European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00119.20P.0503.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 18. 6. 2009 wurde für die Betroffene der NÖ Landesverein für Sachwalterschaft und Bewohnervertretung zum Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten bestellt. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Betroffene aufgrund psychischer und körperlicher Beeinträchtigungen außer Stande ist, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils selbst zu besorgen.
[2] Die Revisionsrekurswerberin ist die Mutter der Betroffenen. Sie kritisierte wiederholt die Betreuung und Versorgung ihrer Tochter durch den Erwachsenenvertreter. Am 10. 12. 2019 beantragte sie die Übertragung der „Obsorge“ mit der Begründung, dass die Rechte und Bedürfnisse ihrer Tochter durch den Verein gröblich verletzt würden. Mit Eingabe vom 26. 1. 2020 urgierte sie eine Entscheidung über diesen Antrag.
[3] Das Erstgericht hielt mit Aktenvermerk vom 31. 1. 2020 fest, dass es keine Gründe für eine Umbestellung sehe und informierte die Mutter über dieses Ergebnis mit Note vom selben Tag.
[4] Am 16. 3. 2020 beantragte die Mutter neuerlich die „Übertragung der Sachwalterschaft“. Mit Note vom 21. 3. 2020, die es an die Mutter sowie an den Erwachsenenvertreter zustellte, verwies das Erstgericht auf seine Erledigung vom 31. 1. 2020.
[5] Das Rekursgericht wies den von der Antragstellerin daraufhin gegen diese Verständigung erhobenen Rekurs zurück. Ein Antragsrecht – und damit eine Rechtsmittellegitimation – komme hinsichtlich der Übertragung der Erwachsenenvertretung nur der betroffenen Person selbst und ihrem bestellten Erwachsenenvertreter zu. Stelle sich heraus, dass eine Übertragung nicht stattzufinden habe, sei das Verfahren einzustellen. Die Verständigung einer nicht antragsberechtigten Person von diesem Ergebnis stelle keinen anfechtbaren Beschluss dar, zumal die Einstellung auch nur mittels Aktenvermerks erfolgen hätte können. Darüber hinaus stehe in jedem Fall dem Elternteil eines volljährigen Betroffenen im Bestellungsverfahren nur im Hinblick auf die Auswahl der Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters ein Rekursrecht zu.
[6] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung einerseits zur Rekurslegitimation von Angehörigen im Verfahren über die Übertragung der Erwachsenenvertretung, andererseits zur gebotenen Entscheidungsform bei der Einstellung eines Übertragungsverfahrens fehle.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter der Betroffenen, der die meritorische Entscheidung im Sinne der Stattgebung der begehrten Übertragung der Erwachsenenvertretung an die Mutter anstrebt, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Eine Rekursbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
[8] Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht dargelegten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
[9] 1. Nach § 117 Abs 1 AußStrG ist das Verfahren über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für eine Person einzuleiten, wenn sie selbst die Bestellung beantragt oder von Amts wegen, etwa aufgrund einer Mitteilung.
[10] Gelangt das Gericht zum Ergebnis, dass ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter nicht zu bestellen ist, hat es nach § 122 Abs 1 und 2 AußStrG das Verfahren in jeder Lage einzustellen. Ein Beschluss über die Einstellung ist nur dann zu fassen, wenn die betroffene Person von der Anregung (§ 117) oder dem Verfahren bereits Kenntnis erlangt hat, oder wenn ein Gericht oder eine Behörde die Verfahrenseinleitung angeregt hat.
[11] Die Vorschriften für das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters sind nach § 128 Abs 1 AußStrG auch auf das Verfahren über die Erweiterung, Einschränkung, Übertragung, Erneuerung und Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung anzuwenden, „soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist“. Nach § 128 Abs 2 AußStrG sind die in Abs 1 genannten Verfahren auch auf Antrag des gerichtlichen Erwachsenenvertreters einzuleiten. Ein Antragsrecht der Eltern eines volljährigen Betroffenen sieht § 128 AußStrG hingegen auch für die Erweiterung, Einschränkung, Übertragung, Erneuerung und Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung nicht vor.
