European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00649.84.0321.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.918,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 447,15, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Betrages von S 114.696,‑‑ s.A. (3 % des Kaufpreises + 18 % Umsatzsteuer) als Käuferprovision für die Vermittlung des Ankaufes der Liegenschaft EZ * KG *.
Der Beklagte wendete ein, es sei richtig, daß er diese Liegenschaft erworben habe und daß der Kläger an der Vermittlung des Kaufvertrages mitgewirkt habe. Der Beklagte sei davon ausgegangen, daß der Kläger seine Provision vom Verkäufer erhalte, weil dieser Auftraggeber des Klägers gewesen sei. Der Beklagte habe mit dem Kläger weder einen schriftlichen noch einen mündlichen Vertrag abgeschlossen. Der Kläger habe seine verdienstliche Tätigkeit dadurch entlohnt erhalten, daß er vom Verkäufer der Liegenschaft eine Provision von 3 % des Kaufpreises erhalten habe. Das vom Beklagten erworbene Haus sei zum Teil mit öffentlichen Wohnbauförderungsmitteln errichtet worden, die weder zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages noch heute zur Gänze zurückbezahlt seien. Gemäß § 8 Abs. 9 und Abs. 10 der Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie über Ausübungsregeln für Immobilienmakler, BGBl. 1978/323 (ImmMV), dürfe der Immobilienmakler keine vom Käufer zu bezahlende Provision oder sonstige Vergütung vereinbaren, also gemäß § 8 Abs. 3 dieser Verordnung auch nicht verlangen, wenn die Kaufliegenschaft unter Inanspruchnahme öffentlicher Wohnbauförderungsmittel errichtet worden sei. Diese zum Schutz der Käufer vor Vermögensschäden erlassene Vorschrift stelle zwingendes Recht dar und würde sogar die Nichtigkeit eines anderslautenden schriftlichen Vertrages begründen.
Dem entgegnete der Kläger, daß die ImmMV ausschließlich Verwaltungsrecht darstelle. Der zivilrechtliche Anspruch des Klägers sei infolge der erfolgreichen Vermittlung zweifellos gewahrt. Der Verkäufer habe in dem dem Kläger erteilten Alleinvermittlungsauftrag nicht auf die in Anspruch genommenen Wohnbauförderungsmittel hingewiesen und es sei auch im Grundbuch keine pfandrechtliche Sicherstellung eines Wohnbaudarlehens erfolgt. Der Kläger habe daher nicht wissen können, daß öffentliche Mittel in Anspruch genommen worden seien. Bei der Vorschrift des § 8 Abs. 10 ImmMV handle es sich nicht um zwingendes Recht. Das Darlehen des Landeswohnbaufonds falle nicht unter die Wohnbauförderungsmittel im Sinne dieser Vorschrift.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Am 24. 9. 1980 erteilte Heinz Dieter P* dem Kläger in seiner Eigenschaft als gewerblich befugter Immobilienmakler den bis 1. 2. 1981 befristeten Alleinauftrag zur Vermittlung des Verkaufs seiner Liegenschaft EZ * KG *. Der Kläger inserierte diese Liegenschaft daraufhin in der Tiroler Tageszeitung. Auf Grund dieses Inserates setzte sich der Beklagte mit dem Kläger in Verbindung und bekundete sein Interesse am Erwerb dieser Liegenschaft. Der Kläger übersendete dem Beklagten in der Folge zugleich mit einem Schreiben vom 17. 11. 1980 (Beilage B), in dem er die Liegenschaft zum Kauf anbot, eine Beschreibung und einen Plan des Objektes und heftete daran ein Merkblatt an, das eine genaue Aufstellung über die im Falle eines Kaufes voraussichtlich erwachsenden Mehrkosten enthielt. Unter Punkt 5 dieses Merkblattes wies er auch auf die Vermittlungsprovision des Maklers, die bei jedem Vertragsteil 3 % des Kaufpreises zuzüglich 18 % Umsatzsteuer betragen sollte, hin. Es kam in der Folge zu einer Besichtigung der Liegenschaft, an der beide Streitteile teilnahmen. Im Anschluß daran begaben sich die Streitteile in das Büro des Klägers in B*, wo es zu einer ausführlichen und genauen Besprechung über die Details des geplanten Rechtsgeschäftes kam, die mehrere Stunden dauerte. Im Verlauf dieser Besprechung ersuchte der Beklagte den Kläger, ihm eine genaue Aufstellung der Nebenkosten vorzulegen, worauf der Kläger diese Kosten im einzelnen ausrechnete und dabei den Beklagten auch mehrmals auf die an ihn zu entrichtende Provision hinwies. Dieser Hinweis wurde vom Beklagten ohne Einwände zur Kenntnis genommen. In der Folge erwarb der Beklagte die Liegenschaft zum Preis von S 3,200.000,‑‑ von Heinz Dieter P*.
