European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00073.23B.0829.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
1. Die Bezeichnung der Nebenintervenientin wird von „N* OG“ auf „N* GmbH“ berichtigt.
2. Der Revision wird Folge gegeben.
Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei sowie der Nebenintervenientin die mit jeweils 2.286,72 EUR (darin 381,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie der beklagten Partei die mit 3.503,90 EUR (darin 329,65 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin betreibt ein Autohaus und vermietete am 23. 5. 2019 ein Fahrzeug der Type Ford Galaxy an V*, der vorgab, damit ein Taxi‑ oder Mietwagenunternehmen betreiben und eine GmbH gründen zu wollen. Die Klägerin stellte für die Zulassung des Fahrzeugs eine Benützungsüberlassungserklärung aus, behielt aber das originale Fahrzeug-Genehmigungsdokument und den Zweitschlüssel zurück.
[2] Schon am folgenden Tag erschlich sich V* bei der Zulassungsstelle ein Duplikat des Datenausdrucks aus der Genehmigungsdatenbank und ließ das Fahrzeug auf seinen Namen zu. Am 28. 5. 2019 wandte er sich an die Nebenintervenientin, die einen Gebrauchtwagenhandel betreibt, um das Fahrzeug zu verkaufen. Da V* es mit dem Verkauf eilig hatte, wurde noch am selben Tag ein Kaufvertrag abgeschlossen. Er übergab der Nebenintervenientin den Zulassungsschein sowie den Datenausdruck aus der Genehmigungsdatenbank mit dem Vermerk „1. Duplikat“. Außerdem gab V* vor, dass er den Zweitschlüssel vergessen habe und nachbringen werde.
[3] Der Beklagte, der von Beruf Lagerarbeiter ist und über ein Inserat auf das Fahrzeug aufmerksam wurde, entschloss sich am 19. 6. 2019 zum Ankauf des Fahrzeugs. Die Nebenintervenientin überreichte ihm jene Dokumente, die ihr von V* übergeben worden waren, und teilte ihm mit, dass der Zweitschlüssel noch nachgereicht werde. In die Fahrzeugpapiere nahm der Beklagte nicht Einsicht. Der Beklagte leistete eine Anzahlung und finanzierte den Restkaufpreis über eine Bank, mit der er einen Eigentumsvorbehalt vereinbarte.
[4] Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Herausgabe des Fahrzeugs. Da die Klägerin das originale Fahrzeug‑Genehmigungsdokument und den Zweitschlüssel in Verwahrung habe, sei ein gutgläubiger Erwerb durch den Beklagten ausgeschlossen.
[5] Der Beklagte wendet ein, dass er das Fahrzeug von einem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens gutgläubig erworben habe. Angesichts der ihm übergebenen Fahrzeugpapiere habe er keine Veranlassung gehabt, am Eigentum der Nebenintervenientin zu zweifeln.
[6] Die Nebenintervenientin macht geltend, dass auch sie gutgläubig Eigentum erworben habe, sodass die Klage schon deshalb abzuweisen sei.
[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Beklagte habe das Fahrzeug gutgläubig erworben, weil ihm die Übergabe des Zweitschlüssels in Aussicht gestellt worden sei und aus dem Datenausdruck aus der Genehmigungsdatenbank die Voreigentümer nicht ersichtlich gewesen seien, sodass die ihm übergebenen Fahrzeugpapiere – auch wenn es sich um ein Duplikat gehandelt habe – unbedenklich gewesen seien.
[8] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung Folge und änderte das Urteil dahin ab, dass der Klage stattgegeben wurde. Einem Gebrauchtwagenhändler müsse bekannt sein, dass Händler, die Fahrzeuge unter Eigentumsvorbehalt verkaufen oder vermieten, die Fahrzeugpapiere einbehalten. Die Nebenintervenientin hätte die Herkunft des Fahrzeugs deshalb hinterfragen und die Vorlage eines Kaufvertrags verlangen müssen, auch weil das Duplikat des Datenausdrucks aus der Genehmigungsdatenbank erst vier Tage zuvor ausgestellt worden war und V* nur einen Fahrzeugschlüssel übergeben konnte. Entsprechendes gelte für die finanzierende Bank, sodass ein gutgläubiger Eigentumserwerb ausgeschlossen sei. Damit habe weder die Nebenintervenientin noch die finanzierende Bank dem Beklagten ein Anwartschaftsrecht verschaffen können.
[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision im Hinblick auf die Frage zu, ob das Fehlen des originalen Fahrzeug‑Genehmigungsdokuments der Gutgläubigkeit eines gewerbsmäßigen Fahrzeughändlers entgegensteht.
