Spruch:
Die Fällung eines Teilurteiles trotz eingewendeter konnexer Gegenforderung kann vom Rechtsmittelgericht nicht von Amts wegen aufgegriffen werden.
Entscheidung vom 29. Juni 1964, 8 Ob 29/64. I. Instanz:
Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Klägerin ist die Witwe nach dem am 10. August 1960 verstorbenen, in M., NÖ., ansässig gewesenen Rechtsanwalt Dr. Josef W. Der Nachlaß wurde ihr allein eingeantwortet. Dadurch wurde sie auch Alleineigentümerin eines Hauses in M., in welchem ihr Gatte seine Rechtsanwaltspraxis ausgeübt hatte.
Mit der vorliegenden Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten, der von der Rechtsanwaltskammer zum mittlerweiligen Stellvertreter für Dr. W. bestellt worden war, für die vertraglose Benützung der Räume der Rechtsanwaltskanzlei samt Inventar und Bibliothek in den Monaten Februar bis Dezember 1961 ein monatliches Entgelt von 750 S, zusammen 8250 S. Nach Bezahlung eines Betrages von 750 S verblieben noch restliche 7500 S. Sie behauptete, daß mit dem Beklagten Verhandlungen wegen der Übernahme der Rechtsanwaltskanzlei geführt worden seien, aber zu keiner Einigung geführt hätten. Es sei auch kein Miet- oder Pachtvertrag mit dem Beklagten abgeschlossen worden.
Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete ein, daß er die Räume in seiner Eigenschaft als von der Rechtsanwaltskammer bestellter mittlerweiliger Vertreter des Rechtsanwaltes Dr. W. benützt habe. Er habe hiefür kein Entgelt zu bezahlen, vielmehr stehe ihm ein Anspruch auf Entlohnung für seine Tätigkeit zu. Er wendete auch eine die Klagsforderung übersteigende Gegenforderung aus diesem Titel sowie aus dem Titel der Vertretung der Klägerin im Verlassenschaftsverfahren und bei zwei Exekutionsführungen ein.
Das Erstgericht fällte ein Zwischenurteil in der Richtung, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, hob das angefochtene Zwischenurteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück. Das Berufungsgericht war der Meinung, daß das Erstgericht wegen der eingewendeten und noch nicht erledigten Gegenforderungen ein Zwischenurteil nicht hätte fällen dürfen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur sachlichen Entscheidung über die Berufung des Beklagten an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Klägerin wendet sich mit ihren Ausführungen im Rekurs gegen die vom Berufungsgericht angenommene Konnexität der Klagsforderung und der geltend gemachten Gegenforderungen. Sie ist der Meinung, daß ein solcher Zusammenhang zu Unrecht angenommen worden sei, weil es sich einerseits um das Rechtsverhältnis aus der vertraglosen Benützung einer fremden Sache und andererseits um das Rechtsverhältnis aus der Tätigkeit des Beklagten als mittlerweiliger Stellvertreter des verstorbenen Gatten der Klägerin zu dessen Erben handelt. Da ein solcher Zusammenhang der Forderungen nicht gegeben sei, habe das Erstgericht gemäß § 393 (1) ZPO. vollkommen zu Recht ein Zwischenurteil gefällt, das auch prozeßökonomisch gewesen sei.
Mit der Entscheidung des Berufungsgerichtes und den Ausführungen im Rekurs wird die Frage aufgeworfen, ob es dann, wenn Gegenforderungen eingewendet werden, überhaupt zulässig ist, gemäß § 393 ZPO. ein Zwischenurteil über die Klagsforderung allein zu fällen und ob dabei die Konnexität der Forderungen maßgeblich ist.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß der Beklagte Gegenforderungen aus seiner Stellung als Kanzleiverweser des verstorbenen Gatten der Klägerin und aus der Vertretung der Klägerin selbst geltend gemacht hat, die, wenn sie auch noch einer näheren Darstellung bedürfen, doch so weit konkretisiert erscheinen, daß sie zu berücksichtigen sind.
Das Erstgericht hat das Zwischenurteil nur bezüglich der Klagsforderung gefällt und auf die Gegenforderungen keinen Bezug genommen. Auf die Fragen, ob dies grundsätzlich zulässig ist, und ob hiebei die Konnexität der Forderungen ausschlaggebend ist, ist aber im vorliegenden Fall nicht näher einzugehen, weil dem Rechtsmittel des Beklagten aus einem formellen Gründe der Erfolg versagt bleiben muß. Der Beklagte hat nämlich diesen prozessualen Vorgang des Erstgerichtes entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht nur nicht ausdrücklich, sondern auch nicht einmal andeutungsweise in seiner Berufung bekämpft. Aus den Ausführungen in der Berufung, "daß Vereinbarungen zwar beabsichtigt, aber nicht zustandegekommen waren und daher das angefochtene, auf der Tatsache der Benützung fußende "Teilurteil" schon vom Standpunkt der Spruchreife aus verfehlt sei" und weiter "dann wären die beiderseitigen Vorleistungen und allenfalls der beiderseits behauptete Schade gegeneinander abzuwägen und nur dann läßt sich überhaupt das Begehren dem Gründe und der Höhe nach beurteilen", ist eine Bekämpfung der Erlassung des Teil-Zwischenurteiles durch das Erstgericht nicht zu erblicken. Wenn man im Sinne der Ausführungen des Beklagten durch die Fällung des Teil-Zwischenurteiles über die Klagsforderung allein einen Verstoß des Erstgerichtes gegen die Prozeßgesetze, nämlich gegen § 391 (3), § 393 (1 ZPO) ., annehmen wollte, hätte der Beklagte dies in seiner Berufung ausdrücklich rügen müssen, um Beachtung finden zu können. Prozessuale Verstöße sind nur auf Grund einer ausdrücklichen Rüge einer Partei, nicht aber von Amts wegen wahrzunehmen. Es hat daher für das Berufungsgericht keine Möglichkeit bestanden, die Fällung des Zwischenurteiles durch das Erstgericht auf seine Zulässigkeit nach den Prozeßgesetzen zu prüfen, diesen Vorgang als verfehlt anzusehen und das Zwischenurteil aus diesem Gründe aufzuheben.
Das Berufungsgericht wird nunmehr unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund sachlich über die Berufung des Beklagten zu entscheiden haben.
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