OGH 8Ob56/84

OGH8Ob56/8417.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred Ö*****, vertreten durch Dr. Erich Gugenberger, Rechtsanwalt in Frankenmarkt, wider die beklagten Parteien 1) Karl F*****, 2) Gertraud F*****, ebendort wohnhaft, und 3) D*****, alle vertreten durch Dr. Florian Gehmacher, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 277.130,16 S sA und Feststellung (50.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Mai 1984, GZ 4 R 91/84‑27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 26. Jänner 1984, GZ 8 Cg 528/82‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00056.840.1017.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

 

Begründung:

Am 5. 11. 1981 ereignete sich gegen 17:00 Uhr auf der Wiener Straße (Bundesstraße 1) in B*****, bei KM 270,2 im Bereich der Einmündung des Hofbauernweges (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen ***** und der Erstbeklagte als Lenker des LKW mit dem Kennzeichen ***** beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist die Halterin, die Drittbeklagte der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeugs. Der auf der Wiener Straße in Richtung Salzburg fahrende Kläger fuhr mit seinem PKW auf den vom Erstbeklagten gelenkten LKW auf, der aus dem Hofbauernweg nach links in die Wiener Straße (in Richtung Salzburg) einbog. Dabei wurden beide Lenker verletzt; beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Ein wegen dieses Verkehrsunfalls gegen die beiden beteiligten Lenker zu U 334/81 des Bezirksgerichts Neumarkt eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Zahlung von 277.130,16 S sA (das sind zwei Drittel seiner behaupteten Schäden); überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten für zwei Drittel seiner (künftigen) Schäden gerichtetes Feststellungsbegehren, wobei die Drittbeklagte nur im Rahmen des bezüglich des LKW der Zweitbeklagten geschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrags zu haften habe. Der Kläger stützte sein Begehren dem Grunde nach im Wesentlichen auf die Behauptung, dass ihn selbst ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden treffe, dass ihm aber die Beklagten zwei Drittel seiner Schäden zu ersetzen hätten, weil der Erstbeklagte den dem Kläger zukommenden Vorrang verletzt habe.

Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im Wesentlichen ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall. Der Erstbeklagte habe, bevor er aus dem Hofbauernweg in die Wiener Straße eingefahren sei, angehalten und sich davon überzeugt, dass auf der Wiener Straße in beiden Richtungen für ihn kein herankommendes Fahrzeug sichtbar gewesen sei. Erst dann sei er vorsichtig nach links in die Bundesstraße eingebogen. Als er nach dem Linkseinbiegen auf der Wiener Straße bereits 20 m mit langsamer Geschwindigkeit und mäßiger Beschleunigung zurückgelegt gehabt habe – der von ihm gelenkte LKW sei mit Getränken beladen gewesen –, sei der Kläger mit seinem PKW von hinten ohne jede Reaktion auf den LKW aufgefahren. Trotz einer im Unfallsbereich bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h sei der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h gefahren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte bezüglich des Unfallsablaufs im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Im Bereich der Unfallstelle mündet der Hofbauernweg, eine Gemeindestraße, in etwa rechtem Winkel in die Wiener Straße ein, die dort eine Breite von 7,7 m hat. Vor der Einmündung der Gemeindestraße befindet sich das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“. Etwa 225 m von der Einmündung in Richtung Wien entfernt befindet sich die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung mit höchstens 70 km/h. Zur Unfallszeit herrschte leichte Dämmerung; es nieselte leicht.

Der Erstbeklagte näherte sich der Bundesstraße aus dem Hofbauernweg mit dem an beiden Seiten offenen LKW, der mit Getränkekisten beladen war. Er hatte das Abblendlicht eingeschaltet. Vor dem Einfahren in die Bundesstraße hielt er in einer Stellung an, aus der er Sicht auf eine Entfernung von etwa 225 m in Richtung Wien, also bis zu dem die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h anordnenden Verkehrszeichen, hatte. Da weder aus Richtung Salzburg noch aus Richtung Wien Fahrzeuge im Sichtbereich des Erstbeklagten waren, fuhr er im ersten Gang mit langsamer Beschleunigung in einem Bogen nach links in die Bundesstraße ein.

Der Kläger näherte sich der Unfallstelle aus Richtung Wien; auch er hatte am Fahrzeug Abblendlicht eingeschaltet. In dem Bereich, für den ein Geschwindigkeitbeschränkung von höchstens 70 km/h angeordnet ist, fuhr der Kläger mit zumindest 75 km/h.

