OGH 8ObA215/96

OGH8ObA215/9614.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler und Sekr.Gerhard Taucher als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Anneliese Sch*****, Pensionistin, Innsbruck, ***** vertreten durch Dr.Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei I***** S*****, I*****, ***** vertreten durch Dr.Hansjörg Schweinester und Dr.Paul Delazer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 17.128,78 S brutto (Revisionsinteresse 12.234,13 S sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.November 1995, GZ 15 Ra 12/95t-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 10.Juli 1995, GZ 43 Cga 129/95-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben; die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung - unter Einbeziehung des teils bereits rechtskräftigen Zuspruches - zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin 17.127,78 S brutto samt 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab 1.Jänner 1995, binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der Klägerin nachfolgende Verfahrenskosten

1. 5.786,64 S der ersten Instanz (darin 964,44 S Umsatzsteuer),

2. 2.709,12 S der zweiten Instanz (darin 451,52 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) und

3. 3.248,64 S des Revisionsverfahrens (darin 541,44 S Umsatzsteuer)

binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 1.März 1983 bis 31.Dezember 1994 bei der beklagten Partei als Pflegehelferin mit einem monatlichen Bruttobezug von zuletzt S 25.447,-- angestellt. Im letzten Jahr ihrer Anstellung hat sie keinen Urlaub konsumiert. Sie war in diesem Jahr ab 16. Februar bis 31.Dezember 1994 im Krankenstand. Bis 10.Mai 1994 leistete die beklagte Partei noch Entgeltfortzahlung. Für die restliche Zeit hatte die Klägerin gegen die beklagte Partei keinen Entgeltfortzahlungsanspruch mehr. Bei der Endabrechnung des durch Dienstgeberkündigung beendeten Dienstverhältnisses entschädigte die beklagte Partei für das letzte Jahr 12,5 Werktage an Urlaub mit dem Betrag von brutto S 12.234,--.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch des Klagsbetrages mit dem Vorbringen, es sei ihr der ganze Jahresurlaub von 30 Werktagen - abzüglich der erhaltenen Teilleistung für 12,5 Werktage - zu entschädigen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit dem Vorbringen, zufolge des langen Krankenstandes der Klägerin vor Ende ihres Arbeitsverhältnisses sei ihre Urlaubsentschädigung anteilig zu kürzen.

Die Klägerin erwiderte, hilfsweise stehe ihr ein restliches Urlaubsguthaben von fünf Werktagen aus der nicht durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung erfolgten Umstellung ihres Urlaubsjahres (Dienstantritt 1.März 1983) auf das Kalenderjahr zu, weil ihr im gekürzten Rumpfjahr nur ein verminderter Urlaub gewährt wurde.

Das Erstgericht stellte den eingangs angeführten Sachverhalt fest und sprach der Klägerin einen Teilbetrag von 4.893,65 S brutto sA als weitere Urlaubsentschädigung für fünf Werktage Urlaub für den ihr aus der Umstellung des Urlaubsjahres auf das Kalenderjahr zustehenden, jeweils auf das Folgejahr vorgetragenen Urlaubsrest zu und wies das restliche Klagebegehren für 12,5 Werktage Urlaub unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Entfall der Urlaubsentschädigung infolge von "entgeltfortzahlungsfreien Perioden" ab (9 ObA 38/94).

Das Berufungsgericht gab der gegen den abweisenden Teil des erstgerichtlichen Urteils erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. In der rechtlichen Begründung schloß sich das Berufungsgericht der zuvor genannten Rechtsprechung zu den entgeltfortzahlungsfreien Perioden an; es sprach aber aus, die Revision sei zulässig, weil die neue höchstgerichtliche Judikatur in der wissenschaftlichen Literatur umstritten sei.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es abzuändern und dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. Auf Grund der literarischen Kontroverse und der nicht widerspruchsfreien Rechtsprechung zu den entgeltfortzahlungsfreien Perioden (8 ObA 268/94) liegen die Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG vor.

Zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu den

entgeltfortzahlungsfreien Perioden, nämlich 9 ObA 38/94 (= infas 1994

A 155 = RdW 1994, 405 = Ind 2228 = DRdA 1995/31,336) und 8 ObA 279/94

(= ARD 4624/32/95 = RdW 1995, 143 = ecolex 1995, 201 = JBl 1995, 603)

betreffen insoweit außergewöhnliche Sachverhalte, als in beiden Entscheidungen der Arbeitnehmer in dem letzten Urlaubsjahr überhaupt keinen Entgeltanspruch hatte, auch nicht im Zeitpunkt des Entstehens des Urlaubsanspruches zu Beginn des neuen Urlaubsjahres. Diesen Entscheidungen stimmte Goricnik, Urlaubskürzung wegen Fehlzeiten ohne Entgeltanspruch, RdW 1995, 475, 478 unter dieser besonderen Voraussetzung zu. Auch Wilhelm, Zur jüngsten Urlaubsnovelle und deren Rückwirkung, ecolex 1996, 6 bezeichnete die Argumentation mit dem allgemeinen funktionellen Leistungssynallagma als methodologisch unanfechtbar.

Die dritte Entscheidung 8 ObA 268/94 (= ARD 4610/20/94 = WBl 1995, 34

= infas 1995 A 9 = RdW 1995, 147 = DRdA 1995/19, 251) hingegen hat

den Umstand, daß der Urlaubsanspruch zu Beginn des neuen (zweiten und weiteren) Urlaubsjahres im vollen Ausmaß gemäß § 2 Abs 2 zweiter Satz UrlG entsteht, außer acht gelassen. Es gibt keinen Grund dafür, daß ein bereits entstandener Urlaubsanspruch durch einen nachfolgenden längeren Krankenstand während dieses Urlaubsjahres gekürzt werde. Der Entfall einer Urlaubsentschädigung bzw deren anteilige Kürzung wegen längerer Perioden ohne Entgeltanspruch in einem Urlaubsjahr, in dem zu Beginn ein Entgeltanspruch bestand, kann - unabhängig von den verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Urlaubsgesetznovelle 1994 und deren Rückwirkung (Wilhelm, aaO, 6 und 19) nicht mit den beiden zuvor genannten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und ihren deutlichen Einschränkungen begründet werden.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Wenn die Klägerin zu Beginn ihres letzten Urlaubsjahres noch bis 10. Mai 1994 - gleichgültig ob der Beginn dieses Urlaubsjahres mit 1. März 1994 oder infolge der verfehlten Umstellung mit 1.Jänner 1994 angenommen wird - einen Entgelt(fortzahlungs)anspruch hatte, tritt eine Aliquotierung eines Urlaubsanspruches durch den nachfolgenden Krankenstand wegen des noch vollen Entgeltanspruches im Zeitpunkt des Entstehens des Urlaubsanspruches nicht ein.

Bei dieser Beurteilung handelt es sich um eine Klarstellung der Rechtsprechung und nicht um eine Anwendung des dem § 2 Abs 2 UrlG durch Art III Z 1 Sozialrechtsänderungsgesetz 1995 (SRÄG 1995, BGBl 832) angefügten Satzes, weshalb es sich erübrigt, auf den von Wilhelm, aaO, aufgezeigten Verstoß gegen den Gleichheitssatz einzugehen (siehe auch Andexlinger, Gegenreform im Urlaubsrecht, ecolex 1996, 39).

Demzufolge gebührt der Klägerin für das letzte Urlaubsjahr, zu dessen Beginn sie noch einen ungeschmälerten Entgeltanspruch hatte - unabhängig von ihrem Eventualvorbringen, ihr stehe ein Urlaubsrest von fünf Werktagen aus der verfehlten, gegen § 2 Abs 4 UrlG verstoßenden Umstellung des Urlaubsjahres auf das Kalenderjahr zu - eine restliche Urlaubsentschädigung für 17,5 Werktage (für 12,5 Werktage hat die beklagte Partei eine Teilzahlung geleistet) im Ausmaß des (vollen) Klagebegehrens.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO; eine Pauschalgebühr für die Berufung der Klägerin ist nicht zuzusprechen (vgl Anm 5 zu TP 2 des GGG, in arbeitsrechtlichen Rechtsmittelverfahren zweiter Instanz besteht bei einem Berufungsinteresse bis 20.000 S Gebührenfreiheit).

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