Spruch:
Der Anspruch nach § 364b ABGB. wird durch eine fehlerhafte Beschaffenheit des Gebäudes des Nachbarn nicht berührt.
Entscheidung vom 9. April 1968, 8 Ob 82/68.
I. Instanz: Kreisgericht Korneuburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin begehrte Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des Betrages von 25.300 S s. A. als Ersatz jener Kosten, die sie zur Behebung von Mauerrissen und sonstigen Schäden an ihrem Hause in H., G.gasse 20 habe aufwenden müssen, welche Schäden durch die Errichtung eines Hauses des Beklagten in der Nachbarschaft (G.gasse 24) entstanden seien. Außerdem begehrte sie die Feststellung, daß der Beklagte ihr für alle künftig eintretenden Schäden an dem Hause G.gasse 20 hafte, soweit diese durch die Aufführung des Neubaues seines Hauses G.gasse 24 verursacht würden.
Auf Seite des Beklagten sind Dipl.-Architekt Ing. Leopold D., der den Plan für den Neubau des Hauses des Beklagten verfaßt hatte, und Dipl.-Ing. Leopold W., der die statischen Berechnungen für den Neubau vorgenommen hatte, als Nebenintervenienten beigetreten.
Das Erstgericht hat dem Klagebegehren stattgegeben und ist hiebei von folgenden wesentlichen Feststellungen ausgegangen: In der G.- Gasse in H. seien auf beiden Seiten zahlreiche Wohnhäuser in geschlossener Bauweise errichtet. An der rechten Straßenseite stehe das Haus der Klägerin (Nr. 20), anschließend an dieses in nördlicher Richtung das Wohnhaus der Ehegatten G. (Nr. 22), dann folge der Neubau des Beklagten (Nr. 24) und das Wohnhaus der Eltern der Beklagten (Nr. 26). Mit Bescheid vom 7. März 1963 habe der Beklagte die Baubewilligung erhalten. Die Ausführung des Baues des Beklagten sei als Stahlbetonbau mit Isopanmauerwerk, zum Teil mit Stahlbetonstützen, erfolgt. Die Fundamente seien bewehrt und für eine mittlere Bodenpressung dimensioniert. Die Häuser G.-Gasse 20 und 22 seien Ziegelbauten mit Keller, Erdgeschoß und erstem Stock. Über dem Keller bestunden Stahlbetondecken, die übrigen Geschosse seien aus Tramdecken gebildet. Beide Häuser hätten eine Breite von je 6 m und besäßen eine gemeinsame Feuermauer. Bis zur Bauführung durch den Beklagten hätten an diesen Häusern Mauerrisse nicht bestanden, sondern nur Risse im Mauerverputz. Nunmehr seien im Haus der Klägerin im Souterrainzimmer angrenzend an das Haus Nr. 22 an der gemeinsamen Feuermauer ein durchgehender Riß in der Hohlkehle und im äußeren und inneren Mauerwerk, ferner an der hofseitigen Außenmauer in der Küche innen und außen ein durchgehender Riß unterhalb des Fensterparapets vorhanden. Ebenso sei im straßenseitig gelegenen Zimmer im ersten Stock an der Außenmauer ein durchgehender Riß erkennbar. Ferner bestunden verschiedene Rißbildungen im Stiegenhaus. Diese Rißbildungen gingen auf die Ausführung des Neubaues des Beklagten zurück. Bei der Errichtung der Fundamente des Neubaues des Beklagten seien die zu erwartenden, verhältnismäßig hohen Setzungen nicht berücksichtigt worden; es habe sich eine Setzungsmulde gebildet, durch welche die benachbarten Häuser in Mitleidenschaft gezogen und Setzungsrisse in deren Mauerwerk entstanden seien. Die Setzungen seien noch nicht ganz abgeklungen. Die Setzungsrisse im Hause der Klägerin hätten ihre Ursache einerseits in der durch den Neubau des Beklagten entstandenen Setzungsmulde, andererseits aber auch in dem Umstande, daß das Haus der Beklagten mit dem Haus Nr. 22 eine gemeinsame Feuermauer habe und beide Häuser keine Verschließungen in der Richtung der Straßenfront hätten, wie dies bei Ziegelbauten mit Tramdecken technisch erforderlich wäre. Eine Trennfuge