OGH 8Ob619/85

OGH8Ob619/8523.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Raimund N*****, vertreten durch Dr. Sieglinde Schubert, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wilhelmine N*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 7. Mai 1985, GZ 11 R 78/85‑145, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 18. Jänner 1985, GZ 17 Cg 31/81‑138, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00619.850.0123.000

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben; dem Gericht zweiter Instanz wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Mit dem rechtskräftigen Teilurteil vom 1. 3. 1984 wurde die am 29. 9. 1971 vor dem Standesamt Wien‑Penzing geschlossene und im Familienbuch unter Nr. 1162/1971 beurkundete Ehe der Streitteile gemäß § 55 Abs. 1 EheG mit der Wirkung geschieden, daß sie mit der Rechtskraft dieses Teilurteiles aufgelöst wurde.

Dem Teilurteil war die Erklärung des Klägers vorausgegangen, daß er dessen Erlassung deshalb begehre, weil die eheliche Gemeinschaft mit der Beklagten seit 13. 1. 1981, also seit 3 Jahren, aufgehoben sei und die Frage der Zerrüttung der Ehe bereits feststehe. Hingegen könne „über das Verschulden derzeit nicht gesprochen werden, weil noch kein ausgiebiges Beweisverfahren darüber abgeführt worden“ sei (Schriftsatz ON 108, Tagsatzungsprotokoll ON 114). Die Parteien stellten außer Streit, daß die eheliche Gemeinschaft zwischen ihnen am 13. 1. 1981 aufgehoben und seither nicht wieder hergestellt wurde (AS 49). Beide Teile erklärten in der Parteienvernehmung, daß sie ihre Ehe für unheilbar zerrüttet hielten. Nach Erlassung des oben dargestellten Teilurteiles auf Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs. 1 EheG erklärten beide Streitteile, auf eine Berufung gegen das Teilurteil zu verzichten (AS 52). Zu dem bisher auf die §§ 47 und 49 EheG gestützten Scheidungsbegehren wurde nichts vorgebracht. In der Ausfertigung des Teilurteiles (ON 115) wurde im Spruch darauf hingewiesen, daß der Verschuldensausspruch und die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten bleiben. Das Endurteil lautete schließlich dahin, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe beide Ehegatten zu gleichen Teilen treffe und die Kosten gegeneinander aufgehoben werden (ON 138). In den Entscheidungsgründen wurde dargelegt, daß die Abwägung der beiderseits begangenen Eheverfehlungen das gleichteilige Verschulden der Streitteile an der eingetretenen unheilbaren Zerrüttung ihrer Ehe ergebe, weshalb sich der Verschuldensausspruch auf § 60 Abs. 2 EheG gründe.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Streitteile nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Endurteil „mit der Maßgabe, daß der erste Absatz des Spruches (Feststellung des gleichteiligen Verschuldens) zu entfallen“ habe. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes habe der Kläger in der Tagsatzung vom 1. 3. 1984 sein Scheidungsbegehren nur mehr auf § 55 Abs. 1 EheG gestützt und das auf §§ 47 und 49 EheG beruhende Scheidungsbegehren fallen gelassen. Es käme daher nur mehr ein Ausspruch nach § 61 Abs. 3 EheG in Betracht, wofür aber kein Anlaß bestehe, weil aus den Feststellungen nicht abgeleitet werden könne, daß die Zerrüttung der Ehe vom Kläger allein oder überwiegend verschuldet wurde. Da bei dem gegebenen gleichteiligen Verschulden der Parteien ein Verschuldensausspruch nach § 61 Abs. 3 EheG zu unterbleiben habe, sei der Schuldausspruch aus dem Endurteil zu eliminieren gewesen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers, die er auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs. 1 Z 3 und 4 ZPO stützt und in welcher er beantragt, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe allein oder im überwiegenden Ausmaß die Beklagte trifft (§§ 47, 49 EheG). Die Beklagte macht die Revisionsgründe der Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit, Aktenwidrigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteils dahin, daß das alleinige, zumindest aber das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe gemäß § 61 Abs. 3 EheG festgestellt werde und daß das (allenfalls) noch nicht erledigte Begehren nach §§ 47, 49 EheG des Klägers abgewiesen werde. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien, dem Rechtsmittel der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind berechtigt.

Beide Teile stellen sich zunächst auf den Standpunkt, daß das Scheidungsbegehren des Klägers nach §§ 47, 49 EheG noch aufrecht sei. Der Kläger macht die gegenteiligen Ausführungen des Berufungsgerichtes auch ausdrücklich als Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Hiezu war zu erwägen:

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt vor, wenn das Berufungsgericht den Inhalt eines Parteienvorbringens unrichtig wiedergibt und infolgedessen in einem wesentlichen Punkt ein fehlerhafter Sachverhalt festgestellt oder seine Feststellung unterlassen wurde (1 Ob 626/80; 8 Ob 538/81 ua). Dies trifft hier insofern zu, als dem Kläger zu Unrecht unterstellt wurde, daß er sein auch auf die §§ 47, 49 EheG gestütztes Scheidungsbegehren „wie sein Vorbringen zeigt“ fallen gelassen habe. Ein solches Vorbringen hat der Kläger in der bezogenen Tagsatzung vom 1. 3. 1984 nicht erstattet. Auch aus dem Berufungsantrag (AS 245) kann dies nicht erschlossen werden, weil er (wenn auch unter unrichtiger Zitierung des § 61 Abs. 3 EheG) jedenfalls auf Abänderung der Entscheidung des Erstgerichtes dahin lautete, daß das alleinige oder überwiegende Verschulden der Beklagten ausgesprochen werde. Im übrigen könnte auch aus der Tatsache, daß der Kläger ein Teilurteil unter Zitierung bloß des § 55 Abs. 1 EheG beantragt hat, noch nicht geschlossen werden, daß er sein Scheidungsbegehren nach §§ 47, 49 EheG fallengelassen hat.

