OGH 8Ob676/86 (8Ob677/86)

OGH8Ob676/86 (8Ob677/86)26.2.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in den Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Johanna Albina J***, geboren am 24.Juni 1941 in Brünn, ÖBB-Bedienstete, Wien 16., Sulmgasse 16-18/2/1, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Ernst J***, geboren am 10. Jänner 1940 in Gmünd, ÖBB-Bediensteter, Wien 16., Sulmgasse 16-18/2/1, vertreten durch Dr. Robert Amhof, Dr.Heinz Damian, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2. September 1986, GZ 12 R 155/86-16, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 17.März 1986, GZ 21 Cg 142/85-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 5.657,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 514,35) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 21.9.1964 vor dem Standesamt Wien-Ottakring die beiderseits zweite Ehe geschlossen. Aus dieser Ehe stammen keine Kinder, wohl aber aus der gemeinsamen Vorehe der am 13.3.1961 geborene Christian. Beide Ehegatten sind österreichische Staatsbürger mit dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Wien. Ehepakte wurden nicht errichtet.

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Sie warf ihm liebloses und interesseloses Verhalten vor; seit ihren zwei Unterleibsoperationen in den Jahren 1982 und 1984 meide der Beklagte jeden Kontakt mit ihr; er begründe dies damit, daß ihm vor ihr graue. Bei einer schweren Erkrankung im Jänner 1985 habe er sich nicht um sie gekümmert. In der Nacht auf den 15.4.1985 sei sie von ihm bedroht worden, weshalb sie zur Polizei ging. Da sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation dem "Psychoterror" ihres Mannes nicht mehr gewachsen sei, sehe sie sich zur Einbringung der Scheidungsklage gezwungen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er brachte auch eine Widerklage ein und behauptete das Alleinverschulden der Widerbeklagten an der Zerrüttung der Ehe. Sie habe ihn der Wohnung bzw. des Hauses verwiesen, verleumde ihn, verfolge ihn mit anonymen Anrufen und habe wiederholt erklärt, "ihn fertig zu machen". (Die Streitteile werden in der Folge nur als Klägerin und Beklagter bezeichnet.)

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem gleichteiligen Verschulden beider Ehegatten. Es

traf - zusammengefaßt dargestellt - nachstehende Feststellungen:

Die Klägerin mußte sich in den Jahren 1982 und 1984 zwei Unterleibsoperationen unterziehen. Seit der ersten Operation kam es zu erheblichen Spannungen im ehelichen Verhältnis. Diese äußerten sich darin, daß die Streitteile immer weniger miteinander sprachen. Während der Woche arbeiteten beide Streitteile, am Abend las der Beklagte Zeitung, sah fern und sprach nichts mit der Klägerin. An den Wochenenden fuhren die Ehegatten meistens nach Steinhaus am Semmering, wo sie bis 1982 gemeinsam ein Haus in Eigenregie bauten. Der Beklagte ging der Klägerin seit der Operation im Jahre 1982 aus dem Weg und hatte mit einer Ausnahme im September 1984 keinen ehelichen Verkehr mit ihr. Der Beklagte ging nach der Fertigstellung des Hauses und einer damit verbundenen Verbesserung der finanziellen Situation an den Wochenenden jeweils für 2-3 Stunden seinen sportlichen Interessen wie Tennisspielen und Schifahren nach, woraus Streitigkeiten mit der weniger sportlichen Klägerin resultierten, die dem Kläger vorwarf, seine Freizeit alleine zu verbringen. Die Streitteile sprachen immer weniger miteinander. Die Klägerin neigte zu einem rechthaberischen und nörgelden Verhalten, indem sie nur ihre Meinung gelten ließ und das Verhalten des Beklagten wie z.B. den Umstand, daß er seinen sportlichen Ambitionen nachging, kritisierte.

Im Jänner 1985 war die Klägerin durch mehrere Wochen hindurch krank. Obwohl sie zeitweise hohes Fieber hatte, ging sie trotzdem arbeiten und legte sich nur am Abend und am Wochenende ins Bett. In dieser Zeit fuhr der Beklagte an den Wochenenden in das Haus am Semmering, um Schi zu fahren, die Post abzuholen und Schnee zu räumen. Die Klägerin ersuchte den Beklagten nie, wegen ihrer Krankheit in Wien zu bleiben und wollte auch nicht mit ihm mitfahren. Sie stellte auch das Rauchen nicht ein.

