OGH 8Ob603/92

OGH8Ob603/9224.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Werner T*****, vertreten durch Dr.Josef Raffl, Rechtsanwalt in Bad Ischl, wider die Antragsgegner 1. Adolf M*****, und 2. Christine M*****, vertreten durch Dr.Karl Wilfinger, Rechtsanwalt in Bad Aussee, wegen Einräumung eines Notweges, infolge Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 13.Juli 1992, GZ R 70/92-15, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Bad Aussee vom 20.12.1991, GZ Nc 18/91-11, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsteller ist schuldig, den Antragsgegnern die mit S 2.243,34 (einschließlich S 373,89 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Antragsteller erwarb mit Kaufvertrag vom 9.7.1980 von August M***** die Liegenschaft EZ 589 KG G*****, bestehend aus den Grundstücken 614/3 und 614/4. Diese Liegenschaft hat keine Zufahrt zum öffentlichen Wegenetz. Eine Zufahrt ist über das Grundstück 611/1 (EZ 53 KG G*****) möglich; dieses steht je zur Hälfte im Eigentum der Antragsgegner. Rechtsvorgänger im Eigentum der Antragsgegner waren Emilie G***** zu 1/4 und deren Mutter zu 3/4.

Der Antragsteller begehrt, ihm zur Erreichung seiner Liegenschaft einen Notweg über das Grundstück 611/1 in Form einer Dienstbarkeit des Fahrrechtes einzuräumen. Er brachte dazu vor, sein Rechtsvorgänger habe ihm die Liegenschaft mit dem Hinweis verkauft, daß anläßlich einer von ihm seinerzeit in die Wege geleiteten Bauverhandlung die Zufahrtsmöglichkeit zu der Liegenschaft über das Grundstück 611/1 vereinbart worden sei. Die seinerzeitige Eigentümerin des Grundstückes 611/1, Emilie G*****, habe die Zufahrtsmöglichkeit ausdrücklich zugesagt, dies sei im Kommissionsprotokoll der Gemeinde G***** vom 14.5.1963 ausdrücklich protokolliert worden. Da das damals beabsichtigte Bauvorhaben in der Folge nicht mehr weiter betrieben worden sei, sei es auch nicht zur Verbücherung des mündlich vereinbarten Fahrtrechtes gekommen. Die Rechtsnachfolger von Emilie G***** (Antragsgegner) seien nicht mehr bereit, ihm das Zufahrtsrecht einzuräumen.

Die Antragsgegner wendeten ein, den Antragsteller und seinen Besitzvorgänger treffe offensichtlich eine auffallende Sorglosigkeit. Bei Einräumung eines Notweges müßten sie schwerwiegende Nachteile in Kauf nehmen, die ihnen nicht zugemutet werden könnten. Da der Antragsteller eine mündliche Vereinbarung über die Einräumung eines Fahrtrechtes zwischen den Rechtsvorgängern behaupte, sei der Antrag auf Einräumung eines Notweges verfehlt. Frau Emilie G***** sei aber nur zu einem Viertel Miteigentümer jener Parzelle gewesen, über die der beantragte Notweg führen soll, sie sei daher nicht legitimiert gewesen, eine Vereinbarung über die Einräumung eines Zufahrtsrechtes zu treffen. Schließlich besitze die Liegenschaft des Antragstellers an der Westgrenze eine Wegeverbindung zum öffentlichen Wegenetz, die für die Zwecke der bisherigen Bewirtschaftung oder Benutzung vollauf genüge. Eine Änderung der Nutzungsabsicht könne die Einräumung der Wegeverbindung in Form einer Zufahrt nicht rechtfertigen.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Einräumung eines Notweges ab. Es traf weiters noch folgende wesentliche Feststellungen:

