Spruch:
Die Rechtskraft eines über einen Rentenausspruch ergangenen Urteils schließt Nachforderungen aus demselben Schadenersatzanspruch auch dann nicht aus, wenn die erste Klage weder als Teilklage bezeichnet war, noch einen Vorbehalt weiterer Forderungen zum Ausdruck brachte
OGH 22. September 1976, 8 Ob 108/76 (OLG Graz 1 R 32, 33/76; LG f, ZRS Graz 6 Cg 134/75)
Text
Am 29. September 1970 wurde der Gatte der Erstklägerin und Vater der Zweit- bis Viertkläger bei einem vom Erstbeklagten verschuldeten Unfall getötet.
Mit Urteil des Erstgerichtes vom 5. Oktober 1972, 6 Cg 178/71-29, wurde rechtskräftig festgestellt, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand den Klägern für alle künftigen Schäden haften, die Zweitbeklagte jedoch mit der Beschränkung auf den Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages. Ferner wurde den Zweit- bis Viertklägern, die unter anderem nach Modifizierung des Klagebegehrens für die Zeit vom 1. Oktober 1970 bis 31. März 1974 unter Zugrundelegung einer monatlichen Rente von 353 S je Kind einen aufgestockten Rentenbetrag von 44 478 S und ab 1. April 1974 bis 31. Juli 1974 einen monatlichen Betrag von je 353 S begehrt hatten, mit Endurteil vom 20. Feber 1975, 6 Cg 64/74-69, für den genannten Zeitraum unter Zugrundelegung des begehrten Rentenbetrages von je 353 S und unter Berücksichtigung einer (anteiligen) Teilzahlung von 7000 S ein Betrag von 37 478 S und ab 1. April bis 31. Juli 1974 ein monatlicher Betrag von 1059 S (353 S X 3) zugesprochen. In der Begründung des Urteiles führte das Erstgericht hiezu aus, der Unterhaltsentgang der Zweit- bis Viertkläger errechne sich bei einem Einkommen ihres Vaters von monatlich 3972.20 S nach Abzug der fixen Kosten von 1000 S mit 891.66 S (10% von 2972.20 S = 297.22 S X 3 =
891.66 S) zuzüglich eines Anteiles von 46% von den fixen Kosten von 460 S (153 S X 3), was einen monatlichen Entgang von 1351.66 S, somit je Kind einen monatlichen Entgang von 450.55 S ergebe. Den Zweit- bis Viertklägern könne aber nicht mehr als der von ihnen begehrte Betrag von 353 S zugesprochen werden. Die Zweit- bis Viertkläger hatten ihrem Begehren auf Zahlung einer monatlichen Rente von 353 S ein Einkommen ihres Vaters von 3972.20 S, Fixkosten von 1000 S zugrunde gelegt, daraus den Unterhaltsentgang von 10% je Kind vom Einkommen des Vaters mit 200 S, zuzüglich anteiliger Fixkosten (46%) von 153 S, insgesamt mit 353 S ermittelt und diesen Unterhaltsentgang ihrem Begehren auf Zahlung eines aufgestockten Rentenbetrages von 44 478 S für die Zeit vom 1. Oktober 1970 bis 1. April 1974 und eines monatlichen Rentenbetrages von 353 S je Kind vom 1. April 1974 bis 31. Juli 1974 zugrunde gelegt.
Mit der vorliegenden Klage begehrten die Zweit- bis Viertkläger u.
a. einen Betrag von 9894 S mit der Behauptung, dieser Betrag ergebe sich als Differenz zwischen dem im Vorprozeß für die Zeit vom 1. Oktober 1971 bis 31. Juli 1974 (34 Monate) begehrten und zugesprochenen Rentenbetrag von 353 S je Kind und Monat und dem tatsächlichen Unterhaltsentgang, wie er in dem genannten Urteil des Vorprozesses mit 450 S je Kind und Monat verrechnet worden sei (450
S - 353 S = 97 S X 3 = 291 S X 34 = 9894 S).
Die Beklagten erhoben dagegen die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Rechtssache.
Das Erstgericht wies mit dem in das in der Hauptsache ergangenen Urteil aufgenommenen Beschluß die Einrede der Beklagten zurück und gab mit Urteil der Klage hinsichtlich des Betrages von 9894 S statt. Es führte hiezu aus, der Rechtskraft teilhaftig sei eine Entscheidung nur über ein gestelltes Begehren. Da die Zweit- bis Viertkläger mit der vorliegenden Klage die Differenz zwischen dem von ihnen im Vorverfahren begehrten Entgang von 353 S und dem dort ermittelten tatsächlichen Entgang von 450.55 S geltend machten, liege darüber mangels eines im Vorprozeß gestellten Begehrens keine Entscheidung vor, deren Rechtskraft dem nunmehr gestellten Begehren entgegenstehen würde. Da die richtige Berechnung des Entganges dieser Kläger im Vorverfahren einen monatlichen Entgang von 450.55 S ergebe, sie im Vorprozeß aber nur einen Entgang von 353 S gefordert hätten, sei ihnen die Differenz von 97 S je Kind und Monat für den begehrten Zeitraum vom 1. Oktober 1971 bis 31. Juli 1974, somit der begehrte Betrag von 9894 S zuzusprechen.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich des Zuspruches von 9894 S samt Anhang als nichtig auf und wies die Klage der Zweit- bis Viertkläger insoweit zurück. Die Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft setze zwar Identität des Begehrens voraus. Diese Wirkung trete aber auch ein, wenn die Leistungsbegehren quantitativ verschieden bemessen würden, ihnen aber das gleiche sachliche Vorbringen zugrunde liege und sich somit die Individualisierungsmomente des Anspruches nicht verändert hätten oder durch neues Vorbringen geändert oder zumindest ergänzt worden wären. Die Geltendmachung des Betrages von 9894 S könnten die Zweitbis Viertkläger nur mit einem Rechenfehler im Vorprozeß begrunden, so daß sich an dem Anspruchsgrund hinsichtlich dieses Begehrens nichts geändert habe und nur die Bemessung des Anspruches im gegenständlichen Prozeß geändert worden sei. Es sei daher insoweit Identität der Begehren gegeben und die Rechtskraftbindung des Endurteiles des Erstgerichtes vom 20. Feber 1975, 6 Cg 64/74-69, zu bejahen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Zweit- bis Viertkläger Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesen eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Teilzuspruches von 9894 S samt Anhang auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im Rekurs machen die Zweit- bis Viertkläger geltend, im Vorprozeß hätten sie auf Grund eines Rechenfehlers nur einen monatlichen Unterhaltsentgang von 353 S je Kind geltend gemacht. Der tatsächliche Entgang sei im Urteil des Vorprozesses aber mit 450.55 S ermittelt worden. Da ihnen aber nur der begehrte Betrag von 353 S zugesprochen worden sei, sei die Differenz auf den Entgang von 450.55 S nicht Streitgegenstand des Vorprozesses gewesen und sei darüber auch nicht entschieden worden. Die Rechtskraft des Urteiles des Vorprozesses stehe daher der Geltendmachung des Differenzbetrages mit der vorliegenden Klage nicht entgegen.
