Spruch:
Der eingesetzte Erbe kann sich gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten auf einen anderen als den vom Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung angeführten Enterbungsgrund berufen. Die Kosten des Rechtsvertreters der mit der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses betrauten Erben können bei der Pflichtteilsberechnung als Nachlaßpassiven berücksichtigt werden.
Entscheidung vom 3. Oktober 1967, 8 Ob 234/67.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Am 1. November 1964 ist Stefanie C. gestorben. Ihre letztwillige Verfügung vom 5. Juni 1964 hat folgenden Wortlaut: "Ich wünsche, daß alles, was ich habe, meinen zwei Enkerln Hans L. und Wiki L. gehört. Meiner Tochter und verstorbenen Sohn Ludwig C. und seinen Kinder nichts hinterlasse, weil sie mich bei Gericht und Finanzamt anzeigten."
Die beiden eingesetzten Erben sind die Söhne der Klägerin aus ihrer mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Februar 1965 rechtskräftig geschiedenen Ehe mit Johann L., der seit Juni 1963 bei der Erblasserin gewohnt hat.
Die Klägerin begehrt nun von den beiden eingesetzten Erben den ihr zustehenden Pflichtteil und daher deren Verurteilung zur Bezahlung von je 30.225.79 S samt 4% Zinsen seit 22. September 1965.
Das Erstgericht hat dem Klagebegehren stattgegeben. Es hat festgestellt, daß das gegen die Erblasserin eingeleitete Finanzstrafverfahren zur Festsetzung eines Abgabenrückstandes von 179.756.07 S geführt habe, der dann im Berufungsverfahren auf 88.634.07 S ermäßigt worden sei. Der Reinnachlaß der Erblasserin habe 234.600.63 S betragen, der Pflichtteilsanspruch der Klägerin mache ein Viertel davon, d. s. 58.650.15 S, aus. Dazu kämen kapitalisierte Sparbuchzinsen von 1822.18 S, was zusammen 60.472.33 S ergebe.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Anzeige beim Finanzamt keinen Enterbungsgrund darstelle, da sie nicht unbegrundet und daher nicht rechtswidrig gewesen sei. Die in dem Entmündigungsantrag der Klägerin zum Ausdruck gebrachte Besorgnis sei gleichfalls nicht unbegrundet gewesen. Andere Enterbungsgrunde könnten von den Erben nicht herangezogen werden, da die Enterbung auf bestimmte Gründe gestützt worden sei. Die Beklagten könnten sich daher nicht auf den Enterbungsgrund des § 768 Z. 2 ABGB. stützen, abgesehen davon, daß sie nicht einmal behauptet hätten, die Erblasserin habe die Klägerin ersucht, von ihr gepflegt und betreut zu werden. Die Enterbung der Klägerin sei daher zu Unrecht erfolgt und die Klägerin könne ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen. Dieser Anspruch sei auch der Höhe nach - trotz eines der Klägerin unterlaufenen Rechenfehlers bei der Berechnung der Zinsen - gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und wies die Rechtssache unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes an das Erstgericht zurück. In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus:
Richtig sei zwar, daß weder der Entmündigungsantrag noch die Anzeige wegen Steuerhinterziehung einen Enterbungsgrund darstellten. Es könne aber weder aus dem Wortlaut noch dem Sinn der letztwilligen Verfügung entnommen werden, daß die Erblasserin die Klägerin ausschließlich wegen dieser Umstände enterbt habe. Daher hätte das Erstgericht auf das Vorbringen der Beklagten zum Tatbestand des § 768 Z. 2 ABGB. eingehen müssen. Hingegen könnten die Erben die Vertretungskosten des Dr. Alfred F. in dem Finanzstrafverfahren von 26.588.10 S bzw. 39.784.58 S nicht als Nachlaßpassiven in Abzug bringen. Den Beklagten sei zwar die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen worden. Dr. F. sei aber von den Erben und nicht von der Verlassenschaft bevollmächtigt worden, das von der Erblasserin noch zu deren Lebzeiten anhängig gemachte Verfahren beim Finanzamt weiterzuführen. Daher seien die Erben, nicht aber die Verlassenschaft verpflichtet, für die Kosten dieser Vertretung aufzukommen. Die Kostenforderung könne auch nicht aus dem Titel des Schadenersatzes als Abzugspost gegen die Pflichtteilsforderung der Klägerin aufgerechnet werden, weil es an einem rechtswidrigen Verhalten auf Seiten der Klägerin gefehlt habe. Der Pflichtteilsberechtigte könne von seiner Pflichtteilsforderung keine Zinsen ab Todestag begehren. Es gebührten ihm aber als Anteil am Gewinn des Nachlasses Zinsen bis zur wirklichen Zuteilung, wenn die Erben tatsächlich Zinsen bezogen hätten.
