OGH 8Ob602/88

OGH8Ob602/8827.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gebhard Johannes R***, geboren am 9. Oktober 1940 in Au, Vorarlberg, Angestellter, Lehargasse 14, 6850 Dornbirn, vertreten durch Dr. Franz Bernhard und Dr. Melchior Bechter, Rechtsanwälte in Bregenz, wider die beklagte Partei Wilhelmine R***, geborene B***, geboren am 28. Juni 1948 in Dornbirn, Hausfrau, Sebastianstraße 2 a, 6850 Dornbirn, vertreten durch Dr. Kurt Martschitz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 13. April 1988, GZ 1 a R 167/88-25, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 25. Jänner 1988, GZ C 2002/87-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Scheidung seiner am 15. Mai 1970 geschlossenen Ehe mit der Beklagten aus deren Alleinverschulden und bringt als Ehescheidungsgründe gemäß den §§ 47 und 49 EheG vor: Die Beklagte sei seit Anfang des Jahres 1986 abends allein ausgegangen, habe in zunehmendem Maße die Freizeit getrennt von ihm verbracht und schließlich im Juni 1986 vorgeschlagen, der Kläger möge für kurze Zeit die Ehewohnung verlassen, denn sie wolle sich besinnen und benötige eine Denkpause. Da die Beklagte ausdrücklich versichert habe, keine Beziehungen zu einem anderen Mann zu unterhalten, habe der Kläger ihrem Wunsch entsprochen und sei davon ausgegangen, daß sich hieraus eine Beruhigung und Besserung der Situation ergeben würde. Tatsächlich habe ihn die Beklagte jedoch nur getäuscht, um Beziehungen zu anderen Männern, insbesondere zu Othmar G***, unterhalten zu können. Trotz sofortiger Aufforderung durch den Kläger, diese Beziehungen abzubrechen und den Kläger wieder in die Wohnung aufzunehmen, unterhalte die Beklagte ihre ehewidrigen Beziehungen weiterhin und verweigere dem Kläger beharrlich die Aufnahme in die Ehewohnung, in welcher nun zeitweise Othmar G*** wohne. Die Ehe der Streitteile erscheine solcherart unheilbar zerrüttet.

