OGH 8Ob524/91

OGH8Ob524/9121.3.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Graf, Dr. Floßmann und Dr. Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 18. Dezember 1973 geborenen mj Bettina S*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Franz S*****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluss des Kreisgerichtes Wels als Rekursgericht vom 23. Jänner 1991, GZ R 59/91-104, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom 12. Dezember 1990, GZ 2 P 410/81-101, als nichtig behoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1991:0080OB00524.910.0321.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Die am 18.12.1973 geborene mj Bettina S***** befindet sich nach der mit Beschluss vom 21.1.1983 (ON 36) rechtskräftig erfolgten vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gemäß § 26 Abs 2 JWG 1954 im Rahmen der Erziehungshilfe im SOS-Jugendhaus W*****. Ihr Vater wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt W***** vom 21.4.1989 nach den §§ 7 und 9 OÖJWG verpflichtet, die Kosten ihrer Unterbringung teilweise, und zwar in der Höhe von monatlich S 2.800,-, zu tragen. Am 6.11.1990 beantragte der Vater, diesen Kostenersatz ab 1.12.1990 auf monatlich S 1.000,- herabzusetzen, weil die Minderjährige eine monatliche Lehrlingsentschädigung von mindestens netto S 3.500,- beziehe. Der Magistrat der Stadt W***** sprach sich unter Hinweis auf die von ihm als Jugendwohlfahrtsträger für die Minderjährige erbrachten monatlichen Aufwendungen von insgesamt S 4.290,- gegen jedwede Herabsetzung der Kostenbeteiligung des Vaters aus.

Das Erstgericht wies den Herabsetzungsantrag mit der Begründung ab, der vom Vater geleistete monatliche Kostenbetrag von S 2.800,- sei nach wie vor erforderlich.

Das vom Vater angerufene Rekursgericht hob das gegenständliche Verfahren ab dem Tage der Antragstellung des Vaters als nichtig auf und wies dessen Herabsetzungsantrag zurück. Es erklärte den Revisionsrekurs gemäß § 14 Abs 1 AußStrG für zulässig und führte zur Begründung seiner Entscheidung aus:

Die der mj Bettina S***** gewährte Maßnahme der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege in Form gerichtlicher Erziehungshilfe dauere noch an. Gemäß § 4 Abs 1 JWG 1954 habe grundsätzlich der Jugendliche die Kosten der ihm zugutekommenden Maßnahmen zu tragen, über die Kostentragung sei in Ausführung der Grundsatzbestimmung des § 40 JWG 1954 gemäß § 9 OÖJWG LGBl 1955/82 im Verwaltungswege zu entscheiden. Gemäß dem § 40 des mit 1.7.1989 als Grundsatzgesetz in Kraft getretenen JWG 1989 BGBl 1989/161 sei nunmehr mangels Zustandekommens einer Vereinbarung über die Kostentragung und den Kostenersatz über Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers vom Pflegschaftsgericht im Verfahren außer Streitsachen zu entscheiden. Zu diesem Grundsatzgesetz seien gemäß seinem § 42 Abs 3 innerhalb eines Jahres nach seinem Inkrafttreten die Ausführungsgesetze der Länder zu erlassen. Auf Grund der rekursgerichtlichen Erhebungen stehe fest, dass der OÖ Landtag ein derartiges Ausführungsgesetz bisher nicht beschlossen habe, eine diesbezügliche Gesetzesvorlage werde ihm voraussichtlich im März 1991 zugeleitet werden. Im Sinne der Anordnung des § 46 JWG 1989 träten in den einzelnen Ländern erst mit Wirksamkeitsbeginn der jeweiligen Ausführungsgesetze die §§ 1 - 17 und demnach auch der § 4 des JWG 1954 außer Kraft. In seiner Entscheidung 8 Ob 718/89 habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, die als unmittelbares Bundesrecht anzuwendende Bestimmung des § 40 JWG 1989 sehe die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtsweges für die in § 33 JWG 1989 geregelten Ersatzansprüche vor, ein solcher Ersatzanspruch könne aber im gegebenen Falle mangels Erlassung eines entsprechenden (niederösterreichischen) Ausführungsgesetzes noch nicht existent geworden sein. Die zum JWG 1954 erlassenen Ausführungesgesetze der Länder würden unter dem Gesichtspunkt, dass sie dem JWG nicht mehr entsprechen sollten, erst mit Ablauf des 1.7.1990 verfassungswidrig werden. Bis dahin sei für die Vollziehung verfassungsrechtlich unbedenklich das (niederösterreichische) Landesjugendwohlfahrtsgesetz als Ausführungsgesetz zum JWG 1954 maßgebende Rechtsgrundlage. Dieser Grundsatz entspreche auch § 46 JWG 1989, wonach in den einzelnen Ländern erst mit Wirksamkeitsbeginn des jeweiligen (neuen) Ausführungsgesetzes die für das bisherige Ausführungsgesetz maßgebenden Bestimmungen des JWG 1954 außer Kraft treten würden. Im Sinne dieser oberstgerichtlichen Entscheidung erlasse zB das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung nach wie vor Bescheide auf der Rechtsgrundlage des § 9 OÖJWG. Unter Bezugnahme auf die spezielle Norm des § 46 JWG 1989 vertrete das Rekursgericht gleichfalls die Ansicht, dass bis zum Wirksamkeitsbeginn eines oberösterreichischen Ausführungsgesetzes die Entscheidung über die Kostenersatzpflicht und auch deren Abänderung im Verwaltungswege zu erfolgen habe. Aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels des Vaters sei daher der Mangel der Zulässigkeit des Rechtsweges wahrzunehmen, die bekämpfte Entscheidung sowie das dieser vorangegangene Verfahren als nichtig aufzuheben und der Herabsetzungsantrag des Vaters zurückzuweisen.

Gegen die rekursgerichtliche Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit der Begründung, § 40 JWG 1989 stelle unmittelbar anzuwendendes Bundesrecht dar, welches eines Ausführungsgesetzes des Landes nicht bedürfe und als spätere Norm die Bestimmung des § 4 Abs 1 JWG 1954 im Sinne einer materiellrechtlichen Derogation jedenfalls verdränge. Somit habe die Entscheidung über die Tragung der Kosten von öffentlichen Jugendwohlfahrtsmaßnahmen seit 1.7.1990 nicht mehr im Verwaltungsweg zu ergehen und über den Herabsetzungsantrag das Gericht zu entscheiden. Der Umstand, dass das Land Oberösterreich bisher noch kein Ausführungsgesetz erlassen habe ändere nichts, weil die einjährige Frist zu dessen Erlassung bereits abgelaufen sei.

Rechtliche Beurteilung

Zu dem im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zulässigen Rechtsmittel war folgendes zu erwägen:

Schon in der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 8 Ob 718/89 hat der erkennende Senat darauf verwiesen - und wiederholt dies nun -, dass die in einem gemäß dem Art 12 B-VG ergangenen Grundsatzgesetz enthaltenen Normen nur an den Ausführungsgesetzgeber, nicht aber an die Vollzugsbehörde gerichtet sind. Das Ausführungsgesetz ist die für die Vollziehung bestimmte Rechtsgrundlage (VfSlg 5921).

Grundsatzgesetzliche Regelungen sind daher selbst dann nicht unmittelbar anwendbar, wenn sie in inhaltlicher Hinsicht einer unmittelbaren Vollziehung zugänglich sind (VfSlg 3340; 7.263; Adamovich-Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3 176).

