European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127404
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Am 4. 6. 2019 brachte der Kinder- und Jugendhilfeträger (kurz KJHT) die bis dahin bei ihrer Mutter wohnhafte Minderjährige im Rahmen einer Maßnahme gemäß § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB auf einem Krisenpflegeplatz unter. Am 7. 6. 2019 stellte er beim Erstgericht den Antrag, die Obsorge für die Minderjährige dem Land Kärnten zu übertragen, weil angesichts der massiv gewaltbehafteten Vorgeschichte der Eltern, der fehlenden Problemeinsicht und Kooperationsbereitschaft der Mutter und der ihrerseits nicht gewährleisteten Abgrenzung zum Vater eine akute Kindeswohlgefährdung drohe. Am 6. 6. 2019 beantragte die Mutter die Gefahr-in-Verzug-Maßnahme für unzulässig zu erklären, weil sie rechtswidrig und grundlos erfolgt sei. Mit Beschluss vom 9. 7. 2019 erklärte das Erstgericht die Abnahme des Kindes und dessen Unterbringung auf einem Krisenpflegeplatz durch den KJHT für vorläufig zulässig.
Am 15. 7. 2019 beantragte die Mutter die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach die Minderjährige dem KJHT bzw der Krisenpflegefamilie, bei der sie über dessen Anordnung untergebracht sei, abgenommen und wieder in die Pflege und Erziehung der Mutter rückgeführt werden solle. Am 12. 7. 2019 habe die Mutter Verletzungen im Gesichtsbereich des Kindes, und zwar verfärbte Striemen auf der linken Gesichtshälfte vom Ansatz bis unter das Kinn, bemerkt. Die gesamte Gesichtshälfte sei geschwollen und das Auge gerötet gewesen. Weiters habe die Minderjährige eine Kratzspur im Bereich der Nase aufgewiesen. Auch Spuren von Nasenbluten seien zu sehen gewesen. Die Mutter sei von dieser Verletzung nicht informiert worden. Es bestehe der Verdacht auf Kindesmisshandlung. Der Weiterverbleib der Minderjährigen bei einer offensichtlich ungeeigneten Pflegemutter entspreche nicht dem Kindeswohl. Daher lägen die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur unverzüglichen Rückführung der Minderjährigen zur Mutter wegen Gefährdung des Kindeswohls im Sinne der §§ 378, 378a ff EO sowie § 382b EO vor.
Mit Beschluss vom 16. 7. 2019 wies das Erstgericht den Antrag der Mutter zurück. Im Verfahren habe der KJHT die erste Verfahrenshandlung gesetzt, weshalb dieser gemäß § 208 Abs 4 ABGB iVm § 169 ABGB allein vertretungsbefugt und die Mutter zur Antragstellung nicht legitimiert sei. Einstweilige Verfügungen nach § 382b EO dienten zudem dem Schutz vor Gewalt in Wohnungen im Zusammenhang mit einem Scheidungs-, Auflösungs-, Aufhebungs- oder Nichtigkeitsverfahren, einem Aufteilungsverfahren und einem Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung, nicht aber anderen (wie etwa Obsorge‑ oder Kontaktrechts‑)Verfahren.
Dem dagegen erhobenen Rekurs der Mutter gab das Rekursgericht nicht Folge. Die Mutter habe den als solchen bezeichneten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht als Vertreterin des Kindes, sondern für ihre eigene Person gestellt. Sie begehre die Rückführung der Minderjährigen in ihre Pflege und Erziehung. Die Frage, ob sie vor dem Hintergrund der Einleitung des Obsorgeverfahrens durch den KJHT als Vertreterin des Kindes antragslegitimiert sei, stelle sich daher nicht. Dennoch habe das Erstgericht den Antrag der Mutter letztlich zu Recht zurückgewiesen, weil die Mutter damit im Ergebnis die Rückgängigmachung der vom KJHT gesetzten Maßnahme begehre. Nach § 107a Abs 1 AußStrG habe das Gericht auf Antrag der Mutter, in deren Obsorge eingegriffen worden sei, unverzüglich, tunlichst binnen vier Wochen, auszusprechen, ob die Maßnahme des KJHT unzulässig oder vorläufig zulässig sei. Ein solcher Antrag müsse binnen vier Wochen nach Beginn der Maßnahme gestellt werden. Dieses Antragsrecht stehe lediglich einmalig zu, um eine Verzögerung des Hauptverfahrens durch immer neue Anträge der Parteien zu vermeiden. Der hier gegenständliche Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung entspreche inhaltlich einem Antrag nach § 107a Abs 1 AußStrG, wobei die Mutter eine Änderung der Verhältnisse in ihrem Bereich gar nicht behaupte. Da ein solcher Antrag nur einmalig und innerhalb der vierwöchigen Frist ab Beginn der Maßnahme gestellt werden könne, sei der erst am 15. 7. 2019 (neuerlich) eingebrachte Antrag zurückzuweisen
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil in der Literatur die Auffassung vertreten werde, die Befristung des Antragsrechts widerspreche in Fällen einer zwischenzeitigen Änderung der Umstände dem Art 8 EMRK, und höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Fällen, in welchen nach Ablauf der vierwöchigen Frist Änderungen der Umstände geltend gemacht würden, – soweit ersichtlich – nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
1. § 107a Abs 1 Satz 1 AußStrG sieht vor, dass das Gericht auf Antrag des Kindes oder der Person, in deren Obsorge eingegriffen worden ist, unverzüglich, tunlichst binnen vier Wochen auszusprechen hat, ob die Maßnahme des KJHT nach § 211 Abs 1 zweiter Satz ABGB unzulässig oder vorläufig zulässig ist. Ein solcher Antrag muss binnen vier Wochen nach Beginn der Maßnahme gestellt werden.