Die Beklagte stellte einen Mitverschuldensantrag und begehrt die Scheidung der Ehe der Streitteile aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers. Dieser habe es in den letzten Jahren an der ehelichen Gesinnung fehlen lassen, die Beklagte und die drei ehelichen Kinder vernachlässigt, sich seinen Hobbies, insbesondere dem zur Einschränkung des Lebensstandards führenden Bau eines nicht benötigten Einfamilienhauses, gewidmet, gegenüber der Beklagten mit seinen Erfolgen bei Frauen geprahlt und sie vor fremden Personen als "Eisberg" bezeichnet. Der Kläger neige zur Rechthaberei und habe fast jeden Tag grundlos irgendetwas an der Tätigkeit der Beklagten auszusetzen. Insbesondere habe er die Angewohnheit, sie in Gesellschaft in kränkender Weise zu korrigieren. Schon die erste Ehe des Klägers sei hauptsächlich an seinem Nörglertum und seiner Rechthaberei gescheitert. Wegen dieser Behandlung durch den Kläger sei die Beklagte einmal zu ihren Eltern zurückgekehrt und im Jahre 1986 neuerlich nervlich so weit gewesen, daß sie mit dem Kläger notariell eine einjährige Trennung vereinbart habe. Zu anderen Männern unterhalte sie keine ehewidrigen Beziehungen. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Beklagten. Es traf folgende wesentliche Sachverhaltsfeststellungen: Die Streitteile wohnten zuerst in der Schweiz und ab Ende des Jahres 1970 in Dornbirn. Das Eheklima wurde bald durch den Umstand stark belastet, daß es zwischen der damals 6-jährigen Tochter des Klägers aus seiner ersten Ehe namens Gabriele und der Beklagten Unstimmigkeiten gab. Diese zog deswegen zu ihren Eltern und kehrte erst zum Kläger zurück, als er sein Kind auf einen Pflegeplatz und schließlich in ein Kinderdorf gab. Im Jahre 1972 bezogen die Streitteile eine Eigentumswohnung, deren Eigentümerin die Beklagte allein wurde. Die Eltern der Beklagten und andere ihrer Verwandten wollten im Bregenzerwald ein Ferienhaus errichten und die Streitteile zu einer Beteiligung hieran animieren, der Kläger entschied sich jedoch für ein eigenes Projekt; dies führte zu Unstimmigkeiten mit den Eltern und Verwandten der Beklagten und belastete auch das Verhältnis zwischen den Streitteilen. Im Jahre 1977 erwarben die Streitteile sodann in Vandans einen Bauplatz, um darauf ein Ferienhaus zu errichten. Bücherlicher Eigentümer wurde allein der Kläger. Ab dem Jahre 1982 errichtete er dort mit Hilfe von Bekannten den Rohbau. Im Sommer 1982 arbeitete er nach Dienstschluß fast täglich und auch während des gesamten Urlaubes am dortigen Bau, wobei sich zeitweise auch die Beklagte beteiligte. Da der Kläger größer und stabiler und damit auch kostspieliger baute als es sich die Beklagte vorgestellt hatte, und einen Großteil seiner Freizeit, insbesondere die Wochenenden, dort verbrachte, kam es zwischen den Streitteilen zu schwerwiegenden Unstimmigkeiten. Die Beklagte, die ursprünglich zum Bauvorhaben positiv eingestellt war und auch gegenüber einer Freundin davon schwärmte, distanzierte sich von diesem immer mehr. Der Kläger fuhr daher vielfach allein auf das Grundstück, war aber jeweils Samstag abends wieder zu Hause, um den Rest des Wochenendes gemeinsam mit seiner Familie zu verbringen. Daß sich der Kläger übermäßig stark seinen Hobbies (z.B. Mineraliensammeln) und dem Hausbau gewidmet und dadurch die Familie vernachlässigt hätte, ist nicht feststellbar. Ebensowenig, daß der Kläger gegenüber der Beklagten mit seinen Erfolgen bei Frauen geprahlt habe. Es kam jedoch vor, daß er die Beklagte vor anderen Leuten korrigierte, vor allem, wenn sie bei einem Gespräch übertrieb. Eine Vernachlässigung der Beklagten und der Kinder durch den Kläger ist nicht erwiesen. Er war Obmann des Elternvereines und nahm solcherart Anteil an der schulischen Entwicklung seiner Kinder. Bis vor wenigen Jahren ging der Kläger mit der Beklagten und anderen Ehepaaren auch regelmäßig aus, so zum Tanzen und zum Kegeln. Unliebsame Vorfälle gab es dabei nicht. Im Jahre 1982 erklärte er gegenüber der Beklagten, daß man mehr sparen müsse. Er wollte, daß die Beklagte, die Arbeitslehrerin ist, den Beruf während der Ehe aber nur durch zwei Jahre ausübte, alte Bekleidungsstücke für die Familienmitglieder ausbessere und wieder herrichte, daß man das Essen einfacher gestalte, daß die Beklagte auf Fahrten mit dem Auto in die Stadt und "auf das Massieren" verzichte, und erhob Vorwürfe, wenn er meinte, sie habe etwas noch Eßbares weggeworfen. Auch bei der Haushaltsführung