Der Oberste Gerichtshof gab weder dem Rekurs der Klägerin noch dem Rekurs der Beklagten Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
1. Zum Rekurs der Klägerin:
Die Klägerin bekämpft vor allem unter Hinweis auf die schon vom Erstgericht angeführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes EvBl. 1958 Nr. 218 die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die beklagten Erben berechtigt seien, einen anderen Enterbungsgrund als die von der Erblasserin in ihrer letztwilligen Verfügung angeführten Gründe vorzubringen. Das Berufungsgericht befindet sich aber hiebei in Übereinstimmung mit der Rechtslehre. Schon Stubenrauch sagte, daß die (etwa aus Gründen der Diskretion erfolgte) Angabe einer falschen oder ungesetzlichen Enterbungsursache nicht schade, wenn die richtige bewiesen werde; es wäre denn erweislich, daß der Wille des Erblassers lediglich auf dem als falsch erkannten Beweggrund beruhet (Komm. zum AsGB.[8], I. Bd. zu § 771, Z. 3 Anm. 1 S. 941). Dieselbe Ansicht vertritt Ehrenzweig: Der bloße Nachweis, daß der vom Erblasser angegebene Beweggrund nicht zutreffe, schade der Gültigkeit des letzten Willens nicht, der Erblasser könne ja absichtlich den wahren Grund verschleiert haben (Familien- und Erbrecht[2], § 494 II, vor Anm. 13, S. 415). Ebenso führt Weiß im Klang-Kommentar aus, daß der Erbe selbst dann, wenn der Erblasser einen Enterbungsgrund ausdrücklich angeführt habe, daran nicht gebunden sei; es genüge, um dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten zu begegnen, daß er nachweise, daß der Enterbte die Enterbung aus einem der gesetzlichen Enterbungsgrunde verdient habe, möge auch gerade der vom Erblasser in der letztwilligen Verfügung genannte Enterbungsgrund nicht erwiesen werden (Klang- Komm. II/1 [1] 652 f., Komm. [2] III 849 bei Anm. 3). Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes EvBl. 1958 Nr. 218 betraf eine Enterbung nach § 773 ABGB. (exheredatio bona mente), die von einem rechtskundigen Erblasser ausgesprochen wurde. Der dort ausgesprochene, die Entscheidung nicht tragende Satz, daß es den Erben nur dann, wenn der Erblasser einen Noterben mit Stillschweigen übergangen habe, offenstehe, zu beweisen, daß sich der Übergangene einer der im Gesetz angeführten Enterbungsgrunde schuldig gemacht habe, kann in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten werden. Er kann vielmehr nur dann gelten, wenn erwiesen ist, daß der Erblasser die Enterbung ausschließlich auf den angeführten Enterbungsgrund stützen wollte. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß dieser Wille der Erblasserin aus ihrer letztwilligen Verfügung nicht geschlossen werden kann; es hat dem Erstgericht daher mit Recht aufgetragen, auf das Vorbringen der Beklagten zum Enterbungsgrund nach § 768 Z. 2 ABGB. einzugehen, da die von der Erblasserin angeführten Gründe keinen Enterbungsgrund im Sinne des Gesetzes darstellen.
Dem Rekurs der Klägerin war daher keine Folge zu geben.
II. Zum Rekurs der Beklagten:
Die Beklagten bekämpfen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Kostenforderung des Erbenanwaltes für seine Tätigkeit im Steuerstrafverfahren bei der Berechnung des Pflichtteiles der Klägerin nicht zu berücksichtigen sei; durch diese Tätigkeit sei eine Herabsetzung der Steuernachforderung und damit eine Erhöhung der Nachlaßmasse bewirkt worden. Den Beklagten ist als erbserklärten Erben mit Beschluß des Verlassenschaftsgerichtes vom 7. Dezember 1964 gemäß §§ 810 ABGB., 145 AußStrG, die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses eingeräumt worden. Ihre Einantwortung erfolgt erst mit Einantwortungsurkunde vom 29. September 1965. Die dem Anwalt von den erbserklärten Erben während der Dauer des Verlassenschaftsverfahrens erteilte Vollmacht zur Vertretung in dem Steuerstrafverfahren konnte daher nicht im eigenen Namen, sondern nur namens der von ihnen vertretenen Verlassenschaft erteilt werden. Die Kosten, die hiedurch entstanden sind, sind Kosten der Verwaltung des Nachlasses. Sie zählen ebenso wie die Kosten des Begräbnisses und der Nachlaßsicherung zu den Passiven der Verlassenschaft und sind bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen (DREvBl. 1940 Nr. 8, Handl in Klang-Komm.[1] II/1 88, zu § 548 ABGB.). Der von Weiß in Klang-Komm.[2] III 143 zu § 548 ABGB. vertretenen Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Sie geht davon aus, daß einer von mehreren mit dem Verwaltungsrecht ausgestatteten Erben einen Vertreter bestellt hat und sagt in erster Linie, daß sich der Anspruch des Vertreters nur gegen denjenigen richtet, der ihn bestellt hat. Im übrigen vertritt auch Weiß die Ansicht, daß zu den Lasten, die der Verlassenschaft ankleben, die Kosten der Verwaltung des Nachlasses bis zur wirklichen Zuteilung an den Erben gehöre (Weiß a. a. O. 141).
Das Erstgericht wird somit bei der Berechnung des Pflichtteils die vom Vertreter der Beklagten Dr. F. gelegte Kostennote mit einem Betrage von 26.588.30 S darauf zu überprüfen haben, welche Kosten durch die Vertretung der Verlassenschaft in der Steuersache entstanden sind und welche Kosten sich auf die Vertretung der Beklagten in der Verlassenschaftssache selbst beziehen. Nur erstere sind als Nachlaßpassiven bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen. Den noch in der Berufung vertretenen Standpunkt, daß von dem auf diese Weise berechneten Pflichtteil der Klägerin noch ein Betrag von 39.784.58 S abzuziehen wäre, da die Klägerin diesen Betrag aus dem Titel des Schadenersatzes bezahlen müßte, haben die Beklagten in ihrem Rekurs nicht mehr aufrecht erhalten.
Dem Rekurs der Beklagten mit dem Antrage auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses konnte jedoch keine Folge gegeben werden, da es bei der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles zu verbleiben hat, wenn die Beklagten auch mit ihrer Bekämpfung der Begründung des angefochtenen Beschlusses erfolgreich waren.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)