Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 11. Juni 1983 kam der Kläger mit seinem Herrenfahrrad, Marke Puch, im Areal der Schrebergartenanlage der Wohnungsaktiengesellschaft in Steyr, nächst der Schuhmannstraße, zu Sturz, wobei er erheblich verletzt wurde.
Er begehrte vom Beklagten die Bezahlung eines Schmerzengeldes von S 230.000 und stellte ein Feststellungsbegehren für künftige Unfallsfolgen. An seinem Sturz treffe den Beklagten das Alleinverschulden, weil dieser mit seinem Fahrrad von einem Gartenweg der Schrebergartenanlage nach rechts in den vom Kläger benützten Kiesweg eingebogen sei, ohne dessen Vorrang zu beachten. Der Kläger sei, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, zum plötzlichen Verlenken seines Fahrrades gezwungen worden; dabei habe er die Balance verloren und sei zu Sturz gekommen.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Alleinverschulden treffe den Kläger, der eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und den Beklagten, obwohl er sich bereits mit seinem Fahrrad im Begegnungsverkehr auf dem Kiesweg befunden habe, nicht rechtzeitig bemerkte. Der Beklagte habe sein Fahrrad an den äußerst rechten Rand des Kiesweges gelenkt und sei sodann stehen geblieben. Der Kläger sei ohne Reaktion mit unvermindert hoher Geschwindigkeit weitergefahren und habe dann durch ein abruptes Lenkmanöver die Herrschaft über das Fahrrad verloren. Das Schmerzengeldbegehren sei überhöht, das Feststellungsbegehren nicht gerechtfertigt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteigt und fügte seiner Entscheidung einen Rechtskraftvorbehalt an. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich der Rekurs des Beklagten, in welchem er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Rückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur Sachentscheidung unter Ausschluß der Haftung des Beklagten beantragte.
Der Kläger beantragt in der Rekursbeantwortung, dem Rekurs der Gegenseite keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist im Ergebnis nicht berechtigt.
Das Erstgericht ging von folgenden Feststellungen aus:
Der Kläger fuhr mit seinem Fahrrad, welches mit 10 Gängen ausgestattet war, von der Schuhmannstraße kommend auf dem Kiesweg der Schrebergartenanlage der Wohnungs-AG. Der Beklagte schob sein Fahrrad von seinem Garten auf einem von links - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - in den vom Kläger befahrenen Kiesweg einmündenden Kiesweg zum Kreuzungsbereich. Bei den benützten Wegen handelte es sich um Verbindungswege innerhalb einer größeren Schrebergartenanlage. Der vom Beklagten benützte Weg ist eine Sackgasse und stellt eine Zufahrt zu mehreren Schrebergärten dar. Die Gesamtlänge dieses Weges vom Ort der Einmündung in die vom Kläger benützte Fahrbahn bis zur Wegkreuzung beträgt ca. 40 bis 50 m. Diese Verbindungswege der Schrebergartenanlage wiesen eine Breite von etwa 70 cm auf. Es handelte sich um beschotterte Wege, die gegen die Gärten hin mit Gras bewachsen waren. Sie waren im ausgetretenen Bereich annähernd horizontal. Die Grasflächen waren teilweise leicht aufsteigend bzw. auch zu den lebenden Zäunen hin abfallend. Die Unfallstelle liegt ca. 60 m südlich der Schuhmannstraße. Auf der Strecke dorthin mündet, in Fahrtrichtung des Klägers gesehen, etwa 10 m vor der Unfallstelle von rechts ein etwa 1,40 m breiter Weg ein. Im weiteren Verlauf des vom Kläger befahrenen Weges münden in unterschiedlichen Abständen wiederum von rechts und links Seitenwege ein. Durch die lebenden Hecken sind diese einmündenden Wege erst auf eine Entfernung von etwa 2 bis 3 m zu erkennen.