Das auf der Liegenschaft errichtete Haus wurde seinerzeit von Heinz Dieter P* teilweise unter Zuhilfenahme eines Darlehens des Tiroler Landeswohnbaufonds in der Höhe von S 90.000,‑‑ erbaut, welches bis heute noch nicht zurückgezahlt ist. Dieser Umstand war dem Kläger bei der Vermittlung des Rechtsgeschäftes jedoch nicht bekannt, da das Darlehen grundbücherlich nicht sichergestellt ist und auch Heinz Dieter P* den Kläger nicht auf diesen Umstand hingewiesen hat.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Kläger in seiner Eigenschaft als gewerblich befugter Immobilienmakler dem Beklagten den Kauf einer Liegenschaft vermittelt und vereinbart habe, daß der Beklagte für die erfolgreiche Vermittlung eine Provision von 3 % des Kaufpreises an den Kläger zu bezahlen habe. Da die Liegenschaft unter Zuhilfenahme öffentlicher Wohnbauförderungsmittel erbaut worden sei, die noch nicht zur Gänze zurückbezahlt seien, verstoße die Vereinbarung gegen die Bestimmung des § 8 Abs. 10 ImmMV und sei daher gemäß § 879 Abs. 1 ABGB nichtig. Der Anspruch des Klägers bestehe daher nicht zu Recht. Der Einwand, die Verordnung stelle lediglich Verwaltungsrecht dar und sei zivilrechtlich nicht anwendbar, sei unzutreffend, weil die Verordnung auch Konsumentenschutzbestimmungen enthalte, auf welche sich wegen ihrer allgemeinen Gültigkeit auch Kunden berufen könnten und die daher jedenfalls zwingendes Recht darstellten. Das Darlehen des Tiroler Landeswohnbaufonds weise alle wesentlichen Merkmale eines öffentlichen Wohnbauförderungsmittels auf.
Diese Entscheidung wurde vom Kläger mit Berufung bekämpft. In seiner Berufungsschrift stellte der Kläger den Antrag, das Berufungsgericht möge beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung es § 8 Abs. 9 und Abs. 10 ImmMV und auf Aufhebung des § 69 Abs. 2 GewO wegen Gesetzwidrigkeit und Verfassungswidrigkeit stellen. Mit einem am 11. 12. 1981 beim Berufungsgericht eingelangten Schriftsatz (ON 9) teilte der Kläger mit, daß er eine auf Aufhebung dieser Verordnungsstellen wegen Gesetz- und Verfassungswidrigkeit gerichtete Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht habe. Sein Begehren auf diesbezügliche Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof durch das Berufungsgericht sei daher vorerst nicht zu behandeln und das Berufungsverfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Individualbeschwerde des Klägers zu unterbrechen.
Mit Beschluß vom 15. 12. 1981 (ON 10) unterbrach das Berufungsgericht das Berufungsverfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Individualbeschwerden des Klägers.
Mit Urteil des Verfassungsgerichtshofes vom 14. 10. 1983, V 39/81‑16 (bei ON 12), wurde § 8 Abs. 9 und Abs. 10 ImmMV als gesetzwidrig aufgehoben. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes enthält die Anordnung, daß der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet ist, jedoch keine Anordnung im Sinne des Art. 139 Abs. 6 2. Satz B‑VG.
Mit einem am 2. 2. 1984 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz (ON 12) beantragte der Kläger die Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens.
