Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung
Am 25. Juli 1985 ereignete sich in Wien 9. an der Kreuzung Währingerstraße - Rooseveltplatz ein Verkehrsunfall, an dem Hussain I*** als Lenker des der Klägerin gehörigen Taxis Mercedes (W 40.649) und Herbert W*** als Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Omnibusses MAN (W 770.678) beteiligt waren. Dabei wurde das Taxi der Klägerin beschädigt.
Die Klägerin forderte an Schadenersatz den der Höhe nach außer Streit gestellten Betrag von S 21.320,-- s.A. und brachte vor, Herbert W*** habe im Zuge eines Einbiegemanövers vom Rooseveltplatz in die Währingerstraße einen Fahrstreifenwechsel vorgenommen, wodurch es zur Kollision mit dem Taxi gekommen sei. Die Beklagte wendete ein, W*** habe sich zum Rechtseinbiegen in die Währingerstraße eingeordnet, rechts von ihm sei auf einem Taxistandplatz an erster Stelle das Fahrzeug der Klägerin gestanden; während des Einbiegemanövers sei I*** losgefahren und gegen die rechte Seite des Omnibusses mit dem Mercedes gestoßen. Das Erstgericht gab der Klage statt, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:
Der Rooseveltplatz hat in seiner Einmündung zur Währingerstraße eine Breite von 9,8 m. Rechts befindet sich ein Taxistandplatz; der rechte Fahrbahnrand war durch Taxis und dahinter durch parkende Fahrzeuge besetzt. Links befanden sich parkende Fahrzeuge. Es ergibt sich somit auf den letzten 15 m vor der Einmündung der Währingerstraße eine Breite von 5,8 m. Linksseitig ist nach einem Gehsteig der Eingang zum Hotel Regina. Rechtsseitig befand sich als erstes Fahrzeug das Taxi der Klägerin, wobei sich die Front des Fahrzeuges etwa auf Höhe des rechts neben der Währingerstraße beginnenden Gehsteiges befand, bzw. etwa 3 m vor dem rechten Fahrbahnrand der Währingerstraße. Das Taxi war mit dem Taxilenker besetzt und dieser wartete auf Fahrgäste. Der Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeuges, eines 10 m langen, und 2,5 m breiten Omnibusses, ließ zunächst vor dem Hotel Regina Gäste einsteigen und fuhr dann mit dem Bus in eine Position fahrbahnparallel zum Rooseveltplatz bzw. etwa senkrecht zur Währingerstraße, wobei die rechte Fahrzeugbegrenzung zum rechts befindlichen Taxi einen Seitenabstand von 2 m hatte. Er führte den Bus mit der Front bis etwa auf die Höhe des rechten Fahrbahnrandes der Währingerstraße und hielt das Fahrzeug dort wegen bevorrangten Querverkehrs über längere Zeit, etwa 1 Minute oder länger, an. In dieser Position war der rechte Blinker eingeschaltet. Zu den links parkenden Fahrzeugen hatte der Bus einen Seitenabstand von etwa 1,3 m. Während dieses Stillstandes des Omnibusses bestiegen Gäste das Taxi der Klägerin und dessen Lenker setzte sein Fahrzeug in Bewegung, wobei er nicht wesentlich vom rechten Fahrbahnrand abwich und sofort den rechten Blinker setzte. Er fuhr mit dem Taxi etwa eine halbe Fahrzeuglänge nach vor, sodaß sein Fahrzeug insgesamt zur ursprünglichen Längsrichtung eine Schrägrechtsversetzung leichten Ausmaßes erhielt. Dann hielt er sein Fahrzeug an, wobei nunmehr die Front seines Fahrzeuges nocht nicht die Front des Busses erreicht hatte und zwischen den beiden Fronten der Fahrzeuge ein Abstand von etwa 3 m gegeben war. Die linke hintere Ecke des Taxis hatte zur rechten Flanke des Busses einen Seitenabstand von etwa 1,60 bis 1,80 m. Auch der Taxilenker wartete den Querverkehr ab und hielt in dieser Position etwa 5 bis 10 Sekunden an. Im Querverkehr hat ein unbekannter Fahrzeuglenker auf seinen Vorrang verzichtet, der Buslenker sah in den rechten Außenspiegel, nahm kein Fahrzeug wahr, blickte dann nach links und setzte sein Fahrzeug in Bewegung; beim Rechtsabbiegen streifte das rechte vordere Rad des Busses die linke Seite des Taxis, wobei die Hauptanstoßstelle im Bereich Kotflügel-Türe war. Der Buslenker nahm das Taxi vor der Kollision nicht wahr. Der Taxilenker gab vor der Kollision kein Warnsignal und machte den Buslenker nicht auf seine Position aufmerksam. Zum Unfallszeitpunkt war der Omnibus in Bewegung, das Taxi im Stillstand. Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, nach einer ursprünglichen Vorwärtsbewegung hätten sich beide Fahrzeuge im Stillstand befunden. Zwischen den beiden Fahrzeugen habe ein Seitenabstand zwischen 1,60 m und mehr als 2 m bestanden.