[10] Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht, das auf die Sorgfaltspflichten eines gewerbsmäßigen Fahrzeughändlers abgestellt hat, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist auch berechtigt.
[13] 1. Aus dem Firmenbuch ergibt sich, dass das Vermögen der „N* OG“ nach § 142 UGB von der „N* GmbH“ übernommen wurde. Die Parteibezeichnung war daher nach § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.
[14] 2. Der Eigentumsvorbehalt ist eine zwischen Verkäufer und Käufer eines Kreditkaufs vereinbarte Abrede, wonach das Eigentum bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises trotz Übergabe der Kaufsache beim Verkäufer verbleiben soll, sodass die Übertragung des Eigentums unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung erfolgt (RIS-Justiz RS0020502). Nach § 367 Abs 1 ABGB ist die Eigentumsklage gegen den rechtmäßigen und redlichen Besitzer einer beweglichen Sache abzuweisen, wenn er beweist, dass er die Sache gegen Entgelt von einem Unternehmer im gewöhnlichen Betrieb seines Unternehmens oder von jemandem erworben hat, dem sie der vorige Eigentümer anvertraut hat.
[15] 3. Auch der Eigentumsvorbehaltskäufer kann sich auf § 367 Abs 1 ABGB berufen (Leupold in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 367 Rz 24; Aigner, Der Eigentumsvorbehalt [2015] 150 ff; Winner in Rummel/Lukas 4 § 367 ABGB Rz 7; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 367 Rz 3). Nach der Rechtsprechung muss der gute Glaube im Fall des aufschiebend bedingten Eigentums lediglich bis zum Besitzerwerb vorhanden sein (RS0010903; RS0112394). Der Eigentumsvorbehaltskäufer erwirbt die Anwartschaft damit nach den gleichen Grundsätzen wie das Vollrecht, das er sich mit der vollständigen Kaufpreiszahlung verschafft, auch wenn er inzwischen von der mangelnden Berechtigung seines Vormanns erfahren hat (1 Ob 614/87; 2 Ob 188/11b).
[16] 4. § 367 ABGB schützt aber nur den redlichen Erwerber. Der Erwerber ist nach § 368 ABGB redlich, wenn er weder weiß noch vermuten muss, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört, wobei schon leichte Fahrlässigkeit schadet (RS0010885). Beweist der Eigentümer, dass der Besitzer aus der Natur der Sache, aus ihrem auffallend geringen Preis, aus den ihm bekannten persönlichen Eigenschaften seines Vormanns, aus dessen Unternehmen oder aus anderen Umständen einen gegründeten Verdacht schöpfen musste, so muss der Besitzer die Sache nach § 368 Abs 2 ABGB dem Eigentümer überlassen.
[17] 5. Beim Gebrauchtwagenkauf sind besondere Verhaltensregeln zu beachten. Nicht nur, weil immer wieder Diebstähle vorkommen, sondern auch, weil Fahrzeuge häufig unter Eigentumsvorbehalt verkauft werden, muss sich der Erwerber eines Gebrauchtwagens besonders sorgfältig vergewissern, dass er nicht in fremde Rechte eingreift (RS0010212 [T1]; RS0010891 [T7]). Nach der Rechtsprechung muss sich der Käufer deshalb durch Einsichtnahme in den Typenschein von der Rechtmäßigkeit des Besitzes seines Vorgängers überzeugen (RS0010212; RS0010891). Ergibt sich aus dem Typenschein nicht die Berechtigung des Veräußerers, sind weitere Nachforschungen anzustellen (RS0080033 [T6, T8]).
[18] 6. Seit 1. 7. 2007 werden Typenscheine nach § 29 Abs 1 KFG nur noch für Fahrzeuge mit einer Typengenehmigung mit nationaler Geltung ausgestellt. Für Fahrzeuge, die über eine EG-Betriebserlaubnis verfügen, wurde der Typenschein durch die Eintragung der Typendaten in die Genehmigungsdatenbank ersetzt (RV 1000 BlgNR 22. GP 9). Als Genehmigungsnachweis dient hier der Ausdruck aus der Genehmigungsdatenbank, der nach § 37 Abs 2b KFG mit der Bestätigung der Zulassung zum „Fahrzeug-Genehmigungsdokument“ verbunden wird. Wird der Verlust des Genehmigungsdokuments glaubhaft gemacht, hat die Zulassungsstelle nach § 37 Abs 2c KFG einen aktuellen Datenausdruck aus der Genehmigungsdatenbank herzustellen und mit einer neuerlich ausgedruckten Bestätigung über die Zulassung zu einem „Duplikat‑Genehmigungsdokument“ zu verbinden.
