Spruch:
Die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes für den Ehemann verwandelt den Unterhaltsanspruch der Ehefrau, der nur bei besonders schwerwiegenden Eheverfehlungen verwirkt wird, in einen Anspruch auf Geldleistungen
Entscheidung vom 19. Jänner 1965, 8 Ob 12/65
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz
Text
Der Kläger begehrt die Scheidung seiner Ehe mit der Beklagten. Als Scheidungsgrund machte er ehrloses Verhalten der Beklagten geltend, die sich verschiedene Diebstähle habe zuschulden kommen lassen. Die Beklagte beantragte unter Hinweis darauf, daß der Kläger die Ehewohnung verlassen habe, den Zuspruch eines einstweiligen Unterhaltes von 600 S monatlich. Der Kläger beantragte die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes.
Der Erstrichter bewilligte dem Kläger den abgesonderten Wohnort für die Dauer des Scheidungsverfahrens. Den Antrag der Beklagten auf Zuerkennung eines einstweiligen Unterhaltes wies er ab. Er stellte u. a. fest: Die Beklagte sei vom Strafgericht bereits dreimal, und zwar mit den Urteilen vom 6. Februar 1963, 24. Jänner 1964 und 28. Oktober 1964, des Verbrechens des Diebstahls schuldig erkannt worden. Mit letzterem Urteil sei sie zur Strafe des strengen Arrestes in der Dauer von vier Monaten verurteilt worden, weil sie vom Frühjahr 1963 bis Juli 1964 einem Rentner Beträge in Höhe von zusammen 8000 S gestohlen habe. Die am 23. Oktober 1946 geborene Beklagte habe einen Hang zu Diebstählen. Dem Kläger, der nach Bekanntwerden des letzten Diebstahls die Ehewohnung verlassen habe, sei die Aufrechterhaltung der Hausgemeinschaft mit der Beklagten nicht zuzumuten. Der Erstrichter war der Ansicht, die mehrfachen Diebstähle der Beklagten seien als besonders schwere Eheverfehlungen zu werten, welche die Verwirkung des Unterhaltsanspruches zu Folge hätten.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten gegen die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes nicht, dem Rekurs gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung eines einstweiligen Unterhaltes jedoch Folge. Es hob diesen Beschluß der I. Instanz unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es teilte nicht die Ansicht des Erstrichters, die der Beklagten zur Last fallenden Eheverfehlungen hätten eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches zur Folge. Es bedürfe daher ergänzender Feststellungen hinsichtlich der Höhe des einstweiligen Unterhaltes.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluß des Rekursgerichtes, betreffend den einstweiligen Unterhalt, nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Daß nach der herrschenden Rechtsprechung die Ehefrau ihren auf § 91 ABGB. beruhenden Unterhaltsanspruch durch schwere Eheverfehlungen verwirken kann, hat auch das Rekursgericht nicht verkannt. Es hat aber zutreffend die Ansicht vertreten, eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches komme nur bei besonders schwerwiegenden Eheverfehlungen in Betracht, wie Ehebruch, fortgesetzten empfindlichen Verletzungen der ehelichen Treue, schweren körperlichen Mißhandlungen oder Drohungen, die sich unmittelbar gegen die seelische und körperliche Integrität des Ehepartners richten (vgl. SZ. XXIV 308 u. a.). Ob es dem Sinn des § 91 ABGB. entspricht, der Ehefrau, die sich schwerer Eheverfehlungen schuldig gemacht hat, den Unterhalt zu gewähren oder zu versagen, muß jedesmal nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. EvBl. 1959, Nr. 310, S. 543). Werden das Milieu, aus dem die Beklagte stammt, und das jugendliche Alter der Beklagten berücksichtigt, die noch nicht einmal 17 Jahre alt war, als sie das aus der Ehe stammende Kind gebar, dann muß dem Rekursgericht darin beigepflichtet werden, daß die Eheverfehlungen der Beklagten eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches nicht zu rechtfertigen vermögen. Daran ändert auch nichts, daß dem Kläger wegen der Eheverfehlungen der Beklagten der abgesonderte Wohnort für die Dauer des Scheidungsverfahrens bewilligt wurde. Die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes hat hinsichtlich des Unterhaltes grundsätzlich nur zur Folge, daß an die Stelle der Unterhaltsleistung in natura die Unterhaltsleistung in Geld tritt. Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches tritt auch in diesem Falle nur dann ein, wenn der Ehegattin besonders schwerwiegende, eine Unterhaltsforderung geradezu als sittenwidrig erscheinen lassende Eheverfehlungen im Sinne der obigen Ausführungen zur Last fallen, welche Voraussetzung im Gegenstandsfall nicht vorliegt.
Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.
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