Spruch:
Die bereits erfolgte Entlassung aus der Irrenanstalt steht der aufrechten Erledigung des Rekurses gegen den Beschluß über die Anhaltung nicht entgegen.
Entscheidung vom 3. Mai 1966, 8 Ob 127, 128/66
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz
Begründung:
Maria P. wurde am 22. Dezember 1965 in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke aufgenommen und am 25. Jänner 1966 aus dieser Anstalt entlassen.
Das Erstgericht erklärte nach einer gerichtsärztlichen Untersuchung der Angehaltenen mit Beschluß vom 20. Jänner 1966 die weitere Anhaltung für zulässig und sprach aus, daß die Wirksamkeit dieses Beschlusses mit 20. März 1966 erlösche.
Am 19. Februar 1966 stellte Maria P. den Antrag auf Beischaffung der Akten der Bundespolizeidirektion G. mit dem Beisatz, sie werde nach Einlangen dieser Akten weitere Anträge stellen.
Diesen Antrag wies das Erstgericht mit Beschluß vom 24. Februar 1966 als unzulässig zurück.
Das Rekursgericht wies die Rekurse der Maria P. gegen beide erstgerichtlichen Beschlüsse als unzulässig zurück:
Die Rechtsmittelwerberin sei schon am 26. Jänner 1966 aus der Heilanstalt entlassen worden. Im Anhalteverfahren sei nur darüber zu entscheiden, ob eine weitere Anhaltung (§ 22 EntmO.) zulässig sei, nicht aber darüber, ob die Anhaltung zulässig gewesen sei. Infolge Entlassung aus der geschlossenen Anstalt sei die Beschwerde der Rekurswerberin weggefallen. Hinsichtlich der Ablehnung der Beischaffung der Akten der Bundespolizeidirektion G. könne sich die Rekurswerberin nicht als beschwert erachten, weil sie in der geschlossenen Anstalt nicht mehr angehalten werde und demnach ein Nachweis dafür, daß die Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt unbegründet gewesen sei, ins Leere gehe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Maria P. Folge und trug der zweiten Instanz Sachentscheidung über die Rekurse gegen die erstgerichtlichen Beschlüsse auf.
Rechtliche Beurteilung
Das Beschwerderecht muß zwar sowohl im Zeitpunkt der Erhebung des Rechtsmittels als auch zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel fortbestehen, widrigenfalls das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen wäre (JBl. 1963 S. 432 = RiZ. 1963 S. 113 = EvBl. 1963 Nr. 346), doch ist im vorliegenden Falle ein rechtliches Interesse an der Bekämpfung der Entscheidungen erster Instanz zu bejahen, wenn auch Maria P. zur Zeit der Entscheidung des Rekursgerichtes aus der Anhaltung bereits entlassen worden war. Der Anhaltungsbeschluß berührt das Grundrecht eines Menschen auf persönliche Freiheit, sodaß der Rechtsmittelwerberin auch nach ihrer Entlassung ein rechtliches Interesse, ob der Anhaltungsbeschluß zu Recht oder zu Unrecht ergangen ist, nicht abgesprochen werden kann.
Das Rekursgericht wird daher vom Zurückweisungsgrund der mangelnden Beschwerde Abstand zu nehmen und auf die Gründe im Rekurs gegen den Anhaltungsbeschluß einzugehen haben. Damit ist auch der Ansicht, es fehle dem Rekurs gegen die Zurückweisung des Antrages auf Beischaffung der Polizeiakten das Beschwerderecht, der Boden entzogen, sodaß die zweite Instanz auch diesen Rekurs sachlich zu behandeln haben wird.
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