[12] Schauer (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 128 Rz 1 f) spricht im Anwendungsbereich des § 128 AußStrG von einer Unterscheidung zwischen einem vereinfachten und einem vollen Verfahren. Die Bestimmung diene insofern auch einem Ausgleich zwischen den gegenläufigen Zielen des Schutzes der betroffenen Person einerseits und der Verfahrensökonomie andererseits. Dem liege der Gedanke zugrunde, dass die erstmalige Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters den stärksten Eingriff in die grundrechtlich geschützte Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person darstelle, weshalb hier der Rechtsschutz durch zahlreiche Kautelen im Verfahren – etwa durch den durch die Erstanhörung und die mündliche Verhandlung verwirklichten Unmittelbarkeitsgrundsatz und durch die Beschränkung der Antragslegimitation zur Verfahrenseinleitung auf die betroffene Person – am stärksten ausgeprägt sei. Soweit es um die Erweiterung und Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung gehe, sei nur unter bestimmten Voraussetzungen ein dem Bestellungsverfahren entsprechender Interessenschutz erforderlich. Bei anderen Verfahren, die den Fortbestand, den Umfang oder die Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters zum Gegenstand haben, sei die Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person nicht notwendigerweise in derselben Weise betroffen. Deshalb scheine dem Gesetzgeber eine Reduktion des Verfahrensaufwands vertretbar.
[13] 2. Der Revisionsrekurs argumentiert, in den Verfahrensarten des § 128 AußStrG, insbesondere in einem Verfahren zur Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung, sei aus teleologischen Gründen der § 122 Abs 2 AußStrG über die vereinfachte Einstellung nicht anzuwenden.
[14] Die formlose Einstellung des Bestellungsverfahrens diene nach der herrschenden Auffassung dem Schutz des Betroffenen, den die Information, dass für ihn eine Erwachsenenvertretung in Betracht gezogen wurde, belasten könnte. Diese Überlegung treffe aber auf die Verfahren nach § 128 Abs 1 AußStrG nicht mehr zu. Die Erlassung eines anfechtbaren Beschlusses über das Unterbleiben einer Umbestellung sei hier auch dann notwendig, wenn der Betroffene von der Verfahrenseinleitung noch keine Kenntnis gehabt habe, weil ihm als Partei jedenfalls ein Rekurs gegen eine Entscheidung zustehe, mit der einem Antrag nicht Folge gegeben wurde.
[15] Diese Argumentation überzeugt aus den folgenden Gründen nicht:
[16] Die formlose Einstellung kommt nach § 122 Abs 2 AußStrG nur dann in Frage, wenndas Verfahren nicht über einen Antrag (einer dazu berechtigten Person oder Behörde) eingeleitet wurde. Wegen der nach § 128 AußStrG erforderlichen Erhebungenerhält der Betroffene immer nur dann keine Kenntnis von der Einleitung eines Umbestellungsverfahrens, wenn einerseits kein Antrag einer dazu legitimierten Person gestellt wurde und die – diesfalls nur als Anregung zu wertende – Aufforderung eines Dritten so offenkundig unbegründet ist, dass das Gericht sie nicht einmal zum Anlass einer ersten amtswegigen Abklärung nimmt (weil sonst der Betroffene Kenntnis davon erlangen würde).
[17] Der Revisionsrekurs bezieht sich auf Schauer (aaO § 128 AußStrG Rz 34), der vertritt, dass § 122 Abs 2 AußStrG bei den Verfahren des § 128 AußStrG aus teleologischen Erwägungen nicht anzuwenden sei. Diese Bestimmung wolle die betroffene Person, die vom Verfahren noch keine Kenntnis erlangt hat, bei der Einstellung in der Weise besonders schützen und ihr durch Unterbleiben einer Beschlussfassung die möglicherweise belastende Kenntnis des Umstands, dass ein Verfahren eingeleitet und die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters erwogen wurde, ersparen. Hierfür bestehe aber kein Grund, wenn bereits ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt wurde. Diese Überlegung spreche dafür, dass über die Einstellung eines der in § 128 AußStrG genannten Verfahrens jedenfalls ein Beschluss zu erlassen sei.
[18] Die Überlegung, dass die Kenntnis einer – wie dargelegt, offensichtlich unberechtigten, weil nicht zum Anlass für die Durchführung erster Erhebungen bzw einer Erstanhörung genommenen – Anregung für die betroffene Person so belastend wäre, dass sie durch § 122 Abs 2 AußStrG vor ihrer Kenntnis durch eine eigens geschaffene Verfahrensbestimmung bewahrt werden sollte, vermag allerdings nicht zu überzeugen.
[19] Naheliegend ist, dass § 122 Abs 2 AußStrG in erster Linie das Ziel der Verfahrensökonomie verfolgt (s ErlRV 224 BlgNR 22. GP 81, 83). Gegen einen Beschluss über eine Einstellung a limine nach dieser Bestimmung bestünde ohnehin mangels Beschwer des potentiell Betroffenen kein Rekursrecht und es sind unter diesen Voraussetzungen insoweit auch keine Dritten vorhanden, denen ein gesetzlich geschütztes Informationsbedürfnis zukommt.
