Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger war beim zweitbeklagten Facharzt für Urologie wegen einer Prostatavergrößerung in Behandlung. Er wurde am 23.2.1989 im Allgemeinen Öffentlichen Krankenhaus der Stadt Z*****, dessen Rechtsträger die Erstbeklagte ist, aufgenommen und am 28.2.1989 vom Zweitbeklagten operiert. Beim Kläger besteht nunmehr eine höhergradige Harninkontinenz.
Mit der am 14.5.1990 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 222.160,-- zur ungeteilten Hand und die Feststellung der Haftung für alle Spätfolgen aus der nicht sach- und fachgerecht durchgeführten Heilbehandlung im Allgemeinen Krankenhaus der Erstbeklagten. Der Kläger brachte vor, aufgrund der nicht sach- und fachgerecht durchgeführten Operation oder postoperativen Behandlung sei es zu der an sich vermeidbaren Komplikation des Nierenversagens gekommen, weshalb er sich einer sehr langen Spitalsbehandlung habe unterziehen müssen. Offenbar sei bei der Operation der Harnschließmuskel verletzt worden, sodaß er nun an einer Harninkontinenz leide, die ihn auch psychisch sehr belaste. Er hätte sich einer solchen Operation nicht unterzogen, wenn ihn der Zweitbeklagte über die möglichen Komplikationen und Nebenwirkungen aufgeklärt hätte.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, der Kläger sei vom Zweitbeklagten über die Operation, die Möglichkeit eines Nierenversagens und einer Harninkontinenz aufgeklärt worden. Der Kläger, der unter Dranginkontinenz gelitten habe, habe aber auf die Durchführung der Operation gedrängt. Die Operation selbst sei sach- und fachgerecht durchgeführt worden, es sei weder der innere noch der äußere Harnschließmuskel verletzt worden. Wäre eine Operation des Klägers nicht erfolgt, so hätte er durch einen Katheter zumindest die gleichen Beschwerden gehabt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab. Es traf über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch folgende wesentliche Feststellungen:
Am 23.1.1989 suchte der damals knapp 64 Jahre alte Kläger den Zweitbeklagten in seiner Ordination auf, weil er an einem nicht unterdrückbaren Harndrang litt. Der Zweitbeklagte, der auch als Konsiliararzt im Krankenhaus Z***** tätig ist, stellte nach einer Untersuchung des Klägers eine gutartige Vergrößerung der Prostata mit beträchtlicher Restharnbildung fest. Weitere Untersuchungen ergaben den Verdacht des Vorliegens von Nierenzysten. Der Zweitbeklagte empfahl dem Kläger zur Entfernung der gutartigen Vergrößerungen der Prostata dringend eine Operation mit Bauchschnitt; als Alternative bot er ihm einen Dauerkatheter an. Die Operation des Klägers war eindeutig indiziert, weil sonst bei weiterem Fortschreiten der Erkrankung ein Aufstau des Restharnes in die Nieren bzw. eine schmerzhafte Harnverhaltung zunehmend möglich und das Setzen eines Dauerkatheters dann unbedingt erforderlich gewesen wäre. Der Zweitbeklagte klärte den Kläger über die Art der Operation auf und wies ihn insbesonders darauf hin, daß er einen kleinen Schnitt im unteren Bauch zu erwarten habe. Ob und inwieweit der Zweitbeklagte den Kläger über mögliche Folgen oder Risken, insbesondere Infektionsgefahren, Nierenversagen, bleibende Harninkontinenz etc., die mit einer Prostataoperation verbunden sein können, aufklärte, konnte nicht festgestellt werden. Das Auftreten einer ständigen Harninkontinenz nach einer derartigen Operation liegt bei ca. 0,5 %, zählt jedoch zu den typischen Risken. Ein schweres septisches Zustandsbild mit vorübergehendem Nierenversagen ist eine äußerst seltene Komplikation, kann aber bei jeder Operation auftreten.
Die am 28.2.1989 durchgeführte Operation verlief komplikationslos. Auch die weitere Nachbehandlung war bis zur Entfernung des postoperativ zwingend notwendigen Dauerkatheters am 8.3.1989 ohne Komplikationen. Danach kam es aber zum Auftreten von Schüttelfrost und schließlich zu einem septischen Zustandsbild. Wegen zunehmenden Nierenversagens wurde der Kläger am 11.3.1989 in das Allgemeine Öffentliche Krankenhaus S***** transferiert. Nach insgesamt fünf künstlichen Nierenwäschen kam es schließlich zu einer Besserung der Nierenfunktion. Am 31.3.1989 wurde der Kläger in häusliche Pflege entlassen.