§ 19 Abs 8 StVO bestimme, daß das zum Stillstandbringen eines Fahrzeuges aus welchem Grund auch immer, als Verzicht auf den Vorrang gelte. Beide Fahrzeuge hätten sich daher in einer "gleichwertigen Position" befunden, beide hätten nach rechts abbiegen wollen. § 11 StVO bestimme, daß der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrtrichtung nur ändern dürfe, nachdem er sich davon überzeugt habe, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei. Durch sein Losfahren habe der Omnibuslenker seine Fahrlinie verändert und das Fahrzeug extrem stark nach rechts gezogen. Dabei hätte er gemäß § 11 StVO seinen Raumbedarf überprüfen müssen. Dies habe er nicht getan. Er sei beim Abbiegen an ein stehendes Hindernis gestoßen, nämlich an das Taxi der Klägerin. Es treffe ihn daher ein Verschulden gemäß § 11 in Verbindung mit § 19 StVO. Zu prüfen sei der Vorwurf der Beklagten, daß das Taxi während des Abbiegevorganges losgefahren sei. Der Abbiegevorgang des Busses sei aber in der Stillstandposition noch nicht einmal eingeleitet gewesen. Er sei dort auf jeden Fall, sollte er bereits eingeleitet gewesen sein, durch einen länger andauernden Stillstand unterbrochen gewesen. Zwischen den beiden Fahrzeugen habe ein derart großer Seitenabstand bestanden, daß sich daraus bereits ein Fahrstreifen ergeben habe. Dadurch, daß der Bus fast zur Gänze den Gegenverkehrsbereich-Fahrstreifen benützte, sei der rechte Fahrstreifen frei gewesen. Es versage daher der Vorwurf der Beklagten bezüglich einer rechtswidrigen Handlung des Taxilenkers. Den Taxilenker habe auch keine Verpflichtung zur Abgabe von Warnzeichen getroffen. Er sei nicht in den Abbiegevorgang des Omnibusses hineingefahren, sondern beide Fahrzeuge hätten sich eine gewisse Zeit im Stillstand befunden. Diese Situation sei erst durch den Buslenker verändert worden. Es könne daher in diesem Fall eine Warnverpflichtung für den Taxilenker nicht angenommen werden. Der Buslenker habe eben "zu wenig geschaut". Im übrigen sei ihm klar gewesen, daß sich ursprünglich rechts Taxis am Taxistandplatz befunden hätten. Wenn der Buslenker durch seine Position einen ganzen Fahrstreifen rechts von seinem Fahrzeug freigelassen habe, hätte er sich davon überzeugen müssen, daß dieser Fahrstreifen nach einer langen Stehperiode zwischenzeitig nicht besetzt worden sei. Das Alleinverschulden treffe daher den Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Omnibusses.
