Spruch:
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 29. Mai 1946 geborene Kläger und die am 14. April 1958 geborene Beklagte haben am 22. Juli 1978 vor dem Standesamt Stainz die Ehe geschlossen. Es handelt sich beiderseits um die erste Ehe. Kinder entstammen dieser Ehe nicht. Beide Streitteile sind österreichische Staatsangehörige; sie hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Stainz.
Die Beklagte brachte am 4. Juni 1980 zu 12 Cg 151/80 (später 12 Cg 273/82) des Erstgerichtes eine auf § 49 EheG gestützte Ehescheidungsklage gegen den Kläger ein, mit der sie die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Klägers begehrte und als Eheverfehlungen des Klägers geltend machte, daß er öfter betrunken und in diesem Zustand grundlos eifersüchtig sei und die Beklagte öfter mißhandelt habe. Er gebe ihr kein angemessenes Haushaltsgeld und habe zweimal ihre Einlieferung in das Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie veranlaßt, wo die Beklagte zwar nicht behandelt, aber behalten worden sei, weil es ihr unerträglich und unzumutbar gewesen wäre, zum Kläger zurückzukehren. Der Kläger habe die Beklagte unerträglichen Zuständen unterworfen und unter anderem von ihr verlangt, bei seiner Mutter zu schlafen, obwohl sie auch von dieser bereits geschlagen worden sei. Als die Beklagte schwanger gewesen sei, hätten sowohl der Kläger als auch dessen Mutter von ihr die Abtreibung verlangt; infolge des unerträglichen Zustandes, dem die Beklagte ausgesetzt gewesen sei, sei es zu einer Fehlgeburt gekommen.
In diesem Rechtsstreit trat am 8. Juli 1980 zunächst Ruhen des Verfahren ein.
Am 20. August 1981 brachte die Beklagte zu 4 C 23/81 des Bezirksgerichtes Deutschlandsberg eine Unterhaltsklage gegen den Kläger ein. Dieses Verfahren endete mit einem am 26. August 1981 geschlossenen gerichtlichen Vergleich.
Am 31. August 1982 brachte der Kläger, der gleichzeitig die Fortsetzung des Verfahrens über die von der Beklagten eingebrachte Ehescheidungsklage begehrte, zu 12 Cg 267/82 (später 12 Cg 86/84) des Erstgerichtes eine Widerklage gegen die Beklagte ein, mit der er die Scheidung der Ehe gemäß § 51 EheG - allenfalls gemäß § 50 EheG - begehrte. Er brachte dazu vor, daß der Geisteszustand der Beklagten krankheitsbedingt schwer zerrüttet sei. Offensichtlich unter dem Einfluß dieser Krankheit habe die Beklagte den Kläger im Jahr 1980 grundlos verlassen und gegen ihn die in ihrer Scheidungsklage ausgeführten haltlosen Vorwürfe erhoben. Seither lebe sie bei ihren Eltern in Selzthal und habe - außer durch ihre Rechtsvertreterin in Unterhaltsfragen - mit dem Kläger keinerlei Kontakt mehr. Die geistige Gemeinschaft zwischen den Streitteilen sei aufgehoben und ihre Wiederherstellung nicht zu erwarten. Daraufhin zog die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. September 1982 (dem Vertreter des Klägers zugestellt am 24. September 1982) ihre Scheidungsklage zurück. In diesem Schriftsatz führte sie unter anderem aus, daß sich ihre geistige Erkrankung nunmehr als unheilbar herausgestellt habe und daß sie sich daher gegen die vom Beklagten begehrte Scheidung der Ehe aussprechen müsse.
