Spruch:
Die Beurteilung der Frage, ob das von dem beklagten Eheteil erklärte und demnach als wirklich gewollt anzunehmende Festhalten an der Ehe bei Würdigung insb des Verhaltens dieses Eheteiles die Aufrechterhaltung der Ehe als sittlich gerechtfertigt und demnach den Widerspruch gemäß § 55 Abs 2 EheG als beachtlich erscheinen läßt, ist rechtliche Beurteilung und nicht tatsächlicher Schluß auf die eheliche Gesinnung des widersprechenden Gatten
OGH 28. April 1970, 8 Ob 56/70 (OLG Graz 5 R 145/69; KG Leoben 8 Cg 107/69)
Text
Der Kläger begehrte die Scheidung der am 17. April 1948 standesamtlich mit der Beklagten geschlossenen Ehe gemäß § 55 EheG.
Die Beklagte erhob gegen die Scheidung Widerspruch.
Das Erstgericht wies das Scheidungsbegehren ab und ging hiebei von folgenden Feststellungen aus: Der Kläger habe mit einer gewissen Rosa Z während des Bestandes deren Ehe ein Verhältnis unterhalten. Die Ehe Z sei am 11. November 1965 rechtskräftig aus dem Verschulden beider Ehegatten geschieden worden. In den Jahren 1966 bis 1968 habe der Kläger mit Rosa Z im gemeinsamen Haushalt gelebt. Am 18. Dezember 1964 habe die jetzige Beklagte eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage eingebracht, die sich auf ehewidrige Beziehungen des Klägers zu anderen Frauen, darunter Rosa Z, auf Lieblosigkeit und Beschimpfungen gestützt habe. Der Kläger habe sich in diesem Verfahren an der Aufrechterhaltung der Ehe nicht interessiert gezeigt und bloß einen Mitschuldantrag gestellt. Am 19. Jänner 1965 sei es zu einer Versöhnung beider Parteien und zur Zurücknahme der Klage gekommen. Die Ehe der Streitteile sei zunächst nicht schlecht gewesen; im Jahre 1950 sei ein gemeinsam erbautes Haus bezogen worden und im Jahre 1955 sei der Grund mit dem Haus auf beide Streitteile überschrieben worden. Der Kläger sei gerne auf dem Sportplatz, die Beklagte gerne im Wirtshaus gewesen, wo sie ab und zu mehr getrunken habe, als ihr zuträglich gewesen sei. Besonders schlecht sei das Verhältnis zwischen den Streitteilen erst Ende 1964 geworden, als der Kläger sein Verhältnis mit Rosa Z begonnen habe. Es sei zu gegenseitigen Beschimpfungen und schließlich zur erwähnten Ehescheidungsklage der jetzigen Beklagten gekommen. Die gegenseitigen Beschimpfungen hätten auch nach der Versöhnung nicht aufgehört. Es sei auch zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen, bei denen sich beide Streitteile weder in Worten noch in Taten etwas schuldig geblieben seien. In einer Unterhaltsklage der Beklagten sei es am 2. März 1966 zu einem Vergleich gekommen, in dem sich der Kläger verpflichtet habe, der Beklagten 6000 S als Abfindung (für eine vom Kläger allein verkaufte Liegenschaft, die aber nach einem im Jahre 1954 geschlossenen Vertrag über eine unter Lebenden wirksame Gütergemeinschaft beiden Streitteilen gemeinsam gehört hatte, und 900 S als monatlichen Unterhaltsbeitrag zu bezahlen.
Punkt 3 und 4 dieses Vergleiches hätten folgenden Wortlaut gehabt:
"3. Die Klägerin ist damit einverstanden, daß der Beklagte aus der ehelichen Wohnung auszieht und anderswo Aufenthalt nimmt. Sie wird aus der Tatsache seines Wegziehens und allfälligen Zusammenlebens mit einer anderen Frau auch keinen Grund für die Einbringung einer Privatanklage wegen Verletzung der ehelichen Treue ableiten.
4. Der Beklagte ist seinerseits damit einverstanden, daß die Klägerin eine andere Person in das gemeinsame Haus aufnimmt und wird seinerseits aus dieser Tatsache keinen Grund für die Einbringung einer Ehestörungsklage ableiten."