Als der Erstbeklagte von seinem Wegfahren aus der Gemeindestraße eine Strecke von etwa 25 m zurückgelegt und dabei eine Geschwindigkeit von etwa 15 km/h erreicht hatte, fuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug ohne jede Reaktion auf den vom Erstbeklagten gelenkten LKW von hinten auf.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass sich der Erstbeklagte gegenüber dem Kläger iSd § 19 Abs 4 StVO im Nachrang befunden habe. Die Anwendung der Vorrangbestimmungen setze aber voraus, dass das bevorrangte Fahrzeug für den Wartepflichtigen wahrnehmbar sei. Im vorliegenden Fall habe der Erstbeklagte trotz gehöriger Beobachtung der bevorrangten Straße im Zeitpunkt des Einfahrens keinen bevorrangten Fahrzeugverkehr erkennen können. Sein Einfahren in die Bundesstraße sei daher weder rechtswidrig noch schuldhaft erfolgt. Eine höhere als die von ihm eingehaltene Geschwindigkeit sei dem Erstbeklagten nicht zumutbar gewesen, weil es sich bei dem von ihm gelenkten LKW um ein Zustellfahrzeug für Getränke gehandelt habe, das auf beiden Seiten ohne Bordwand offen und mit Getränken beladen gewesen sei, sodass bei stärkerer Beschleunigung in einer Linkskurve die Gefahr bestanden habe, dass Ladegut nach rechts herunterstürzen konnte. Dass sich der Erstbeklagte etwa bei Erreichen der Fahrbahnmitte noch einmal von einem möglichen Rechtsverkehr überzeugen hätte sollen, könne nicht verlangt werden, weil zu diesem Zeitpunkt der LKW schon eine deutliche Neigung nach links in Richtung Salzburg gehabt habe und daher dem Erstbeklagten die Sicht nach schräg rechts hinten bereits genommen gewesen sei. Das Verschulden an diesem Verkehrsunfall sei daher ausschließlich dem Kläger anzulasten.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, dass der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstands 60.000 S und auch 300.000 S übersteigt.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts mit Ausnahme jener, dass der Kläger ohne jede Reaktion auf den LKW aufgefahren sei, als unbedenklich; die letzterwähnte Feststellung bezeichnete das Berufungsgericht als nicht entscheidungswesentlich.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im Wesentlichen aus, dass grundsätzlich hinsichtlich nicht wahrnehmbarer Fahrzeuge keine Wartepflicht bestehe. Der Wartepflichtige dürfe durch die Durchführung seines Fahrmanövers bis zu seiner Beendigung den Vorrangberechtigten nicht in der im § 19 Abs 7 StVO angeführten Weise behindern. Da der Erstbeklagte bei Beginn seiner Einfahrbewegung in die Bundesstraße den PKW des Klägers nicht sehen habe können, habe für ihn keine Wartepflicht bestanden. Er sei zu seinem Einbiegemanöver berechtigt gewesen und habe auch darauf vertrauen dürfen, dass sich Fahrzeuge nur mit der für den Unfallsbereich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nähern würden. Der Umstand, dass der PKW des Klägers unmittelbar nach em Überschreiten der Begrenzungslinie durch den Erstbeklagten in dessen Sichtbereich gelangt sei, habe diesen auch nicht verpflichtet, den Einbiegevorgang abzubrechen. Er habe nur sein Linkseinbiegemanöver vorschriftsmäßig durchführen müssen.

Auch der Kläger habe den LKW aus einer Entfernung von etwa 225 m beim Einfahren in die Bundesstraße sehen können. Er hätte bei einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h nur mit einer Verzögerung von 1 m/sec 2 reagieren müssen, um auf eine Entfernung von etwa 220 m sogar zum Stillstand zu kommen. Er hätte aber überhaupt nur die Geschwindigkeit auf etwa 15 km/h herabsetzen müssen oder er hätte den rechts fahrenden LKW auch überholen können. Eine Verzögerung von 1 m/sec 2 entspreche nur einer Verzögerung durch Gaswegnehmen.