Rechts, in Fahrtrichtung des Beklagten gesehen, wird der dort befindliche Schrebergarten von einer bis zu 4,50 m hohen Thujenhecke begrenzt. Zum Unfallszeitpunkt ragte diese teilweise bis zu 50 cm in den Weg hinein. Aus Fahrtrichtung des Beklagten konnte von der Gartenzaunfluchtlinie aus der Weg nach links auf ca. 80 m eingesehen werden, die Sicht nach rechts war auf etwa 5 m beschränkt, da die beschriebene Hecke die Fluchtlinie des Gartenzaunes um etwa 50 cm überragte. Erst nach Erreichen der Fluchtlinie dieser lebenden Hecke konnte der Weg nach rechts bis zur Einmündung in die Schuhmannstraße, also auf etwa 60 m, eingesehen werden. Bei der Annäherung an den vom Beklagten befahrenen Weg ist aus der Fahrtrichtung des Klägers auf den letzten 60 m, das ist ab der Einmündung dieses Weges in die Schuhmannstraße, der weitere Verlauf des Weges auf ca. 80 m über die Unfallstelle hinaus einsehbar. Als der Beklagte sein Fahrrad an die Wegeinmündung herangeschoben hatte, stieg er auf sein Fahrrad auf und bog nach rechts in den Kiesweg ab. Nachdem er 2 m auf dem Kiesweg zurückgelegt hatte, sah er den Kläger aus einer Entfernung von etwa 12 bis 13 m entgegenkommen. Der Kläger hielt zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von 15 bis 20 km/h ein. Daraufhin sprang der Beklagte sofort von seinem Fahrrad ab und blieb auf dem rechts in Richtung Schuhmannstraße gesehen befindlichen Grünstreifen stehen, und zwar 3 bis 4 m nach der Einmündung. Der Kläger verminderte seine Geschwindigkeit nicht und führte, als er am stehenden Beklagten vorbeifuhr, eine Ausweichbewegung nach rechts durch. Durch diese Ausweichbewegung verlor der Kläger das Gleichgewicht und kam so zu Sturz, daß er etwa 4-5 m nach der Kieswegeinmündung bei dem links in Fahrtrichtung des Klägers gesehen befindlichen Holzzaun zu liegen kam. Zuvor hatte er die rechts neben dem Kiesweg befindliche Hecke berührt und war dadurch nach links geraten.
Bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h hätte die Anhaltestrecke für den Kläger bei einer Reaktionszeit von einer Sekunde und einer Bremsung von 1,5 m/sec 2 ca. 16 m betragen.
Der Beklagte transportierte mit seinem Fahrrad eine Dachlatte in der Länge von 1,5 m, welche er am Rahmen befestigt hatte. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß ein Verschulden des Beklagten am Sturz des Klägers nicht gegeben sei. Vielmehr habe der Kläger eine für die Unfallsörtlichkeit überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und auf den mit seinem Fahrrad bereits im Begegnungsverkehr befindlichen Beklagten nicht rechtzeitig und ausreichend reagiert. Hingegen habe der Beklagte durch sein Einfahren in den Kiesweg den Kläger keineswegs zu einer sofortigen und unvermittelten Abwehrhandlung genötigt. Aus diesen Gründen sei das Klagebegehren abzuweisen, ohne daß Feststellungen über die Höhe des Schmerzengeldes und die Berechtigung des Feststellungsbegehrens getroffen werden müßten.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, gelangte jedoch zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes:
Selbst wenn es sich bei den Verbindungswegen um Straßen ohne öffentlichen Verkehr handelte, gelte die StVO insoweit, als andere Rechtsvorschriften oder die Straßenerhalter nichts anderes bestimmt haben. Es sei daher davon auszugehen, daß der Beklagte nach § 19 Abs 1 StVO gegenüber dem vom Kläger gelenkten Fahrrad wartepflichtig war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, der das Berufungsgericht folgte, dürfe der im Nachrang befindliche Verkehrsteilnehmer in eine den Vorrang gewährende Straße nur einfahren, wenn er durch gehörige Beobachtung des vorrangigen Verkehrs in dessen tatsächlicher Gestaltung sich die Gewißheit verschafft hat, dies ohne Gefährdung oder auch nur Behinderung eines im Vorrang befindlichen Verkehrsteilnehmers unternehmen zu können. Diese Gewißheit sei nach der tatsächlichen Gestaltung des Verkehrs zu beurteilen. Ein benachrangter Verkehrsteilnehmer müsse seiner Wartepflicht solange genügen, bis er die volle Sicherheit gewonnen hat, bei seiner Weiterfahrt keine bevorrangten Verkehrsteilnehmer in der im § 19 Abs 7 StVO beschriebenen Weise zu behindern. Im Zweifel müsse der Wartepflichtige den Vorrang bis zur Klärung der Verkehrslage wahren. Für die Anwendbarkeit der Vorrangregeln genüge es, daß es dem Wartepflichtigen bei gehöriger Vorsicht und Aufmerksamkeit möglich war, das andere Fahrzeug überhaupt oder rechtzeitig wahrzunehmen. Nach den getroffenen Feststellungen hätte der Beklagte, schon bevor er sein bis dahin geschobenes Fahrrad bestieg und in Bewegung setzte, den von rechts herankommenden Kläger wahrnehmen können. Er hätte daher mit dem Abbiegevorgang zuwarten müssen, weil ein gefahrloses Begegnen der beiden Fahrräder nicht möglich war. Da die Anhaltestrecke des Klägers bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h bereits ca. 16 m betrug, ergebe sich, daß der Beklagte den Kläger im Sinne des § 19 Abs 7 StVO zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt hatte. Daß er bei Ansichtigwerden des Klägers bereits 2 m in den Kiesweg eingebogen war, ändere nichts an dieser Vorrangverletzung, die dem Beklagten als Verschulden anzurechnen sei. Stelle man dem das Fehlverhalten des Klägers gegenüber, der eine für die gegebenen Verhältnisse überhöhte Geschwindigkeit einhielt und auf das Einbiegemanöver des Beklagten nicht rechtzeitig und ausreichend reagierte, könne trotz der Vorrangverletzung des Beklagten ausnahmsweise von einem gleichteiligen Verschulden beider Fahrradlenker ausgegangen werden. Daraus folge, daß der Beklagte dem Kläger die Hälfte seiner Schadenersatzansprüche zu ersetzen hat. Die Rechtssache sei jedoch nicht spruchreif, weil das Erstgericht zur Höhe des Schmerzengeldes und über die Dauer- und Spätfolgen als Voraussetzung des Feststellungsbegehrens keine Beweise aufgenommen und keine Feststellungen getroffen habe. Die Rechtssache sei daher zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen gewesen, zumal die Ergänzung der Verhandlung durch das Berufungsgericht die Erledigung verzögern und einen erheblichen Mehraufwand an Kosten verursachen würde.
Demgegenüber vertritt der Beklagte in seinem Rekurs die Auffassung, daß er den Kläger nicht zu einer unvermittelten Abwehrhandlung genötigt habe. Dieser Fragenkomplex kann jedoch derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden:
Wie das Berufungsgericht richtig ausführte, darf ein im Nachrang befindlicher Verkehrsteilnehmer in eine bevorrangte Verkehrsfläche nur einfahren, wenn er durch gehörige Beobachtung des bevorrangten Verkehrs in seiner tatsächlichen Gestaltung sich die Gewißheit verschafft hat, dies ohne Gefährdung oder auch nur Behinderung des Vorrangberechtigten (§ 19 Abs 7 StVO) unternehmen zu können (ZVR 1966/179; ZVR 1974/264; 8 Ob 112/78; 8 Ob 89/83 uva). Eine geringfügige Ermäßigung der Geschwindigkeit ist dem Vorrangberechtigten zwar zuzumuten, ohne daß deshalb ein Verstoß gegen § 19 Abs 7 StVO vorläge (ZVR 1976/222; 8 Ob 112/78; 8 Ob 89/83 ua); dabei ist jedoch zu beachten, daß der Wartepflichtige nicht nur durch den Beginn seines die Fahrweise des Vorrangberechtigten allenfalls beeinträchtigendes Fahrmanövers, sondern durch dessen Durchführung bis zur Beendigung diesen nicht in der im § 19 Abs 7 StVO dargestellten Weise behindern darf (8 Ob 211/78; 2 Ob 213/78; 8 Ob 50, 51/81; 8 Ob 6/82; ZVR 1984/134 ua).
Ob eine solche wesentliche Behinderung des Klägers durch den Beklagten vorlag, ist nach den getroffenen Feststellungen noch nicht eindeutig zu beantworten.
Zutreffend verwies zwar das Berufungsgericht darauf, daß die Anhaltestrecke des Klägers auf seinem Fahrrad bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h 16 m betrug; es ließ hiebei aber außer acht, daß verläßliche Feststellungen fehlen, die diese Annahme zum Bewegungsablauf beider einander sich nähernder Radfahrer in Relation bringen lassen. Insbesondere fehlt eine genaue Feststellung darüber, wo sich der Beklagte befand, als er das Fahrrad, das er bisher schob, bestieg. Auch läßt sich dem bisher erhobenen Sachverhaltsbild nicht verläßlich entnehmen, mit welcher Geschwindigkeit der Beklagte sein Einbiegen in die vom Kläger befahrene Wegtrasse vornahm. Schließlich fehlt eine Feststellung, wo sich der Kläger befand, als der Beklagte mit seinem unmittelbaren Einbiegemanöver begann. Es wird einer exakten Zeit-Weg-Berechnung bedürfen, um zu klären, wie weit sich der Kläger genähert hatte, als der Beklagte sein Abbiegemanöver abschloß. Hätte der Kläger in diesem Zeitpunkt ohne unvermitteltes Bremsen stehen bleiben können, könnte von einer Vorrangverletzung durch den Beklagten im Sinne der oben dargestellten Vorrangverletzung durch den Beklagten im Sinne der oben dargestellten Judikatur nicht mehr gesprochen werden; es wäre vielmehr vom Vorliegen eines Begegnungsverkehrs auszugehen, nach dessen Grundsätzen dann, wenn nicht oder nicht ausreichend ausgewichen werden kann, einander begegnende Fahrzeuge anzuhalten sind (§ 10 Abs 2 erster Satz StVO).
Aber auch die ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der vorliegenden Skizze getroffene Feststellung, daß die Breite der Verbindungswege etwa 70 cm betrug, bedarf einer näheren Umschreibung. Abgesehen davon, daß in der Skizze gänzlich andere Maße aufscheinen (1,60 m für die Wegtrasse des Klägers, 2,10 m für jene des Beklagten), ist es nach der bisherigen Breitenangabe nicht recht erklärlich, wie der Beklagte mit einer 1,5 m langen Dachlatte um die dortige Kurve fahren konnte und wie es dem Kläger - falls der Weg wirklich nur 70 cm breit war - möglich war, an dem vom Fahrrad wieder abgestiegenen Beklagten ohne unmittelbaren Kontakt mit diesem vorbeizufahren.
Die Rechtssache ist daher schon dem Grunde nach noch nicht spruchreif. Es hat somit zwar bei der Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung durch das Berufungsgericht zu verbleiben; bei der ergänzenden Verhandlung und Entscheidung wird jedoch auf die dargelegten Sachfragen einzugehen und das schließlich vollständig erhobene Sachverhaltsbild nach den oben dargelegten Grundsätzen zu beurteilen sein.
Dem die Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses durch das Berufungsgericht bekämpfenden Rekurs war der Erfolg zu versagen. Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 52 ZPO.
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