Die Klägerin drohte dem Beklagten wiederholt, ihn im Falle einer Scheidung finanziell so fertig zu machen, daß ihm "nur 2 Handtücher" bleiben würden. Solche Erklärungen äußerte die Klägerin in Gegenwart ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter.

Im März 1985 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen, weil der Sohn Christian das letzte Bier im Kühlschrank ausgetrunken hatte. Der Beklagte geriet darüber in Wut und machte seinem Sohn und der Klägerin Vorwürfe. Obwohl die Klägerin vom Beklagten nicht geschlagen wurde, fühlte sie sich bedroht und ging ins Polizeikommissariat im 16.Bezirk. Sie behauptete dort fälschlich, geschlagen worden zu sein, erstattete jedoch keine Anzeige und wurde dann von ihrem Sohn Christian und dessen Ehegattin Manuela abgeholt.

Nach diesem Vorfall entschloß sich der Beklagte, in das Haus am Semmering zu ziehen, um der Gefahr weiterer Streitigkeiten bzw. Anzeigen zu entgehen, zumal ihm dies die Klägerin androhte. Kurz darauf tauchte jedoch auch die Klägerin im Haus am Semmering auf und erklärte, sie werde ab nun in diesem Haus wohnen. Da es sofort wieder zu Streitigkeiten kam und die Klägerin sich grundlos bedroht fühlte, zog der Beklagte wieder in die Wohnung in Wien zurück. Die Klägerin, die sich seit diesem Zeitpunkt (April 1985) wegen ihres schlechten nervlichen Zustandes für 3 Monate im Krankenstand befand, blieb im Haus am Semmering. Die Streitteile hatten seither keinen persönlichen Kontakt zueinander.

Der Beklagte wohnt in der ehelichen Wohnung in Wien 16. Er zahlte zwar seit Februar 1985 der Klägerin kein Wirtschaftsgeld mehr, beglich jedoch die laufenden Rechnungen für Kredite, Miete, Strom, Gas, Telefon, Versicherungen etc. sowohl für die Wohnung in Wien als auch für das im Hälfteeigentum beider Streitteile stehende Haus am Semmering. Im Februar 1985 wendete er für Strom, Kreditrückzahlung, Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, Gas und Strom für die Wohnung, Rückzahlung Wüstenrot, Zins für die Wohnung, Autoabstellplatz, Rundfunk und Fernsehgebühren, Krankenversicherung S 9.509,90 auf. Im März 1985 bezahlte er für die anfallenden Kosten wie oben ausgeführt S 8.697,45, im April 1985 S 8.238,90, im Mai 1985 S 8.498,20, im Juni S 9.168,90 und im Juli 1985 S 9.835,85. Bei der Krankenversicherung handelt es sich um eine Er- und Ablebensversicherung, wobei der Beklagte Hauptversicherungsnehmer und die Klägerin Mitversicherte ist; die Leistungen im Krankheitsfall sind jedoch für beide Streitteile gleich hoch. Die Klägerin zahlt lediglich die Miete für die Wohnung in Wien 16 und hat im September 1985 die Telefongebühren für das Haus in Steinhaus am Semmering in der Höhe von S 940,-- beglichen. Die Klägerin verfügt über ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von S 9.500,--, der Beklagte über ein solches von S 18.500,--. Der Beklagte unterließ die Benützung des Hauses am Semmering, um Reibungen mit der Klägerin zu vermeiden. Er war der Klägerin gegenüber nicht brutal und verhielt sich ihr gegenüber auch nicht jähzornig.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß beide Ehegatten durch wiederholtes beharrliches Schweigen die im § 90 ABGB normierte Pflicht zur anständigen Begegnung verletzt hätten. Der Beklagte habe dadurch, daß er der Klägerin aus dem Weg ging und ohne Rücksicht auf ihre Interessen seine sportlichen Ambitionen verfolgte, ein dem Wesen der Ehe unvereinbares Verhalten gesetzt. Hingegen könne ihm nicht vorgeworfen werden, daß er während der Krankheit der Klägerin im Jahre 1985 weiterhin in das Haus am Semmering fuhr; es sei nämlich für ihn nicht erkennbar gewesen, daß seine Gattin an einer schweren Krankheit leide, weil sie weiterhin rauchte, arbeiten ging und ihn auch nicht ersuchte, das Wochenende bei ihr zu bleiben und sie zu pflegen. Demgegenüber habe die Klägerin durch ihr rechthaberisches und nörgelndes Verhalten und durch ihre Äußerungen, sie werde den Beklagten finanziell fertig machen, auch eine schwere Eheverfehlung begangen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung. Auf der Grundlage der vom Erstgericht getroffenen und als unbedenklich übernommenen Feststellungen widerlegte das Gericht zweiter Instanz die Ausführungen der Klägerin in der Berufung. Die festgestellten Verhaltensweisen der Klägerin, die rechthaberisch und stetig nörgelnd nur ihre Meinung gelten ließ und den Beklagten, insbesondere dessen sportliche Ambitionen, die sie nicht teilte, kritisierte, sowie ihre Äußerungen, den Beklagten im Falle einer Scheidung finanziell fertig zu machen und ihre unwahren Angaben vor der Polizei, gingen über bloße Reaktionshandlungen weit hinaus. Sie stellten vielmehr ihrerseits schwere Eheverfehlungen dar. Fordere man einerseits vom Beklagten liebevolle Zuwendung nach der Operation, so müsse auch von der Klägerin ein Bemühen verlangt werden, sich auf die durch die Operation veränderte Situation einzustellen. Mit dem Ehemann entweder überhaupt nicht zu reden oder mit ihm zu streiten, sei nicht der geeignete Weg gewesen, die zwischen den Streitteilen entstandene Entfremdung zu beseitigen. Die Ehe sei an dem Verhalten beider Ehegatten gescheitert. Es könne nicht gesagt werden, daß das Verschulden der Klägerin fast völlig in den Hintergrund tritt; nur diese Differenzierung rechtfertige es aber, ein minderes Verschulden auf ihrer Seite, und damit ein überwiegendes Verschulden des Beklagten festzustellen. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Ehe aus dem Alleinverschulden oder zumindest aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin macht zunächst Mangelhaftigkeiten des berufungsgerichtlichen Verfahrens geltend. Der angezogene Revisionsgrund liegt jedoch nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

