OGH 8Ob23/23z

OGH8Ob23/23z21.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. * und 2. Mag. *, beide Rechtsanwälte, *, gegen die beklagte Partei M* S*, vertreten durch Dr. Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, wegen 6.590,65 EUR sA, über die ordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 23. August 2022, GZ 6 R 53/22s‑31, womit das Urteil des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 17. Dezember 2021, GZ 25 C 846/20f‑24, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00023.23Z.0421.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

„1. Die Klageforderung besteht mit 6.590,65 EUR zu Recht.

2. Die Gegenforderung besteht bis zur Höhe der Klageforderung nicht zu Recht.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien 6.590,65 EUR samt 4 % Zinsen seit 28. Juni 2016 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 5.774,18 EUR (darin enthalten 904,80 EUR USt und 345,40 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz und die mit 1.673,29 EUR (darin enthalten 167,23 EUR USt und 669,90 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten zweiter Instanz binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.464,72 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt und 838,20 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten dritter Instanz binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die beiden Kläger, die gemeinsam eine Anwaltssozietät (GesbR) bilden und dabei stets gemeinsam nach außen auftreten, begehren von der Beklagten den aus dem Spruch ersichtlichen Betrag an offenem Anwaltshonorar aus ihnen von der Beklagten erteilten zivil- und strafrechtlichen Mandaten.

[2] Die Beklagte erhob – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – gegen die Klageforderung compensando einen Schadenersatzanspruch in zumindest der Höhe der Klageforderung. Sie habe vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten S* – ohne Beteiligung der Kläger – eine Liegenschaft gekauft, wobei eine teilweise Begleichung des Kaufpreises in Raten vorgesehen gewesen sei. Nach der Vertragskonstruktion sollte sie erst nach vollständiger Bezahlung des Kaufpreises das geldlastenfreie Eigentum erlangen. Der Vertragsverfasser, ein Notar, habe es damals unterlassen sie darauf hinzuweisen, dass es auch bei vollständiger Bezahlung des Kaufpreises nicht sichergestellt sei, dass die Liegenschaft hypothekarisch unbelastet in ihr Eigentum übergehe, zumal er sich nicht bei der Hypothekargläubigerin, einer Bank, über die Höhe und Rechtsnatur (Fremdwährungskredit) der Hypothekarschuld erkundigt, sondern sich mit der Auskunft der Verkäuferin begnügt habe, mit dem Kaufpreis könne die Lastenfreistellung herbeigeführt werden. Nachdem die Beklagte im Mai 2014 davon Kenntnis erlangt habe, dass der auf der Liegenschaft haftende Kredit mit dem Kaufpreis nicht abgedeckt werden könne, habe sie sich an den Erstkläger gewendet um zu erfahren, was sie tun könne. Dieser habe ihr geraten, weiterhin die Kaufpreisraten zu bezahlen, ansonsten ihr eine Räumung drohe. Er habe sie weder auf Schadenersatzansprüche gegen den Notar hingewiesen noch habe er solche „an den Vertragserrichter herangetragen“. Er habe es unterlassen, „sämtliche notwendigen Schritte zu setzen, um die Rechte der Beklagten im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag und dessen Abwicklung bzw der Haftung des Vertragserrichters zu wahren“. Nunmehr seien die Schadenersatzansprüche gegen den Notar verjährt. Die Beklagte habe die Zahlung der Raten eingestellt, weil sie erkannt habe, auch bei Erfüllung ihrer Pflichten die Liegenschaft nicht geldlastenfrei zu erhalten; dies habe der Minderung ihres Schadens gedient. Aufgrund der Entwicklung des Fremdwährungskredits wäre nämlich auch bei Überweisung des gesamten Kaufpreises auf das Kreditkonto der Verkäuferin bei der Hypothekargläubigerin ein offener Hypothekarbetrag in beträchtlicher Höhe verblieben. Aufgrund der Einstellung der Ratenzahlung sei die Verkäuferin vom Liegenschaftskauf zurückgetreten und habe die Beklagte auf Räumung geklagt. Die Beklagte habe hierauf freiwillig die Liegenschaft verlassen. Die Compensandoforderung setze sich aus jenen Zahlungen, die die Beklagte zum Erwerb der Liegenschaft bereits getätigt habe (in Höhe von insgesamt 113.500 EUR), aus den von ihr in die Liegenschaft getätigten Investitionen (in Höhe von zumindest 35.000 EUR) und aus den Nebenkosten im Zusammenhang mit der „Aufarbeitung und Rückabwicklung“ (in Höhe von „vorerst“ 5.000 EUR) zusammen. Vor dem Hintergrund der mangelnden Aufklärung und Absicherung der Beklagten als Käuferin der Liegenschaft seien sämtliche getätigten Teilkaufpreiszahlungen sowie Investitionen in die Liegenschaft und Nebenkosten des Erwerbs „frustran“.

[3] Die Kläger wandten unter anderem Unschlüssigkeit der Compensandoforderung ein. Die Beklagte bleibe jegliches Vorbringen dahingehend schuldig, weshalb der Erstkläger in irgendeiner Form die von ihr getätigten Ratenzahlungen veranlasst haben sollte, obwohl diese von der Beklagten aufgrund eines Vertrags geleistet worden seien, den sie mehrere Jahre, bevor sie überhaupt bei den Klägern erstmals vorstellig geworden sei, mit einer anderen Person geschlossen habe. Auch bezüglich der (angeblich) getätigten Investitionen werde nicht begründet, weshalb diese Kosten in irgendeiner Form vom Erstkläger verursacht worden sein sollten. Dass die Beklagte überhaupt beabsichtigt hätte, Schadenersatzansprüche gegenüber dem seinerzeitigen Vertragsverfasser zu erheben, bringe sie nicht vor.

[4] Die Vorinstanzen erkannten ausgehend von dem von ihnen festgestellten – für das Revisionsverfahren nicht entscheidungswesentlichen – Sachverhalt die Klageforderung (Honorarforderung) als in voller Höhe zu Recht bestehend und die compensando eingewendete Gegenforderung als in zumindest der Höhe der Klageforderung zu Recht bestehend, und wiesen folglich die Klage unter Verurteilung der Kläger zum Kostenersatz ab.

[5] Das Berufungsgericht ließt die ordentliche Revision nachträglich nach § 508 Abs 3 ZPO zu.

[6] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die unter anderem aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Kläger mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag.

[7] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise ihm den Erfolg zu versagen.

[8] Die Revision ist zulässig, weil sich die Behandlung der Compensandoforderung durch die Vorinstanzen als korrekturbedürftig erweist. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Kläger begründen die Zulässigkeit der Revision (zutreffend) damit, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht der ständigen Rechtsprechung entsprechen, wonach bei behaupteten Beratungsfehlern eines Rechtsanwalts der mutmaßliche Verlauf der Geschehnisse bei ordnungsgemäßer Beratung festzustellen ist (zB RIS‑Justiz RS0022706; Völkl/Völkl, Beraterhaftung2 [2014] Rz 2/24, 7/167 ff mwN). Im Rahmen der Rechtsrüge rügen die Kläger das Fehlen solcher Feststellungen als sekundären Feststellungsmangel, dies aber ausdrücklich unter Aufrechterhaltung ihres primären Einwands, dass die behauptete Gegenforderung mangels entsprechender Tatsachenbehauptungen ohnehin unschlüssig ist. Die Kläger befinden sich damit im Recht:

[10] Wenn ein Rechtsanwalt eine pflichtwidrige Unterlassung zu verantworten hat, hängt seine Schadenersatzpflicht gegenüber dem Mandanten von der Kausalität dieses Fehlverhaltens für den Eintritt des behaupteten Schadens ab. Den Geschädigten trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln des Rechtsanwalts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (RS0022700, RS0022900 [T8, T10]).

[11] Um die behauptete Kausalität überprüfen zu können ist es notwendig, dass der Geschädigte Behauptungen über den hypothetischen weiteren Geschehensverlauf für den Fall aufstellt, dass der Rechtsanwalt gehörig gehandelt hätte, zum Beispiel seiner Pflicht, den Mandanten zutreffend zu belehren, entsprochen hätte (3 Ob 49/13x mwN). So muss, liegt der Schaden in den Kosten eines verlorenen Prozesses, vom Geschädigten behauptet werden, er hätte den Prozess nicht geführt, hätte der Rechtsanwalt ihn gehörig aufgeklärt (1 Ob 21/02y [Pkt II.2.]). Liegt der Schaden in einem Anspruchsverlust durch Verjährung, so muss vom Geschädigten jedenfalls behauptet werden, er hätte bei gehöriger Belehrung durch den Rechtsanwalt den Anspruch rechtzeitig geltend gemacht. Ferner ist das hypothetische Geschehen dieser Geltendmachung konkret zu behaupten, kann doch ohne – auf dem Tatsachenvorbringen des Geschädigten fußenden – Feststellungen zum „hypothetischen Inzidentprozess“ nicht beurteilt werden, ob der Rechtsanwalt den behaupteten Schaden verursacht hat (vgl RS0022706; Völkl/Völkl, Beraterhaftung2 Rz 2/24, 7/167 ff).

