Spruch:
Trifft die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht eines Tieres zwei Personen gemeinsam, so sind beide als Tierhalter anzusehen. Jede von ihnen haftet für den gesamten Schaden, wenn sie nicht für die erforderliche Verwahrung des Tieres gesorgt hat
OGH 29. April 1982, 8 Ob 236/81 (LGZ Wien 45 R 62/81; BG Favoriten 5 C 972/79)
Text
Am 9. 2. 1979 stieß der Kläger mit seinem Taxi in der G-Straße in Wien auf Höhe der B-Gasse einen zwischen den in der Fahrbahnmitte stehenden Alleebäumen hindurch von links nach rechts über die Fahrbahn laufenden Hund nieder. Dabei wurde der Hund getötet und das Fahrzeug des Klägers beschädigt. Der Hund war aus einem Lagerplatz entkommen, der früher dem Baumeister Ing. Gustav E gehört hatte und von diesem der Beklagten und deren Gatten Stefan L je zur Hälfte verkauft worden war.
Der Kläger begehrte von der Beklagten den Ersatz des ihm bei diesem Vorfall entstandenen Schadens von 3079.50 S samt Anhang, weil die Beklagte ihren Hund mangelhaft beaufsichtigt habe.
Die Beklagte bestritt ihre Passivlegitimation und beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe nie einen Hund besessen. Sie habe wohl in der B-Gasse einen Lagerplatz gekauft, jedoch erst nach dem Ankauf bemerkt, daß dieser Lagerplatz von zwei Hunden bewacht werde; die Hunde seien jedoch nicht mitverkauft worden und stunden im Eigentum des Johann W. Falls der gegenständliche Hund jedoch ihr gehört haben sollte, sei er nicht mangelhaft verwahrt gewesen.
Demgegenüber erwiderte der Kläger, daß der den Unfall verursachende Hund durch den Mann der Beklagten in deren Einverständnis von Ing. E übernommen worden sei. Letztlich erklärte der Kläger, sein Begehren auch auf § 1315 ABGB zu stützen; die Untüchtigkeit des Johann W sei offensichtlich.
Die Feststellungen der Vorinstanzen lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen: Der den Unfall auslösende Hund und ein zweiter Hund waren von Johann W im Auftrag des Ing. E zur Bewachung des Lagerplatzes gekauft worden. Die Hunde wurden im Einverständnis mit Ing. E von W gefüttert und betreut; für diese Betreuung wurde W auch bis zur Beendigung seines Dienstverhältnisses zu Ing. E (30. 9. 1978) bezahlt.
In dem zwischen Ing. E und den Ehegatten L abgeschlossenen Kaufvertrag wurde im § 2 festgelegt, daß die Käufer nicht nur die Liegenschaft selbst, sondern auch die in dem angeschlossenen Pfändungsprotokoll, in dem die Hunde jedoch nicht aufschienen, verzeichneten Fahrnisse mit übernehmen. Bei der Besichtigung des Lagerplatzes durch den Mann der Beklagten vor Unterfertigung des Kaufvertrages versicherte Ing. E Stefan L, daß der Platz so übergeben werde, wie er zu besichtigen sei. Damals befand sich auf dem Platz auch ein Hundezwinger sowie noch anderes, im Pfändungsprotokoll ebenfalls nicht verzeichnetes Inventar. Die Beklagte war nur einmal am Platz und hatte mit Ing. E nie Verhandlungen geführt. Am 4. 12. 1978 wurde der Lagerplatz mit sämtlichem "beweglichen und unbeweglichen Mobiliar" an L übergeben, Stefan L erlaubte W, so lange auf dem Platz zu bleiben, bis er eine neue Unterkunft finde. Es verblieben auch die Hunde im Einverständnis mit L auf dem Platz. Die Hunde wurden weiterhin durch W betreut, gefüttert und gepflegt; dies nunmehr aus Dankbarkeit dafür, daß W noch einige Zeit auf dem Platz wohnen dürfe, unentgeltlich. Im Falle der Verhinderung des Johann W kümmerte sich dessen Tochter um die Hunde. Es handelte sich dabei um "wilde" Hunde, die jedoch nie jemanden gebissen hatten und durch die bis zu dem gegenständlichen Vorfall auch niemand zu Schaden gekommen war. Die Hunde liefen immer frei auf dem Gelände herum, wurden nie an eine Kette gelegt und trugen auch keinen Beißkorb; wenn Leute die Liegenschaft betraten, kamen sie jedoch in den Zwinger. Der den Unfall verursachende Hund war bereits einige Male ausgebrochen und herumgestreunt. Er hatte wahrscheinlich unter dem Zaun ein Loch gegraben.
