OGH 8Ob550/90

OGH8Ob550/9029.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Jelinek als Richter in der Pflegschaftssache des am 17.August 1974 geborenen mj.Roland V***, wohnhaft bei der Mutter Ilse V***, Bieleweg 425, 6713 Ludesch, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Bludenz als Unterhaltssachwalter wegen Gewährung von Unterhaltsvorschüssen infolge Revisionsrekurses des mj.Roland V***, vertreten durch den Unterhaltssachwalter gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgerichtes vom 19.Jänner 1990, GZ 1 a R 24/90-32, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Bludenz vom 28. Dezember 1989, GZ P 150/86-29, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die insoweit als unangefochten aufrecht bleiben, als die monatlichen Unterhaltsvorschüsse nicht unter die vom Rekursgericht festgesetzten Grenzen herabgesetzt werden dürfen, werden im übrigen aufgehoben. Die Sache wird an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen. Dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit dem Beschluß des Erstgerichtes vom 13.September 1988 wurden dem mj. Roland V*** für die Zeit ab 1.September 1988 bis 31. August 1991 Unterhaltsvorschüsse in der Höhe des Unterhaltstitels von S 2.200,-- bewilligt.

Mit dem Schreiben vom 20.Dezember 1989 teilte die Bezirkshauptmannschaft Bludenz dem Erstgericht mit, daß der Minderjährige seit 1.September 1989 bei der Firma B*** in Bludenz als Stahlbauschlosser im Lehrverhältnis steht. Aus der dieser Mitteilung angeschlossenen Bestätigung der Firma B*** ergibt sich, daß der Minderjährige eine Lehrlingsentschädigung von derzeit monatlich netto S 3.231,-- erhält und für das Jahr 1989 an Sonderzahlungen zusätzlich S 2.118,10 ausbezahlt erhielt. Aus dem Aktenvermerk vom 18.Dezember 1989 ergibt sich, daß die Firma B*** einen Arbeitsanzug pro Jahr gratis zur Verfügung stellt, jedoch jährlich ca 3 bis 5 solcher Anzüge a S 240,-- benötigt werden. Das Werkzeug wird von der Firma B*** zur Verfügung gestellt. Der Minderjährige hat die Fahrtkosten zwischen Ludesch und Bludenz selbst zu tragen. Es steht ihm die Möglichkeit offen, um S 29,-- in der betriebseigenen Kantine zu essen.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsvorschüsse ab 1. September 1989 auf S 1.000,-- herab.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß ab und setzte die monatlichen Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum 1989 auf S 367,-- und ab 1990 auf S 589,-- herab. Es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz verwies darauf, daß § 7 Abs 1 Z 1 UVG die Möglichkeit biete, die Unterhaltsvorschüsse dem materiellrechtlichen Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten anzupassen. Das Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten abzüglich der Berufsausbildungskosten sei somit auf die Unterhaltsvorschüsse anzurechnen. Bei einer Vorschußgewährung nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG sei vom jeweils geltenden Höchstrichtsatz nach § 6 Abs 1 UVG ausgehend das um die Berufsausbildungskosten verminderte Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten bzw Vorschußbeziehers abzuziehen. Der monatliche Höchstbetrag habe für das Jahr 1989 S 3.382,-- und für das Jahr 1990 S 3.604,-- betragen. Die dem Minderjährigen ausbezahlte Lehrlingsentschädigung ab 1. September 1989 belaufe sich auf S 3.769,50. Unter Berücksichtigung eines pauschal anrechenbaren Einkommens von 80 % gelange man auf den Betrag von S 3.015,60. Der Abzug vom Höchstbetrag nach § 6 Abs 1 UVG ergebe für den Zeitraum vom September bis Dezember 1989 einen Saldo von S 366,40 und ab Jänner 1990 einen solchen von S 588,40.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Revisionsrekurs des durch die Bezirkshauptmannschaft Bludenz vertretenen Minderjährigen. Beantragt wird die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses oder die Aufhebung der rekursgerichtlichen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung. Das Rekursgericht habe zu Unrecht die Lehrlingsentschädigung vom Unterhaltsvorschuß abgezogen, weil dadurch unterhaltsrechtlichen Grundsätzen nicht Rechnung getragen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Zunächst ist klarzustellen, daß der Revisionsrekurs gemäß Art III des RRAG 1989 unabhängig vom Geldwert des Entscheidungsgegenstandes zulässig ist. Nach dem nunmehrigen Wortlaut des § 15 Abs 3 UVG unterliegt der Revisionsrekurs nicht der Beschränkung des § 14 Abs 2 Z 1 AußStrG. Die Übergangsregelung des Art XLI Z 9 Erweiterte Wertgrenzennovelle 1989 findet nicht Anwendung. Bei der Entscheidung nach dem UVG handelt es sich nicht um eine solche über die Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes. Dies ergibt sich eindeutig daraus, daß die Ausnahmsregelung des § 14 Abs 3 AußStrG, wonach der Abs 2 Z 1 ua nicht gilt, soweit der Entschädigungsgegenstand ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch ist, durch Art III des RRAG erst auf das UVG ausgedehnt werden mußte. Die Frage der Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung bei Versagen des Unterhaltsvorschusses nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG kann nicht isoliert von den Grundsätzen beurteilt werden, die für die Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung bei Unterhaltsleistungen an sich anzuwenden sind. Es ist dabei Knoll ("immer wieder:

Lehrlingsentschädigung in der Unterhaltsrechtsprechung", ÖA 1988,

35) zu folgen, daß ein bedingungsloser Abzug der ganzen oder eines feststehenden aliquoten Teiles Lehrlingsentschädigung von der bisherigen Unterhaltsleistung nicht in Betracht kommt. Die Lehrlingsentschädigung ist das erste selbstverdiente Einkommen eines Jugendlichen. Es ist sowohl aus pädagogischen als auch sozialpolitischen Gründen nicht gerechtfertigt, sie schematisch vom bisher bezahlten Unterhaltsbetrag gänzlich oder zu einem feststehenden Prozentsatz abzuziehen. Vielmehr ist darauf Bedacht zu nehmen, daß sich die Lebensverhältnisse des ins Berufsleben eintretenden Lehrlings in ihrer Gesamtheit verändern, daß die Berufstätigkeit Mehrauslagen erfordert und daß der Jugendliche nunmehr auch gewisse höhere Ansprüche an eine seinem gehobenen Sozialprestige entsprechende Lebensführung stellen darf. Alle diese Erwägungen können in einer bloß schematischen Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung nicht ihren Niederschlag finden (vgl Pichler in Rummel, ABGB, Rz 11 a zu § 140; Knoll aaO; derselbe, Kommentar zum UVG ÖA 1988, Rz 24). Es ist daher eine Frage des Einzelfalles, inwieweit sich die vom Lehrling bezogene Entschädigung auf die bisherigen Unterhaltsverpflichtungen anderer auswirkt. Dazu bedarf es näherer Erhebungen, die es ermöglichen, die Interessen des Unterhaltsberechtigten und der Unterhaltsverpflichteten sorgfältig gegeneinander abzuwägen und eine ihren Verhältnissen entsprechende Entscheidung zu treffen.

Die so verstandene Berücksichtigung der Lehrlingsentschädigung bei Beurteilung der Unterhaltsleistung wirkt auch auf die ins Auge gefaßte Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse nach dem UVG zurück (Knoll Kommentar aaO). Es ist daher einerseits zu klären, wie hoch der Unterhaltsvorschuß unter den geänderten Umständen des Bezuges einer Lehrlingsentschädigung zu sein hat, und andererseits zu berücksichtigen, daß das UVG im § 6 Abs 1 einen Richtsatz aufstellt, der aus Gründen des Staatsbudgets nicht überschritten werden darf. Auch in diesem Verfahren sind daher die Umstände des Einzelfalles maßgebend. Im Gegensatz zur Vorgangsweise des Rekursgerichtes, das von dem Richtsatz ausgehend summarisch 80 % der Lehrlingsentschädigung abzog und den so ermittelten Rest des Unterhaltsvorschusses dem Minderjährigen beließ, werden konkrete Erhebungen über den dargestellten Fragenkomplex durchzuführen und insbesondere der minderjährige Lehrling selbst zu vernehmen sein, um den durch den Bezug der Lehrlingsentschädigung wesentlich veränderten finanziellen und sozialen Verhältnissen des Minderjährigen im Lichte der durch das UVG geschaffenen Versorgungslage in gerechter Weise Rechnung tragen zu können. Die Entscheidung der Vorinstanzen waren daher aufzuheben; dem Erstgericht war eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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