Wenn aber der Vorrangberechtigte durch das in die Vorrangstraße einfahrende Fahrzeug während der ganzen Phase des Einbiegens lediglich zu einer durch bloßes Gaswegnehmen zu erreichenden Verminderung seiner Geschwindigkeit verhalten werde, könne von einem Verstoß des Wartepflichtigen gegen § 19 Abs 7 StVO nicht gesprochen werden. Hier liege nur eine dem Vorrangberechtigten zumutbare geringfügige Ermäßigung der Fahrgeschwindigkeit vor.

In Anbetracht der Sichtstrecke von etwa 225 m und der Geschwindigkeitsbeschränkung auf höchstens 70 km/h habe der Erstbeklagte nach dem Einfahren die Fahrbahn der Bundesstraße nach rechts nicht mehr weiter beobachten müssen und er habe auch nicht mehr anhalten müssen, selbst wenn er das Fahrzeug des Klägers nach dem Einfahren noch gesehen hätte. Er habe auch keine stärkere Beschleunigung beim Einfahren und keine höhere Fahrgeschwindigkeit wählen müssen, weil einerseits der LKW auf beiden Seiten offen und mit Getränkekisten mit Flaschen beladen gewesen sei, sodass die Gefahr des Herunterfallens der Ladung bestanden habe und andererseits ein noch etwa 225 m entfernter Lenker nur durch Gaswegnehmen seine Geschwindigeit auf die Geschwindigkeit des LKW verzögern habe können. Dem Erstbeklagten könne somit kein Verschulden zur Last gelegt werden.

Dagegen liege ein Verschulden des Klägers vor. Es bestehe einerseits in der zu hohen Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h, obwohl eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h bestanden habe, und andererseits in einem Beobachtungsfehler oder einem erheblichen Reaktionsverzug. Bei diesem erheblichen Verschulden des Klägers bestehe auch kein Anlass, die Zweit‑ und Drittbeklagte wegen der vom LKW ausgehenden gewöhnlichen Betriebsgefahr zum Schadensausgleich nach § 11 Abs 1 EKHG heranzuziehen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers. Er bekämpft sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagten beantragen, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf den erfolgten Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Beschränkung der Revisionsgründe zulässig; sachlich ist sie im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Hingegen kann der Rechtsrüge des Klägers Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass dem PKW des Klägers gegenüber dem vom Erstbeklagten gelenkten LKW iSd § 19 Abs 4 StVO der Vorrang zukam. Die streitentscheidende Frage aber, ob dem Erstbeklagten eine Verletzung seiner im § 19 Abs 7 StVO normierten Wartepflicht anzulasten ist oder nicht, lässt sich aufgrund der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen nicht beurteilen.

Es entspricht zunächst ständiger Rechtsprechung, dass ein im Nachrang befindlicher Verkehrsteilnehmer in eine bevorrangte Verkehrsfläche nur einfahren darf, wenn er durch gehörige Beobachtung des bevorrangten Verkehrs in seiner tatsächlichen Gestaltung sich die Gewissheit verschafft hat, dies ohne Gefährdung oder auch nur Behinderung (§ 19 Abs 7 StVO) unternehmen zu können (ZVR 1966/179; ZVR 1974/264; 8 Ob 112/78; 8 Ob 89/83 uva). Die Pflichten des Wartepflichtigen sind im § 19 Abs 7 StVO geregelt. Nach dieser Gesetzesstelle darf er durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnung die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Eine geringfügige Ermäßigung der Geschwindigkeit ist dem vorrangberechtigten Kraftfahrer zuzumuten, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen § 19 Abs 7 StVO vorläge (ZVR 1976/222; 8 Ob 89/83 ua). Dabei ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung der Wartepflichtige nicht nur den Beginn seines die Fahrweise des Vorrangberechtigten allenfalls beeinträchtigenden Fahrmanövers, sondern durch dessen Durchführung bis zur Beendigung den Vorrangberechtigten nicht in der im § 19 Abs 7 StVO dargestellten Weise behindern darf (8 Ob 211/78; 2 Ob 213/78; 8 Ob 50, 51/81; 8 Ob 6/82; 8 Ob 120/83 ua). In diesem Zusammenhang ist aber auch darauf Bedacht zu nehmen, dass der Bevorrangte nicht zu einer den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften wiedersprechenden Fahrweise gezwungen werden darf und dass ihm insbesondere durch die Fahrweise des Wartepflichtigen nicht die Einhaltung des im § 18 Abs 1 StVO vorgeschriebenen Sicherheitsabstands unmöglich gemacht werden darf (8 Ob 120/83).