Infolge Berufung der Beklagten änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Klagsabweisung ab. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig; es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, gelangte jedoch zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Herbert W*** habe den Bus, wie sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes errechnen lasse, mit einem Seitenabstand von etwa 1,8 bis 2 m an dem parkenden Taxi vorbeigelenkt und sein Fahrzeug in einer Schrägstellung unter Betätigung des rechten Blinkers angehalten. Die Schrägstellung ergebe sich daraus, daß die linke hintere Ecke des Taxis zur rechten Flanke des Busses nur mehr einen Seitenabstand von etwa 1,6 bis 1,8 m hatte. Dazu komme, daß der Taxilenker zu einem Zeitpunkt losgefahren sei, als der Bus bereits erkennbar zum Rechtseinbiegen eingeordnet gewesen und zunächst an dem Taxi mit einem vielleicht etwas zu großen Seitenabstand vorbeigefahren sei, jedoch in seiner Warteposition jedenfalls nicht einen gesamten Fahrstreifen zur Verfügung gelassen habe. Während des Stillstandes des Busses sei der Taxilenker vorgefahren, um offenbar vor dem Autobus in die Kreuzung einzufahren. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes habe Herbert W*** trotz eines Blickes in den rechten Außenspiegel das Taxi nicht wahrnehmen können, weshalb er darauf habe vertrauen dürfen, daß während seiner Wartezeit kein weiteres Fahrzeug sich zwischen dem rechten Fahrbahnrand und dem Bus aufstellen werde. Da der Taxilenker grob verkehrswidrig versucht habe, sich einzuordnen, treffe ihn das Alleinverschulden an dem Unfall, wobei dahingestellt bleiben könne, ob es sich um eine Vorrangverletzung handle oder nicht.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers aus den Anfechtungsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteiles.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der Auffassung der Beklagten zwar zulässig (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO), sie ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen im Ergebnis auch berechtigt. Die Klägerin rügt in ihrem Rechtsmittel die Feststellung des Berufungsgerichtes, daß der Buslenker das Taxi trotz eines Blickes in den rechten Außenspiegel nicht habe wahrnehmen können und der Taxilenker offenbar versucht habe, vor dem Omnibus in die Kreuzung einzufahren, als aktenwidrig. In der Rechtsrüge führt er aus, den Lenker des Taxis der Klägerin treffe kein Mitverschulden an dem Unfall, weil er nicht in den Abbiegevorgang des Omnibusses hineingefahren sei, dieses Fahrzeug habe sich vielmehr längere Zeit im Stillstand befunden. Der Omnibuslenker sei im Zuge des späteren Abbiegevorganges in das stehende Taxi hineingefahren. Ihn treffe das Alleinverschulden.
Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis teilweise Berechtigung zu. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes hat der Buslenker bei einem Blick in den rechten Außenspiegel "nichts gesehen", das heißt also, das rechts vom Bus befindliche Taxi nicht wahrgenommen. Eine Feststellung, daß er das Taxi nicht habe wahrnehmen können - etwa weil es sich im "toten Winkel" befunden habe - hat das Erstgericht nicht getroffen. Die zur Begründung des Verschuldens des Buslenkers vom Erstgericht verwendete Formulierung, der Buslenker habe eben "zu wenig geschaut", deutet eher darauf hin, daß das Erstgericht von einer Wahrnehmbarkeit des Taxis durch den Buslenker ausgegangen war. Die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vom Berufungsgericht gezogene Schlußfolgerung, "nach den Feststellungen des Erstgerichtes hat Herbert W*** trotz seines Blickes in den rechten Außenspiegel das Taxi nicht wahrnehmen können, weshalb er vertrauen durfte, daß während seiner Wartezeit kein weiteres Fahrzeug sich zwischen dem rechten Fahrbahnrand und dem Bus aufstellen werde", auf welcher Schlußfolgerung das Berufungsgericht seine Auffassung, der Taxilenker habe grob verkehrswidrig versucht, sich einzuordnen, es