sowie bei Gartenarbeiten machte er Vorschriften. Diesbezüglich war er also gegenüber der Beklagten kleinlich und rechthaberisch. Im wesentlichen sollte alles nach seinen Vorstellungen ablaufen. Wenn die Beklagte oder ein Kind nicht pünktlich waren, machte er gleich einen "Krach" und schimpfte auch vor dritten Personen mit ihnen. Im Mai oder Juni 1986, kurz vor Auflösung der Ehegemeinschaft, hat der Kläger gegenüber seinen Schwiegereltern anläßlich einer Aussprache die Beklagte als "sexuellen Eisberg" bezeichnet. Diese ging schon seit Jahren immer wieder ohne den Kläger aus. Sie traf sich während des Tages vielfach mit Freundinnen, obwohl sie erkennen konnte, daß dem Kläger ein längeres Ausbleiben, insbesondere zu Mittag, nicht recht war, doch blieb dies für die Ehe- und Familienführung ohne Auswirkung. In zunehmendem Maße ging die Beklagte auch abends mit Freundinnen aus. Der Kläger hat dies bis zu dem Zeitpunkt toleriert, zu dem er feststellen mußte, daß die Beklagte wiederholt erst gegen 3 Uhr oder 4 Uhr früh nach Hause gekommen und öfters tanzen gegangen war. Zumindest seit Dezember 1985 besuchte die Beklagte mit Freundinnen regelmäßig durchschnittlich monatlich einmal ein Tanzlokal. Dabei lernte sie im Fasching 1986 den von seiner Frau getrennt lebenden Othmar G*** kennen. Im Frühjahr 1986 gab sie vor, mit einer Freundin essen zu gehen, tatsächlich besuchte sie jedoch sodann ein übel beleumundetes Lokal, in welchem sie zufällig - ohne vorherige Verabredung - wiederum Othmar G*** traf, mit diesem tanzte, sich an seinen Tisch setzte und mit ihm bis 3 Uhr früh zusammen blieb. Der Kläger hatte auf Grund eines Hinweises dieses Verhalten der Beklagten beobachtet und ihr nach ihrer Rückkehr Vorwürfe gemacht, worauf sie zugab, einen Freund zu haben, jedoch versicherte, diesen aufgeben zu wollen. Während der Kläger im Juni/Juli 1986 auf einem dreiwöchigen Kurs war, ging die Beklagte wiederum abends tanzen und traf sich mit G***, so auch an einem Samstag Vormittag im Schloßcafe Hohenems, wo sie "in der hintersten Ecke" eng umschlungen saßen, einander küßten und sich "richtig verliebt" ansahen. Nach Rückkehr des Klägers drängte die Beklagte auf Scheidung, der Kläger wollte "davon aber nichts wissen". Hierauf verlangte die Beklagte eine Trennung, damit sie wieder "zur Besinnung komme". Sie arbeitete handschriftlich eine Vereinbarung aus, in welcher sie für die Zeit der einjährigen Trennung die Aufhebung der gegenseitigen Treuepflicht vorgesehen hatte und welche sie in notarielle Form bringen ließ. Der Notar hatte sie aufmerksam gemacht, daß der Passus über die Aufhebung der Treuepflicht sittenwidrig sei, doch die Beklagte beharrte auf dessen Aufnahme. Nachdem mündlich klargestellt war, daß der Kläger sodann aus der Ehewohnung ausziehe, unterschrieb er am 1. August 1986 den Notariatsakt Beilage ./B und fuhr mit den drei Kindern noch am selben Tag auf einen dreiwöchigen Urlaub nach Vandans. Als der Kläger Ende September 1986 in die Ehewohnung zurückkehren wollte, erklärte ihm die Beklagte, daß sie damit nicht einverstanden sei. Zu dieser Zeit traf er einmal den Othmar G*** in der Ehewohnung beim Eßtisch sitzend und kaffeetrinkend an. Dieser kam dann öfters zur Beklagten und auch die Beklagte fuhr mit den Kindern öfters zu Othmar G***. Im Herbst 1986 verbrachten die beiden gemeinsam zwei bis drei Tage Urlaub in Südtirol, außerdem befanden sie sich auf einer zweitägigen Reise in Oberitalien, wobei die Beklagte ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung hatte. Seit dem Jahresende 1986 haben die beiden fast jedes Wochenende miteinander verbracht. Sie gingen öfters miteinander zum Tanzen, wobei Othmar G*** seinen Arm um die Beklagte legte und sie küßte. Während der Weihnachtsferien 1986 und während der Semesterferien im Feber 1987 hielt sich die Beklagte mit den Kindern bei Othmar G*** auf, wo sie die Hausarbeiten verrichtete und beide gemeinsame Vergnügungen unternahmen. Während der Sommerferien 1987 war die Beklagte wiederum zwei Wochen bei Othmar G*** in Liechtenstein, wo sie für ihn kochte und wusch. Auch in Dornbirn besuchten sie seither gemeinsam verschiedene Veranstaltungen. Mehr ist zwischen ihnen nach ihren übereinstimmenden Angaben nicht vorgefallen. Othmar G*** hat als Zeuge allerdings auf die Frage, ob er mit der Beklagten Geschlechtsverkehr gehabt habe, weder mit ja noch mit nein geantwortet. Der Kläger unterhielt keine ehewidrigen Beziehungen zu anderen Frauen.