2.1 Das in § 107a Abs 1 AußStrG geregelte Verfahren dient der Klärung, ob die vom KJHT aus eigenem gesetzte vorläufige Maßnahme bis zur endgültigen Entscheidung über einen Obsorgeantrag desselben aufrecht bleiben soll (7 Ob 179/16y). Ein Antrag nach § 107a Abs 1 AußStrG zielt dabei auf die aus dem Ausspruch der Unzulässigkeit folgende Verpflichtung des KJHT ab, die Maßnahme nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB umgehend rückgängig zu machen (vgl RIS‑Justiz RS0129490; RS0130951; Einberger in Schneider/Verweijen, AußStrG § 107a Rz 5).
2.2 Zutreffend hat das Rekursgericht erkannt, dass die Mutter mit dem Antrag vom 15. 7. 2019, auch wenn sie die Rückführung des Kindes in ihre Pflege und Erziehung auf die Bestimmungen der §§ 378, 378a ff EO und § 382b EO gegründet hat, dieses Rechtsschutzziel verfolgt.
3.1 Anträge eines (obsorgeberechtigten) Elternteils, die auf ein umgehendes Rückgängigmachen einer Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB abzielen, müssen innerhalb der Frist des § 107a Abs 1 Satz 2 AußStrG gestellt werden (RS0129490). Verfristete Anträge sind zurückzuweisen (RS0129490 [T1]). Die Entscheidung des Gesetzgebers, das entsprechende Antragsrecht nur innerhalb einer gewissen Frist und damit nur einmalig einzuräumen, um zu vermeiden, dass es durch wiederholte (oder spätere) Anträge zu einer – allenfalls auch nur faktischen – „Blockierung“ (Verzögerung) der Entscheidung im eigentlichen Verfahren, das ohnehin der Klärung derselben Frage dient, kommt, erscheint keineswegs unsachlich oder überschießend (1 Ob 97/14t unter Hinweis auf JAB 2087 BlgNR 24. GP 2). Auch der VfGH hat sowohl die Befristung als auch die Einmaligkeit des Antragsrechts als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (VfGH iFamZ 2017, 366).
3.2 Die sowohl vom Rekursgericht als auch von der Mutter in ihrem Revisionsrekurs als erheblich angesprochene Rechtsfrage, ob wesentliche Änderungen der Umstände nach Ablauf der vierwöchigen Frist nicht doch durch einen (neuerlichen) Antrag geltend gemacht werden können müssten (vgl dazu etwa Simotta, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des KindNamRÄG 2013, in Ferrari/Hinteregger/Kathrein, Kindschafts- und Namensrecht, 127 f; Höllwerth, Gerichtliche Kontrolle der Interimskompetenz des JWT, in Gitschthaler, KindNamRÄG 2013, 233; Einberger in Schneider/Verweijen, AußStrG § 107a Rz 7), stellt sich hier nicht. Die Mutter behauptet gar keine veränderten Verhältnisse, die die Annahme einer Kindeswohlgefährdung im Fall der Rückgängigmachung der Maßnahme des KJHT widerlegen würden. Die Zurückweisung des Antrags der Mutter als verfristet begegnet daher keinen Bedenken.
4.1.1 Daran ändert nichts, dass die Mutter in ihrem Rechtsmittel die Ansicht vertritt, ihr Antrag wäre vom Rekursgericht richtigerweise als Provisorialantrag nach den Bestimmungen der EO und nicht als Antrag nach § 107a Abs 1 AußStrG zu behandeln gewesen, wobei sie darauf beharrt, den Antrag nicht in eigenem Namen, sondern namens des Kindes gestellt zu haben, obgleich lediglich sie selbst sowohl im Antrag als auch in den Rechtsmittelschriftsätzen als Antragstellerin angeführt ist.
4.1.2 Bei der Auslegung einer Prozesshandlung kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozesslage und Aktenlage objektiv verstanden werden muss (RS0037416).
Abgesehen davon, dass mit Mitteln der EO die Befristung und Einmaligkeit des Antragsrechts nach § 107a Abs 1 AußStrG wohl nicht konterkariert werden kann, ist der Mutter zu erwidern, dass sich das von ihr angestrebte Rechtsschutzziel – die Rückführung des Kindes in ihren Haushalt – unter Heranziehung der §§ 378, 378a ff EO und § 382b EO nicht erreichen ließe: Mit einstweiliger Verfügung zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen nach § 382b EO kann (nur) der gefährdenden Partei das Verlassen der Wohnung bzw deren unmittelbarer Umgebung samt Rückkehrverbot auferlegt werden („Wegweisung“). Eine Grundlage dafür, eine Gefahr-in-Verzug-Maßnahme des KJHT rückgängig zu machen, bietet diese Bestimmung nicht. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Rekursgericht im vorliegenden Einzelfall die Prozesshandlung der Mutter, vor allem unter Beachtung dessen, was sie erreichen will, als Antrag gemäß § 107a Abs 1 AußStrG verstanden hat.
4.2 Dem (wiederholten) Einwand der Mutter, der Weiterverbleib der Minderjährigen bei der Krisenpflegemutter widerspreche dem Kindeswohl, hat schon das Erstgericht Rechnung getragen, indem es den Antrag der Mutter dem KJHT als Gefährdungsmeldung übermittelt hat.
4.3 Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt der Revisionsrekurs daher auch unter diesen Gesichtspunkten nicht auf.
5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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