treffe ihn an dem Unfall das Alleinverschulden, stützte, ist daher durch die vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes nicht gedeckt. Die Feststellung aber, ob der Buslenker trotz möglicher Wahrnehmbarkeit des Taxis, dieses nicht wahrgenommen hat, ist für die Lösung der Verschuldensfrage wesentlich. Ein Fahrzeuglenker hat bei dem Abbiegemanöver nach rechts grundsätzlich folgende Vorschriften zu beachten: Gemäß § 11 Abs 1 StVO hat er sich davon zu überzeugen, daß die Fahrtrichtungsänderung ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Weiters hat er gemäß § 11 Abs 2 StVO den rechten Blinker zeitgerecht zu betätigen. Gemäß § 12 Abs 2 StVO ist ihm zur Pflicht gemacht, das Fahrzeug auf den rechten Fahrstreifen seiner Fahrtrichtung zu lenken; schließlich hat er gemäß § 13 Abs 1 StVO nach rechts in kurzem Bogen einzubiegen. Im vorliegenden Fall hat sich der Omnibuslenker zum Rechtseinbiegen vor der Kreuzung des Rooseveltplatzes mit der Währingerstraße so aufgestellt, daß der Seitenabstand von der linken hinteren Ecke des Taxis zur rechten Flanke des Omnibusses 1,60 bis 1,80 m betrug. Ein Verstoß gegen die §§ 12 Abs 2, 13 Abs 1 StVO könnte dem Buslenker nur in dem Fall nicht angelastet werden, wenn infolge der Beschaffenheit des von ihm gelenkten Fahrzeuges und der örtlichen Gegebenheiten das Rechtseinbiegen nur bei Einhaltung eines so großen Seitenabstandes ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer möglich gewesen wäre (vgl. ZVR 1975/68, ZVR 1979/31 ua.). In dieser Richtung hat das Erstgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Selbst bei Zutreffen der genannten Voraussetzungen schuf aber der Omnibuslenker durch die Einhaltung eines so großen Seitenabstandes zu dem rechts befindlichen Taxi eine unklare und gefährliche Verkehrssituation. Er hätte, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, beim Einbiegen nach rechts besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit anzuwenden gehabt. Für ihn genügte die bloße Anzeige der beabsichtigten Fahrtrichtungsänderung nicht; er hätte sich vielmehr vergewissern müssen, daß das Einbiegen im Hinblick auf den auf dem rechten Fahrstreifen allenfalls nachfolgenden Verkehr gefahrlos möglich ist (vgl. ZVR 1981/183, ZVR 1977/116 ua.). Nach § 23 KFG müssen zweispurige Kraftfahrzeuge mit mindestens zwei geeigneten, entsprechend großen Rückblickspiegeln ausgerüstet sein, die so angebracht sind, daß der Lenker von seinem Platz aus die Straße neben und hinter dem Fahrzeug ausreichend überblicken kann. Nach dieser Schutzvorschrift müssen also die Rückspiegel entsprechend eingestellt sein
(vgl. ZVR 1981/268 ua.). Unter Beachtung dieser Grundsätze wird das Erstgericht daher im fortgesetzten Verfahren die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, um beurteilen zu können, ob der Omnisbuslenker das rechts neben dem Omnibus befindliche Taxi bei Anwendung der pflichtgemäßen besonderen Vorsicht und Aufmerksamkeit hätte wahrnehmen können. In diesem Falle wäre ihm das Übersehen des Taxis als Verschulden anzulasten.
Entgegen der Auffassung der Revision trifft aber auch den Lenker des Taxis ein Mitverschulden an dem Unfall, weil er trotz der durch das Verhalten des Omnibuslenkers geschaffenen unklaren Verkehrssituation mit seinem Fahrzeug vorfuhr, obwohl er wegen des für ihn aus seiner Berufserfahrung bekannten größeren Raumbedarfes eines Omnibusses beim Rechtseinbiegen damit rechnen mußte, daß dadurch die Gefahr einer Kollision erhöht wird.
Über die Schadensteilung kann vor Vornahme der aufgezeigten erforderlichen Ergänzungen der Sachverhaltsgrundlage noch nicht abschließend entschieden werden. Hinzugefügt sei, daß nach den Umständen des vorliegenden Falles zwischen dem Omnibus und dem Taxi schon deshalb keine Vorrangsituation bestand, weil beide Fahrzeuge vor dem Rechtseinbiegen angehalten hatten (vgl. ZVR 1980/336 ua.). Der Revision war daher Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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