OGH 8Ob592/87

OGH8Ob592/874.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Sabine H***, geboren am 13.Mai 1979, infolge Revisionsrekures der ehelichen Mutter Katharina H***, Friseurin, Auhofstraße 108/A/1/1, 1130 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 26.März 1987, GZ 47 R 174/87-99, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 16.Februar 1987, GZ 3 P 81/85-93, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die am 13.Mai 1979 geborene mj. Sabine H*** ist das eheliche Kind des Walter H*** und der Katharina H***, geschiedene H***. Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27.Oktober 1980, 9 Cg 352/80-4, gemäß § 55 a EheG geschieden. Aufgrund des im Scheidungsverfahren am 27.Oktober 1980 geschlossenen und mit Beschluß des Pflegschaftsgerichtes vom 12. Oktober 1981 pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleiches verblieb die Minderjährige zunächst bei ihrer Mutter. Tatsächlich wuchs sie jedoch im Haushalt der mütterlichen Urgroßmutter, Helene K***, auf. Mit Beschluß vom 16.5.1984 wurden die elterlichen Rechte hinsichtlich der mj. Sabine H*** dem ehelichen Vater übertragen, weil sich die familiäre Situation der Mutter als wenig stabil darstellte und die Gefahr bestand, daß die mütterliche Urgroßmutter aus Alters- und Gesundheitsgründen in Zukunft nicht mehr in der Lage sein werde, die Minderjährige zu versorgen. Am 4.10.1985 beantragte die Mutter, die elterlichen Rechte wieder ihr zu übertragen, weil sie am 28.8.1985

wieder geheiratet habe und ihr Mann, ein Ingenieur, der eine 12- jährige Tochter in den Haushalt mitgebracht habe, mit der Aufnahme der Minderjährigen einverstanden sei. Das Erstgericht wies diesen Antrag der Mutter ab. Die Minderjährige habe eine positive Beziehung zur nunmehrigen Gattin ihrers Vaters und zu dem aus dieser Ehe stammenden Kind, sie besuche die evangelische Volksschule am Karlsplatz und werde vom Vater dorthin gebracht und von dort abgeholt. Sie besuche auch regelmäßig ihre mütterliche Urgroßmutter. Es sei daher davon auszugehen, daß das Wohl der Minderjährigen durch einen Weiterverbleib beim Vater nicht gefährdet sei (ON 60 dA). Der von der Mutter dagegen erhobene Rekurs blieb erfolglos (Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 13.3.1986, 47 R 194/86-74). Am 13.8.1986 stellte die eheliche Mutter neuerlich den Antrag, die elterlichen Rechte und Pflichten ihr zu übertragen. Ihre soziale Situation sei infolge ihrer Eheschließung sehr gut. Die Minderjährige habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihr und ihrem Ehemann; es sei daher ihre völlige soziale Integration im Familienverband zu erwarten. Diesem Antrag legte sie ein Privatgutachten des Prim. Dr. Günther Pernhaupt bei, auf dessen Inhalt sie im Antrag verwies. Nach diesem Gutachten handelt es sich bei der Minderjährigen um ein besonderes, über das Lebensalter weit hinausgehend reifes Kind, das selbst entscheiden sollte, bei welchem Elternteil es bleiben möchte. Anläßlich einer Vernehmung vor dem Erstgericht gab die Mutter an, die Minderjährige habe den Wunsch erklärt, zu ihr zurückzukehren, sie habe große Angst vor dem Vater. Demgegenüber beantwortete das Kind ohne Beisein Dritter in "sehr offener und direkterweise" die von der Sozialarbeiterin des BJA für den 12.Bezirk gestellte Frage, ob sie gerne beim Vater, der Stiefmutter und den beiden Halbbrüdern (zwischenzeitig wurde am 2.5.1985 dem Vater und seiner nunmehrigen Gattin ein weiteres Kind, Sebastian, geboren) wohne, "eindeutig und ohne zögern" mit "ja" (ON 85). Im übrigen befürwortete das Jugendamt die Belassung der mj. Sabine im Familienverband des Vaters, wo sie gut integriert sei. Am 5.12.1986 (ON 92) erschien die mj. Sabine (vermutlich in Begleitung ihrer Mutter) vor dem Erstgericht und deponierte dort ihren "unbedingten" Wunsch, daß ihre Mutter die Elternrechte ausübe. Sie habe ihre Mutter lieber als ihren Vater, bei der Mutter gefalle es ihr besser als beim Vater. Bei der Mutter sei es ruhiger; ihr 4 Jahre alter Bruder Christoph sekkiere sie immer. Sie besuche die Schule am Karlsplatz; sie gehe gern in die Schule und habe ihre Lehrerin sehr lieb. Ihr Vater sei manchmal zu ihr lieb, ihre Mutter immer.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Eine Änderung der einmal getroffenen Regelung der Pflege- und Erziehungsverhältnisse sei nach Möglichkeit zu vermeiden, da Stetigkeit und Dauer ein wesentlicher Grundsatz jeder Erziehung sei. Eine Entziehung der elterlichen Rechte nach § 177 ABGB und deren Übertragung auf den anderen Elternteil komme nur in Betracht, wenn besonders wichtige Gründe das Wohl des Kindes gefährdet erscheinen ließen oder durch außergewöhnliche Umstände eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes zu erwarten sei. Eine derartige Veränderung der Verhältnisse seit der zuletzt getroffenen Entscheidung habe nicht festgestellt werden können. Die Beziehung der Minderjährigen zu ihrem Vater und dessen übrigen Familienmitgliedern könnten nach wie vor als sehr gut bezeichnet werden; der erforderliche Mutter-Kind-Kontakt sei durch das bestehende Besuchsrecht gewährleistet. Auch an der Wohn- und Lebenssituation im Haushalt des Vaters seien keine wesentlichen Veränderungen festzustellen, die das Wohl der Minderjährigen beeinträchtigen könnten. Die Minderjährige müsse wohl einen relativ langen Schulweg zurücklegen, dies allein reiche jedoch nicht aus, dem Vater die ihm 1984 übertragenen Elternrechte zu entziehen. Auch das Gutachten Dris. Pernhaupt lasse nicht den Schluß zu, daß die Minderjährige durch den Verbleib bei ihrem Vater irgendwelche Schäden erleiden könnte. Da sie als außergewöhnlich reifes Kind bezeichnet werde, das sich mit den gegebenen Lebensverhältnissen vertraut gemacht und diese akzeptiert habe, könne nicht davon ausgegangen werden, daß ein Herausreißen aus dem sie umgebenden Milieu für sie von Vorteil wäre. Da die Angaben der Minderjährigen vor Gericht ihren Angaben vor dem Bezirksjugendamt widersprächen, habe nicht von einer eindeutigen Willenskundgebung der Minderjährigen gesprochen werden können. Ein solcher Wunsch eines Kindes für sich allein bilde aber keinen Grund für eine Änderung der Pflege- und Erziehungsverhältnisse. In Ermangelung einer wesentlichen Änderung der Umstände, die das Wohl des Kindes ernsthaft gefährden könnten, sei der Antrag nicht berechtigt. Das Gericht zweiter Instanz gab dem dagegen erhobenen Rekurs der ehelichen Mutter nicht Folge. Das Rekursgericht hielt an der Rechtsprechung fest, daß eine Änderung der Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten nur unter den Voraussetzungen des § 176 Abs.1 ABGB erfolgen könne. Der davon abweichende in der Rekursentscheidung 44 R 3516/84 (EFSlg.45.848) geäußerten Rechtsansicht, eine Änderung der Regelung sei auch dann gerechtfertigt, wenn dies dem Kind zum überwiegenden Wohl gereichen würde, ohne daß eine Nichterfüllung oder Vernachlässigung der Pflichten durch einen Elternteil vorliege, vermöge nicht gefolgt zu werden, weil auf diese Weise die notwendige Kontinuität in der Erziehung gefährdet wäre. Es sei aber schon in der Rekursentscheidung 47 R 194/86 darauf hingewiesen worden, daß ein Wechsel der Minderjährigen von der Pflege und Erziehung des Vaters in diejenige der Mutter auch nicht dem Kind zum überwiegenden Wohl gereichen würde, da die Minderjährige sowohl zu ihrer Stiefmutter, wie auch zu ihrem Halbbruder eine gute Beziehung habe und sich beim Vater gut eingewöhnt habe. Bei dieser Situation würde ein Herausreißen des Kindes aus dem Milieu, in dem es sich seit Sommer 1984 befinde, dessen Wohl geradezu gefährden. Die der Beschlußfassung ON 60 bzw. der Rekursentscheidung ON 74 zugrunde liegenden Verhältnisse hätten sich nicht in relevanter Weise verändert. Eine solche Veränderung werde von der Mutter in ihrem Antrag auch gar nicht behauptet, wenn man davon absähe, daß sich im vorgelegten Privatgutachten des Prim. Dr. Pernhaupt der Hinweis findet, der lange Schulweg stelle eine gravierende Überforderung eines Kindes dieses Alters dar. Richtig habe das Erstgericht dazu ausgeführt, daß die Länge des Schulweges zwischen dem Wohnort des Vaters in 1120 Wien, Am Schöpfwerk, und der Evangelischen Volksschule in 1040 Wien, Karlsplatz, für sich alleine als Begründung für den Entzug der Elternrechte nicht ausreichen würde. Abgesehen davon, daß viele Kinder einen wesentlich längeren Schulweg zurückzulegen hätten, wäre es auch nicht angebracht, die Minderjährige aus dem ihr vertrauten Schulmilieu herauszureißen. Darüber hinaus werde der Vater wohl plausible Gründe dafür haben, die mit der Bezahlung von Schulgeld verbundene Inanspruchnahme einer Privatschule der Unterbringung in einer öffentlichen vorzuziehen. Die Mutter habe in Ergänzung ihres ursprünglichen Antrages vorgebracht, die Minderjährige habe vor ihrem Vater Angst, sie habe den Wunsch geäußert, zur Mutter zu kommen. Da die Minderjährige aber dem Jugendamt gegenüber ohne Beisein ihrer Eltern eindeutig, offen und ohne Zögern erklärt habe, sie wohne gerne beim Vater und dessen neuer Familie, bestünden in dieser Hinsicht vom Standpunkt des Kindeswohles aus keine Bedenken gegen die Belassung der Minderjährigen beim Vater. Die am 5.12.1986 zu Protokoll gegebene Erklärung der Minderjährigen sei offensichtlich unter dem Einfluß ihrer Mutter zustandegekommen. Im übrigen habe die Minderjährige auch bei dieser Gelegenheit nicht erklärt, vor dem Vater Angst zu haben. Der von ihr angegebene Grund für ihren Wunsch, daß sie von ihrem Halbbruder sekkiert und beim Aufgabenmachen gestört werde, wäre nicht relevant und sei offenbar nur vorgeschoben. Es habe daher auch keinerlei Veranlassung bestanden, einen Sachverständigen beizuziehen oder den Vater und die übrigen Mitglieder seines Haushaltes zu vernehmen oder "die Vertreter des Bezirksjugendamtes von Amts wegen hinsichtlich einer allfälligen Divergenz der Willenskundgebung der Minderjährigen" zu befragen. Auch die Ansicht der Rekurswerberin könne nicht geteilt werden, daß sich aus dem vorgelegten Privatgutachten des Prim. Dr. Pernhaupt bei "extensiver Interpretation" eine Gefährdung des Kindeswohles im Falle des Weiterverbleibens beim Vater herauslesen lasse. Daß bei der Minderjährigen ein Anflug von Traurigkeit zu erkennen sei, bzw. daß sie sich offensichtlich mit ihrer Situation abgefunden habe und ihre emotionalen Bewegungen bereits sehr gut kontrollieren könne, werde in dem erwähnten Privatgutachten zwar festgestellt, daraus würden aber keine Rückschlüsse gezogen. Inwieweit ein solches Verhalten des Kindes dessen Wohl gefährde, bleibe unerfindlich. Im übrigen ließe sich aber das geschilderte Verhalten des Kindes wohl am ehesten mit dem häufigen Wechsel des Pflegeplatzes (außer den Eltern und der Urgroßmutter Helene K*** hätten auch schon die Großeltern väterlicherseits das Kind in Pflege gehabt) erklären. Gerade ein solcher neuerlicher Wechsel des Pflegeplatzes solle aber mit dem angefochtenen Beschluß vermieden werden.

Gegen diesen rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der auf die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs der ehelichen Mutter, der unzulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Da das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes bestätigt hat, ist der Revisionsrekurs nur wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit, Aktenwidrigkeit oder Nichtigkeit zulässig (§ 16 AußStrG). Das Rechtsmittel stützt sich ausdrücklich bloß auf die Beschwerdegründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Als Verfahrensmangel macht die eheliche Mutter dem Rekursgericht zum Vorwurf, es habe die Feststellungen des Erstgerichtes im wesentlichen übernommen, sich mit ihrem Vorbringen im Rekurs jedoch nicht auseinandergesetzt. Die Feststellungen hätten nur dann getroffen werden können, wenn auch der Vater und dessen übrigen Familienmitglieder sowie ein Vertreter des Bezirksjugendamtes vernommen worden wären und ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt worden wäre. Die Revisionsrekurswerberin übersieht, daß in einem außerordentlichen Revisionsrekurs nach § 16 AuStrG die Feststellungen der Vorinstanzen und die dafür maßgebliche Beweiswürdigung nicht bekämpft werden können (EFSlg.44.638, 44.640, 47.206, 49.923 ua) und Verfahrensmängel nicht geltend gemacht werden können (EFSlg.42.384, 44.681 ua), es sei denn, sie erreichen das Gewicht einer Nichtigkeit (EFSlg.44.682, 47.240, 49.980 uva) und wären für die Entscheidung von einschneidender Bedeutung (EFSlg. Bd XVIII/3, 49.981 ua). Inwiefern dies hier der Fall wäre, wird im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt und ist den Akten auch nicht zu entnehmen. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung liege vor, weil das Rekursgericht gemäß § 177 ABGB davon hätte ausgehen müssen, daß eine Änderung einer bestehenden Regelung sehr wohl bei Gefährdung des Kindeswohles erfolgen könne. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prim. Dr. Pernhaupt hätte dem Antrag stattgegeben werden müssen. Auch hier ist die Revisionsrekurswerberin darauf zu verweisen, daß der Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht jenem der offenbaren Gesetzwidrigkeit entspricht und keinen im § 16 AußStrG angeführten Beschwerdegrund darstellt (EFSlg.44.640 f, 47.209, 49.934 f ua). Im übrigen wird auch die Rechtsrüge nicht dem Gesetz entsprechend zur Darstellung gebracht, zumal den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zu entnehmen ist, daß mit einem Verbleib der Minderjährigen bei ihrem Vater eine Gefährdung des Kindeswohles verbunden wäre. Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob ein Wechsel in der Person des Vaters als rechtskräftig bestellter Erziehungsberechtigter eintreten soll. Eine eundeutige Regelung über die dafür maßgeblichen Voraussetzungen enthält das Gesetz nicht. Wenn daher die Vorinstanzen diese Frage unter dem Gesichtspunkt gelöst haben, ob gegenüber der erst kurze Zeit zurückliegenden nunmehr abzuändernden Entscheidung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist und ob eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen im Interesse des Kindes dringend geboten erscheint und dabei einen strengen Maßstab anwendeten (vgl. EFSlg.43.324, 45.846, 48.397 ua), so kann darin keine offenbare Gesetzwidrigkeit liegen.

Damit erweist sich der Revisionsrekurs als unzulässig, weshalb er zurückgewiesen werden mußte.

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