Im Jahre 1963 hat August M***** bei der Gemeinde G***** um die Genehmigung der Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück 614/3 angesucht. Damals wurde auch die Frage der Verbindung dieses Grundstückes mit dem öffentlichen Wegenetz erörtert. In einem Kommissionsprotokoll der Gemeinde G***** vom 14.5.1963 wurde festgehalten, die Zufahrt sei durch Vereinbarung mit den Grundnachbarn gegeben, es sei vor Baubeginn eine Abschrift der privatrechtlichen Vereinbarung zwischen dem Bauwerber und Emilie G***** vorzulegen. Eine derartige Abschrift wurde jedoch nicht vorgelegt, sie findet sich auch nicht im Bauakt der Gemeinde G*****. Eine Baubewilligung wurde zwar erteilt, sie wurde jedoch nicht ausgenützt und ist durch Fristablauf erloschen. Von diesem Kommissionsprotokoll hat der Antragsteller vor dem Kauf der Liegenschaft Kenntnis erlangt. August M***** verkaufte - vermutlich im Jahre 1976 - die Liegenschaft EZ 589 KG G***** an Gerhard M*****. Der Kaufvertrag wurde jedoch wieder rückgängig gemacht, weil Emilie G***** die Zufahrt über das Grundstück 611/1 nicht gestattete. Auch davon hat der Antragsteller vor Kauf der Liegenschaft Kenntnis erlangt.

Eine Zufahrt zu den Parzellen 614/3 und 614/4 hat es nie gegeben, diese Parzellen waren (und sind) von Südwesten her über einen Fußweg zu erreichen.

Das Erstgericht war der Rechtsansicht, sowohl August M***** als auch der Antragsteller hätten auffallend sorglos im Sinne des § 2 Abs.1 zweiter Fall NotwegeG gehandelt. Ersterer habe sich nie um eine Sicherstellung seiner Vereinbarung mit Emilie G***** bemüht, letzterer habe die Liegenschaft erworben, obwohl er Kenntnis davon hatte, daß keine Zufahrtsmöglichkeit bestehe.

Das vom Antragsteller angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es führte aus, daß der Antragsteller eine allfällige grobe Fahrlässigkeit seines Rechtsvorgängers nicht zu vertreten habe. Zutreffend sei aber die Ansicht des Erstgerichtes, daß dem Antragsteller selbst auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen sei. Diese sei darin gelegen, daß er die Liegenschaft kaufte, obwohl er wußte, daß es Gerhard M***** nicht gelungen war, ein Zufahrtsrecht zur Liegenschaft durchzusetzen. Unter diesen Umständen hätte er mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß allfällige, seinerzeit mündlich vereinbarte Zufahrtsrechte nicht mehr beweisbar oder nicht mehr existent seien. Es hätte ihm klar sein müssen, daß mündliche Vereinbarungen betreffend das Wegerecht an einer Liegenschaft nicht ohneweiters die Rechtsnachfolger binden. Dies sei ihm auch offensichtlich völlig klar, sonst hätte er nicht den Versuch unternommen, einem Zivilprozeß auf Einräumung des vereinbarten Wegerechts auszuweichen.

Das Rekursgericht bewertete den Streitgegenstand mit über 50.000,-- S und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil relevante Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers aus den Rekursgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß abzuändern und dem Antrag auf Einräumung eines Notweges stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegner beantragten, dem Rechtsmittel des Antragstellers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Rekursgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geprüft, er ist nicht gegeben (§ 16 Abs.3 AußStrG, § 510 Abs.3 ZPO).