In einer neuerlichen Unterhaltsklage der Beklagten sei am 15. November 1967 wieder ein Vergleich geschlossen worden, nach dem der Kläger seinen Unterhaltsbeitrag auf monatlich 1200 S erhöht habe und die Punkte 3 und 4 des Vergleiches vom 2. März 1966 ausdrücklich aufrecht erhalten worden seien. Die Beklagte habe schwere Operationen hinter sich und leide an Leistenbrüchen, sodaß sie nur leichte Arbeiten ausführen könne. Die einzige Verbindung zwischen den Streitteilen habe in den letzten Jahren in den Unterhaltszahlungen des Klägers bestanden. Mit Schreiben der Beklagten vom 2. Mai 1969 sei Punkt 3 des Vergleiches vom 2. März 1966 des Bezirksgerichtes R widerrufen worden. Daraus ergebe sich, daß die eheliche Gemeinschaft der Streitteile seit mehr als drei Jahren aufgehoben und die Ehe vollkommen zerrüttet sei. Die Zerrüttung sei in erster Linie vom Kläger verschuldet worden, der ehewidrige Beziehungen zu Rosa Z unterhalten habe und offenbar auch heute noch unterhalte; außerdem habe er eigenmächtig den ehelichen Haushalt im März 1966 verlassen und sei nie wieder zurückgekehrt.
Der danach zulässige Widerspruch der Beklagten sei auch beachtlich. Die Beklagte bedürfe als 52jährige kranke Frau nach 21jähriger Ehe noch immer des Beistandes des Mannes, sei er auch nur finanzieller Natur. Das Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung, das in gegenseitigen Beschimpfungen und Mißhandlungen sowie in mehrfachen Aufforderungen an den Kläger, das Haus zu verlassen, bestehe, falle gegenüber den primären und überwiegenden Eheverfehlungen des Klägers nicht so sehr ins Gewicht.
Das Berufungsgericht gab der nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers statt und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es die Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG aussprach. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus:
Das Erstgericht habe den Widerspruch der Beklagten mit Recht als zulässig angesehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sei ein zulässiger Widerspruch immer dann zu beachten, wenn die schuldlose oder minder schuldige Ehegattin trotz der Zerrüttung der Ehe des Beistandes bedürfe und an der Ehe festhalte. Wenn das Scheidungsbegehren des Klägers trotz seiner eigenen Eheverfehlungen sittlich gerechtfertigt sei, könne der Widerspruch nicht beachtet werden. Ein Erfolg des Widerspruchs setze voraus, daß es dem widersprechenden Eheteil ernstlich um die Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft, nicht aber um das Fortbestehen des Ehebandes allein gehe. Von einem solchen ernsten Willen könne dann aber nicht mehr gesprochen werden, wenn die Frau selbst Handlungen gesetzt habe, die nach menschlichem Ermessen die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft für alle Zukunft ausschließen müssen. Dies habe aber die Beklagte getan, indem sie sich im Vergleich vom 2. März 1966 damit einverstanden erklärt habe, daß der Kläger aus der ehelichen Wohnung ausziehe und mit einer anderen Frau zusammenlebe, andererseits sich selbst die entsprechenden Rechte habe einräumen lassen. Durch diese Vereinbarung sei ein Zustand geschaffen worden, der demjenigen ähnlich sei, der einst durch eine Scheidung der Ehe von Tisch und Bett hergestellt worden sei, wodurch mit vollem Einverständnis der Beklagten die eheliche Gemeinschaft endgültig aufgelöst worden sei. Die Beklagte könne dem Kläger daher nicht vorwerfen, daß er keinen Versuch unternommen habe, zu ihr zurückzukehren. Da die Beklagte ihre Zustimmung zur Auflösung der häuslichen Gemeinschaft in einem neuerlichen Vergleich vom 15. November 1967 wiederholt habe, könne sie sich nicht darauf berufen, daß sie sich bei Abschluß des Vergleiches vom 2. März 1966 in einer durch nervliche Überbeanspruchung hervorgerufenen aufgeregten Gemütsverfassung befunden habe oder daß sie den Vergleich nur geschlossen habe, weil sie die Aussichtslosigkeit, den Kläger weiterhin in der ehelichen Gemeinschaft zu halten, eingesehen habe. Bei dem von der Beklagten behaupteten Festhalten an der Ehe handle es sich also nur um ein Festhalten an dem durch die beiden Vergleiche seines Inhaltes beraubten Ehebande. Dessen Aufrechterhaltung sei sittlich nicht gerechtfertigt. Der Widerspruch der Beklagten sei daher unbeachtlich.