[20] Auch wenn der Revisionsrekurs argumentiert, dass einer betroffenen Person jedenfalls ein Rekursrecht gegen die Abweisung eines Antrags eines Dritten zukommen müsse, weshalb eine Einstellung des Umbestellungsverfahrens immer mit Beschluss zu erfolgen habe, kann dies nicht überzeugen. Ein Antrag liegt im Regelungsbereich des § 122 Abs 2 AußStrG gerade nicht vor. Es besteht aber auch keine Notwendigkeit für ein Rekursrecht des Betroffenen gegen die formlose Nichtbefolgung einer von Seiten Dritter eingebrachten Anregung. Ein solches Rekursrecht würde sich nur als Umweg darstellen, weil dem Betroffenen selbst ohnehin ein eigenes Antragsrecht zukommt.
[21] Im hier vorliegenden Fall stellte bereits die Verfügung des Erstgerichts vom 31. 1. 2020, das Verfahren nach § 128 Abs 1 iVm § 122 Abs 2 AußStrG einzustellen, keinen anfechtbaren Beschluss im Sinne des § 36 AußStrG dar. Im Übrigen wäre die Verständigung vom 31. 1. 2020, wäre sie aufgrund ihres Inhalts als Beschluss aufzufassen, bereits in Rechtskraft erwachsen.
[22] Die im vorliegenden Rechtsmittelverfahren angefochtene Verfügung über den am 16. 3. 2020 neuerlichen, als Anregung zu wertenden, Antrag der Mutter der Betroffenen verweist nur auf die Erledigung vom 31. 1. 2020 , ist als Mitteilung im Sinn des § 122 Abs 2 iVm § 128 Abs 1 AußStrG kein Beschluss iSd § 45 AußStrG und war von keinem Verfahrensbeteiligten mit Rekurs anfechtbar.
[23] 3. Der Revisionsrekurs führt weiters ins Treffen, dass mit dem Inkrafttreten des 2. ErwSchG in § 127 AußStrG erstmals eine Rekurslegitimation bestimmter naher Angehöriger, darunter der Eltern des Betroffenen, in Ansehung der Auswahl des Erwachsenenvertreters geschaffen wurde. Im vorliegenden Verfahren sei der amtierende Erwachsenenvertreter bereits im Jahr 2009, lange vor Inkrafttreten des 2. ErwSchG, bestellt worden. Die Mutter der Betroffenen habe damals im Verfahren noch keine Möglichkeit gehabt, die Auswahl des Erwachsenenvertreters zu bekämpfen. Aus diesem Grund gebiete es der Zweck des neu geschaffenen § 127 Abs 3 AußStrG, den nahen Angehörigen in solchen Altverfahren wenigstens ein Rekursrecht gegen das Unterbleiben einer angeregten Umbestellung einzuräumen.
[24] Gemäß § 207m AußStrG traten (ua) die §§ 116a bis 131c AußStrG in der Fassung des 2. ErwSchG mit 1. 7. 2018 in Kraft und sie sind auf Verfahren anzuwenden, die „nach dem 30. 6. 2018 anhängig sind oder anhängig werden“. Es kann hier aber im Sinne der obigen Ausführungen dahingestellt bleiben, ob auch ein Beschluss des Gerichts, mit dem eine rechtskräftig bestellte Erwachsenenvertretung unverändert belassen bzw ein Übertragungsantrag abgewiesen wird, einer „Entscheidung über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters“ gleichzuhalten ist, gegen die nach § 128 Abs 1 AußStrG in sinngemäßer Anwendung des § 127 Abs 3 leg cit ein Rekursrecht naher Angehöriger „im Hinblick auf die Person des gerichtlichen Erwachsenenvertreters“ besteht. Unabdingbare Voraussetzung für die Rekurslegitimation ist in jedem Fall, dass ein Beschluss im Sinn des § 36 AußStrG vorliegt. Dies ist hier, wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht der Fall.
[25] Abschließend ist festzuhalten:
[26] Nach wie vor haben Angehörige kein Recht darauf, durch Antragstellung ein Erwachsenenschutzverfahren einzuleiten (vgl Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 127 Rz 1; Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 127 Rz 1, 7, 11). Sie haben genauso kein Recht, einen Umbestellungsantrag (Antrag auf Übertragung der Erwachsenenvertretung auf eine andere Person) zu stellen. Aus dem Rekursrecht der Angehörigen nach § 127 Abs 3 iVm § 128 AußStrG ist kein solches Antragsrecht abzuleiten (Fritz aaO Rz 12). Ein Angehöriger kann eine Umbestellung bloß anregen. Darüber muss das Gericht nicht zwingend mit Beschluss entscheiden, sondern es kann auch – wie hier geschehen – einen Aktenvermerk verfassen, wenn es der Anregung nicht nähertritt. Gegen einen solchen Aktenvermerk besteht – wie vom Rekursgericht zutreffend erkannt – kein Rekursrecht des Angehörigen.
[27] Dem Revisionsrekurs war daher keine Folge zu geben.
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