zwischen den beiden Häusern sei ebenfalls nicht vorhanden. Die von der Klägerin behaupteten Kosten für die Wiederinstandsetzungsarbeiten und die damit verbundenen Nebenarbeiten seien angemessen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Anspruch der Klägerin stütze sich auf § 364b ABGB. Die Klägerin habe daher als Ausgleichsanspruch, der kein Verschulden, sondern lediglich die Verursachung zur Voraussetzung habe, Anspruch auf Ersatz der Kosten der Behebung der an ihrem Haus entstandenen Schäden. Es sei zwar richtig, daß nach dem Sachverständigengutachten eine Mitverursachung des Schadens durch die Beschaffenheit des Hauses der Klägerin gegeben sei. Der Beklagte habe es jedoch unterlassen, diese Mitverursachung ausdrücklich einzuwenden, was er hätte tun müssen, da auf die Frage der Mitverursachung ebenso nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen sei wie auf die Frage eines Mitverschuldens. Das Feststellungsbegehren sei nach dem Sachverständigengutachten, nach dem die Setzungen noch nicht ganz abgeklungen seien, gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Es übernahm die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus: Da die Schäden am Hause der Klägerin nach den erstgerichtlichen Feststellungen jedenfalls auch durch die Bauführung des Beklagten verursacht worden seien, habe die Klägerin einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch. Für die von der Berufung vertretene Ansicht, die Klägerin hätte die an ihrem Hause entstandenen Schäden selbst zu vertreten, weil ihr Haus nicht ordnungsgemäß gebaut sei, finde sich im Gesetz keine Stütze. Daß ein Mitverschulden der Klägerin, welches auch gegenüber einem nicht auf Verschulden beruhenden Ersatzanspruch eingewendet werden könnte, nicht vorliege, stehe außer Frage. Es könne dahingestellt bleiben, ob ein Einwand einer Mitverursachung erhoben werden könne, weil jedenfalls die Klägerin selbst zur Entstehung des Schadens nichts beigetragen habe. Die Eigenschaft des beschädigten Objektes könnte nur für die Höhe des Ersatzanspruches von Bedeutung sein. Im vorliegenden Fall werde aber die erstgerichtliche Feststellung über die Höhe der Wiederherstellungskosten nicht bekämpft, sodaß für eine Minderung des Ersatzanspruches kein Raum sei. Die Erhebung einer Einrede der Mitverursachung erst im Berufungsverfahren sei wegen des nach § 482 ZPO. geltenden Neuerungsverbotes unzulässig.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Nebenintervenienten Dipl. Arch. Ing. Leopold D. nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision bekämpft unter dem Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung die Zuerkennung eines Ausgleichsanspruches nach § 364b ABGB., da dieser zur Voraussetzung habe, daß die Aushebung der Baugrube durch den Beklagten an und für sich unzulässig gewesen wäre. Die Fundamentierungsarbeiten seien aber baubehördlich genehmigt worden. Die Revision beruft sich hiebei auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes EvBl. 1957 Nr. 19 S. 38 ff., in welcher allerdings der Satz vorkommt, die Bestimmung des § 364b ABGB. habe zur Voraussetzung, daß die Vertiefung an und für sich unzulässig sei. Der Oberste Gerichtshof hat aber auch wiederholt ausgesprochen und hält im vorliegenden Fall daran fest, daß eine Haftung nach § 364b ABGB. nicht ausgeschlossen sei, wenn bloß für die Bauarbeiten eine baubehördliche Genehmigung erteilt worden ist (SZ. XI 233, SZ. XXIV 312, SZ. XXV 67). Der Anspruch nach § 364b ABGB. setzt nach ständiger Rechtsprechung kein Verschulden voraus (SZ. XI 233, SZ. XXV 67, JBl. 1966 S. 144 u. a.).
