OGH 8Ob19/17b

OGH8Ob19/17b28.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Insolvenzsache des Schuldners W***** W*****, vertreten durch Dr. Georg Schober, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, über den Revisionsrekurs der Insolvenzverwalterin Mag. Claudia Weinwurm, Rechtsanwältin in Neunkirchen gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 9. Jänner 2017, GZ 17 R 170/16w‑3, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 4. Oktober 2016, GZ 6 S 47/15s‑50, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00019.17B.0328.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

 

Begründung:

Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss vom 17. 11. 2015 das Schuldenregulierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet und die Revisionsrekurswerberin zur Insolvenzverwalterin bestellt. Die Summe der angemeldeten Forderungen übersteigt 7 Millionen EUR. Ein Gläubigerausschuss ist eingerichtet.

Zu den Aktiven der Insolvenzmasse gehört die im Bauland gelegene Liegenschaft EZ 727 KG ***** im Ausmaß von 36 m² samt einer darauf errichteten Hütte „Villa Kunterbunt“. Der Wert des unbebauten Grundstücks beträgt nach dem ortsüblichen Quadratmeterpreis maximal 4.000 EUR.

Im Gläubigerausschuss wurde besprochen, von einer Schätzung dieser Liegenschaft aus Kostengründen abzusehen. Die beabsichtigte freihändige Veräußerung wurde am 8. 8. 2016 in der Ediktsdatei bekanntgemacht. Es trat ein einziger Interessent auf, der 10.000 EUR für die Liegenschaft einschließlich Hütte anbot. Der Gläubigerausschuss erteilte dem Verkauf zu diesen Bedingungen seine ausdrückliche Zustimmung. Der Schuldner wurde mit Schreiben vom 23. 8. 2016 zu Handen seines Vertreters aufgefordert, sich zum beabsichtigten Verkauf zu äußern, wovon er keinen Gebrauch machte. Am 28. 9. 2016 legte die Insolvenzverwalterin dem Erstgericht den am 19. 9. 2016 mit dem Interessenten zu den Anbotsbedingungen abgeschlossenen Kaufvertrag zur Genehmigung vor.

Das Erstgericht genehmigte mit Beschluss vom 4. 10. 2016 das angezeigte Rechtsgeschäft.

Gegen diesen Beschluss erhob der Schuldner am 18. 10. 2016 mit der Begründung Rekurs, es sei ihm nach der Beschlussfassung des Erstgerichts ein neues Anbot über einen Kaufpreis von 12.000 EUR zugegangen, das für die Masse und die Gläubiger günstiger sei. Dem Rekurs war ein am selben Tag um 15:48 Uhr abgesendetes, an den Rechtsvertreter des Schuldners gerichtetes E-Mail mit dem „fixen und unwiderruflichen“ Angebot zum Kauf der gegenständlichen Liegenschaft um den sofort zahlbaren Preis von 12.000 EUR angefügt. Bei der Anbotstellerin handelt es sich nach dem Akt um die Steuerberaterin des Schuldners, die auch Vorstandsmitglied der von ihm errichteten Privatstiftung ist.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Schuldners „teilweise“ (richtig: zur Gänze) Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag auf Genehmigung des Kaufvertrags vom 19. 9. 2016 abwies.

In seiner rechtlichen Begründung führt das Rekursgericht aus, ein erst nach der Beschlussfassung erster Instanz erstattetes besseres Anbot eines anderen Interessenten stelle als solches eine im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich unbeachtliche Neuerung dar. Das mit dem Rekurs vorgelegte Anbot sei aber gleichzeitig auch ein Beweismittel, das darauf hinweisen könne, dass der genehmigte Vertrag schon auf Basis der Sachlage zum Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses nicht zweckmäßig war. Dies sei im vorliegenden Fall auch anzunehmen, weil das vom Rekurswerber vorgelegte Anbot den genehmigten Kaufpreis um 20 % übersteige.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Behandlung und Beachtlichkeit von nachträglichen Überboten im insolvenzrechtlichen Verwertungs- und Genehmigungsverfahren fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Insolvenzverwalterin ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Nach § 260 Abs 2 IO können in Rekursen neue Tatsachen, soweit sie bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz entstanden waren, und neue Beweismittel angeführt werden. Von der Erneuerungserlaubnis sind ausdrücklich nur nova reperta umfasst. Neue Beweismittel können im Rekursverfahren zwar ohne Beschränkung vorgebracht werden, sie müssen aber zum Nachweis bereits vor der Beschlussfassung entstandener Tatsachen dienen.

Ausschlaggebend ist daher im Rechtsmittelverfahren die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel ( Deixler-Hübner in Konecny/Schubert Insolvenzgesetze 10.Lfg § 176 KO Rz 30 f; RIS-Justiz RS0065013 [T1]).

2. Das Rekursgericht hat zutreffend erkannt, dass es sich bei dem erst während der Rekursfrist gegen einen gemäß § 117 Abs 1 IO ergangenen Beschluss erklärten Vertragsanbot eines Dritten um eine neue Tatsache handelt, deren Verwertung im Rekursverfahren das Neuerungsverbot entgegensteht.

Wird ein nachträglich erstattetes Überbot vom Rechtsmittelwerber auch in Urkundenform als Beweismittel vorgelegt, kann es (nur) als solches, also zum Beweis von rechtsrelevanten Tatsachen herangezogen werden, die bereits bei Beschlussfassung bestanden haben.

Diese Tatsachen müssen vom Rekurswerber auch behauptet werden. Es kann sich nur um Umstände handeln, unter denen – wären sie früher bekannt gewesen – das genehmigte Rechtsgeschäft schon bei Beschlussfassung als unzweckmäßig zu beurteilen gewesen wäre, sei es weil es günstigere Verwertungsmöglichkeiten gab, sei es weil bei zweckmäßiger Führung der Verkaufsbemühungen ein besseres Ergebnis erreicht werden hätte können.

Mit dem neuen Anbot könnte etwa belegt werden, dass der Insolvenzverwalter keine angemessenen Verkaufsbemühungen entfaltet hat, oder dass der Überbieter sein Anbot bereits vor der Beschlussfassung abgegeben hätte, aber bei den Verkaufsverhandlungen übergangen wurde, oder dass er keine Gelegenheit zu einem Überbot erhielt (so im Ergebnis OLG Linz 2 R 107/15s; 2 R 108/15p), oder dass ein Konkurrenzkonzept überprüfbar besser gewesen wäre (vgl 8 Ob 2294/96b SZ 70/31).

Generell ist bei der nachträglichen Neubewertung eines von Insolvenzverwalter, Gläubigerausschuss und Gericht genehmigten Rechtsgeschäfts aufgrund der aus einem Nachtragsanbot zu gewinnenden Indizien Zurückhaltung geboten (vgl Mayrhuber , Zum deutlich höheren „Überbot“ nach gerichtlicher Genehmigung eines Kaufvertrags, ZIK 2015, 208); weder soll potentiellen Interessenten die Möglichkeit zu der gläubigerschädigenden Taktik eröffnet werden, sich nicht ernsthaft am Bieterverfahren zu beteiligen und dessen Ergebnis abzuwarten, um dann gezielt mit einem erhöhten Anbot zum Zug zu kommen, noch ist eine Verlagerung der Anbotskonkurrenz in das Rechtsmittelverfahren mit dem Gebot der möglichst raschen und ökonomischen Abwicklung von Insolvenzverfahren vereinbar.

3. Im vorliegenden Fall hat der Rekurswerber in seinem Rechtsmittel nicht einmal behauptet, dass das vom Erstgericht genehmigte Rechtsgeschäft im Zeitpunkt der Beschlussfassung objektiv nicht zweckmäßig gewesen wäre.

Sein Vorbringen beschränkt sich auf die unzulässige Neuerung, dass nach der Genehmigung des abgeschlossenen Kaufvertrags ein höheres Anbot erstattet worden sei. Die Berücksichtigung dieses Vorbringens durch die zweite Instanz bewirkte daher einen im Revisionsrekursverfahren aufzugreifenden erheblichen Verfahrensmangel.

Auf die weiteren im Revisionsrekurs aufgeworfenen rechtlichen Überlegungen zur wirksamen Abgabe und inhaltlichen Relevanz eines Überbots muss bei diesem Ergebnis nicht mehr eingegangen werden.

In Stattgebung des Revisionsrekurses war die genehmigende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

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