In der Rechtsrüge stellt sich die Klägerin auf den Standpunkt, daß die Eheverfehlungen des Beklagten als zu gering und ihre als zu gravierend gewertet worden seien. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:

Das Berufungsgericht hat sinngemäß zutreffend ausgeführt, daß es bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 EheG nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Eheverfehlungen ankommt, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg 43.684; 46.231; 8 Ob 558,559/86 ua.) und daß das überwiegende Verschulden eines Teiles nach § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG nur auszusprechen ist, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile erheblich ist und augenscheinlich hervortritt (EFSlg 43.691; EFSlg 38.788 ua.), sodaß das Verschulden des einen Ehegatten gegenüber dem des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 46.242 ua.).

Davon kann im vorliegenden Fall, geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, nicht die Rede sein:

Es ist zwar richtig, daß die zum Wesen der Ehe gehörende Gemeinsamkeit der Lebensführung sich keineswegs auf eine rein räumliche Gemeinsamkeit beschränkt, sie erfordert auch ein geistig-seelisches Miteinanderleben (EvBl 1973/179; EFSlg 37.510). Dem zu entsprechen ist aber eine beide Teile gleichermaßen treffende Verpflichtung. Demgemäß ist nicht nur dem Beklagten vorzuhalten, die Klägerin in der schwierigen Situation nach zwei Unterleibsoperationen seelisch im Stich gelassen und sich ihr gegenüber verantwortungslos benommen zu haben; es ist auch der Klägerin der Vorwurf zu machen, sich in dieser Ehekrise aggressiv gegen den Beklagten gewandt zu haben. Nicht anders können ihr rechthaberisches Benehmen, ihre Drohungen, ihn finanziell fertigzumachen und ihre unwahren Angaben vor der Polizei verstanden werden. Die zwischen den Streitteilen entstandene Entfremdung und die darauf zurückzuführende gänzliche Zerrüttung ihrer Ehe gehen daher nicht nur auf Eheverfehlungen des Beklagten, sondern auch auf solche der Klägerin zurück. Diese sind im Gegensatz zur Ansicht der Revisionswerberin nicht so geringfügig, daß sie im Vergleich zu jenen des Beklagten fast völlig in den Hintergrund treten. Vielmehr trifft sie ein wesentlicher Schuldvorwurf, weshalb die von den genannten Grundsätzen ausgehende Rechtsansicht der Vorinstanzen durch die Revision nicht zu widerlegen ist.

Dem Rechtsmittel der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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