In einem am 12. November 1984 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz (ON 11; er wurde in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 15. Jänner 1985 vorgetragen) änderte der Kläger sein Begehren dahin, daß er nunmehr ein auf Aufhebung der Ehe gerichtetes Hauptbegehren stellte, wobei die Beklagte als schuldig im Sinne des § 42 Abs 2 EheG anzusehen sei. Er brachte dazu im wesentlichen vor, daß sich für ihn bisher wohl Anhaltspunkte ergeben hätten, daß die Beklagte an einer psychischen Krankheit leide, daß aber bisher eher anzunehmen gewesen sein, daß es sich dabei nur um vorübergehende Phasen geistiger Verwirrung handle. Nunmehr ergebe sich aber für den Kläger der Verdacht, daß sich der Zustand der Beklagten offenbar so drastisch verschlechtert habe, daß eine Heilung wahrscheinlich nicht mehr erwartet werden könne. Der Beklagten sei schon vor der Eheschließung bekannt gewesen, daß sie geistig nicht ganz gesund gewesen sei; sie habe bereits seit ihrem 14. Lebensjahr an Selbstmordgedanken gelitten. Dies habe sie dem Kläger bewußt verschwiegen, weil ihr klar gewesen sei, daß er sie sonst nicht geheiratet hätte. Dem Kläger sei die Geisteskrankheit der Beklagten, die im Ansatz bereits vor der Eheschließung vorhanden gewesen sei, zur Zeit der Eheschließung nicht bekannt gewesen. Er habe hievon und insbesondere von der Schwere der Erkrankung erst im Zuge dieses Verfahrens Kenntnis erlangt. Er begehre daher nunmehr primär die Aufhebung der Ehe im Sinne der §§ 37 und 38 EheG. Für den Fall, daß diese Aufhebungsgründe nicht gegeben seien, halte er sein bisheriges Scheidungsbegehren als Eventualbegehren aufrecht. Die Beklagte wendete ein, daß das Aufhebungsbegehren des Klägers verfristet sei, weil der Kläger von dem von ihm behaupteten Aufhebungsgrund bereits im Verfahren 4 C 23/81 des Bezirksgerichtes Deutschlandsberg am 19. August 1981 Kenntnis erlangt habe; die Jahresfrist des § 40 EheG sei daher längst verstrichen. Das Scheidungsbegehren des Klägers sei abzuweisen, weil der Kläger die Geisteskrankheit bzw Geistesstörung der Beklagten durch sein Verhalten verursacht und verschuldet habe. Für den Fall, daß sich das Aufhebungs- oder Scheidungsbegehren des Klägers als berechtigt erweise, sei auszusprechen, daß den Kläger das "überwiegende" Verschulden treffe, und zwar aus den in der von der Beklagten eingebrachten Scheidungsklage dargestellten Gründen. Das Erstgericht wies das auf Aufhebung der Ehe gerichtete Klagebegehren ab und schied die Ehe der Streitteile gemäß § 51 EheG, wobei es aussprach, daß den Kläger ein Verschulden trifft.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Ehe der Streitteile verlief zunächst für kurze Zeit harmonisch. Der Kläger war berufsbedingt lediglich an den Wochenenden zu Hause. Die Beklagte, die noch etwa ein halbes Jahr nach der Eheschließung als Kindergärtnerin in Admont beschäftigt war, bewohnte wochentags dort ein Zimmer. Die Wochenenden verbrachten die Streitteile in der Ehewohnung in Stainz, wo sie häufig gemeinsam Gaststätten aufsuchten und auch alkoholische Getränke konsumierten. Die Beklagte hatte vor ihrer Eheschließung kaum alkoholische Getränke zu sich genommen.
Auf Verlangen ihres Gatten und ihrer Schwiegermutter, die ihr Hoffnung machten, daß sie in einem der Ehewohnung näher gelegenen Ort eine gleichwertige Beschäftigung finden werde, gab die Beklagte schließlich ihre Halbtagsstelle als Kindergärtnerin in Admont auf und lebte fortan ständig in Stainz.
Ab diesem Zeitpunkt ergaben sich zunehmend Probleme zwischen der Beklagten und der im ehelichen Haushalt lebenden Schwiegermutter, die sich in die Haushaltsführung der Beklagten einmischte. Aber auch zwischen den Streitteilen kam es wiederholt zu Zwischenfällen. So schlug etwa der Kläger in alkoholisiertem Zustand die Beklagte, die selbst immer häufiger dem Alkohol zusprach und sich auch immer häufiger allein in Gaststätten aufhielt. Er zwang sie gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr, kehrte mehrmals verspätet von seiner Arbeit heim, pflegte gegen Willen seiner Gattin Kontakt mit seiner früheren Freundin und verweigerte der Beklagten ein angemessenes Wirtschaftsgeld. Als die Beklagte im Jahr 180 schwanger wurde, lehnten der Kläger und dessen Mutter das Kind ab und legten der Beklagten eine Abtreibung nahe. Im 5. Monat der Schwangerschaft erlitt die Beklagte eine Fehlgeburt.