In seiner rechtlichen Beurteilung lastete das Erstgericht der Beklagten mehrfache schwere Eheverfehlungen an. Ein Ehebruch sei zwar nicht nachweisbar, ihre Beziehung zu Othmar G*** seien jedoch grob ehewidrig. Die beiden seien nach außenhin "weitgehend schon wie Lebensgefährten aufgetreten". Darüberhinaus habe die Beklagte durch ihr Drängen auf eine einjährige Trennung, auf das Ausziehen des Klägers aus der Ehewohnung sowie dem Entwurf zu einer notariellen Vereinbarung alles unternommen, um den Kläger aus der Ehewohnung zu bringen. Auch darin, daß sie von dem gemeinsam gefaßten Plan zum Hausbau in Vandans schließlich wieder abgerückt sei, liege eine Eheverfehlung.

Dem Kläger dagegen falle zur Last, daß er sich gegenüber der Beklagten als kleinlich, egoistisch und rechthaberisch erwiesen und den Bau des Hauses in Vandans überbewertet habe, anstatt darauf bedacht zu sein, daß auch für das tägliche Leben in Dornbirn weiterhin die nötigen Mittel zur Verfügung stünden. Dadurch habe sich die Beklagte zu stark eingeschränkt gefühlt und einen Ausgleich auf anderer Weise gesucht. Die Bezeichnung der Beklagten als "Eisberg" gegenüber ihren Eltern anläßlich einer Aussprache müsse nicht unbedingt als Kränkung gedacht gewesen sein, sondern könne auch die Schilderung des tatsächlichen Zustandes bedeuten und stelle somit für sich keine Eheverfehlung dar. Insgesamt sei die Ehe der Streitteile unheilbar zerrüttet. Das Verschulden hieran treffe den Kläger jedoch in wesentlich geringerem Maße als die Beklagte, da von dieser die Aufhebung der Ehegemeinschaft veranlaßt worden sei, ohne daß eine Notwendigkeit hiezu bestanden habe.

Das Berufungsgericht hielt die auf Ausspruch des Alleinverschuldens der Beklagten gerichtete Berufung des Klägers nicht, dagegen die Berufung der Beklagten, welche den Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens der Streitteile anstrebte, für gerechtfertigt und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es die Ehe der Streitteile aus deren gleichteiligem Verschulden schied. Es verwies auf die von den Streitteilen geschlossene notarielle Vereinbarung vom 1. August 1986 und vertrat die Ansicht, daß sie durch die hierin festgelegte Entbindung auch von der Verpflichtung zur ehelichen Treue zum Ausdruck gebracht hätten, ein derartiges Verhalten nicht als Eheverfehlung zu empfinden. Somit seien beide Teile nicht berechtigt, ein derartiges, nach dem 1. August 1986 gesetztes ehewidriges Verhalten des anderen Teiles als Scheidungsgrund geltend zu machen. Die Beweisrüge des Klägers über die nach dem 1. August 1986 behaupteten Kontakte der Beklagten zu Othmar G*** erscheine daher unerheblich, ebenso aber auch die Mängelrüge der Beklagten betreffend behauptete ehewidrige Kontakte des Klägers zu anderen Frauen. Auch die Beweisrüge der Beklagten sei aus rechtlichen Gründen nicht von Belang. Der Ansicht des Klägers, es treffe ihn kein Mitverschulden an der Scheidung der Ehe, könne nicht beigetreten werden. Die Zerrüttung der Ehe der Streitteile könne nicht als punktuelles Ereignis gesehen werden, sondern stelle einen länger dauernden Vorgang dar, wobei durch das Zusammenwirken ihrer Verhaltensweisen die geistige und körperliche Gemeinschaft der Ehegatten und damit die sittliche Grundlage der Ehe zu bestehen aufgehört habe. Zu diesem Prozeß habe auch der Kläger beigetragen, da er sich kleinlich, egoistisch und rechthaberisch benommen und hinsichtlich des Baues des Ferienhauses die gemeinsame Basis verlassen habe. Dieses Verhalten des Klägers habe zu der zunehmenden Zerrüttung der Ehe beigetragen. Der Hausbau und die hiefür verwendete Freizeit des Klägers seien ursächlich für die Entfremdung zwischen den Streitteilen gewesen und als Eheverfehlung zu werten. Bei der Verschuldensabwägung sei das Gesamtverhalten beider Ehegatten zu berücksichtigen. Zum Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten könne es nur kommen, wenn dessen Verschulden eindeutig schwerer wiege als das des anderen, so daß der Unterschied augenscheinlich hervortrete. Dies sei hier nicht der Fall. Durch die Vereinbarung vom 1. August 1986 hätten beide Ehegatten zum Ausdruck gebracht, daß sie das Interesse an der Fortsetzung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft verloren haben, woraus hervorgehe, daß wegen des vorhandenen hohen Ausmaßes der Ehezerrüttung auch der Kläger an einem ehegerechten Verhalten der Beklagten kein Interesse mehr gehabt habe. In der Vereinbarung liege das Einverständnis mit einem ehewidrigen Verhalten des anderen Ehegatten, weshalb ein solches bei der Verschuldensabwägung nicht zu berücksichtigen sei. Lasse man die nach dem 1. August 1986 erfolgten Kontakte der Beklagten zu Othmar G*** außer Betracht, so ergebe sich, daß das Verschulden der Beklagten keinesfalls eindeutig erheblich schwerer wiege als jenes des Klägers.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erhebt der Kläger eine auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 2 Z 3 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Scheidung aus dem Alleinverschulden der Beklagten, in eventu auf Scheidung aus dem überwiegenden Verschulden der Beklagten. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die vom Revisionswerber gerügte Aktenwidrigkeit liegt einerseits nicht vor, weil das Berufungsgericht hinsichtlich der vom Kläger tolerierten Ausgänge der Beklagten ohnehin ausdrücklich auf die mit Dezember 1985 eingetretene Änderung verwiesen hat (Urteil Seite 9 unten); andererseits erscheint die unrichtige berufungsgerichtliche Ausführung, die Beklagte habe in der Zeit vor dem 1. August 1986 mit Othmar G*** nur einmal Kontakt gehabt, wogegen das Erstgericht im Sinne des Revisionsvorbringens weitere Kontakte festgestellt hatte, für die Entscheidung aus rechtlichen Gründen ohne wesentliche Bedeutung.

