OGH 8ObA187/97a

OGH8ObA187/97a26.6.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Adamovic und Dr.Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Johannes Schenk und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr.Erwin T*****, Bankangestellter, ***** vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Gen.Dir.KR Edwin P*****, Vorstandsvorsitzender und 2.) Gen.Dir.Stv.Dr.Erich Z*****, Vorstandsmitglied, beide *****, beide vertreten durch Dr.Gottfried Korn und Dr.Peter Zöchbauer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert: S 500.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.Februar 1997, GZ 7 Ra 411/96d-34, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 31.Mai 1996, GZ 7 Cga 218/94t-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, dem Kläger die mit S 23.512,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 3.918,75 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist seit 1980 Angestellter der Niederösterreichischen L*****bank AG, er war von Juni 1986 bis 31.August 1994 Leiter des Geschäftsbereiches zentrales Kundengeschäft. Im Zusammenhang mit notleidend gewordenen Kommerzkrediten leitete seine Arbeitgeberin gegen ihn nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages für die Angestellten der Österreichischen H*****banken ein Disziplinarverfahren ein. Die paritätisch, dh mit je zwei von der Arbeitgeberin und von der Belegschaftsvertretung entsandten Mitgliedern zusammengesetzte Disziplinarkommission verneinte mit Entscheidung vom 23.6.1994 die zahlreichen Schuldfragen hinsichtlich der gegenüber dem Kläger vom Disziplinaranwalt erhobenen Vorwürfe. Die beiden von der Arbeitgeberin entsandten Beklagten, beauftragten den Disziplinaranwalt mit der Herausgabe einer Mitarbeiter-Information, in der neben der Mitteilung der Versetzung des Klägers in die Abteilung Kredittechnik eine umfängliche Darstellung des Disziplinarverfahrens gegen den Kläger samt zwei faksimilierten Protokollen und dem (freisprechenden) Disziplinarerkenntnis und weiteren Auszügen enthalten sind.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes, die beiden beklagten Vorstandsmitglieder der Arbeitgeberin des Klägers seien verpflichtet, Mitteilungen gegenüber den Mitarbeitern der Arbeitgeberin über den Verlauf der gegen den Kläger durchgeführten Disziplinarverhandlung, insbesondere im Wege der Veröffentlichung von Protokollen aus diesen Verhandlungen in der Hauszeitschrift "H***** Info Intern" zu unterlassen, ist zutreffend; es genügt daher auf die Richtigkeit der Entscheidungsbegründung zu verweisen (§ 48 ASGG).

Den Revisionsausführungen ist zu entgegnen:

1.) Der Kläger hat sich in erster Instanz nicht an einen bestimmten Rechtsgrund ausschließlich - im Sinne der überwiegend abgelehnten dreigliedrigen Streitgegenstandstheorie (Rechberger Komm Rz 16 vor § 226) - gebunden, sondern diverse Rechtsgründe nur beispielsweise angeführt. Dies bedeutet, daß für das Gericht keine Bindung an einen vom Kläger geltend gemachten Rechtsgrund eintrat (SZ 23/74; SZ 65/120 = DRdA 1993/37, 314 [Ritzberger-Moser] ua). Ein Verfahrensmangel wegen eines Verstoßes gegen § 405 ZPO ist den Vorinstanzen nicht unterlaufen. Zusätzlich hat das Berufungsgericht diesen gerügten Verfahrensmangel erster Instanz schon verneint; dieser Mangel "schlägt nicht auf das Verfahren zweiter Instanz durch", wie dies in der Revision zu Unrecht ausgeführt wird. Die von den Revisionswerbern angeführten Beispiele (Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit, Unzulässigkeit des Rechtsweges, fehlende Prozeßfähigkeit) betreffen Nichtigkeitsgründe, die jederzeit auch von amtswegen wahrzunehmen sind. Durch die Rechtsmittelausführungen würde der Unterschied zwischen Nichtigkeitsgründen und Verfahrensmängeln verwischt. Ein allfälliger Verstoß gegen § 405 ZPO, der nicht vorliegt, ist nach gesicherter Rechtsprechung (Rechberger aaO, Rz 6 zu § 405 ZPO mwN) kein Nichtigkeitsgrund.

2.) Die beiden beklagten Vorstandsdirektoren der Arbeitgeberin des Klägers sind gemäß § 1 Abs 3 des Kollektivvertrages (Ausnahme der Direktoren und leitenden Angestellten vom persönlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrages) als solche nicht vom persönlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrages erfaßt, wohl aber als Mitglieder der Disziplinarkommission. Es ist dies nicht eine Frage des persönlichen Geltungsbereiches des Kollektivvertrages in seiner Gesamtheit (§ 10 ArbVG) und auch nicht einer Außenseiterwirkung (§ 12 ArbVG), sondern sie werden als Adressaten der Verschwiegenheitspflicht ("Mitglieder der Disziplinarkommission") insoweit vom Kollektivvertrag erfaßt. Der persönliche Geltungsbereich der meisten Kollektivverträge nimmt nach dem Vorbild der

"Gegnerunabhängigkeit" (vgl ZAS 1992/2, 27 [Tomandl] = Arb 10.921 =

WBl 1991, 295 = EvBl 1991/139, 599; DRdA 1993/55, 482 [Eypeltauer])

Arbeitgeber und leitende Angestellte mit Arbeitgeberfunktion vom persönlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrages aus, obwohl den Betriebsinhaber zahlreiche Pflichten nach dem Arbeitsverfassungsgesetz und den jeweiligen Kollektivverträgen treffen. Es kann wohl nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß die Arbeitgeberin und auch persönlich handelnde Vorstandsdirektoren die Pflicht trifft, Verpflichtungen nach dem Arbeitsverfassungsgesetz und dem jeweiligen Kollektivvertrag einzuhalten, auch wenn sie nicht vom persönlichen Geltungsbereich - vornehmlich als Berechtigte des normativen Teiles des Kollektivvertrages - erfaßt werden. Anderenfalls könnte - worauf der Kläger schon zutreffend hingewiesen hat - die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder der Disziplinarkommission durch Entsendung von nicht dem persönlichen Geltungsbereich des Kollektivvertrages unterliegenden Personen jederzeit außer Kraft gesetzt werden. Durch die Entsendung von vom Arbeitgeber nominierten Personen in die Disziplinarkommission wird zwischen diesen und dem Disziplinarbeschuldigten eine besondere Rechtsbeziehung begründet, aufgrund derer der Kläger als ehemaliger Disziplinarbeschuldigter die Einhaltung der ausdrücklich normierten kollektivvertraglichen Verschwiegenheitspflicht einfordern kann. Zufolge dieser kollektivvertraglichen Rechtsbeziehung bedarf es nicht mehr der Erörterung, ob das Unterlassungsbegehren des Klägers hilfsweise noch zusätzlich auf weitere Rechtsgründe - §§ 16, 1330 ABGB; Datenschutzgesetz - gestützt werden könnte. Nicht nur zufällig wird daher im Wortlaut des § 48 Abs 2 des Kollektivvertrages zwischen den Mitgliedern der Disziplinarkommission, die zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und dem Vorstand, der gemäß § 52 des Kollektivvertrages zur geheimen Verwahrung der Disziplinarakte verpflichtet wird, unterschieden. Der unterschiedliche Wortlaut der Adressaten dieser Pflichten läßt den Schluß zu, daß nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch von ihm zu unterscheidende Rechtssubjekte (= Mitglieder der Disziplinarkommission) verpflichtet werden.

3.) Entgegen der Auffassung der Revisionswerber ist die Wiederholungsgefahr nicht zu verneinen, weil sich die beiden Beklagten auf ein gerechtfertigtes Informationsbedürfnis berufen. Ginge es wirklich nur darum, zur Vermeidung künftiger Kreditausfälle die Mitarbeiter in der Bank zusätzlich zu schulen, so genügte es, Kreditgewährungsrichtlinien, Kriterien für die Bonitätsbeurteilung und anderes mehr anhand abstrakter oder auch anonymisierter Beispiele darzustellen. Die Verknüpfung der "aus gegebenem Anlaß" erfolgten Versetzung des Klägers in einen Geschäftsbereich ohne Kundengeschäft in Verbindung mit der auszugsweise (unvollständigen) Wiedergabe von Unterlagen aus dem Disziplinarverfahren gegen den Kläger verstößt gegen die Verschwiegenheitspflicht laut § 48 Abs 2 des Kollektivvertrages. Das von den Beklagten ins Treffen geführte Informationsinteresse hat jedenfalls gegenüber dem Interesse des Klägers an der Wahrung seines - durch die Aspekte eines "Mobbing" (vgl Grunewald, Mobbing-Arbeitsrechtliche Aspekte eines neuen Phänomens, NZA 1993, 1071; Däubler, Mobbing und Arbeitsrecht, BB 1995, 1347; Gralka, Mobbing und Arbeitsrecht, BB 1995, 2651; Dieball, Mobbing und Arbeitsrecht, BB 1996, 483) aufweisende, diskriminierende Vorgangsweise der Beklagten gefärdeten - sozialen Ansehens im Betrieb zurückzutreten.

Auch das Verbreiten wahrer Tatsachen kann rechtswidrig in den Schutzbereich des Betroffenen eingreifen; das trifft jedenfalls dann zu, wenn dessen Interessen unnötig verletzt werden, also kein überwiegendes Informationsbedürfnis der Allgemeinheit oder doch des Mitteilungsempfängers vorliegt (MR 1991, 20 = WBl 1991, 106 = EvBl 1991/61, 280; 6 Ob 1043/94). Das Recht auf Ehre ist ein Persönlichkeitsrecht im Sinne des § 16 ABGB und genießt als solches absoluten Schutz gegen jedermann; droht die Gefahr einer Verletzung, so steht bei Wiederholungsgefahr auch ohne Vorliegen der für Widerruf und Veröffentlichtung gemäß § 1330 Abs 2 ABGB normierten

Voraussetzungen ein Unterlassungsanspruch zu (SZ 56/124 = EvBl

1984/60, 241 = JBl 1984, 492; MR 1988, 158 [Korn] = RdW 1989, 24 = RZ

1988/68, 284). Unter Ehrenbeleidigung ist jedes der Ehre - verstanden als Personenwürde (§ 16 ABGB) - nahetretende Verhalten zu verstehen (MR 1991, 18 = JBl 1991, 724 = EvBl 1991/24, 132 = ÖBl 1991, 90 = ecolex 1991, 312; MR 1991, 146 [Korn] ua). Schon wegen der sich aus dem Kollektivvertrag ergebenden Verschwiegenheitspflicht sind die die Beklagten, die - ohne Vorstandsbeschluß - die Informationsschrift in Auftrag gaben und billigten, zur Unterlassung verpflichtet, ohne daß es zur Begründung des Unterlassungsanspruches des zusätzlichen Rückgriffes auf das absolut geschützte Recht des Klägers auf Ehre im Sinne der §§ 16 und 1330 Abs 2 ABGB bedürfte. Im übrigen kann es dahingestellt bleiben, ob sich aus dem DSG noch eine zusätzliche Rechtsgrundlage für das Klagebegehren ergeben könnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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