Etwa ab Dezember 1979 traten bei der Beklagten ängstlich-depressive Zustände ein, die sich in der Folge verstärkten. Sodann wandelte sich das psychische Verhalten der Beklagten in ein manisches Zustandsbild. Nach dem zweiten stationären Krankenhausaufenthalt zog die Beklagte aus der Ehewohnung aus. Sie hält sich seither in Selzthal bei ihren Eltern auf.
Die Beklagte leidet an einer endogenen Psychose aus dem schizoaffektiven Formenkreis. Diese Erkrankung hat sich 1980 manifestiert. Als Symptom tritt ein deutlich dysthymer Verstimmungszustand auf. Da bei der Beklagten bereits seit dem 14. Lebensjahr immer wieder Selbstmordgedanken bestanden, welcher Umstand dem Kläger bereits 1981 (im Unterhaltsverfahren vor dem Bezirksgericht Deutschlandsberg) bekannt wurde, kann auf Grund des bisherigen Krankheitsverlaufes darauf geschlossen werden, daß die Erkrankung ansatzweise bereits 1972/1973 vorhanden war, zu dieser Zeit und auch im Zeitpunkt der Eheschließung jedoch nur in Form eines Depressionszustandes bestand. Vor 1980 konnte nicht gesagt werden, ob sich daraus eine schizoaffektive Psychose entwickelt. Es ist zwar nicht auszuschließen, daß starker Alkoholmißbrauch den Ausbruch einer derartigen Krankheit zu beschleunigen vermag, doch kann periodenhaft auftretender Alkoholmißbrauch auch als Teil der bestehenden schizoaffektiven Psychose angesehen werden. Die Mißhandlungen der Beklagten durch den Kläger erscheinen geeignet, vor allem auf affektiver Ebene eine Verschlechterung der momentanen Symptomatik herbeizuführen.
Eine Krankheitseinsicht besteht bei der Beklagten nicht und bestand auch nicht zum Zeitpunkt der Eheschließung. Die Prognose der Erkrankung der Beklagten ist eher als ungünstig anzusehen, da seit 1980 insgesamt fünf stationäre Krankenhausaufenthalte - zuletzt ein solcher im Landeskrankenhaus Rottenmann wegen eines Selbstmordversuches mit
Schlaftabletten - notwendig wurden und grundsätzlichen bei psychotischen Zustandsbildern die Prognose dann schlecht ist, wenn in einem kurzen Zeitraum mehrere Rezidive auftreten. Derzeit besteht keine Möglichkeit, daß die Beklagte den Beruf einer Kindergärtnerin über einen längeren Zeitraum ausüben kann. Es muß damit gerechnet werden, daß mit zunehmender Anzahl von Rezidiven auch die Dauer der stationären Aufenthalte zunehmen wird und schließlich ein sogenannter Defektzustand eintreten kann, der möglicherweise bis zum Stadium der Demenz führt. Eine günstige medikamentöse Beeinflussung des Zustandes der Beklagten ist jedoch nicht ausgeschlossen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Beklagte vor der Eheschließung nur an einer schlichten Depression gelitten habe, welcher Umstand kein gewichtiger Grund sei, der den Kläger von der Eheschließung hätte abhalten können; jedenfalls sei aber die einjährige Klagefrist vom Kläger versäumt worden.
Die Voraussetzungen des § 51 EheG seien gegeben, zumal die Krankheit der Beklagten zur Aufhebung der geistigen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten geführt habe und deren Wiederherstellung nicht zu erwarten sei. Die Heilung des Leidens der Beklagten sei zumindest nicht absehbar. Dem Verschuldensantrag der Beklagten sei stattzugeben, weil die im § 61 Abs 2 EheG normierten Voraussetzungen gegeben seien.
Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft.
Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil beiden Rechtsmitteln keine Folge.