Der Beklagten war nicht bewußt, daß es auf der Liegenschaft Hunde gibt. Ihr Gatte war der Ansicht, daß der Hund, der den Unfall verursacht hatte, W gehöre und war grundsätzlich nicht an einem Ankauf der Hunde interessiert. Ing. E hatte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, daß die Hunde zu seinem Unternehmen gehören und daß sie zusammen mit dem Platz verkauft würden. E fragte bei einer der Besichtigungen, was mit dem Bund geschehen solle, wenn W den Platz verlassen werde; L antwortete hierauf, daß man sich das überlegen müsse. Er war an dem Hund nicht interessiert, weil er wußte, daß der Bund einige Male ausgebrochen und herumgestreunt war. Zur Unfallszeit war W nicht auf dem Gelände.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Rechtlich beurteilte es diesen Sachverhalt dahin, daß die Beklagte durch den Ankauf der gegenständlichen Liegenschaft auch Miteigentümerin des den Unfall verursachenden Hundes geworden sei, für die Verwahrung des Hundes aber ausreichend gesorgt habe. Obwohl der Hund vor dem gegenständlichen Unfall auch schon mehrfach ausgebrochen sei, müsse W doch als geeigneter Verwahrer des Tieres angesehen werden, weil das Tier bis dahin noch nie einen Schaden verursacht habe. Da die Beklagte nur im Falle der Übertragung der Verwahrung an einen untüchtigen oder wissentlich gefährlichen Gehilfen gemäß § 1315 ABGB zur Schadensgutmachung herangezogen werden könne, diese Voraussetzungen aber nicht gegeben seien, sei das Klagebegehren nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung iS der Stattgebung des Klagebegehrens ab.
Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, die Beklagte sei durch den Ankauf der ideellen Liegenschaftshälfte auch Miteigentümerin des Hundes geworden, weil die Beklagte sich die Vertretungstätigkeit ihres Gatten anrechnen lassen müsse und bei einem Kauf mit allem beweglichen und unbeweglichen Zubehör gleich eines Kauf in Bausch und Bogen bewußt in Kauf genommen werde, daß auch nicht bekannte Inventarstücke mitgekauft würden. Aus seinen Gesprächen mit Ing. E habe Stefan L eindeutig erkennbar sein müssen, daß die beiden Hunde nicht Eigentum des Johann W seien, sondern mit der Liegenschaft mitverkauftes Zubehör darstellten. Tierhalter sei derjenige, der regelmäßig das Verhalten des Tieres erzwingen könne und somit im eigenen Namen darüber zu entscheiden habe, wie das Tier zu verwahren und zu beaufsichtigen sei. Bei Ehegatten sei Mithalterschaft anzunehmen. Die Beklagte habe gemeinsam mit ihrem Mann durch den Ankauf der Liegenschaft auch ideelles Hälfteeigentum an dem Hund erworben, es liege daher Mithalterschaft der Beklagten vor. Da der Geschädigte auch einen von mehreren ihm solidarisch haftenden Mithaltern klagen könne, sei die Passivlegitimation der Beklagten gegeben. Zu Unrecht habe das Erstgericht angenommen, die Beklagte habe dadurch, daß sie den Hund Johann W anvertraut habe, ausreichend für die Verwahrung des Hundes gesorgt; dem Gatten der Beklagten sei nämlich bekannt gewesen, daß das gegenständliche Tier schon mehrfach ausgebrochen und in der Gegend herumgestreunt sei. Dennoch habe er nach dem Ankauf der Liegenschaft nichts unternommen, um zu verhindern, daß das Tier vom Lagerplatz weiterhin entwischen könne, obwohl ihm habe bewußt sein müssen, daß W solchen Ausbruchsversuchen offenbar nicht habe Herr werden können. Diese Erfolglosigkeit bei einer geeigneten Verwahrung nehme W die Qualifikation eines tüchtigen Verwahrers. Da die Beklagte sich die Unterlassung von entsprechenden Anordnungen durch ihren Mann als Vertreter zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Verwahrung des Hundes als Verschulden iS des § 1320 ABGB anrechnen lassen müsse, sei das Klagebegehren berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
In ihrer Revision wendet sich die Beklagte gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, sie habe den den Unfall auslösenden Hund als Zubehör des Lagerplatzes gekauft. Wenn sie dabei meint, diese Annahme finde in den Feststellungen keine Deckung, so kann ihr nicht gefolgt werden. Nach den Feststellungen wurde ua. der den Unfall auslösende Hund von Johann W im Auftrag des Ing. E zur Bewachung des Lagerplatzes gekauft und wurde W als Dienstnehmer des E für die Betreuung des Hundes auch entlohnt. Ing. E hat dem die Verkaufsverhandlungen auch für die Beklagte führenden Ehegatten der Beklagten anläßlich einer Besichtigung des Lagerplatzes vor der Errichtung des Kaufvertrages noch versichert, der Platz werde so übergeben, wie er zu besichtigen sei; damals befand sich auf dem Platz auch ein Hundezwinger sowie anderes im Pfändungsprotokoll nicht verzeichnetes Inventar. Der Mann der Beklagten hatte von der Existenz der Hunde am Lagerplatz Kenntnis, war mit dem weiteren Verbleib der Hunde am Platz und damit einverstanden, daß die Hunde auch weiterhin durch W als Gegenleistung für