[19] 7. Der Ausdruck aus der Genehmigungsdatenbank unterscheidet sich vom Typenschein dadurch, dass in der Genehmigungsdatenbank grundsätzlich nur fahrzeugspezifische, aber keine personenbezogenen Daten enthalten sind (RV 1000 BlgNR 22. GP 11). Auch in der Bestätigung der Zulassung, die mit dem Ausdruck aus der Genehmigungsdatenbank zum Fahrzeug-Genehmigungsdokument verbunden wird, wird nach § 37 Abs 2b KFG lediglich die Anzahl der bisherigen Zulassungsbesitzer eingetragen. Dementsprechend kann einem solchen Fahrzeug‑Genehmigungsdokument für sich genommen kein Hinweis auf die Rechtmäßigkeit des Besitzes oder die Verfügungsbefugnis des Verkäufers entnommen werden.
[20] 8. Da sich das Fahrzeug-Genehmigungsdokument in aller Regel beim Eigentümer des Fahrzeugs befindet, hat der Oberste Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass der Erwerber eines Gebrauchtwagens auf die Vorlage dieses Dokuments bestehen und – wenn dies nicht möglich ist – vom Ankauf des Fahrzeugs Abstand nehmen muss (8 Ob 73/16t; 10 Ob 29/17p). Im konkreten Fall wurde dem Beklagten ein solches Genehmigungsdokument übergeben, das allerdings mit dem Vermerk „1. Duplikat“ versehen war. Es stellt sich deshalb die Frage, ob dies beim Beklagten Zweifel an der Verfügungsbefugnis der Nebenintervenientin hervorrufen und ihn zu weiteren Nachforschungen veranlassen hätte müssen.
[21] 9. Der Oberste Gerichtshof hat zu 3 Ob 91/21k einen gutgläubigen Erwerb durch einen Gebrauchtwagenhändler verneint, weil ihm ein Duplikat-Genehmigungsdokument vorgelegt wurde, das erst anlässlich des Kaufvertragsabschlusses ausgestellt worden war, sodass er auch die Vorlage eines Kaufvertrags über das Fahrzeug verlangen hätte müssen. Der Beklagte macht aber mit Recht darauf aufmerksam, dass der für Gebrauchtwagenhändler geltende Sorgfaltsmaßstab nicht ohne weiters auf einen privaten Fahrzeugkäufer, dem das entsprechende Fachwissen in aller Regel fehlt, übertragen werden darf. So hat es der Oberste Gerichtshof zu 8 Ob 127/22t nicht beanstandet, dass die Vorinstanzen die Gutgläubigkeit beim Erwerb eines Fahrzeugs von einem Autohändler bejahten, obwohl ein Duplikat-Genehmigungsdokument übergeben wurde, das erst anlässlich des Verkaufs ausgestellt worden war. Es wird auch die Ansicht vertreten, dass die Vorlage eines Duplikats, selbst wenn es erst unmittelbar zuvor ausgestellt wurde, noch keinen besonderen Verdacht begründet, weil es nicht ungewöhnlich ist, dass solche Dokumente über die Jahre verloren gehen, aber erst anlässlich des Verkaufs des Fahrzeugs Ersatz benötigt wird (Pfeifer, Verdächtiger Gebrauchtwagenkauf, ZFR 2022/37, 74 f, insbes FN 46).
[22] 10. Letztlich dürfen die Anforderungen an Privatpersonen, die einen Gebrauchtwagen bei einem Händler erwerben, nicht überspannt werden. Erwirbt eine Privatperson das Fahrzeug von einem Gebrauchtwagenhändler, darf sie vielmehr davon ausgehen, dass bereits dieses Unternehmen die Berechtigung des Vormanns hinreichend überprüft hat. Eine kritische Überprüfung von Fahrzeugdokumenten erfordert ein Fachwissen, das bei Privatpersonen – anders als bei Gebrauchtwagenhändlern, die dem objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB unterliegen – nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden darf. Der Beklagte musste deshalb aus dem Vermerk „1. Duplikat“ im Ausdruck aus der Genehmigungsdatenbank nicht darauf schließen, dass dieses Dokument unrechtmäßig erlangt wurde.
[23] 11. Auch das Fehlen eines Zweitschlüssels musste den Beklagten noch nicht zu weiteren Nachforschungen veranlassen, weil ihm von der Nebenintervenientin versichert wurde, dass der Zweitschlüssel nachgereicht werde. Da der Beklagte damit weder wusste noch vermuten musste, dass die Nebenintervenientin das Fahrzeug nicht vom Eigentümer erworben hat, war ein gutgläubiger Erwerb des (bedingten) Eigentums nach § 367 ABGB zu bejahen, was zur Abweisung der auf Herausgabe gerichteten Klage führt.
[24] 12. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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