Beim Kläger besteht als Folge der Operation nunmehr eine höhergradige Harninkontinenz beim Stehen und Gehen, teilweise auch im Liegen. Diese Harninkontinenz erfordert das Auffangen des Harnes durch Einlagen oder Windeln.
Anstelle der Operation des Klägers hätte auch die Möglichkeit bestanden, einen Dauerkatheter anzubringen. Das Problem dieser Behandlung ist auf längere Sicht eine chronische Entzündung der Harnwege, die zu einer höhergradigen Schädigung der Nieren und der Bildung von Harnblasensteinen führen kann.
Die vom Zweitbeklagten durchgeführte Operation erfolgte sach- und fachgerecht, der hochgradige unwillkürliche Harnverlust seit der Prostataoperation ist nicht auf einen Fehler im Rahmen der Operation oder der postoperativen Behandlung zurückzuführen. Mit einer Besserung des Zustandsbildes des Klägers kann nicht gerechnet werden.
Das Erstgericht kam zu dem Schluß, es bestehe keine Haftung der Beklagten, da kein Kunstfehler unterlaufen sei und auch bei der Operation und postoperativen Behandlung Sorgfaltsverletzungen nicht erfolgt seien. Der Kläger könne seinen Anspruch auch nicht auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht stützen, weil der ihm obliegende Beweis der Unterlassung der hinreichenden Aufklärung nicht gelungen sei.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht hob die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es wurde der Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig erklärt und ausgesprochen, daß das Verfahren erster Instanz erst nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei.
Das Rekursgericht erblickte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz darin, daß das Erstgericht das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten des Facharztes für Urologie Dr.Hans R***** vom 28.2.1992 nicht verlesen habe. Das Erstgericht hätte dieses Gutachten als Urkundenbeweis zulassen und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen vorhalten müssen. Insbesondere wäre zu den abweichenden Ausführungen des Privatgutachtens eine eingehende Darlegung des gerichtlich bestellten Sachverständigen notwendig gewesen. Weiters wäre der gerichtlich bestellte Sachverständige auch darüber zu befragen gewesen, wie es zu den in der Stellungnahme des W*****spitals betreffend die Harninkontinenz angeführten Umständen und Ursachen kommen konnte. In diesen Unterlassungen und der Nichtzulassung des Privatgutachtens als Urkundenbeweis liege ein von der Berufung gerügter Verfahrensmangel. Das angefochtene Urteil sei aufzuheben, weil noch nicht mängelfrei feststehe, ob dem Zweitbeklagten bei der Operation oder sonst bei der Behandlung des Klägers im Krankenhaus der Erstbeklagten ein Fehler unterlaufen sei, der die Haftung der Erstbeklagten aufgrund des Behandlungsvertrages und des Zweitbeklagten ex delicto zur Folge habe.
Im Hinblick auf diesen Verfahrensmangel sei derzeit auf die Bekämpfung der Beweiswürdigung betreffend die Aufklärung des Klägers durch den Zweitbeklagten vor der Operation nicht einzugehen.
Wohl aber sei eine Auseinandersetzung mit der in der Rechtsrüge aufgeworfenen Frage, wen die Beweislast für die ausreichende Aufklärung durch den Arzt treffe, notwendig.
Zu dieser Frage führte das Berufungsgericht aus, der mit dem Arzt oder dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag umfasse auch die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen der Behandlung zu unterrichten; die Aufklärung sei Voraussetzung für eine rechtswirksame Einwilligung des Patienten zur Operation, die ohne wirksame Einwilligung eine Körperverletzung darstelle. Die Beweispflicht für die Durchführung der gebotenen Aufklärung treffe den Arzt, weil dem Patienten nicht der - kaum zu erbringende - Beweis eines negativen Umstandes auferlegt werden könne. Der Arzt habe auch die Möglichkeit, die Aufklärung in der Krankengeschichte oder in seiner Patientenkartei oder in ähnlichen Unterlagen zu dokumentieren; er müsse auch nicht den Nachweis eines negativen Umstandes, sondern jenen der Tatsache der erfolgten Aufklärung erbringen. Überdies rechtfertige nur die nach entsprechender Aufklärung durch den Arzt erteilte Einwilligung des Patienten eine Operation oder medizinische Behandlung, die sonst rechtswidrig wäre, sodaß auch deshalb der Arzt die Einwilligung und die als ihre Grundlage erforderliche Aufklärung des Patienten nachzuweisen habe.
Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht eine neuerliche Vernehmung des Zweitbeklagten darüber durchführen müssen, wann er den Kläger über die Operation und deren Risken und Folgen in welcher Weise belehrte und ob es darüber Aufzeichnungen gibt. Der Kläger werde dann konkret hiezu ergänzend als Partei zu vernehmen sein. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht werde von der Beweislast der Beklagten dafür auszugehen sein, daß der Kläger auch bei ausreichender Aufklärung unter den gegebenen Umständen die Zustimmung zur Operation erteilt hätte.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt, da zur Beweislastverteilung die in der Literatur vertretenen Meinungen widersprüchlich seien und die Entscheidung des Berufungsgerichtes von der in der Entscheidung SZ 29/16 vertretenen Ansicht abweiche.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Berufung des Klägers nicht Folge gegeben werde.
Der Kläger hat Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Rekursgrund der Aktenwidrigkeit wurde geprüft, er ist nicht aber gegeben (§§ 528a, 510 Abs.3 ZPO).
Die Beklagten vertreten die Ansicht, das erstgerichtliche Verfahren sei mängelfrei geblieben, der Kläger selbst habe die Verlesung des Privatgutachtens nicht beantragt, er habe nur die Zulassung "als Beilage" beantragt, diesem Antrag habe das Erstgericht auch entsprochen.
Im übrigen wenden sich die Beklagten gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes über die Beweislastverteilung betreffend die notwendige Aufklärung und vertreten die Meinung, der Kläger habe die haftungsbegründende Tatsache der Unterlassung der nötigen Aufklärung zu behaupten und zu beweisen. Eine Ausnahme von dieser Grundsatzregel solle nicht gemacht werden, es sei auch zu berücksichtigen, daß jedermann bekannt sei, daß eine Operation mit Risken verbunden ist. Das Abweichen des Berufungsgerichtes von den bisher gültigen Beweislastregeln scheine nicht gerechtfertigt.
Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.
Grundsätzlich ist jede ärztliche Heilbehandlung, die mit einer Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist, als Körperverletzung und damit als Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes zu werten und somit rechtswidrig (SZ 59/18; SZ 62/18; Koziol, Haftpflichtrecht2 II 120; Holzer in Holzer-Posch-Schick, Arzt- und Arzneimittelhaftung in Österreich, 3). Erst die Zustimmung des Patienten rechtfertigt die rechtswidrige Verletzung der körperlichen Integrität (Holzer aaO, 5; Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht2, 157). Die Zustimmung des Patienten setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit aber eine vorangegangene entsprechende Aufklärung voraus (SZ 59/18; SZ 62/18; JBl. 1992, 520; Koziol, aaO, 120). Bei fehlender Wirksamkeit der Zustimmung des Patienten (infolge Unterbleibens gebotener Aufklärung) haftet der Arzt (und die den Behandlungsvertrag abschließende Krankenanstalt) auch bei kunstgerechter Operation für die dadurch entstandenen Schäden (SZ 62/18; Holzer aaO, 3 f mwN). Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes hat ganz allgemein der Schädiger zu beweisen (Holzer aaO, 23; Koziol, Haftpflichtrecht I2, 329). Entgegen der in der Entscheidung SZ 29/16 = EvBl. 1956/258 vertretenen Ansicht obliegt daher die Beweislast für die ausreichende Aufklärung dem Arzt und/oder dem Träger des Krankenhauses, mit dem der Behandlungsvertrag abgeschlossen wurde (Holzer aaO, 23; Giesen, Arzthaftungsrecht, 192; Deutsch, aaO, 157; Baumgärtel/Baumgärtel, Beweislast I2, Rz 44 zu § 823 BGB Anh C II). In der gegenteiligen Entscheidung SZ 29/16 wird zwar ausgesprochen, der Geschädigte sei dafür beweispflichtig, daß der behandelnde Arzt eine gebotene Aufklärung unterlassen hat, doch wird dies nicht weiter begründet. Auch Harrer (in Schwimann, ABGB, Rz 38 zu § 1300) gibt lediglich die zitierte Entscheidung wieder, ohne sich selbst mit dem Beweislastproblem auseinanderzusetzen. Entgegen der von Reischauer (in Rummel2, Rz 26 zu § 1299) vertretenen Ansicht geht es nicht darum, daß der geschädigte Patient als Anspruchsvoraussetzung die Unterlassung der notwendigen Aufklärung zu beweisen hat, sondern darum, daß der Arzt das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffes ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu behaupten und zu beweisen hat. Der erkennende Senat schließt sich daher der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht an, daß der Arzt und/oder der Rechtsträger der Krankenanstalt den Nachweis der rechtswirksamen Zustimmung des Patienten und damit den Nachweis der gebotenen Aufklärung zu erbringen haben.
Da die dem Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes zugrundeliegende Rechtsansicht richtig ist, kann der Oberste Gerichtshof nicht mehr weiter überprüfen, ob eine Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (E 49 zu § 519 ZPO in MGA14). Auf die Frage der Notwendigkeit der vom Berufungsgericht erteilten Aufträge zur Verfahrensergänzung ist daher nicht weiter einzugehen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.
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