[12] Die Beklagte hat im Prozess niemals behauptet, sie hätte bei gehöriger Belehrung über eine vermeintliche Schadenersatzpflicht des Notars diese auch verfolgt. Umso weniger brachte sie vor, welches Geschehen sich ereignet hätte, wäre der Vertragsverfasser mit Ersatzansprüchen konfrontiert worden („hypothetischer Inzidentprozess“). Auf dieses Manko haben die Kläger in erster Instanz im Rahmen ihrer Einwendung, die Compensandoforderung sei unschlüssig, aufmerksam gemacht.

[13] Werden für den eingeklagten Anspruch schlüssige rechtserzeugende Tatsachen nicht angegeben und lässt sich auch durch richterliche Anleitung (§§ 182, 182a ZPO) eine solche Angabe nicht erreichen, ist die Klage wegen Unschlüssigkeit abzuweisen (vgl RS0039622 [T1], RS0036973). Keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf es, wenn der Prozessgegner bereits entsprechende Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Auch die Pflicht nach § 182a ZPO kann nicht bezwecken, das Gericht zur Erörterung eines Vorbringens zu zwingen, dessen Schwächen bereits der Prozessgegner aufzeigte (RS0122365).

[14] Daraus, dass der Beklagten ein Schadenersatzanspruch gegenüber dem Notar zugestanden wäre, kann die Compensandoforderung mangels Behauptung, dass die Beklagte diesen Anspruch verfolgt hätte, hätten die Kläger sie gehörig belehrt, folglich nicht schlüssig abgeleitet werden.

[15] Inwiefern die Kläger abseits einer – von ihnen gegenüber der Beklagten unerwähnt gelassenen angeblichen – Schadenersatzpflicht des Notars für Ausgaben der Beklagten vor ihrer Betrauung mit der Überprüfung des Liegenschaftskaufs ursächlich sein sollen, ist nicht konkret dargestellt. Auch hierauf haben die Kläger bereits in erster Instanz zutreffend hingewiesen.

[16] Soweit das Berufungsgericht die Ansicht vertritt, der Beklagten wäre es bei entsprechender Belehrung durch die Kläger möglich gewesen, jedenfalls die nach Auftragserteilung an die Kläger im Februar 2015 tatsächlich bezahlten Raten nicht zu zahlen, sodass ihr die Kläger für diese Raten Ersatz leisten müssten, so vermag sich der Oberste Gerichtshof dem nicht anzuschließen. Die Beklagte stand in einem aufrechten Vertragsverhältnis zur Verkäuferin und hatte aus ihm einen durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises. Dass es im Zeitpunkt der Involvierung der Kläger in die Causa möglich gewesen wäre, den Liegenschaftskaufvertrag mit Aussicht auf Erfolg anzufechten, hat die Beklagte im Prozess weder behauptet noch ist eine solche Möglichkeit – auch angesichts des rechtskräftigen, zulasten der Beklagten zu AZ 28 C 97/18 des Erstgerichts ergangenen Urteils vom 20. 6. 2018 im von der Verkäuferin angestrengten Räumungsprozess, mit dem die dort gegen die Verkäuferin erhobene Aufrechnungseinrede abgewiesen wurde – ersichtlich.

[17] Aus welchem Grund die Kläger für Kosten verantwortlich sein sollen, welche die Beklagte von ihnen pauschal für „Aufarbeitung und Rückabwicklung“ compensando begehrt, ist ebensowenig nachvollziehbar und die Compensandoforderung auch in diesem Punkt unschlüssig.

[18] Der den Klägern von der Beklagten pauschal gemachte Vorwurf, sie hätten nicht „sämtliche notwendigen Schritte“ gesetzt, um ihre Rechte im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag und dessen Abwicklung bzw mit der – vermeintlichen – Haftung des Vertragserrichters zu wahren, lässt offen, welche konkreten Schritte die Kläger nach Ansicht der Beklagten hätten setzen müssen. Auch blieb offen, inwiefern sich hierdurch die Vermögenslage der Beklagten verbessert hätte. Die Verursachung eines bestimmten Schadens durch die Kläger wird durch dieses pauschale Vorbringen nicht schlüssig zur Darstellung gebracht.

[19] Mangels Schlüssigkeit der aufrechnungsweise geltend gemachten Gegenforderung war Punkt 2 des Urteilsspruchs nach § 545 Abs 3 Geo in den Ausspruch, dass die Gegenforderung bis zur Höhe der Klageforderung nicht zu Recht besteht, abzuändern (zur Formulierung vgl 4 Ob 87/07h [Pkt 3.1. f] und 3 Ob 67/17z). Als Folge dessen war die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des eingeklagten Betrags – der Zinsenlauf war unstrittig – zu verurteilen.

[20] Die Beklagte hat aufgrund des Prozessverlusts den Klägern Kostenersatz nach § 41 ZPO (hinsichtlich der Rechtsmittelverfahren iVm § 50 ZPO) zu leisten. Kosteneinwendungen iSd § 54 Abs 1a ZPO wurden nicht erhoben.

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