Für den hier vorliegenden Fall der Wartepflicht eines Fahrzeuglenkers, der nach links in eine bevorrangte Straße einbiegt, gegenüber einem auf dieser von rechts herankommenden Vorrangberechtigten ergibt sich daraus, dass es nicht darauf ankommt, ob der Vorrangberechtigte bei Beginn des Einbiegemanövers des Wartepflichtigen in der Lage war, ohne unvermitteltes Bremsen oder Ablenken seines Fahrzeugs einen Zusammenstoß zu vermeiden, sondern darauf, ob dies bis zur Beendigung des Einbiegemanövers, also bis zum Verlassen des Kreuzungsbereichs (zu dem im Fall einer trichterförmigen Einmündung auch die durch den Mündungstrichter umfasste Fahrbahnfläche gehört; siehe dazu Dittrich‑Veit‑Schuchlenz StVO 3 § 2 Anm 48 und die dort zitierte Judikatur) durch den Wartepflichtigen der Fall war. Es kommt also nicht entscheiden darauf an, ob der Zusammenstoß der beiden beteiligten Fahrzeuge noch innerhalb oder schon außerhalb des Kreuzungsbereichs erfolgte, sondern darauf, ob der bevorrangte durch das gesamte Einbiegemanöver des Benachrangten, also vom Einfahren in den Kreuzungsbereich bis zu dessen Verlassen, in der im § 19 Abs 7 StVO dargestellten Weise behindert wurde (8 Ob 112/78; 8 Ob 89/83 ua). Nur wenn in einem solchen Fall der Bevorrangte in dem Zeitpunkt, in dem das Fahrzeug des Wartepflichtigen den Kreuzungsbereich verlässt, noch imstande ist, sich durch eine ihm zumutbare geringfügige Ermäßigung seiner Geschwindigkeit unter Einhaltung des im § 18 Abs 1 StVO normierten Sicherheitsabstands hinter dem Fahrzeug des Wartepflichtigen einzureihen, hat der Benachrangte seiner Wartepflicht genügt; andernfalls verletzt er den Vorrang.

Ob dies im vorliegenden Fall zutrifft, lässt sich den Feststellungen der Vorinstanzen, aus denen nicht einmal hervorgeht, wie weit der PKW des Klägers entfernt war, als der Erstbeklagte mit dem LKW in die Bundesstraße einzufahren begann, nicht entnehmen. Es wird daher erforderlich sein, an Hand einer exakten Zeit‑Weg‑Rechnung festzustellen, mit welcher Geschwindigkeit der vom Erstbeklagten gelenkten LKW fuhr, als er den Kreuzungsbereich verließ, wo und mit welcher Geschwindigkeit der Kläger mit seinem PKW in diesem Zeitpunkt fuhr und ob es dem Kläger in diesem Zeitpunkt noch möglich war, sich durch eine ihm zumutbare geringfügige Herabsetzung seiner Fahrgeschwindigkeit unter Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstands hinter dem vom Erstbeklagten gelenkten LKW einzuordnen. Bestand diese Möglichkeit für den Kläger nicht, dann hat der Erstbeklagte im Sinne obiger Rechtsausführungen zumindest objektiv den Tatbestand einer Vorrangverletzung gesetzt.