Eine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt der Antragsteller darin, daß ihm die Vorinstanzen grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 2 Abs.1 2.Fall NotwegeG vorgeworfen haben. Der Umstand, daß die Personen, zwischen denen Vereinbarungen hinsichtlich der Zufahrtsmöglichkeiten getroffen wurden, infolge Todes oder mangelnder Artikulationsfähigkeit nicht mehr befragt werden könnten und sohin verschiedene Punkte nicht mehr klärbar seien, stelle keine auffallende Sorglosigkeit dar. Vom Protokoll vom 14.5.1963 und der darin getroffenen Vereinbarung habe der Antragsteller durch Mitteilung des Voreigentümers Kenntnis erlangt, er habe sich in der Folge erkundigt und sei ihm auch von der Baubehörde diese Vereinbarung bestätigt worden. Zu weiteren Handlungen sei er nicht verpflichtet gewesen. Daß sich der Antragsteller erst jetzt mit dem Gedanken befaßt habe, seine Grundstücke zu bebauen und vorher die Frage der Zufahrt klären wolle, sei nur verständlich. Die Untätigkeit vor Einbringung des gegenständlichen Antrages könne ihm nicht als auffallende Sorglosigkeit angelastet werden. Die Grundstücke des Antragstellers seien als Baugrundstücke gewidmet, er habe daher bei Kaufvertragsabschluß davon ausgehen können, daß die Zufahrtsmöglichkeit zu seinem Grundstück gewahrt sei. Die Frage sei erst durch die nunmehr konkret gewordenen Bauabsichten aktuell geworden.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 1 Abs.1 NotwegeG kann der Eigentümer einer Liegenschaft, die der für die Zwecke einer ordentlichen Bewirtschaftung oder Benützung nötigen Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetze entbehrt, sei es, daß eine Wegeverbindung gänzlich mangelt oder daß sie unzulänglich erscheint, die gerichtliche Einräumung eines Notweges begehren. Gemäß § 2 Abs.1 leg. cit. ist das Begehren unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung sind die Bestimmungen des NotwegeG einschränkend auszulegen und es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß der Erwerber eines Grundstückes für dessen hinreichende Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz selbst Vorsorge treffen und die diesbezüglichen Erfordernisse für eine ordentliche Benützung und Bewirtschaftung schon bei seiner Planung in Rechnung zu stellen hat (RZ 1989/45).

Im vorliegenden Falle ist davon auszugehen, daß die Liegenschaft des Antragstellers einen Zugang (wenngleich keine Zufahrt) zum öffentlichen Wegenetz aufweist. Daß dieser Zugang für die Zwecke der derzeitigen Bewirtschaftung (Wiese) unzulänglich sei, wurde vom Antragsteller nicht behauptet und ergibt sich auch nicht aus den Feststellungen der Vorinstanzen; schließlich hat der Antragsteller durch mehr als 10 Jahre mit diesem Zugang das Auslangen gefunden. Unrichtig ist die Behauptung im Revisionsrekurs, bei der Liegenschaft handle es sich um Bauland. Gemäß § 2 der Steiermärkischen Bauordnung bedarf die Widmung von Grund zu einem Bauplatz der Bewilligung der Baubehörde. Diese darf nur dann erteilt werden, wenn eine geeignete Zufahrtsmöglichkeit von einer öffentlichen Verkehrsfläche gesichert ist (§ 1 Abs.2 leg. cit.). Die Baubewilligung aus dem Jahre 1963 ist durch Zeitablauf längst abgelaufen. Bereits in dieser war aber darauf hingewiesen worden, daß vor Baubeginn eine privatrechtliche Vereinbarung über die Zufahrtsmöglichkeit vorgelegt werden müsse. Dem Antragsteller war vor seinem Ankauf bekannt, daß ein im Jahre 1976 geschlossener Kaufvertrag betreffend dieses Grundstück gerade deswegen rückgängig gemacht wurde, weil die seinerzeitige Zusage der Gestattung der Zufahrt widerrufen worden war.

Das Vorliegen einer auffallenden Sorglosigkeit ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (1 Ob 585/89; 8 Ob 502/89 uva). Sie kann insbesondere auch dann gegeben sein, wenn der Antragsteller eine Widmungsänderung hinsichtlich seiner Liegenschaft durchzuführen beabsichtigt, wodurch ein Bedarf nach einer Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz, allenfalls auch in einer neuen, erweiterten Form, hervorgerufen wird (4 Ob 529/79; 1 Ob 649/84). Der vorliegende Antrag auf Einräumung eines Notweges dient der Realisierung der beabsichtigten Änderung der Widmung der Liegenschaft von Wiese auf Bauplatz. Er kann daher, wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, auf Grund der gesamten Umstände wegen Vorliegens auffallender Sorglosigkeit nicht bewilligt werden.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf § 25 NotwegeG; gemäß § 14 RATG war von einem Streitwert von 10.000,-- S auszugehen.

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