Zur Tatsachenrüge des Klägers führte es im wesentlichen aus, daß der Entscheidung über den von der Beklagten gestellten Verschuldensantrag nur Umstände zugrundegelegt werden könnten, auf die die Beklagte ihren Verschuldensantrag gestützt habe. Soweit sich die Tatsachenrüge des Klägers auf andere Feststellungen beziehe, sei auf sie nicht einzugehen. Die im Rahmen des Tatsachenvorbringens der Beklagten zu ihrem Verschuldensantrag getroffenen Feststellungen (Mißhandlungen und Vernachlässigung der Beklagten durch den Kläger, unzureichende Alimentierung, negative Einstellung des Klägers zur Schwangerschaft der Beklagten und Aufforderung an sie, eine Abtreibung vorzunehmen) seien als unbedenklich zu übernehmen. Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, das Aufhebungsbegehren sei vom Kläger verspätet geltend gemacht worden, sodaß auf die Frage, ob der Aufhebungstatbestand des § 37 EheG vorliege, nicht näher eingegangen werden müsse. Das Vorliegen des Aufhebungstatbestandes nach § 38 EheG werde im Berufungsverfahren gar nicht mehr behauptet.
Gemäß § 40 EheG sei die Aufhebung der Ehe binnen Jahresfrist geltend zu machen, wobei in den Fällen der §§ 36 bis 38 EheG die Frist mit der Entdeckung des Irrtums zu laufen beginne. Hiebei genüge es, wenn dem Kläger so wesentliche Tatsachen bekannt geworden seien, daß diese bei vernünftiger Überlegung für die Geltendmachung des Aufhebungsanspruches als ausreichend angesehen werden könnten. Von dem Umstand, daß die Beklagte bereits seit ihrem 14. Lebensjahr an Selbstmordgedanken litt, habe der Kläger bereits seit dem Unterhaltsverfahren zu 4 C 23/81 des Bezirksgerichtes Deutschlandsberg Kenntnis haben müssen. Diese Kenntnis im Zusammenhang mit der im Jahr 1980 aufgetretenen Manifestation einer geistigen Störung bei der Beklagten und insbesondere der Umstand, daß die Beklagte im Schriftsatz vom 13. September 1982 (Klagsrückziehung) ihren Krankheitszustand als unheilbar bezeichnet habe, müßte als ausreichende Grundlage für die Geltendmachung einer Aufhebungsklage durch den Kläger angesehen werden. Die einjährige Klagefrist habe daher mindestens ab Kenntnis des Vorbringens der Beklagten im Schriftsatz vom 13. September 1982, der dem Kläger am 23. September 1982 zugestellt worden sei, zu laufen begonnen, sodaß das erst am 12. November 1984 gestellte Aufhebungsbegehren als verspätet anzusehen sei.
Bei Beurteilung der Berechtigung des Scheidungsbegehrens des Klägers sei davon auszugehen, daß die spätere Erkrankung der Beklagten schon vor der Eheschließung ansatzweise vorhanden gewesen sei und daß die Beklagte zufolge ihres labilen Geisteszustandes den Anforderungen einer Ehe, die in jedem Fall gewisse Konfliktsituationen mit sich bringe, offenbar nicht gewachsen gewesen sei. Es könne nicht gesagt werden, daß die Entstehung der Krankheit der Beklagten ausschließlich dem Kläger anzurechnen sei. Nur unter dieser Voraussetzung wäre aber eine Stattgebung des Scheidungsbegehrens sittlich nicht gerechtfertigt.
Es seien aber auch sonst keine Umstände gegeben, die gegen die Scheidung der Ehe sprächen und die Annahme eines Härtefalles gerechtfertigt erscheinen ließen. Die Streitteile seien nur kurz verheiratet gewesen; der Ehe entstammten auch keine Kinder. An einem Zusammenleben mit dem Kläger sei die Beklagte, die zu ihren Eltern gezogen sei, offenbar selbst nicht interessiert; ein solches Zusammenleben wäre auch ihrem Gesundheitszustand eher abträglich. Der Unterhaltsanspruch bleibe der Beklagten auch nach der Scheidung im wesentlichen gewahrt. Das Erstgericht habe daher zu Recht dem Scheidungsbegehren stattgegeben.
Auch der Verschuldensausspruch des Erstgerichtes sei zutreffend. Die Beklagte habe zum Zeitpunkt der Klagserhebung durch den Kläger das Recht gehabt, die Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Klägers zu begehren (§ 61 Abs 2 EheG). Die häusliche Gemeinschaft der Streitteile habe nur sehr kurz gedauert; die Beklagte sei erst im Jahr 1979 für ständig nach Stainz zum Kläger gezogen und bereits im Jahr 1980 sei es wieder zur Auflösung der häuslichen Gemeinschaft gekommen, wobei der Umstand, daß die Beklagte zu ihren Eltern gezogen sei, wegen der vorangegangenen Eheverfehlungen des Klägers und des labilen Gesundheitszustandes der Beklagten dieser nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, zumindest aber ihrem Schuldantrag nicht entgegenstehe.