Das Berufungsgericht beraumte die mündliche Berufungsverhandlung für den 8. 3. 1984 an. In dieser Berufungsverhandlung stellte der Kläger sodann den Antrag, gemäß Art. 89 Abs. 3 B‑VG vom Verfassungsgerichtshof die Entscheidung zu begehren, daß die Vorschrift des § 8 Abs. 9 und Abs. 10 ImmMV gesetzwidrig war.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers keine Folge. Es sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig ist.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und führte rechtlich im wesentlichen aus, nach Art. 139 Abs. 6 2. Satz B‑VG sei die aufgehobene Verordnung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis nichts anderes ausspreche. Einen solchen anderen Ausspruch habe der Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht getan. Der vorliegende Rechtsstreit sei auch nicht der Anlaßfall, weil bei einer Individualbeschwerde nach Art. 139 Abs. 1 letzter Satz B‑VG ein Anlaßfall durch gerichtliche Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides begrifflich ausgeschlossen sei. Durch die Aufhebung der zitierten Verordnungsbestimmungen durch den Verfassungsgerichtshof sei die Verordnung für die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände unangreifbar geworden. Das Berufungsgericht sehe sich daher nicht veranlaßt, ein Verfahren nach § 89 Abs. 3 B‑VG zu beantragen.
Die ImmMV enthalte auch Konsumentenschutzbestimmungen, auf die sich Kunden berufen könnten. Denn sie stütze sich auf § 69 Abs. 2 GewO, mit welcher Bestimmung der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie ermächtigt worden sei, Maßnahmen zum Schutz der Kunden vor Vermögensschäden, auch Konsumentenschutzbestimmungen, festzulegen. Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes werde zwar in der Begründung ausgeführt, daß § 69 Abs. 2 GewO die aufgehobenen Bestimmungen nicht decke, doch seien diese Überlegungen für den vorliegenden Fall nicht heranzuziehen, weil dies letztlich zu einer der Bestimmung des Art. 139 Abs. 6 B‑VG widersprechenden rückwirkenden Anwendung des Aufhebungserkenntnisses führen würde.
Die Bestimmungen des § 8 Abs. 9 und Abs. 10 ImmMV seien daher auf den vorliegenden Rechtsfall anzuwenden.
Daß die Darlehen des Tiroler Landeswohnbaufonds der öffentlichen Wohnbauförderung dienten, ergebe sich schon aus den Bestimmungen der §§ 1 und 3 des Gesetzes vom 17. 7. 1951 über die Errichtung eines Tiroler Landeswohnbaufonds, TLGBl. 1951/27, wonach zur Bekämpfung der Wohnungsnot im Land Tirol das Land den Tiroler Landeswohnbaufonds errichtet und die Fondshilfe unter anderem in der Gewährung unverzinslicher oder niedrig verzinslicher Darlehen besteht.
Bei der Anwendung der Bestimmungen des § 8 Abs. 9 und Abs. 10 ImmMV komme es nicht auf das Verhältnis zwischen öffentlichen Wohnbauförderungsmitteln und anderen Mitteln an. Dies ergebe sich schon aus dem Umstand, daß die Anwendung dieser Bestimmungen an den bloßen Tatbestand der „Inanspruchnahme öffentlicher Wohnbauförderungsmittel“ geknüpft werde. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung sei weder nach ihrem Wortlaut an die Kenntnis des Immobilienmaklers von der „Inanspruchnahme öffentlicher Wohnbauförderungsmittel“ geknüpft noch sei sonst ein Hinweis dafür gegeben, daß der Verordnungsgeber die Anwendbarkeit dieser Bestimmung an die Kenntnis des Immobilienmaklers knüpfen wollte.
In Anwendung der Bestimmungen des § 8 Abs. 9 und Abs. 10 ImmMV sowie unter sinngemäßer Heranziehung des § 917a ABGB sei die zwischen den Streitteilen getroffene Entgeltvereinbarung unwirksam. Das Erstgericht habe daher mit Recht das Klagebegehren abgewiesen.
Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die hier maßgebliche Frage, ob eine abermalige Anrufung des Verfassungsgerichtshofes nach erfolgter Aufhebung der Verordnung im Sinne des Art. 139 Abs. 1 B‑VG zulässig sei, zwar vom Verfassungsgerichtshof bereits entschieden worden sei, doch stelle § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO lediglich auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig. Zu der hier in erster Linie maßgebenden Frage der Auswirkungen der infolge einer Individualbeschwerde des Klägers erfolgten Aufhebung von Verordnungsbestimmungen durch den Verfassungsgerichtshof auf den anhängigen Rechtsstreit fehlt, soweit überschaubar, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Es handelt sich hier um eine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO.