Gemäß Art 15 Abs 6 B-VG kann das Bundesgrundsatzgesetz eine Frist für die Erlassung des Ausführungsgesetzes setzen. Wird diese Frist von einem Landesgesetzgeber nicht eingehalten, so geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land gemäß Art 15 Abs 6 B-VG auf den Bund über. Sobald aber das Land das Ausführungsgesetz (mit Verspätung) erläßt, tritt ein vom Bund erlassenes Ausführungsgesetz außer Kraft (= vorübergehende Devolution; siehe Adamovich-Funk aaO 175; Walter-Mayer Bundesverfassungsrecht6 Rz 267). Darüber, ob auch dann eine "vorübergehende Devolution" eintritt, wenn ein bisheriges Grundsatzgesetz - hier das JWG 1954 - durch ein anderes - hier das JWG 1989 - unter Fristsetzung zur Erlassung des (neuen = anzupassenden) Landesausführungsgesetzes ersetzt, ein solches (neues = angepasstes) Landesausführungsgesetz sodann aber innerhalb der Frist nicht erlassen wird, herrscht zwar ein Meinungsstreit: Der Verfassungsgerichtshof ist unter Hinweis auf die teilweise Änderung der Bestimmung des Art 15 Abs. 6 B-VG durch die B-VG-Novelle 1974 BGBl 444 von seiner, mit der Lehre übereinstimmenden Judikatur (VfSlg 5921) abgegangen und hat im Erkenntnis VfSlg. 10.176 unter Bezugnahme auf Auckenthaler in ÖJZ 1984, 57 ff und 87 ff eine derartige Devolution abgelehnt; Mayer (ÖJZ 1985, 545) und Walter-Mayer (aaO Rz 268) halten dagegen unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung und einhellige Lehre an der bisherigen Auffassung fest. Einigkeit besteht aber darin, dass ein dem (neuen) Grundsatzgesetz widersprechendes bisheriges Ausführungsgesetz mit Ablauf der dem Landesgesetzgeber zur Erlassung des (neuen) Ausführungsgesetzes gemäß § 15 Abs 6 B-VG gesetzten Frist verfassungswidrig wird (Mayer aaO; Mayer-Walter aaO Rz 168; VfSlg 10.176).

Im vorliegenden Fall hat der OÖ Landesgesetzgeber nicht innerhalb der ihm im Grundsatzgesetz (§ 42 Abs 3 JWG 1989) mit 30.6.1990 bestimmten Jahresfrist und auch nicht seither das entsprechende Ausführungsgesetz erlassen. Auch der Bund hat die ihm (im Sinne der Rechtsansicht von Walter-Mayer) in einem solchen Falle auf Grund vorübergehender Devolution zukommende Zuständigkeit nicht in Anspruch genommen und bisher kein - bis zur Erlassung des landesgesetzlichen Ausführungsgesetzes wirksames - Ausführungsgesetz erlassen. Es wäre daher zunächst zugrundezulegen, dass das OÖJWG 1955 als bisheriges Ausführungsgesetz, soweit es den Regelungen des JWG 1989 widerspricht, seit 1.7.1990 verfassungswidrig ist. Dies wäre hinsichtlich der auf der Grundlage des § 4 JWG 1954 erlassenen Bestimmung des § 9, nach welcher über die Kostenersatzpflicht im Verwaltungswege zu entscheiden ist, der Fall, weil dieser Regelung die Bestimmung des § 40 JWG 1989 entgegensteht, wonach über die Kostenersatzpflicht auf Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers das Pflegschaftsgericht im Verfahren außer Streitsachen entscheidet.

Nun enthält allerdings das JWG 1989 als Grundsatzgesetz in § 46 die Anordnung, dass "in den einzelnen Ländern mit Wirksamkeitsbeginn des jeweiligen Ausführungsgesetzes die §§ 1 - 17 und ..... des Jugendwohlfahrtsgesetzes BGBl 99/1954 idF außer Kraft treten". Der Grundsatzgesetzgeber hat damit selbst die Anordnung getroffen, dass bis zum Wirksamkeitsbeginn eines Ausführungsgesetzes die maßgeblichen Regelungen des JWG 1954, hier des § 4, weiterhin in Kraft bleiben. Durch diese Anordnung wird einer Verfassungswidrigkeit der bisherigen landesgesetzlichen Bestimmungen wegen Widerspruches zu solchen des JWG 1989 als Grundsatzgesetzes offenbar von vornherein begegnet. Jedenfalls darf im Zweifelsfall angenommen werden, dass der Grundsatzgesetzgeber die Weitergeltung der §§ 1 - 17 des JWG 1954 auch über die dem Landesgesetzgeber bis zum 30.6.1990 gesetzte Frist hinaus zur Vermeidung einer Verfassungswidrigkeit der alten landesgesetzlichen Regelung beabsichtigt hat; andernfalls hätte er wohl ausgesprochen, dass auch die Geltung des § 46 (JWG 1989) mit Ablauf der Frist zur Erlassung des Ausführungsgesetzes (30.6.1990) begrenzt ist.

Die vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht begegnet somit keinen Bedenken. Demgemäß war dem Rekurs des Vaters nicht Folge zu geben.

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