European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128546
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 345,94 EUR (darin 57,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Kläger begehrten die Aufhebung eines mit der Beklagten geschlossenen Kauf- und Werkvertrags über einen Fahrrad-Elektroantrieb.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 18. 3. 2019 verkündete das Erstgericht in Anwesenheit der Parteien das klagsstattgebende Urteil. Die Beklagte erstattete keine mündliche Berufungsanmeldung.
In der Folge stellte das Erstgericht den Parteien am 16. 4. 2019 das Protokoll der Verhandlung vom 18. 3. 2019 zusammen mit einer gekürzten Urteilsausfertigung „gemäß § 417a ZPO“ zu.
Mit Eingabe vom 16. 4. 2019 meldete die Beklagte unter Hinweis auf § 461 Abs 2 ZPO „innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Berufung an“ und beantragte die „Zustellung des ausgefertigten Urteils durch das Erstgericht“.
Das Erstgericht stellte der Beklagten daraufhin am 3. 5. 2019 eine weitere Urteilsausfertigung zu, die eine ausführliche Entscheidungsbegründung enthielt. Am 21. 5. 2019 brachte die Beklagte ihre Berufungsschrift ein.
Das Berufungsgericht wies das Rechtsmittel als verspätet zurück und behob aus Anlass der Berufung das am 3. 5. 2019 zugestellte Urteil des Erstgerichts ersatzlos als nichtig.
Bei der gekürzten Urteilsausfertigung handle es sich um ein Urteil mit allen Rechtskraftwirkungen. Eine neuerliche Ausfertigung des selben Urteils sei wegen entschiedener Sache unzulässig und nichtig. Die Berufungsfrist habe mit der Zustellung der gekürzten Urteilsausfertigung zu laufen begonnen und sei bei Einlangen des Rechtsmittels bereits verstrichen gewesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem sie die ersatzlose Behebung des Beschlusses und die meritorische Entscheidung über ihre Berufung anstrebt. Die Kläger haben eine Rekursbeantwortung erstattet und beantragen, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.
Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig (RIS-Justiz RS0098745 [T3]), aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 461 Abs 2 ZPO kann gegen ein in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündetes Urteil (§ 414 ZPO) Berufung von einer Partei nur erhoben werden, die die Berufung sofort nach der Verkündung des Urteils mündlich oder binnen 14 Tagen ab der Zustellung der Protokollsabschrift über jene Tagsatzung, in der das Urteil mündlich verkündet worden ist, in einem bei dem Prozessgericht erster Instanz überreichten Schriftsatz angemeldet hat.
Im Fall der gleichzeitigen Zustellung des mündlich verkündeten und bereits ausgefertigten Urteils und der Protokollabschrift jener Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, in der das Urteil verkündet wurde, bedarf es keiner Berufungsanmeldung (RS0117659). Die Anmeldung der Berufung hat dann auf die Berufungsfrist keinen Einfluss.
Dies gilt auch dann, wenn das Erstgericht verfrüht eine gekürzte Urteilsausfertigung zugestellt hat, obwohl die Frist für die Berufungsanmeldung noch offen war. Auch durch die Zustellung dieser gekürzten Ausfertigung ist das Urteil gegenüber den Parteien wirksam (§ 416 Abs 1 ZPO) und die vierwöchige Berufungsfrist nach § 464 Abs 1 ZPO in Gang gesetzt worden (10 Ob 18/18x).
Die dennoch vorgenommene Anmeldung der Berufung hatte daher auf den Lauf der Berufungsfrist keinen Einfluss. Die Beklagte wäre in der Lage gewesen, die Unzulässigkeit der gekürzten Ausfertigung des Urteils mit Aussicht auf Erfolg in einer rechtzeitigen Berufung geltend zu machen.
Von einer Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts kann angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0117659) nicht die Rede sein.
Der Rekurs macht weiters geltend, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, „ob die als Anmeldung einer Berufung bezeichnete Rechtsmittelschrift, im Lichte der Rechtsauffassung der Rechtsmittelinstanz, nicht selbst als bloß fehlbezeichnete und sanierungsfähige Berufung aufzufassen und zu qualifizieren“ gewesen wäre.
Auch mit diesem Vorbringen ist für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen.
Die fehlende oder unrichtige Benennung eines Rechtsmittels hindert dessen Behandlung in einer dem Gesetz entsprechenden Weise nicht (vgl RS0036258). Es muss dabei aber zumindest aus den Ausführungen erkennbar sein, dass mit dem unrichtig bezeichneten Schriftsatz überhaupt die Erhebung eines Rechtsmittels beabsichtigt war.
Zunächst wird selbst im Rekurs nicht behauptet, dass der Beklagtenvertreter sich bei Erstattung der Berufungsanmeldung in der Bezeichnung und Form vergriffen habe und tatsächlich damit bereits die Berufung ausführen habe wollen. Der Schriftsatz wies auch essentielle Merkmale einer Berufung (§ 467 ZPO) nicht auf.
Die Bestimmungen der §§ 84 und 85 ZPO über die Verbesserung von Formgebrechen in befristeten Schriftsätzen, insbesondere Rechtsmitteln, sind zwar nicht nur auf Formmängel beschränkt, sondern auch auf Inhaltsmängel anwendbar (RS0036396; Kodek in Fasching/Konecny 3 II/2 §§ 84, 85 ZPO Rz 112 ff). Im vorliegenden Fall kam eine Verbesserung des von einem Rechtsanwalt verfassten Schriftsatzes, mit dem nach mündlicher Verkündung des Urteils und Zustellung des Verhandlungsprotokolls die Berufung angemeldet wurde, aber schon deshalb nicht in Betracht, weil dieser Schriftsatz als solcher keinen dazu Anlass gebenden Mangel aufgewiesen hat (Kodek aaO Rz 36). Der Umstand, dass eine Berufungsanmeldung nach § 461 Abs 2 ZPO in der vorliegenden Verfahrenskonstellation nicht notwendig gewesen wäre, machte ihre Vornahme nicht unzulässig. Insbesondere war zu diesem Zeitpunkt auch nicht vorhersehbar, dass die Beklagte das angemeldete Rechtsmittel nicht fristgerecht ausführen würde.
Für die Vorinstanzen bestand somit keine rechtliche Veranlassung, den als Berufungsanmeldung bezeichneten und inhaltlich einer solchen entsprechenden Schriftsatz in eine (mangelhafte) Berufungsausführung umzudeuten.
Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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