In der Sache selbst ist die Revision nicht berechtigt.
Der Kläger versucht in seiner Revision darzutun, daß das Berufungsgericht infolge einer Bindung an seine im Aufhebungsbeschluß vertretene Rechtsansicht die Vorschriften des § 8 Abs. 9 und Abs. 10 ImmMV nicht anwenden hätte dürfen. Im übrigen seien diese Verordnungsbestimmungen auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anzuwenden, weil es sich bei diesem um den Anlaßfall im Sinne des Art. 139 Abs. 6 B‑VG handle. Sollte dies nicht zutreffen, dann hätte das Berufungsgericht gemäß Art. 89 Abs. 3 B‑VG nochmals beim Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen müssen, daß diese Verordnungsbestimmungen als gesetzwidrig aufgehoben werden. Allenfalls hätte der Oberste Gerichtshof gemäß Art. 89 Abs. 3 B‑VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen, auszusprechen, daß diese Verordnungsbestimmungen immer gesetzwidrig waren. Im übrigen ergebe sich aus § 8 Abs. 10 ImmMV in keiner Weise, daß im Fall des Zuwiderhandelns gegen diese Bestimmung die Nichtigkeit einer Provisionsvereinbarung vorliege. Es handle sich hier nur um eine Bestimmung des Standesrechtes der Realitätenvermittler, um reines Verwaltungsrecht und nicht etwa um eine Konsumentenschutzvorschrift.
Dem ist folgendes zu entgegnen:
Gemäß Art. 139 Abs. 6 B-VG sind, wenn eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben wurde, alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht.
Dies bedeutet, daß, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht ausdrücklich etwas anderes anordnet, die Aufhebung einer Verordnung nur pro futuro wirkt. Die betreffenden Norm ist auf bereits vor der Aufhebung konkretisierte Sachverhalte weiter anzuwenden. Ausgenommen ist lediglich der Anlaßfall, auf den die betreffende Norm nie anzuwenden ist (Klecatsky-Öhlinger, Die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts, Anm. 9 zu Art. 139 B‑VG; Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung 451 f; Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts 297 f; ZfV 1977/1759; ZfV 1979/1800 ua.).
Bei dem im Art. 139 Abs. 6 B‑VG erwähnten „Anlaßfall“ handelt es sich um einen schon vor dem Geltungsbeginn der B‑VGNov. BGBl. 1975/302 in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entwickelten und durch diese umschriebenen und nunmehr positiv-rechtlich festgelegten Begriff (VfSlg. 8234). Darunter ist nur jene Rechtssache zu verstehen, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des gesetzlichen Prüfungsverfahrens bewogen hat (JBl 1960, 440). Von einem Anlaßfall im Sinne dieser Bestimmung kann nur gesprochen werden, wenn ein Gericht den Antrag auf Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens an den Verfassungsgerichtshof stellt oder dieser von Amts wegen ein derartiges Prüfungsverfahren einleitet (vgl. Ringhofer aaO 452). Wird aber ein Verordnungsprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichts-hof auf Grund einer Individualbeschwerde im Sinne des Art. 139 Abs. 1 letzter Satz B‑VG eingeleitet, dann gibt es, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, schon begrifflich keinen Anlaßfall im Sinne des Art. 139 Abs. 6 B‑VG, weil eine derartige Individualbeschwerde voraussetzt, daß der Beschwerdeführer durch die Verordnung unmittelbar betroffen wird, daß also ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides unmittelbar in die individuelle Sphäre des Beschwerdeführers eingegriffen wird (siehe dazu Ringhofer aaO 446 f).
Aus der Vorschrift des Art. 89 Abs. 3 B‑VG, die das Gericht dazu verhält, eine bereits außer Kraft getretene, von ihm aber noch anzuwendende Norm beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, kann nicht abgeleitet werden, daß das Gericht in dieser Weise nach Aufhebung einer gesetzwidrigen Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof auf Grund einer Individualbeschwerde vorzugehen habe. Denn dem Gebot der Weiteranwendungen einer vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Norm im Sinne des Art. 139 Abs. 6 B-VG kommt der Vorrang vor dem Gebot der Anfechtung einer bereits außer Kraft getretenen Norm zu. Die vom Verfassungsgerichtshof ohne Rückwirkung aufgehobene Norm ist daher - abgesehen vom Vorliegen eines Anlaßfalles - für die Vergangenheit vom Gericht weiterhin anzuwenden und damit unanfechtbar geworden. Nur diese Auslegung kann das ansonsten zwingende Ergebnis vermeiden, daß der Verfassungsgerichtshof in die Lage kommen könnte, eine schon einmal geprüfte und dabei für rechtswidrig befundene Norm noch mehrmals prüfen zu müssen (Ringhofer in ÖVA 1978, 119 f; VfSlg. 5192).
Aus der dargestellten Rechtslage ergibt sich, daß die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmungen der ImmMV auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwenden sind, weil der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor dem aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs konkretisiert war, das aufhebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes keine andere Anordnung im Sinne des Art. 139 Abs. 6 B‑VG enthält und es sich bei diesem Rechtsstreit nicht um den Anlaßfall im Sinne dieser Gesetzesbestimmung handelt. Nach diesem aufhebenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes war weder das Berufungsgericht noch ist der Oberste Gerichtshof berechtigt, einen Antrag auf Aufhebung der bereits aufgehobenen Verordnungsbestimmungen oder einen Antrag auf Feststellung, daß diese Bestimmungen gesetzwidrig waren, an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.
Der vom Berufungsgericht gefaßte Unterbrechungsbeschluß ändert an dieser Rechtslage nichts. Die Fassung dieses Unterbrechungsbeschlusses durch das Berufungsgericht, besagt nämlich noch nicht, daß sich das Berufungsgericht auch der Rechtsansicht des Klägers über die Gesetzwidrigkeit der in Frage stehenden Verordnungsbestimmung angeschlossen hätte. Es kann auch nicht gesagt werden, daß die Voraussetzungen des § 190 ZPO für die Unterbrechung nicht vorgelegen wären, zumal der Verfassungsgerichtshof bei Stattgebung der Individualbeschwerde des Klägers die Möglichkeit gehabt hätte, eine Anordnung der Rückwirkung seines Erkenntnisses, in einer Weise zu treffen, daß die aufgehobene Verordnungsbestimmung im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden gewesen wäre. Einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof hat das Berufungsgericht jedenfalls nicht gestellt.
Wendet man aber die Vorschrift des § 8 Abs. 10 ImmMV auf den vorliegenden Fall an, dann ergibt sich daraus, daß die Provisionsforderung des Klägers gegen den Beklagten unbegründet ist. Nach dieser Verordnungsstelle darf der Immobilienmakler, wenn ein Haus, das unter Inanspruchnahme öffentlicher Wohnbauförderungsmittel errichtet wurde, im Eigentum des ursprünglichen Förderungsnehmers steht, keine vom Käufer zu bezahlende Provision vereinbaren, wenn die Förderungsmittel nicht bereits zur Gänze zurückbezahlt wurden (§ 8 Abs. 11 ImmMV).
Es handelt sich dabei nicht, wie der Kläger vermeint, um eine bloße standesrechtliche Vorschrift, sondern um eine Konsumentenschutzbestimmung, deren Schutzobjekt derjenige ist, der ein mit Mitteln der öffentlichen Wohnbauförderung errichtetes Objekt erhält und mit der sichergestellt werden soll, daß der Erwerber eines solchen Objektes nicht zusätzlich mit Vermittlungshonoraren belastet wird (ImmZ 1982, 116; siehe dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. 10. 1983, V 39/81‑16). Eine dieser Vorschrift widersprechende Provisionsvereinbarung zwischen einem Immobilienmakler und dem Erwerber eines unter Inanspruchnahme öffentlicher Wohnbauförderungsmittel errichteten Hauses ist ungültig (ImmZ 1982, 116; 7 Ob 502/83). Daß die im § 8 Abs. 10 ImmMV normierten Voraussetzungen im vorliegenden Fall nach den getroffenen Feststellungen zutreffen, wurde von den Vorinstanzen richtig ausgeführt; in der Revision wird dagegen nichts vorgebracht.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen somit durchaus der Sach- und Rechtslage. Der Revision des Klägers mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Da der Beklagte zu seiner Revisionsbeantwortung keine Gerichtskostenmarken beigebracht hat, konnte ihm der Ersatz dafür aufgewendeter Barauslagen nicht zuerkannt werden.
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