somit den "Hilfsverrichtungen" zuzuordnen, die einen echten sachlichen Bezug zur Ausbildung als Kfz-Mechaniker und verwandten Berufen (vgl § 5 der genannten V) haben. Das Heranziehen zum Autopolieren ist daher nicht unzulässig, wenn es nicht "ausufert", was hier schon im Hinblick auf die dabei auch angefallenen verschiedenen Mechanikerarbeiten zu verneinen ist (vgl Arb 10.360).

Aus allen diesen Gründen war der vorzeitige Austritt des Kläger somit aber unberechtigt, sodaß die auf einen berechtigten vorzeitigen Austritt gestützten Entgeltansprüche abzuweisen waren.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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