Ob ihm diese als Verschulden anzulasten ist, hängt davon ab, ob der Erstbeklagte bei straßenverkehrsordnungsgemäßer Fahrweise die Möglichkeit hatte, sie zu vermeiden. Gewiss setzt nach ständiger Rechtsprechung die Anwendung der Vorrangbestimmungen die Wahrnehmbarkeit des anderen Fahrzeugs voraus (ZVR 1973/125; ZVR 1981/200; 8 Ob 6/83; 8 Ob 113/83 ua); dieser Grundsatz gilt allerdings dann nicht, wenn der Wartepflichtige das bevorrangte Fahrzeug deshalb nicht wahrnahm, weil er selbst ein Fehlverhalten setzte (2 Ob 240/78; ZVR 1980/210; ZVR 1981/200 uva). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen (ZRV 1979/276), dass der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer bei der Prüfung, ob ein Einbiegen vor dem Benützer einer Straße mit Vorrang ohne dessen Gefährdung möglich ist, vor allem auch die Länge und Beweglichkeit seines Fahrzeugs in Betracht zu ziehen hat. Der Grundsatz, dass der wartepflichtige Verkehrsteilnehmer in eine Straße mit Vorrang einfahren darf, solange auf dieser für ihn kein Fahrzeug wahrnehmbar ist, bedeutet nicht, dass er im Folgenden nicht mehr verpflichtet wäre, auf den bevorrangten Verkehr zu achten, wenn wegen der dem Lenker bekannten Eigentümlichkeit seines Fahrzeugs, etwa dessen besonderer Länge oder Schwerfälligkeit, das Einbiegen besonders lang dauert. Der Lenker eines solchen Fahrzeugs muss beim Einbiegen besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit anwenden. Die Pflicht, den bevorrangten Verkehr zu beachten, endet in einem solchen Fall keineswegs mit dem Einfahren in die Straße mit Vorrang. Nimmt vielmehr das Einbiegen in die Straße mit Vorrang infolge der durch die Eigenart seines Fahrzeugs bedingten Fahrweise des Wartepflichtigen einen außergewöhnlich langen Zeitraum in Anspruch, so ist der Wartepflichtige, der zunächst in die Kreuzung einfahren durfte, weil der herankommende vorrangberechtigte Verkehrsteilnehmer für ihn noch nicht sichtbar war, auch während der Ausführungen eines derartigen Einbiegemanövers verpflichtet, den bevorrangten Straßenverkehr sorgfältig zu beobachten und das zur Vermeidung eines Zusammenstoßes Mögliche zu tun, insbesondere dem vorrangberechtigten Verkehrsteilnehmer den Vorrang durch unverzügliches Anhalten einzuräumen, wenn er hiezu noch in der Lage ist (siehe dazu auch Müller , Straßenverkehrsrecht 22 III 356, 359).

Die gleichen Überlegungen haben auch für den vorliegenden Fall Geltung. Wenn auch nach den Feststellungen der Vorinstanzen der PKW des Klägers für den Erstbeklagten vor dem Einfahren des LKW in die Bundesstraße noch nicht sichtbar war, so oblag es doch dem Erstbeklagten im Sinn obiger Ausführungen gerade deswegs, weil er das von ihm gelenkte Fahrzeug im Hinblick auf die festgestellte Art seiner Beladung weder zügig beschleunigen noch mit ihm den Kreuzungsbereich zügig verlassen konnte, auch noch nach Beginn des Einfahrens in die Bundesstraße den auf dieser herankommenden Querverkehr zu beobachten und einem herankommenden bevorrangten Verkehrsteilnehmer nach Möglichkeit durch unverzügliches Anhalten den ihm zukommenden Vorrang einzuräumen.

Aus den Feststellungen der Vorinstanzen ist aber nicht zu entnehmen, in welcher Position sich der Erstbeklagte mit dem von ihm gelenkten LKW befand, als er bei gehöriger Beobachtung des Querverkehrs Sicht auf den PKW des Klägers bekommen konnte und ob in diesem Zeitpunkt der Erstbeklagte noch die Möglichkeit hatte, durch unverzügliches Anhalten des von ihm gelenkten Fahreugs dem Kläger den ihm zukommenden Vorrang einzuräumen. Auch in dieser Richtung erweist sich somit das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

Was letztlich den Grad eines Mitverschuldens des Klägers betrifft, wird es erforderlich sein, Feststellungen darüber zu treffen, wie weit der Kläger noch von dem in die Bundesstraße einfahrenden LKW entfernt war, als er diesen als Gefahr erkennen konnte und ob er in diesem Zeitpunkt noch die Möglichkeit hatte, den Unfall durch sachgemäße Reaktion zu verhindern.

Erst dann wird dem Grunde nach erschöpfend über die vorliegende Schadenersatzklage abgesprochen werden können. Dabei wird, sollte sich eine Schadenersatzpflicht der Beklagten ergeben, auch auf die Höhe der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche und sein Feststellungsinteresse sowie auf den von den Beklagten wegen Verletzung der Gurtenanlegepflicht des Klägers erhobenen Mitverschuldenseinwand hinsichtlich der Schmerzengeldansprüche einzugehen sein. Da es unter den aufgezeigten Umständen offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen (§ 510 Abs 1 ZPO), waren in Stattgebung der Revision des Klägers die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und war die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen, das die im Sinne obiger Ausführungen erforderlichen Feststellungen zu treffen haben wird.

Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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