Die Revision bekämpft ferner die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß sich aus der Beschaffenheit des Hauses der Klägerin eine Haftung der Klägerin für den entstandenen Schaden nicht ableiten lasse. Abgesehen davon, daß die Ausführungen in der Revision die Feststellungen des angefochtenen, bzw. des erstgerichtlichen Urteiles nicht richtig wiedergeben - denn weder in erster noch in zweiter Instanz wurde festgestellt, daß das Haus der Klägerin nicht ordnungsgemäß gebaut sei und den Bestimmungen der nö. Bauordnung nicht entspreche - kann sich der Beklagte auf die Bestimmung des § 1319 ABGB. nicht beziehen. Nach dieser Gesetzesstelle ist der Besitzer eines Gebäudes oder Werkes - worunter allerdings auch eine Baugrube zu verstehen ist (EvBl. 1957 Nr. 19 S. 38 ff.) - ersatzpflichtig, wenn durch Einsturz oder Ablösung von Teilen des Gebäudes oder Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht wird. Nun meint die Revision, das Entstehen von Sprüngen komme einer Ablösung von Gebäudeteilen gleich und daher hafte die Klägerin selbst für den an ihrem Haus hiedurch entstandenen Schaden. Diese Ansicht ist verfehlt. Einerseits ist der Einsturz eines Gebäudes oder eines anderen Werkes etwas anderes als das Entstehen von Rissen, wie sie im vorliegenden Falle am Hause der Klägerin aufgetreten sind; andererseits muß aber vor allem durch einen solchen Einsturz etc. ein Schaden an einer Person oder einer anderen als der eingestürzten Sache entstanden sein. Diese Gesetzesstelle regelt also nicht die Ersatzpflicht jenes Schadens, der an dem eingestützten Gebäude oder Werk selbst entstanden ist.
Soweit die weiteren Ausführungen der Revision zum Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung davon ausgehen, daß schon vor der Errichtung des Neubaues des Beklagten Mauersprünge am Hause der Klägerin vorhanden gewesen seien, weicht die Revision von den untergerichtlichen Feststellungen ab, ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt und unbeachtlich.
Schließlich wendet sich die Revision auch dagegen, daß auf die Frage des Einflusses des Bauzustandes des klägerischen Hauses für die Entstehung der Schäden nicht entsprechend Bedacht genommen wurde. Es ist wohl zutreffend und entgegen der Ansicht der Revision nicht aktenwidrig, daß der Beklagte in der Berufung erstmalig ausdrücklich die Mitverursachung der Setzungsrisse am Hause der Klägerin durch nicht ordnungsgemäße Ausführung dieses Hauses einredeweise geltend gemacht hat, was verspätet wäre. Die Revision weist aber zutreffend darauf hin, daß sowohl der Beklagte in der Klagebeantwortung als auch der Revisionswerber in seiner Beitrittserklärung mit hinreichender Deutlichkeit behauptet haben, der Bauzustand des Hauses der Klägerin sei die Ursache des Absinkens (und damit der Entstehung der Mauerrisse) gewesen. Wenn damit auch vom Beklagten bestritten worden ist, daß die Bauführung auf dem Grundstück des Beklagten Ursache der Schäden am Hause der Klägerin gewesen sei oder der Nebenintervenient den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Neubau des Beklagten und den Schäden am Haus der Klägerin bestritten hat, so ist darin als Minus auch die Behauptung enthalten, daß der Bauzustand des Hauses der Klägerin eine Mitursache an den eingetretenen Schäden darstelle. Es kann also nicht gesagt werden, daß eine solche Einrede nicht oder nicht rechtzeitig erhoben worden wäre.
Der Beklagte kann aber mit dieser Einrede nicht durchdringen. Er hatte seinen Bau so durchzuführen, daß Schäden an den Nachbarhäusern nicht eintreten konnten. In welchem Zustande sich diese Nachbarhäuser befanden, ist gleichgültig. Auch wenn der durch die Bauführung bedrohte Bau schadhaft ist, besteht der Ausgleichsanspruch nach § 364b ABGB. (Klang Komm.[2], II. zu § 364b ABGB., vor Anm. 9, S. 178). Der Umstand, daß das durch die Bauführung des Beklagten beschädigte Haus der Klägerin nach dem Gutachten des Sachverständigen gewisse Mängel aufwies, nämlich mit dem Haus Nr. 22 eine gemeinsame Feuermauer hatte sowie daß beide Häuser (Nr. 20 und 22) keine Verschließungen in der Richtung der Straßenfront hatten, wie dies bei Ziegelbauten mit Tramdecken technisch erforderlich wäre, berechtigt den Beklagten daher nicht, Ersatzminderung wegen Mitverursachung der entstandenen Schäden geltend zu machen.
Daß der Betrag, den die Klägerin mit der vorliegenden Klage begehrt, erforderlich war, um die entstandenen Schäden zu beseitigen, ist von den Untergerichten - unbekämpft vom Beklagten - festgestellt worden. Der Beklagte ist daher zum Ersatz dieses Betrages mit Recht verurteilt worden.
Der Revision war somit keine Folge zu geben.
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