Der Revisionsgrund nach § 503 Abs 2 Z 3 ZPO liegt daher nicht vor.

In der Rechtsrüge verweist der Kläger darauf, daß er die notarielle Vereinbarung vom 1. August 1986 mit der Beklagten lediglich geschlossen habe, um die Ehe zu retten, unter der Voraussetzung, daß sie "von ihrem Freund Abstand nehme". Tatsächlich habe ihn die Beklagte getäuscht. Nach Entdeckung der wahren Hintergründe sei diese nichtige und auf ein Jahr befristete Vereinbarung von ihm sofort gekündigt worden. Im Zeitpunkt der Klageerhebung habe der Kläger das ehewidrige Verhalten der Beklagten auch als ehestörend empfunden und demgemäß als Scheidungsgrund geltend gemacht. Bei Betrachtung des Gesamtverhaltens der Ehegatten sei die Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten zu scheiden, jedenfalls müsse aber ein überwiegendes Verschulden der Beklagten angenommen werden.

Den Ausführungen des Revisionswerbers kann nicht gefolgt werden. Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen kam es zwischen den Streitteilen ab dem Jahre 1982 zu schwerwiegenden Unstimmigkeiten, als der Kläger den gemeinsam geplanten Bau eines in seinem Alleineigentum stehenden Ferienhauses in wesentlich veränderter kostspieligerer Weise durchführte und einen Großteil seiner Freizeit, insbesondere auch die Wochenenden, dort verbrachte. Die Beklagte, die zum Bauvorhaben zunächst positiv eingestellt war und davon schwärmte, distanzierte sich aus diesem Grund immer mehr hievon. Ab dem Jahre 1982 hielt der Kläger die Beklagte auch an, mehr zu sparen, alles einfacher zu gestalten, auch das Essen, auf Fahrten mit dem Auto in die Stadt zu verzichten, ebenso auf Massagen, und erhob Vorwürfe, wenn er meinte, sie habe etwas noch Eßbares weggeworfen. Auch bei der Haushaltsführung sowie bei Gartenarbeiten machte er der Beklagten Vorschriften und war überhaupt kleinlich und rechthaberisch. Insgesamt sollte im wesentlichen alles nur nach seinen Vorstellungen gehen. In Gesellschaft kritisierte er sie. Bei Unpünktlichkeiten der Beklagten oder eines der Kinder machte er sogleich Krach und schimpfte auch vor dritten Personen. Im Mai oder Juni 1986 bezeichnete er die Beklagte gegenüber ihren Eltern als "sexuellen Eisberg".

Diese im Zusammenhang mit dem Hausbau aufgetretenen schwerwiegenden Unstimmigkeiten zwischen den Streitteilen und die dargestellten, die Beklagte zweifellos in ihrer Stellung als Ehefrau und in einer den Lebensumständen angemessenen Haushaltsführung beschränkenden Forderungen und Vorwürfe des Klägers waren nach der übereinstimmenden Ansicht der Vorinstanzen die ersten Ursachen für die zwischen den Streitteilen entstandene Entfremdung. Die Beklagte ging in zunehmendem Maße mit Freundinnen aus und besuchte schließlich ab Dezember 1985 auch durchschnittlich einmal monatlich mit Freundinnen ein Tanzlokal, wobei sie im Fasching 1986 den Othmar G*** kennenlernte und sodann bereits im Juli 1986 den Kläger auf Scheidung drängte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie somit subjektiv bereits jegliche eheliche Gesinnung verloren. Die notarielle Vereinbarung über eine einjährige Trennung der Streitteile war offenkundig lediglich ein zeitlicher Ausweg, weil der Kläger damals "von der Scheidung nichts wissen wollte". Der Kläger legt auch selbst zugrunde, daß ihn die Beklagte mit dieser die Aufhebung der gegenseitigen ehelichen Treuepflicht enthaltenden Vereinbarung nur "täuschen" wollte.

Bei der Beurteilung von Eheverfehlungen auf ihren Schuldgehalt gemäß § 60 Abs 2 EheG kommt es nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten, sondern insbesondere auch darauf an, inwieweit sie einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (EFSlg 8647, 8649, 20.910 uva.). Von besonderer Bedeutung ist, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die anderen Eheverfehlungen waren (EFSlg 7024, 10.260 uva.). Um beiderseitige Eheverfehlungen richtig beurteilen zu können, müssen sie demnach in ihrem Zusammenhang gesehen werden.

Vorliegendenfalls hat der Kläger durch sein dargestelltes, insgesamt zweifellos ehewidriges Verhalten die Entfremdung der Ehegatten wesentlich eingeleitet und solcherart zum Verlust der ehelichen Gesinnung der Beklagten und damit auch zur Zerrüttung der Ehe in keinesfalls unerheblichem Maße beigetragen. Zwar kann dem Berufungsgericht darin nicht gefolgt werden, daß die nach der notariellen Vereinbarung der Streitteile vom 1. August 1986 von der Beklagten zu Othmar G*** weiterhin - wenngleich nach bereits eingetretener Ehezerrüttung - unterhaltenen Beziehungen nicht zu berücksichtigen seien, denn diese dem Wesen der Ehe widersprechende und nichtige Vereinbarung (vgl. Schwind, Eherecht2, 198; EFSlg 24.928; 5 Ob 622, 623/82) wurde vom Kläger auch alsogleich tatsächlich widerrufen, als er seinen Irrtum über den wahren Zweck dieser von der Beklagten angestrebten Vereinbarung entdeckte, so daß auch die allein damit verbundene Rechtsfolge der Verwirkung des Scheidungsrechtes wegen (allfälligen) Ehebruchs und analog auch sonstiger ehewidriger geschlechtlicher Beziehungen für den diesen Verfehlungen zustimmenden oder diese erleichternden Ehegatten im Sinne des § 47 Abs 2 EheG wieder wegfiel (5 Ob 622, 623/82). Die weiteren ehewidrigen Beziehungen der Beklagten zu Othmar G*** ändern aber nichts daran, daß der Kläger durch sein einleitendes ehewidriges Verhalten einen bei der Verschuldensabwägung erheblich ins Gewicht fallenden Beitrag zur Zerrüttung der Ehe der Streitteile leistete.

Der Ausspruch, daß die Schuld eines Gatten an der Scheidung der Ehe überwiegt, ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann zulässig, wenn das Verschulden des anderen Ehegatten mehr oder weniger völlig in den Hintergrund tritt. Eine solche Wertung erscheint hier im Hinblick auf das die Zerrüttung der Ehe wesentlich miteinleitende Verhalten des Klägers nicht vertretbar.

Demgemäß war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte