OGH 8Ob626/87

OGH8Ob626/8715.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner, Dr. Huber und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hildegard B***, Pensionistin, In der Aichwiesen 29, 4040 Linz, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Ernst B***, Pensionist, Schiernersdorf 40, 4212 Neumarkt, vertreten durch Dr. Otto Haselauer und Dr. Klaus Steiner, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 96.000,-- sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12. Mai 1987, GZ 18 R 300/87-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 6. Februar 1987, GZ 2 C 11/87-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Prozeßkosten erster Instanz.

Text

Begründung

Mit der am 25. September 1986 erhobenen Klage begehrte Hildegard B*** vom Beklagten, ihrem geschiedenen Mann, die Bezahlung des Betrages von S 96.000,-- samt Anhang und behauptete: Ihre Ehe mit dem Beklagten sei gemäß § 55 EheG mit dem Ausspruch geschieden worden, daß diesen das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Der Beklagte habe sich mit gerichtlichem Vergleich verpflichtet, ihr einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in der Höhe von S 8.000,-- ab 1. März 1980 zuzüglich des Betrages der freiwilligen Weiterversicherung einer gesetzlichen Krankenversicherung zu bezahlen. Diesem Vergleich sei ein monatliches Nettoeinkommen des Beklagten von S 32.000,-- zugrundegelegen. Der Beklagte sei im August 1986 pensioniert worden und habe eine Abfertigung in der Höhe von brutto S 660.384,-- bzw. netto S 647.146,82 erhalten. Entsprechend dem Verhältnis der Bezüge des Beklagten und des Unterhaltsanspruches, jeweils in der bisherigen Höhe, gebühre ihr aufgrund dieser Abfertigung für den Zeitraum vom 1. August 1985 bis 30. Juli 1986 monatlich ein Unterhaltsmehrbetrag von weiteren S 8.000,--, woraus sich für den genannten Zeitraum der Klagebetrag ergebe. Sie, die Klägerin habe bereits seit 17. Oktober 1985 erfolglos versucht, mit dem Beklagten diesbezüglich eine vergleichsweise Regelung zu treffen. Im übrigen habe sie im Hinblick auf den ihr aus der Abfertigung des Beklagten erwarteten höheren Unterhaltsanspruch Ausgaben, insbesondere für einen Urlaub am Gardasee, vorgenommen, sodaß der geltend gemachte Betrag auch aus dem Grund des Aufwandersatzes geschuldet werde. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Es handle sich um eine unzulässige, rückwirkende Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin keine Folge und sprach aus, daß die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

Die Vorinstanzen gingen bei ihren Entscheidungen von folgendem außer Streit gestellten Sachverhalt aus:

Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 13. Juli 1979, 5 Cg 101/78, gemäß § 55 EheG rechtskräftig mit dem Ausspruch geschieden, daß den klagenden Ehemann das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Am 20. Jänner 1980 schlossen die Parteien vor dem Bezirksgericht Linz zu 21 C 104/80 einen Vergleich, wonach sich der beklagte geschiedene Ehemann verpflichtete, ab 1. März 1980 der Klägerin monatlich S 8.000,-- an Unterhalt und die monatlichen Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung in der jeweiligen gesetzlichen Höhe zu bezahlen. Bei diesem Vergleich gingen die Streitteile von einem monatlichen Nettoeinkommen des Beklagten von S 32.000,-- aus. Die vom Beklagten aus Anlaß seiner Pensionierung bezogene Abfertigung betrug S 647.146,82; sie wurde für den Zeitraum vom 1. August 1985 bis 31. Juli 1986 bezogen. Von den Streitteilen wurden seit 17. Oktober 1985 Bemühungen unternommen, über den klagegegenständlichen Anspruch eine vergleichsweise Regelung zu erzielen. Mit Schreiben vom 28. Oktober 1985 bot der Beklagte an, für den Zeitraum vom November 1985 bis einschließlich Juli 1986 abweichend von der bisherigen Regelung einen um S 4.000,-- monatlich höheren Unterhaltsbetrag zu leisten. Die Klägerin schlug demgegenüber eine Erhöhung der Unterhaltsleistung für den angegebenen Zeitraum um S 8.000,-- monatlich vor, worauf der Beklagte die Bezahlung eines Betrages von insgesamt S 45.000,-- anbot. Schließlich erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 4. August 1986, seinen Vergleichsvorschlag nicht mehr aufrechterhalten zu wollen.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, daß nach der ständigen Rechtsprechung zu § 1418 ABGB Unterhalt für die Vergangenheit nicht gefordert werden könne und der vorliegende Sachverhalt auch keinen Anwendungsfall einer ausnahmsweise zulässigen rückwirkenden Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches darstelle. Auch die erfolglos gebliebenen außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen vermöchten daran nichts zu ändern, da es für die Beurteilung der Frage des Vorliegens einer rückwirkenden Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen auf den Zeitpunkt ankomme, in dem das Begehren bei Gericht anhängig gemacht worden sei.

Das Berufungsgericht hielt den in der Rechtsrüge der Berufung im Zusammenhang mit § 1042 ABGB erstatteten Ausführungen entgegen, daß diese Bestimmung keine Anwendung finden könne, weil die Klägerin keinen Aufwand gemacht habe, den der Beklagte nach dem Gesetz oder auch auf Grund einer vertraglichen Verpflichtung selbst hätte tragen müssen. Der Berufungswerberin sei jedoch zuzugeben, daß die übrigen zum Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung vorgebrachten Argumente, die im wesentlichen die Ausführungen Koziols in JBl 1978, 626 ff wiedergäben, viel für sich hätten. Das Berufungsgericht vermöge sich jedoch diesen Argumenten dennoch nicht anzuschließen, weil die ständige höchstgerichtliche Judikatur (SZ 32/172, 44/29, 53/57) den Grundsatz, daß für die Vergangenheit kein Unterhalt gewährt werden könne, nach wie vor aufrecht erhalte. Da auch keine Umstände vorlägen, die ausnahmsweise ein Abgehen vom Grundsatz, daß für die Vergangenheit kein Unterhalt gewährt werden könne, rechtfertigen könnten, sei der Berufung ein Erfolg zu versagen gewesen.

Die Zulassung der Revision begründete das Berufungsgericht mit den von der Lehre verschiedentlich geäußerten Bedenken zur Frage der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für die Vergangenheit; da diese Bedenken gewichtig seien, die Rechtsprechung schon Ausnahmen vom Grundsatz "pro praeterito nemo alitur" zugelassen habe und eine Tendenz zur Abkehr von der ausnahmslosen Anwendung des genannten Grundsatzes vorzuliegen scheine, komme der Lösung dieser Rechtsfrage zur Wahrung der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin wegen Unerheblichkeit der Rechtsfrage zu verwerfen, hilfsweise begehrte er, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die Entscheidung hängt zwar nicht von der Lösung der vom Berufungsgericht und von der Revisionswerberin als erheblich erachteten Rechtsfrage, wohl aber von einer anderen erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts ab, die von den Vorinstanzen unrichtig gelöst wurde. Die Vorinstanzen gingen nämlich zu Unrecht von der Relevanz des von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bisher vertretenen Grundsatzes aus.

Unterhaltsansprüche könnten für die Vergangenheit nicht gestellt werden. Dieser hier unrichtig gelösten - nicht den Bemessungskomplex betreffenden - Rechtsfrage kommt erhebliche Bedeutung iS des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu.

In der Revision hält die Klägerin an ihrem Standpunkt fest, der seit über einhundert Jahren vertretene Satz, "pro praeterito nemo alitur" ließe sich aus dem Gesetz nicht ableiten und sei daher abzulehnen. Dem ist wohl beizupflichten; mit der Entscheidung vom 9. Juni 1988, 6 Ob 544/87, gelangte der gemäß § 8 Abs 1 Z 1 OGHG verstärkte 6. Senat in Abgehung von der bis dahin ständigen Rechtsprechung zu dem Ergebnis, daß im österreichischen Recht eine allgemeine gesetzliche Regelung fehle, nach der ein auf Grund des Gesetzes beruhender Anspruch auf Unterhaltsleistung in Geld für Zeiten vor der gerichtlichen Geltendmachung nicht mehr eingefordert werden dürfe, weshalb Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden könnten (Voraussetzung sei allerdings, daß der Unterhaltsanspruch noch nicht erloschen sei); solche Unterhaltsansprüche unterlägen nur der Verjährungsregel des § 1480 ABGB. Dieser grundlegenden Änderung der Rechtsprechung kommt aber für den vorliegenden Fall keine Bedeutung zu, denn sie gilt nicht für den Anwendungsbereich der Sonderregelung des § 72 EheG, also für gesetzliche Unterhaltsansprüche eines geschiedenen Ehegatten. Um einen solchen Unterhaltsanspruch handelt es sich hier offenbar. Den dem Beklagten obliegenden Unterhaltsleistungen liegt zwar kein Urteil, sondern ein gerichtlicher Vergleich zugrunde;