Die mehrfachen Mißhandlungen der Beklagten, die unzureichende Alimentierung, ihre Vernachlässigung, die in der wiederholten verspäteten Heimkehr des Klägers von der Arbeit zum Ausdruck komme, sowie auch das Auftreten des Klägers gegen die Schwangerschaft der Beklagten seien als schwere Eheverfehlungen anzusehen, die auch objektiv geeignet erschienen, eine Zerrüttung der Ehe herbeizuführen. Diese Verfehlungen fielen um so schwerer ins Gewicht, als der Kläger schon im Jahr 1979 den labilen Zustand der Beklagten in geistiger Hinsicht erkennen habe können und daher von ihm eine gewisse Rücksichtnahme gegenüber der Beklagten zu verlangen gewesen wäre.
Es könne unterstellt werden, daß sich zumindest ein Teil der Eheverfehlungen des Beklagten innerhalb eines halben Jahres vor Auflösung der häuslichen Gemeinschaft ereignet hätte, sodaß die angeführten vom Kläger gesetzten Scheidungsgründe nicht verfristet seien.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen des Klägers und der Beklagten. Der Kläger bekämpft sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, "daß dem Aufhebungsbegehren der klagenden Partei in vollem Umfang stattgegeben und ausgesprochen wird, daß die Beklagte als schuldig im Sinne des § 42 Abs 2 EheG anzusehen ist", allenfalls es dahin abzuändern, "daß der Verschuldensausspruch betreffend den Kläger zu entfallen hat"; schließlich wird hilfsweise ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, sie dahingehend abzuändern, daß das Scheidungsbegehren des Klägers abgewiesen werde. Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Rechtsmittel sind nicht berechtigt.
Die in der Revision des Klägers geltend gemachten Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zu Unrecht wendet sich der Kläger in seiner Rechtsrüge gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, daß sein Aufhebungsbegehren im Sinne der Vorschrift des § 40 EheG verfristet sei. Nach der Anordnung des zweiten Absatzes dieser Gesetzesstelle beginnt die im ersten Absatz normierte Jahresfrist in den Fällen der §§ 36 bis 38 EheG mit dem Zeitpunkt, in welchem der Ehegatte den Irrtum oder die Täuschung entdeckt. Der Lauf der Frist beginnt, wenn dem Ehegatten so wesentliche Tatsachen bekannt geworden sind, daß sie bei vernünftiger Überlegung für die Geltendmachung der Aufhebung als ausreichend angesehen werden können. Ob der Ehegatte die rechtliche Tragweite der ihm bekannt gewordenen Umstände, insbesondere seine daraus abzuleitende Berechtigung, die Aufhebung der Ehe zu verlangen, kannte, ist für den Beginn der Ausschlußfrist ohne Bedeutung (EFSlg 8.481, 11.840).
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die bei der Beklagten aufgetretene Geisteskrankheit im Zeitpunkt der Eheschließung ansatzweise vorhanden, wobei damals allerdings bei der Beklagten nur ein Depressionszustand bestand, der dadurch charakterisiert war, daß bei ihr schon seit ihrem 14. Lebensjahr immer wieder Selbstmordgedanken bestanden. Dies wurde dem Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanzen bereits im Jahr 1981 (im Unterhaltsverfahren vor dem Bezirksgericht Deutschlandsberg) bekannt. Daß es sich bei dem abnormalen Geisteszustand der Beklagten um eine unheilbare Geisteskrankheit handelt, wurde dem Kläger von der Beklagten selbst mitgeteilt, und zwar mit ihrem am 13. September 1982 beim Erstgericht eingebrachten Schriftsatz (ON 3), der dem Vertreter des Klägers am 24. September 1982 zugestellt wurde. Spätestens mit diesem Zeitpunkt wurde, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, der Lauf der im § 40 Abs 1 EheG normierten Jahresfrist in Gang gesetzt; sie war daher bei Geltendmachung des Aufhebungsbegehrens des Klägers (12. November 1984 bzw 15. Jänner 1985) längst abgelaufen. Die Beklagte bestreitet in ihrer Revision nicht das von den Vorinstanzen bejahrte Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 EheG. Sie versucht nur darzutun, daß bei ihrer Meinung nach richtiger rechtlicher Beurteilung das Scheidungsbegehren des Klägers nach der Vorschrift des § 54 EheG abzuweisen sei, weil der Kläger den Ausbruch der festgestellten Geisteskrankheit der Beklagten durch sein ehewidriges Verhalten verursacht und verschuldet habe. Dabei geht die Beklagte allerdings nicht von dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt aus, sodaß ihre Rechtsrüge insoweit nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt ist. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen waren die Mißhandlungen der Beklagten durch den Kläger geeignet, vor allem auf affektiver Ebene eine Verschlechterung der bei der Beklagten auftretenden momentanen Symptomatik herbeizuführen. Daraus ist nicht abzuleiten, daß die bestehende (bereits vor der Eheschließung zumindest ansatzweise vorhandene) Geisteskrankheit der Beklagten durch das ehewidrige Verhalten des Klägers verursacht bzw verschuldet wurde; es läßt sich daraus nicht einmal die Schlußfolgerung ziehen, daß dieses Fehlverhalten des Klägers den Verlauf der Geisteskrankheit der Beklagten tatsächlich überhaupt in irgendeiner Weise beeinflußt hätte. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kann daher keine Rede davon sein, daß der Kläger die Geisteskrankheit der Beklagten verschuldet hätte (siehe dazu Pichler in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 54 EheG; JBl 1959, 548; EFSlg 33.993). Im übrigen hat das Berufungsgericht zutreffend und von der Beklagten unwidersprochen ausgeführt, daß auch sonst (kurze Dauer der ehelichen Gemeinschaft; keine Kinder aus der Ehe; Desinteresse der Beklagten an einem weiteren Zusammenleben mit dem Kläger, das im übrigen auch ihrem Gesundheitszustand abträglich wäre) keine Umstände vorliegen, die die Anwendung der Bestimmung des § 54 EheG rechtfertigen könnten.
Letztlich wendet sich der Kläger in seiner Rechtsrüge gegen den Verschuldensausspruch der Vorinstanzen. Soweit er mit seinen diesbezüglichen Rechtsmittelausführungen die Richtigkeit der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen in Frage zu stellen versucht, ist seine Rechtsrüge nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt und kann dazu nicht Stellung genommen werden. Geht man von den vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhaltsfeststellungen aus, dann kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Kläger während der kurzen Zeit des ehelichen Zusammenlebens mit der Beklagten schuldhaft ein grob ehewidriges Verhalten im Sinne des § 49 EheG setzte (Vernachlässigung und Mißhandlungen der Beklagten, unzureichende Alimentierung, Aufforderung an die Beklagte, eine Abtreibung vorzunehmen), das durchaus geeignet war, eine unheilbare Zerrüttung der Ehe herbeizuführen und das die Beklagte ohne weiteres berechtigt hätte, auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens des Klägers zu klagen. Der Hinweis des Klägers, daß sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht ergibt, wann seine Eheverehlungen im einzelnen begangen wurden, und daß sich daher nicht mit Sicherheit beurteilen läßt, ob sie nicht zur Zeit der Erhebung der Klage durch ihn im Sinne des § 57 Abs 1 EheG verfristet waren, ist zutreffend; allerdings läßt sich daraus für den Standpunkt des Klägers nichts gewinnen, weil nach der Vorschrift des § 61 Abs 2 zweiter Satz EheG auch dann, wenn der Beklagte bei der Klageerhebung das Recht, die Scheidung wegen Verschuldens des Klägers zu begehren, bereits verloren hat, seinem Verschuldensantrag gleichwohl stattzugeben ist, wenn dies der Billigkeit entspricht. Dies trifft aber im vorliegenden Fall unter den hier gegebenen Umständen jedenfalls zu, weil es unbillig wäre, dem Kläger infolge der Geisteskrankheit der Beklagten die Scheidung seiner Ehe zu ermöglichen, ohne bei den Auswirkungen dieser Ehescheidung das vom Kläger selbst gesetzte massive grob ehewidrige Verhalten zu berücksichtigen. Es muß daher beiden Revisionen ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Kosten ihrer erfolglosen Rechtsmittel haben beide Streitteile selbst zu tragen; die Kosten der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Revisionsbeantwortungen haben sie sich gegenseitig zu ersetzen. Da sich diese Kosten die Waage halten, waren die Kosten des Revisionsverfahrens gegenseitig aufzuheben.
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