Für den österreichischen Rechtsbereich besteht der Grundsatz der Einheitlichkeit des Scheidungsverfahrens nicht (EvBl. 1975/291; 6 Ob 592/84 ua). Es ist zwar richtig, daß im Falle einer Klage wegen Scheidung der Ehe zufolge eines bestimmten Verhaltens im Sinne des § 49 EheG ein Teilurteil nicht auf Scheidung allein ergehen kann, weil der Schuldausspruch einen notwendigen Teil des Erkenntnisses bildet (EvBl 1975/291; 8 Ob 661, 662/85 ua). Ungeachtet dieser Konsequenz ist aber zu beachten, daß bei der letzten Neuregelung des Eheverfahrens (BGBl. Nr. 566/1983) zwar eine Urteilsfällung im Sinne der §§ 394, 395 und 442 ZPO ausgeschlossen (§ 460 Z 9 ZPO), trotz der bestehenden Rechtsübung aber keine Sonderregelung zu § 391 ZPO getroffen wurde (6 Ob 592/84 ua). Für das Teilurteil im Sinne des § 55 Abs. 1 EheG gilt also der zu § 49 EheG oben dargelegte Grundsatz nicht, sodaß es an sich zulässig war, die Scheidung der Ehe nach § 55 Abs. 1 EheG mit Teilurteil auszusprechen und die Behandlung der Frage des Mitverschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe im Sinne des § 61 Abs. 3 EheG dem Endurteil vorzubehalten.

Es war darüber hinaus auch nicht verfehlt, zunächst über den Scheidungsgrund nach § 55 Abs. 1 EheG zu verhandeln und erst nach dessen (teilweiser) Erledigung auf das offen gebliebene Scheidungsbegehren nach §§ 47, 49 EheG einzugehen, wie es dies das Erstgericht tat. Stellt der Kläger die Reihenfolge der beiden geltend gemachten Scheidungsgründe nicht einwandfrei klar, ist zwar anzunehmen, daß die Verschuldensgründe vor den anderen den Vorrang haben sollten (SZ 43/150; 3 Ob 170/73 ua); es ist aber auch eine Reihung des Scheidungsgrundes nach § 55 EheG vor dem des § 49 EheG (§ 47 EheG) zulässig und für das Gericht bindend (5 Ob 345/60; 8 Ob 43/62; 3 Ob 170/73 ua). Eine solche Reihung liegt aber hier nicht vor. Das gefällte Teilurteil kann daher nur dahin verstanden werden, daß damit der geltend gemachte Anspruch nach § 55 Abs. 1 EheG nicht endgültig festgelegt wurde, sondern vielmehr noch offen blieb, ob nicht die an sich ausgesprochene Scheidung aus den Gründen der §§ 47, 49 EheG zum Tragen kommt.

Demgemäß ist das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren auf die offen gebliebenen Scheidungsgründe nach §§ 47, 49 EheG eingegangen und hat darüber die oben dargestellte Entscheidung getroffen. Es hat in den Gründen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich der Verschuldensausspruch (nicht auf § 61 Abs. 3 EheG wie vom Berufungsgericht unterstellt), sondern auf § 60 Abs 2 EheG gründete (S. 14 des Ersturteiles). Offen ließ es allerdings (zumindest spruchgemäß) den von der Beklagten weiterhin aufrecht erhaltenen Antrag nach § 61 Abs. 3 EheG, zum Scheidungsausspruch nach § 55 Abs. 1 EheG das alleinige oder überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung auf Grund der aktenwidrigen Annahme, der Kläger habe das Begehren nach §§ 47, 49 EheG fallen gelassen, nur mehr auf die Frage des § 61 Abs. 3 EheG abgestellt. Es hat sich mit den vom Erstgericht und von beiden Parteien zutreffend als noch offen betrachteten Fragen der Scheidungsgründe nach §§ 47, 49 EheG und des Antrages nach § 60 Abs. 2 EheG nicht befaßt. Dies wird es im fortgesetzten Verfahren nachzuholen haben. Dabei wird zu beachten sein, daß bei der Relation der §§ 60 Abs. 2 und 61 Abs. 3 EheG zueinander tunlichst über den Gesamtkomplex der noch offen gebliebenen Ansprüche abzusprechen sein wird, weshalb eine Präjudizierung der Aussprüche nach §§ 47, 49 EheG und § 60 Abs. 2 EheG durch eine Teilerledigung nach § 61 Abs. 3 EheG hier nicht zielführend erscheint.

Davon, daß das Berufungsurteil auch noch nichtig gemäß § 477 Abs. 1 Z 9 ZPO wäre, weil es nach Ansicht der Beklagten mit sich selbst im Widerspruch stünde, kann jedoch nicht die Rede sein. Das Gericht zweiter Instanz hat vielmehr seinen Entscheidungswillen klar zum Ausdruck gebracht; daß es dabei den Ausführungen des Klägers einen im Akteninhalt nicht gedeckten Sinn unterstellte, bedeutet keinen Verstoß gegen § 477 Abs. 1 Z 9 ZPO, sondern war nur im Rahmen der im übrigen von beiden Parteien ausdrücklich (Kläger) bzw. inhaltlich (Beklagte) geltend gemachten Aktenwidrigkeitsrüge entsprechend wahrzunehmen.

Beiden Revisionen war somit Folge zu geben, das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und ihm die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 52 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte