Spruch:
Ein Schuldverhältnis mit Solidarhaftung ist in der Regel unteilbar und wird nur dann teilbar, wenn nicht nur alle daraus entspringenden Rechte und Pflichten in gleicher Weise teilbar sind, sondern diese Teilbarkeit auch dem Willen beider Parteien entspricht.
Entscheidung vom 25. April 1967, 8 Ob 57/67.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Beklagte und dessen Schwiegersohn Friedrich K. haben im Jahre 1959 von der klagenden Partei, der Stadt Wien, ein Wohnbauförderungsdarlehen nach dem Wohnbauförderungsgesetz 1954 in der Höhe von 300.000 S für die Errichtung eines Zweifamilienhauses in Wien 22., X.-Gasse 28, nach den vorgelegten Plänen erhalten. Diese Liegenschaft stand zu 62/193 Anteilen im Eigentum des Beklagten, zu 131/193 Anteilen in dem des Friedrich K. Nach dem Schuldschein haben die beiden Miteigentümer und Darlehensnehmer die Haftung für ihre in diesem Schuldschein festgesetzten Verpflichtungen zur ungeteilten Hand übernommen. Die halbjährigen, am 31. März und 30. September fälligen Rückzahlungsraten (Zinsen und Annuitäten) des Beklagten haben je 974.50 S betragen.
Der Klägerin war nach Z. 14 des Schuldscheines das Recht eingeräumt, das Darlehen unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist zur Gänze oder teilweise zu kundigen, a) bei Eintritt der im § 14 des Wohnbauförderungsgesetzes 1954 angeführten Umstände, b) wenn die Schuldner ihren sonstigen in dem Schuldschein und der Darlehenszusicherung übernommenen Verpflichtungen nicht nachkommen,
c) wenn die Förderungswerber die für ihren eigenen Wohnungsbedarf bestimmte Wohnung nicht bestimmungsgemäß verwenden oder leer stehen lassen. Gemäß Punkt 15 des Schuldscheines kann die Klägerin das Darlehen ohne vorangegangene Kündigung sofort fällig stellen und zurückfordern, wenn die im § 15 des Wohnbauförderungsgesetzes 1954 angeführten Umstände eintreten. Das Haus ist im wesentlichen nach den von der Klägerin genehmigten Plänen gebaut worden. Es wurde im Herbst 1959 in Benützung genommen, hiebei hat jedoch von Anbeginn an eine Trennung in der Benützung der zwei Wohnungen nicht stattgefunden, sondern sämtliche Räume des Hauses sind als eine Wohnungseinheit verwendet worden. In den ersten zwei Jahren wurde das Haus nur in den Sommermonaten, in den letzten zwei Jahren, jedenfalls seit März 1965, ständig vom zweiten Miteigentümer Friedrich K., dessen Gattin und drei minderjährigen Kindern benützt. Der Beklagte besitzt eine ständige Wohnung in Wien 17, O.-Gasse 40. Er benützt mit seiner Frau das Haus X.-Gasse 28 nur vorübergehend während mehrerer Wochen, manchmal auch mehrere Monate, in einmal kürzeren, einmal längeren Abständen, zumeist nur in den Sommermonaten, zuletzt auch teilweise in den Wintermonaten. Dabei lebt er jeweils im Verbande der Familie seines Schwiegersohnes. Zum 31. März 1961 bestand ein Darlehensrest von 289.468.91 S, wovon auf den Beklagten entsprechend seinen 62/193 Anteilen an der Liegenschaft 92.990.01 S entfielen. Bis zum 30. September 1964 verminderte sich dieser Betrag auf 88.997.84 S. Da über das Vermögen des Friedrich K. das Konkursverfahren eröffnet worden ist, hat die Klägerin ihm gegenüber 131/193 Teile des gesamten Darlehens zum 6. Dezember 1963 fällig gestellt. Mit Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Juni 1966 ist zur Hereinbringung einer vollstreckbaren Forderung von 222.450.76 S s. A. die Exekution durch Zwangsversteigerung der dem Friedrich K. gehörigen 131/193 Anteile der Liegenschaft bewilligt worden. Die Klägerin hat in einem dem Beklagten am 7. März 1964 zugestellten Schreiben vom 4. März 1964 den auf den Beklagten entfallenden Anteil des Darlehens in der Höhe von 90.459.15 S zum 30. September 1964 unter Hinweis auf Ziffer 16 lit. a des Schuldscheines - womit die Ziffer 14 lit. a gemeint war - und auf § 14 (1) lit. h des Wohnbauförderungsgesetzes 1954 aufgekundigt. Ferner hat sie mit Schreiben vom 4. Juli 1966 dem Beklagten gegenüber das Darlehen unter Hinweis auf die am 30. Juni 1966 erfolgte Bewilligung der Zwangsversteigerung der dem Friedrich
K. gehörigen 131/193 Anteile der Liegenschaft und auf § 15 lit. a Wohnbauförderungsgesetz 1954 sofort fällig gestellt.
Das Erstgericht hat dem auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 88.997.84 S s. A. gerichteten Klagebegehren stattgegeben.
Das Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beklagte geht in seinen Ausführungen zunächst zu Unrecht davon aus, daß er und sein Schwiegersohn je ein Darlehen von 150.000 S erhalten hätten. Dies steht, wie die Revisionsbeantwortung zutreffend hervorhebt, mit den auf den Wortlaut des Schuldscheines gestützten untergerichtlichen Feststellungen im Widerspruch, nach welchen ein Darlehen von 300.000 S an zwei Schuldner, den Beklagten und seinen Schwiegersohn, gegeben worden ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß nach den im Rahmen des Wohnbauförderungsgesetzes 1954 von der Wiener Landesregierung aufgestellten Förderungsrichtlinien (nicht, wie die Revision meint, nach dem Wohnbauförderungsgesetz selbst, siehe dazu Brauner "Das Wohnbauförderungsgesetz", zu § 12, Anm. 2, S.40) das Höchstausmaß des Darlehens je Wohnung 150.000 S betragen hat. Die Schlüsse, die die Revision aus ihrer unrichtigen Meinung zieht, daß nämlich das Gesetz unter dem Ausdruck "Schuldner" immer nur einen Schuldner meine, daher die Gründe, die nach § 14 des Wohnbauförderungsgesetzes zur Kündigung des Darlehens oder nach § 15 desselben Gesetzes zur Fälligstellung des Darlehens berechtigten, nur das Darlehen jenes Schuldners betreffen könnten, in dessen Person einer dieser Gründe eingetreten sei, sind demnach nicht zutreffend.
Die Untergerichte sind mit Recht davon ausgegangen, daß ein Schuldverhältnis mit Solidarhaftung, so wie es bei dem vom Beklagten und seinem Schwiegersohn Friedrich K. solidarisch aufgenommenen Darlehen vorliegt, in der Regel unteilbar ist und nur dann teilbar wird, wenn nicht nur alle daraus entspringenden Rechte und Pflichten in gleicher Weise teilbar sind, sondern diese Teilbarkeit auch dem Willen beider Parteien entspricht (Gschnitzer in Klang-Komm.[2] IV 281, zu § 888 ABGB., III 2, bei Anm. 30). Dazu haben die Untergerichte festgestellt, daß eine übereinstimmende Parteienabsicht nicht ermittelt werden kann, zumal da vor der Darlehenszusicherung keine mündlichen Verhandlungen zwischen der klagenden Partei und den Darlehenswerbern stattgefunden haben. Mangels einer solchen Parteienabsicht ist daher der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (§ 914 Ende ABGB., Gschnitzer, a. a. O., zu § 914 ABGB., III 2, S. 406). Die Untergerichte haben mit Recht aus dem Verhalten beider Schuldner, des Beklagten und seines Schwiegersohnes, insbesondere aus dem Umstand, daß sie entgegen den ursprünglichen Bauplänen in dem beiden zu bestimmten Anteilen gehörenden Eigenheim statt zweier getrennter Wohnungen infolge des Fehlens einer zweiten Küche, eines zweiten Badezimmers und eines zweiten WC tatsächlich nur eine Wohnung errichtet und das Eigenheim auch als Wohnungseinheit benützt haben, den Schluß gezogen, die beiden Mitschuldner hätten von Anfang an nicht an eine Teilbarkeit des Schuldverhältnisses gedacht. Deshalb ist den Untergerichten zuzustimmen, daß ein Abgehen von der Regel der Unteilbarkeit eines Schuldverhältnisses mit Solidarverpflichtung infolge der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nicht begrundet erscheint. Der Beklagte beruft sich in der Revision auf die Bestimmung des § 915, 2. Halbsatz ABGB., daß bei zweiseitig verbindlichen Verträgen eine undeutliche Äußerung zum Nachteil desjenigen ausschlage, der sich ihrer bedient habe. Die Auslegungsregel des § 915 ABGB. ist aber nur subsidiär anwendbar, sie gilt nur dann, wenn sich die Undeutlichkeit nach den gewöhnlichen Auslegungsregeln, wie es nach dem oben Ausgeführten hier der Fall ist, nicht beheben läßt (Ehrenzweig, Allg. Teil, § 106 III, vor Anm. 13, S. 263). Die Konkurseröffnung über das Vermögen des Mitschuldners Friedrich K. hat daher, wie die Untergerichte zutreffend angenommen haben, der klagenden Partei das Recht gegeben, auch das dem Beklagten gewährte Darlehen fällig zu stellen. Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob die Bestimmung des § 15 Wohnbauförderungsgesetz 1954 mit den Bestimmungen der Konkursordnung in Widerspruch stehe, braucht hier nicht eingegangen zu werden, denn dieser behauptete Widerspruch bezieht sich auch nach den Ausführungen der Revision nicht auf die Frage der Auswirkung der Konkurseröffnung über das Vermögen des einen Mitschuldners auf den anderen Mitschuldner.
Der Revision war somit keine Folge zu geben.
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