Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrte die Scheidung der mit der Beklagten am 29.9.1971 vor dem Standesamt Wien-Penzing geschlossenen und im Familienbuch unter Nr.1162/1971 beurkundeten Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Sie habe ihm ihre außerehelichen bzw. vorehelichen Kinder bei jeder Gelegenheit vorgezogen, ihn lieblos behandelt, beschimpft und sogar mißhandelt. Am 2.1.1981 habe sie entgegen seinem Willen die eheliche Wohnung in Kaltenleutgeben verlassen und sei in die Wohnung ihres früheren, von ihr geschiedenen, Ehegatten Adolf W*** gezogen. Auch habe sie den Geschäftsbetrieb seiner Firma B*** Handelsgesellschaft und die Angestellten gestört, das Geschäftstelefon blockiert und "einen Terror" ausgeübt, sodaß er seinen Firmensitz mit hohen Kosten nach Wien habe verlegen müssen. Sie habe ihn vor anderen Leuten verächtlich gemacht und herabgesetzt. Schließlich habe sie im Mai 1982 mit Dr. Arnold R*** die Ehe gebrochen. Er stützte schließlich sein Scheidungsbegehren auch auf § 55 Abs 1 EheG, weil die häusliche Gemeinschaft seit über 3 Jahren aufgehoben und die Ehe unheilbar zerrüttet sei.
Die Beklagte bestritt das Vorliegen der behaupteten Scheidungsgründe. Sie stellte im Laufe des Verfahrens einen Mitschuldantrag, den sie darauf stützte, daß der Kläger immer wieder ehewidrige Beziehungen zu verschiedenen Frauen aufgenommen habe, so insbesondere zu Margit L*** und seit Herbst 1980 zu Ilse H***. Er habe im Nachtlokal "Orchidee" bis zu S 5.000,-- ausgegeben und sich dort mit Mädchen amüsiert, sich ihren beiden Töchtern Astrid und Juanita 1977 unsittlich genähert und 1975 den Hamster und die weißen Mäuse ihrer Töchter gequält und getötet. Er habe sie seit Beginn der Ehe vor ihren Kindern ordinär beschimpft und schließlich das Haus in Kaltenleutgeben, das die Ehewohnung darstellte, an seinen Freund Wilhelm M*** verkauft und diesen zu einer Räumungsklage gegen sie veranlaßt.
In der Tagsatzung vom 1.3.1984 beantragte der Kläger die Erlassung eines Teilurteiles auf Scheidung der Ehe nach § 55 Abs 1 EheG. Die Beklagte begehrte einen Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG. Sie stellte außer Streit, daß die eheliche Gemeinschaft seit 13.1.1981 aufgehoben und seither nicht wiederhergestellt wurde. Mit dem Teilurteil vom 1.3.1984 schied das Erstgericht die Ehe der Streitteile nach § 55 Abs 1 EheG. Der Ausspruch über das Verschulden und die Kostenentscheidung wurde der Endentscheidung vorbehalten. Dieses Teilurteil erwuchs in Rechtskraft.
Mit dem Endurteil vom 18.1.1985 sprach das Erstgericht nunmehr aus, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe beide Ehegatten zu gleichen Teilen treffe. Es traf - zusammengefaßt dargestellt - nachstehende Feststellungen:
Die Streitteile hatten am 29.9.1971 geheiratet. Sie wohnten zunächst mit den 3 Kindern, die die Beklagte in die Ehe mitbrachte, in der Wohnung ihres früheren Ehemannes und übersiedelten im Sommer 1977 in das von ihnen errichtete Einfamilienhaus in Kaltenleutgeben. Als die Beklagte 1978 vom Kläger schwanger wurde, beschlossen die Streitteile, daß dieses Kind zur Welt kommen sollte, während vorher bei einer anderen Schwangerschaft einvernehmlich ein Schwangerschaftsabbruch herbeigeführt worden war. Während dieser Schwangerschaft gab der Kläger seine bisher bestandene Beziehung zu Helene L*** auf und beide Ehegatten beschlossen, dieses Verhältnis des Klägers zu der Genannten zu vergessen. Das Heranwachsen der Kinder brachte eine Reihe von Problemen mit sich. Die Beklagte widmete sich mehr der am 20.10.1978 geborenen Romana als dem Kläger. Sie interessierte sich sehr für Psychologie und die Zeugen Jehovas, was zu einer Entfremdung zwischen den Streitteilen führte.
Als die Beklagte im Jänner 1981 wieder vom Kläger schwanger wurde, dieses Kind aber nicht haben wollte, gab ihr der Kläger Geld für eine Abtreibung, weil auch er seine Ehe nicht mehr als harmonisch ansah, im Jahr 1980 ein Verhältnis zu Ilse H*** unterhalten hatte und sich mehr für andere Frauen als für die Beklagte interessierte.