die Möglichkeit, auch weiterhin auf der Liegenschaft zu wohnen, betreut und gepflegt wurden. War aber als Gegenstand des Kaufvertrages die Liegenschaft mit allem darauf - wie besichtigt - vorhandenen beweglichen und unbeweglichen Zubehör vereinbart und wurde den Käufern der Lagerplatz mit "sämtlichem beweglichen und unbeweglichen Mobiliar" übergeben, so wurden die Käufer Miteigentümer der Liegenschaft samt allem Zubehör, auch wenn sie das dazugehörige Inventar im einzelnen nicht kannten. Wenn die Revisionswerberin meint, ihr Mann habe als ihr Vertreter keineswegs annehmen müssen, daß der Hund zum Inventar des Lagerplatzes gehöre, so läßt sie wesentliche Feststellungen der Vorinstanzen außer acht, insbesondere daß die Hunde zur Bewachung des Lagerplatzes angeschafft wurden und auf der Liegenschaft ein Hundezwinger vorhanden war. Es kann daher nicht gezweifelt werden, daß die Hunde von Ing. E zum fortdauernden Gebrauch des Lagerplatzes bestimmt und damit als Zubehör iS des § 294 ABGB anzusehen waren. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen den Standpunkt vertraten, die Eheleute hätten die Liegenschaft mit allem beweglichen und unbeweglichen Zubehör gekauft und übernommen und seien damit auch Miteigentümer des den Unfall auslösenden Hundes geworden, so kann darin ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden, zumal die aus einer Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen nicht danach zu beurteilen sind, was der Erklärende sagen wollte und was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern danach, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage zu verstehen war.
Eine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt die Revisionswerberin weiters darin, daß die Vorinstanzen ihre Eigenschaft als Tierhalter bejaht haben. Als Tierhalter ist derjenige anzusehen, der über Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres zu entscheiden hat (Koziol - Welser I[5] 377; SZ 26/121;
EvBl. 1970/326 uva.). Der Revisionswerberin ist wohl beizupflichten, daß aus dem Miteigentum an einem Tier allein die Haltereigenschaft noch nicht abgeleitet werden kann (5 Ob 580/79; 3 Ob 556/79);
entscheidend ist aber, daß es sich hier um einen Wachhund für die von ihr und ihrem Mann erworbene Liegenschaft handelte und sie mit ihrem Mann daher nicht nur für die Bestellung einer Aufsichtsperson, sondern im Hinblick darauf, daß sich der Hund auf der Liegenschaft frei bewegen konnte, auch für die Erhaltung des Zaunes zu sorgen hatte (5 Ob 203/74). Trifft die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht eines Tieres aber Ehegatten gemeinsam, so sind beide als Tierhalter anzusehen (1 Ob 3/55; 1 Ob 301/71). Nach der Anordnung des § 1320 Satz 2 ABGB ist der Halter eines Tieres für jeden Schaden verantwortlich, der in der besonderen Tiergefahr seine Ursache hat, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Die Verwahrungs- und Aufsichtspflicht wird dahin ausgelegt, daß vom Tierhalter die nach den bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche und nach der Verkehrsauffassung im Einzelfall von ihm vernünftigerweise zu erwartende Verwahrung besorgt werden muß (SZ 35/45; ZVR 1974/65; 5 Ob 203/74; 5 Ob 509/81 uva.). Im Hinblick auf die festgestellte freie Haltung der Hunde auf dem Lagerplatz und den Umstand, daß es dem den Unfall auslösenden Hund bereits mehrmals gelungen war, aus dem Grundstück auszubrechen und dann auf öffentlichen Verkehrsflächen herumzustreunen, hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, daß der Hinweis der Beklagten, der Hund sei W anvertraut gewesen, allein nicht hinreicht, den Beweis dafür zu erbringen, daß sie für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt habe. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte der Gatte der Beklagten Kenntnis davon, daß der Hund schon mehrmals ausgebrochen und herumgestreunt war. Beließen es aber die Eheleute ungeachtet der mit unbeaufsichtigt herumlaufenden Hunden in der Großstadt verbundenen besonderen Gefahren für den Kraftfahrzeugverkehr (vgl. Fenzl, Über die Haftung des Hundebesitzers bei Verkehrsunfällen, welche durch einen Hund verursacht wurden, ZVR 1956, 117; ZVR 1979/229 uva.) bei dieser unzureichenden Verwahrung des Hundes, so haben sie dafür als Tierhalter einzustehen.
Wird ein Tier von mehreren Personen gemeinsam gehalten und sind bei jeder von ihnen insofern die Haftungsvoraussetzungen gegeben, als keiner für die erforderliche Verwahrung gesorgt und damit eine Ursache für den gesamten Schaden gesetzt hat, so hat jeder der Halter für den gesamten Schaden zu haften (Koziol, Haftpflichtrecht I 293 ff.; JBl. 1982, 150). Das Revisionsgericht billigt daher die Annahme der Haftung der Beklagten für die gegenständlichen der Höhe nach nicht strittigen Unfallsfolgen durch das Berufungsgericht.
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