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten teilweise Folge, indem er die berufungsgerichtliche Entscheidung durch den Ausspruch ergänzte, daß den Kläger ein Verschulden trifft.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beklagte rügt als Mangelhaftigkeit die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Beklagte habe Handlungen gesetzt, die nach menschlichem Ermessen eine Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft für alle Zukunft ausschließen müßten; das Berufungsgericht sei also entgegen den Feststellungen des Erstgerichtes davon ausgegangen, daß der Beklagten der ernstliche Wille zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft fehle. Im Rahmen ihrer Ausführungen zum Revisionsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht die Beklagte ferner geltend, daß das Berufungsgericht den Inhalt der Vergleiche vom 2. März 1966 und 15. November 1967 unrichtig festgestellt habe. Die Rüge ist jedoch unberechtigt. Auch das Berufungsgericht ist von der im Ersturteil zwar nicht ausdrücklich festgestellten, seiner Entscheidung aber inhaltlich zugrundeliegenden Erklärung der Beklagten ausgegangen, sie halte an der Ehe fest. Die Beurteilung der Frage aber, ob das von einem Ehepartner erklärte und als wirklich gewollt vorausgesetzte Festhalten an der Ehe bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens beider Ehegatten, insbesondere des Verhaltens des der Scheidung widersprechenden Eheteiles, die Aufrechterhaltung der Ehe als sittlich gerechtfertigt und demnach den Widerspruch als beachtlich erscheinen läßt, fällt in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung. Auch was die Beklagte zu der angeblich unrichtigen Feststellung der Vergleichsinhalte ausführt, ist nur eine Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung dieser Vergleiche. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt somit nicht vor.
Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß die Beklagte durch den Abschluß der Vergleiche vom 2. März 1966 und 15. November 1967 Handlungen gesetzt hat, die ihren zulässigen Widerspruch gegen die Scheidung unbeachtlich machen. Denn wenn eine Frau in zwei gerichtlichen Vergleichen nach dem Wegziehen ihres Ehemannes aus der ehelichen Wohnung durch Verzicht auf eine Ehestörungsklage seitens ihres Ehemannes zumindest mittelbar sich das Recht, mit einem anderen Manne zusammenzuleben, einräumen läßt, wie es die Beklagte in den erwähnten Vergleichen getan hat, dann hat sie zu erkennen gegeben, daß ihr Festhalten an der Ehe, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nur ein Festhalten an dem Band einer Ehe ist, die ihren sittlichen Inhalt verloren hat. Das Aufrechterhalten einer solchen Ehe ist aber sittlich nicht gerechtfertigt (EvBl 1957/403).
Insoweit ist die Revision der Beklagten also nicht gerechtfertigt.
Wie der Oberste Gerichtshof jedoch wiederholt ausgesprochen hat, enthält in einem Verfahren auf Scheidung der Ehe nach § 55 EheG der Widerspruch der beklagten Partei im Zweifel einen Mitschuldantrag für den Fall der Scheidung (JBl 1960, 75 u a), wenn sich aus den Umständen des Falles nicht ergibt, daß die Stellung des Mitschuldantrages von der beklagten Partei absichtlich unterlassen worden ist (JBl 1951, 264). Solche Umstände sind im vorliegenden Falle nicht hervorgekommen. Die von den Untergerichten festgestellten Eheverfehlungen des Klägers lassen aber jedenfalls gemäß § 61 Abs 2 EheG den Ausspruch, daß den Kläger ein Verschulden trifft, als billig und gerechtfertigt erscheinen.
Somit war der Revision teilweise Folge zu geben.
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