Im Jänner 1981 zog die Beklagte aus der ehelichen Wohnung zu ihrem geschiedenen Ehegatten Adolf W*** nach Wien, weil sie die Heizölkosten für die Zentralheizung nicht bezahlen konnte und vom Kläger dazu nicht genügend Geld bekommen hatte. Der Kläger verlegte sein Büro im Mai 1981 nach Wien, weil er vor seinen Angestellten mit der Beklagten keine Auftritte haben wollte und sie ihn durch Privattelefonate mitunter an Bürotelefonaten hinderte. Seither wohnte die Beklagte mit der mj. Karin bei Adolf W*** und mußte ihren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kläger erst mit wiederholten einstweiligen Verfügungen durchsetzen. Ein Strafverfahren gegen den Kläger wegen §§ 212 Abs 1 und 107 Abs 1 StGB endete mit einem Freispruch des Klägers, der sich seinen Stieftöchtern Astrid und Juanita 1977 oder vorher nicht unsittlich genähert und die Beklagte auch nicht am 18.5.1981 gefährlich bedroht hatte.
Mitte 1982 hatte die Beklagte mit Dr. Arnold R*** in der Wohnung ihrer Tochter Astrid Geschlechtsverkehr. Der Kläger empfand dies aber nicht als ehezerstörend, weil beide Streitteile einander längst völlig fremd geworden waren und die einzige Emotion Haß gegeneinander war.
Schon während der aufrechten häuslichen Gemeinschaft hatte der Kläger die Beklagte des öfteren mit Ausdrücken wie "Drecksau", "Hure" und "Schlampen" beschimpft, und zwar auch in Gegenwart ihrer Kinder, die Beklagte wiederum nannte den Kläger einen "Idioten", "Trottel" und "Größenwahnsinnigen", auch fallweise in Gegenwart ihrer Kinder. Der Kläger hat die Hamster seiner Stieftöchter gewürgt und ihre weißen Mäuse getötet. Ein Verhältnis des Klägers mit Margit L*** konnte nicht festgestellt werden.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die Abwägung der beiderseits begangenen Eheverfehlungen zur Feststellung eines gleichteiligen Verschuldens beider Streitteile führen müsse. Das Berufungsgericht bestätigte zunächst das erstgerichtliche Endurteil mit der Maßgabe, daß der erste Absatz des Spruchs (Feststellung des gleichteiligen Verschuldens) zu entfallen habe. Den dagegen erhobenen Revisionen beider Teile gab der Oberste Gerichtshof Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Gericht zweiter Instanz zurück. Das Berufungsgericht habe sich mit den vom Erstgericht und von beiden Parteien zutreffend als noch offen betrachteten Fragen der Scheidungsgründe nach §§ 47, 49 EheG und des Antrages nach § 60 Abs 2 EheG nicht befaßt. Dies werde es im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben. Dabei werde zu beachten sein, daß bei der Relation der §§ 60 Abs 2 und 61 Abs 3 EheG zueinander tunlichst über den Gesamtkomplex der noch offen gebliebenen Ansprüche abzusprechen sein werde.
Im zweiten Rechtsgang gab das Berufungsgericht den Berufungen der Streitteile nicht Folge, sondern bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe beide Ehegatten zu gleichen Teilen trifft und der Antrag der Beklagten auf einen Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG abgewiesen wird. Das Gericht zweiter Instanz verwies darauf, daß es die bereits ausgesprochene Scheidung aus den Gründen der §§ 47, 49 EheG für berechtigt erachtete. Der Rechtsrüge der Beklagten, wonach ihr Verschulden an der Zerrüttung der Ehe gering sei und den Kläger zumindest das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe, hielt das Berufungsgericht entgegen, daß ihre Verfehlungen nicht unverhältnismäßig weniger schwer seien, als die des Klägers. Sie sei eigenmächtig zu ihrem früheren Ehemann übersiedelt, habe die Ehe - wenn auch nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft - gebrochen und habe sich mehr ihrem Interesse für Psychologie und die Zeugen Jehovas gewidmet, als dem Kläger. Dies habe zu einer Entfremdung zwischen den Ehepartnern geführt. Die Beklagte habe den Kläger durch Auftritte vor seinen Angestellten und durch zeitweises Blockieren seines Geschäftstelefons zur Verlegung seines Büros nach Wien gezwungen. Schließlich habe sie den Kläger auch beschimpft. Dem stünden die aus den Feststellungen ersichtlichen Eheverfehlungen des Klägers gegenüber, wozu noch komme, daß dieser die Liegenschaft mit der ehelichen Wohnung verkauft und damit zumindest in Kauf genommen habe, daß der Erwerber gegen die Beklagte mit Räumungsklage vorging. Für den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines der Ehegatten nach § 60 Abs 2 EheG sei aber Voraussetzung, daß der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensteile augenscheinlich, also offenkundig hervortritt, was im vorliegenden Fall nicht gesagt werden könne. Beide Streitteile hätten in überreichem Ausmaß Eheverfehlungen gesetzt; es würde der Sachlage nicht entsprechen, wenn das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer bewertet würde als das des anderen. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2, 3 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das auf §§ 47 und 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren des Klägers abgewiesen werde und daß das alleinige, zumindest aber überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe gemäß § 61 Abs 3 EheG festgestellt werde. Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Beklagte macht zunächst Mangelhaftigkeiten des berufungsgerichtlichen Verfahrens und das Vorliegen von Aktenwidrigkeiten geltend, welche Revisionsgründe jedoch nicht vorliegen, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Rechtsrüge baut die Beklagte darauf auf, daß sie versucht, den Feststellungen über die Eheverfehlungen des Klägers größeres Gewicht zu verleihen, indem sie diese durch feststellungsfremde Einzelheiten erweitert. Ihre eigenen Eheverfehlungen stellt sie in einem weniger gravierenden Licht dar und sucht deren Abschwächung dadurch zu erreichen, daß sie ihre Handlungsweisen auf Umstände zurückführt, die sie festgestellt wissen wollte, die die Vorinstanzen aber nicht als erwiesen annahmen. Der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof kann jedoch nur ein Sachverhalt unterzogen werden, der auf Feststellungen der Vorinstanzen beruht. Danach hat sich die Beklagte mehr für Psychologie und die Zeugen Jehovas interessiert, als für den Kläger, ist im Jänner 1981 aus der ehelichen Wohnung zu ihrem geschiedenen Ehegatten gezogen, hat die Beklagte dem Kläger Auftritte vor seinen Angestellten gemacht, ihn an Bürotelefonaten durch private Ferngespräche gehindert, selbst ebenfalls die Ehe gebrochen und den Kläger mit Ausdrücken wie "Idiot, Trottel und Größenwahnsinniger" fallweise auch in Gegenwart der Kinder beschimpft. Ihre Rolle im Zusammenhang mit den letztlich zu Freisprüchen führenden Strafverfahren gegen den Kläger (angebliche unsittliche Annäherung des Klägers an ihre Töchter Astrid und Juanita; gefährliche Bedrohung der Beklagten) haben die Vorinstanzen nicht näher untersucht, sodaß ihr Verhalten in diesem Belang nicht weiter ins Gewicht fällt. Geht man aber allein von den vordem dargestellten Feststellungen aus, kann der Argumentation der Beklagten, daß ihre Eheverfehlungen im Vergleich zu jenen des Klägers nicht ins Gewicht fielen, nicht gefolgt werden:
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß es bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 EheG auf das Gesamtverhalten der Ehegatten zueinander in seinem Zusammenhang ankommt (EFSlg 43.684; 46.231; 8 Ob 558, 559/86 ua) und daß das überwiegende Verschulden eines Teiles nach § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG nur auszusprechen ist, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile erheblich ist und augenscheinlich hervortritt (EFSlg 43.691 ua), sodaß das Verschulden des einen Ehegatten gegenüber dem des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 46.242; 8 Ob 558, 559/86 ua). Gewiß hat der Kläger dadurch, daß er der Beklagten Geld für die Abtreibung eines Kindes anbot, ein Verhältnis mit Ilse H*** unterhielt, sich mehr für andere Frauen als für die Beklagte interessierte, den Unterhalt der Beklagten im dargestellten Ausmaß vernachlässigte, die Beklagte ebenfalls schwer beschimpfte und die Tiere seiner Ziehtöchter quälte bzw. deren weiße Mäuse tötete, durch sein Verhalten die Zerrüttung der Ehe zu einem beträchtlichen Maß zu verantworten. Die von der Beklagten gesetzten Eheverfehlungen stehen aber in ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung für die eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe zumindest nicht entscheidend hinter denen des Klägers zurück. Von einem fast völlig in den Hintergrundtreten ihrer Eheverfehlungen kann aber überhaupt nicht die Rede sein.
Unter diesen Umständen ist in den Entscheidungen der Vorinstanzen ein Rechtsirrtum nicht zu erblicken. Da sie daher die Ehe mit Recht aus dem beiderseitigen Verschulden der Streitteile geschieden haben, war der Antrag der Beklagten nach § 61 Abs 3 EheG, das alleinige oder überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen, abzuweisen.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Kostenausspruch beruht auf §§ 40, 50 ZPO.
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