Unterhaltsvereinbarungen ändern den Charakter des Unterhalts als eines gesetzlichen aber dann nicht, wenn sie den gesetzlichen Anspruch bloß konkretisieren (Koziol-Welser, II8 233 mwH in FN 172;

Schwind, Das Familienrecht, im Ehrenzweig System3, 126 f; Pichler in Rummel ABGB Rz 1 zu § 80 EheG OGH in EFSlg 31.765, 34.443;

EvBl 1982/169). Wie den Akten 1 Ob 636/81 des Obersten Gerichtshofes zu entnehmen ist, lag dem von den Parteien im Verfahren des Bezirksgerichtes Linz zu AZ 21 C 104/80 geschlossenen Vergleich die Behauptung der Klägerin zugrunde, das monatliche Nettoeinkommen ihres geschiedenen Ehemannes habe sich gegenüber jenem Einkommen, das für das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 30. Jänner 1979, (mit dem ihr schon während aufrechter Ehe ein monatlicher Unterhaltsbetrag von S 6.000,-- zugesprochen worden sei) maßgeblich gewesen sei, auf S 32.000,-- erhöht. Nach Anerkennung eines monatlichen Unterhaltsanspruches von S 8.000,-- und seiner grundsätzlichen Verpflichtung, die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung zu bezahlen, durch den Beklagten beantragte dieser Kostenzuspruch nach § 45 ZPO. Darauf schlossen die Parteien in derselben Tagsatzung den von den Vorinstanzen festgestellten Unterhaltsvergleich. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß sich dieser Unterhaltsvergleich im Rahmen der gesetzlichen Unterhaltsbestimmungen bewegt hat - die Ehe wurde ja gemäß § 55 Abs 3 EheG mit dem Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG mit der Wirkung geschieden, daß der Klägerin auch weiterhin Unterhalt nach § 94 ABGB gebührt - und nur in diesem Rahmen eine Fixierung und Konkretisierung des gesetzlichen Unterhaltsanspruches vorgenommen wurde. Auf den von der Klägerin nun behaupteten, auf eine weitere Änderung des Einkommens des Beklagten gestützten Anspruch auf höheren Unterhalt findet demnach die Sonderregelung des § 72 EheG Anwendung.

Nach dieser Bestimmung kann ein geschiedener Ehegatte für die Vergangenheit Unterhalt oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung der Unterhaltspflicht (erst) von der Zeit an fordern, zu der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig, dh bei Gericht anhängig (§ 41 JN) (vgl Schwind in Klang2 I/1, 894; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 72 EheG) geworden ist. Für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit zurückliegende Zeit kann Unterhalt nur gefordert werden, wenn anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat; dann gilt für die Verjährung § 1480 ABGB (vgl Pichler, aaO).

Auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse kann die Frage der Erfüllung dieser Voraussetzungen für die rückwirkende Geltendmachung der von der Klägerin als geschiedene Ehefrau des Beklagten behaupteten Unterhaltsansprüche aber noch nicht beantwortet werden. Es läßt sich nämlich nicht beurteilen, wann die Klägerin den ihr - ihrer Ansicht nach - in höherem Ausmaß zustehenden Unterhalt betragsmäßig bestimmt eingemahnt hat. Denn es steht - dem Parteienvorbringen entsprechend - nur fest, daß die Klägerin seit ihrem Schreiben vom 17. Oktober 1985 (somit noch innerhalb eines Jahres vor Einbringung der Klage) "versucht" hat, mit dem Beklagten diesbezüglich eine "vergleichsweise Regelung" zu treffen; wann sie ihre Ansprüche - abgesehen von den Vergleichsverhandlungen - (außergerichtlich) tatsächlich konkretisiert geltend gemacht und damit den Verzug des Beklagten iS des § 72 EheG ausgelöst hat (vgl Pichler, aaO), wurde nicht festgestellt. Solange aber nicht gesagt werden kann, wann der Beklagte in Verzug geraten ist, ist die Rechtssache nicht spruchreif. Da im bisherigen Verfahren die Bestimmung des § 72 EheG völlig unbeachtet blieb, ist den Parteien Gelegenheit zu geben, ihr Vorbringen und gegebenenfalls ihre Beweisanträge zu ergänzen. Es bedarf somit einer Ergänzung der Verhandlung in erster Instanz, weshalb in Stattgebung der Revision die Rechtssache unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuen Entscheidung zurückverwiesen werden muß. Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.

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