Die gegenständliche Klage stellt sich hinsichtlich des in Frage stehenden Anspruches von 9894 S nicht als Abänderungsklage für künftige Rentenleistungen etwa im Sinne der Bestimmungen des § 323d ZPO infolge Änderung der Verhältnisse, die für die Bestimmung der Rente im Vorprozeß maßgebend waren, sondern als Nachforderung weiterer Beträge desselben Anspruches für die Vergangenheit dar, wobei die Kläger im Verfahren des Vorprozesses einen ausdrücklichen Vorbehalt von Nachforderungen nicht gemacht haben. Die Frage, ob die Rechtskraft des Urteiles in einem mit der rechtskräftigen Zuerkennung eines quantitativ bestimmt geltend gemachten prozessualen Anspruches abgeschlossenen Verfahren, in dem sich der Kläger die Geltendmachung weiterer Teile desselben Anspruches nicht vorbehalten hat, einer späteren Klage entgegensteht, mit der weitere Beträge desselben Anspruches geltend gemacht werden (Nachforderungen), wird in der deutschen Lehre und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet (vgl. Stein - Jonas, Komm. zur ZPO[19] zu §322, 1330; Rosenberg - Schwab, Zivilprozeßrecht[11], 841; Baumbach - Lauterbach, ZPO[34] zu § 258 und Anm. 4 "Nachforderung" zu § 322; Pohle, Erstreckung der Rechtskraft auf nicht vorbehaltene Nachforderungen des siegreichen Klägers? ZZP 77, 98 mit den dort enthaltenen weiteren Literatur- und Judikaturnachweisen; Bartsch,
Zur materiellen Rechtskraft bei "Teilklagen" und zur Repräsentationswirkung des Klageantrags, ZZP 86, 254; BGH, NJW 1961, 917; DJZ 1961, 546 mit Besprechung von Pohle). Die deutsche Lehre und Rechtsprechung ist bei der Lösung dieser Frage allerdings teilweise auch von den Sondervorschriften des § 323d ZPO über die Abänderungsklage bei der Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen beeinflußt. Die überwiegende deutsche Lehre hält Nachforderungen auch dann durch die Rechtskraft nicht ausgeschlossen, wenn die erste Klage nicht als Teilklage bezeichnet war und kein Vorbehalt weiterer Forderungen Ausdruck gebracht wurde (vgl. Stein - Jonas, 1330; Rosenberg - Schwab, 841; Pohle, 77, 98; Bartsch, 86, 254), macht allerdings teilweise Einschränkungen bei Verurteilung zu wiederkehrenden Leistungen im Hinblick auf die Sondervorschrift des § 323d ZPO, indem sie eine Rechtskrafterstreckung auch zu Lasten des siegreichen Klägers in dem Sinne annimmt, daß die Verurteilung Nachforderungen ausschließt, wenn nicht den Umständen zu entnehmen war, daß nur eine Teilklage hätte erhoben werden sollen (vgl. Pohle, 107.). Soweit überschaubar, hat sich der OGH mit der Frage, inwieweit die Rechtskraft eines Unterhaltsurteiles der Einklagung eines höheren Unterhaltes entgegenstehe, in folgenden Entscheidungen befaßt: in der Entscheidung SZ 22/190 hat er allgemein ausgesprochen, daß die Rechtskraft einer Entscheidung nur bis zur Höhe des eingeklagten Teiles eines Anspruches reicht und sich nicht auf den nicht geltend gemachten Rest erstreckt, daß die nachträgliche Veränderung der Individualisierungsmomente des Anspruches einen neuen Rechtsschutzanspruch entstehen läßt, der durch die Rechtskraft der Entscheidung über den ersteren nicht berührt werde und daß diese Grundsätze auch für Unterhaltsansprüche gelten. In der Entscheidung EvBl. 1968/255 sprach der OGH aus, daß die Rechtskraft eines Unterhaltsurteiles der Einklagung eines höheren Unterhaltes und zwar auch für die Vergangenheit nicht entgegenstehe, wenn für die Vergangenheit ein höheres Einkommen behauptet werde, als es dem Urteil des Vorprozesses zugrunde gelegt wurde und die Klägerin außerdem im Vorprozeß das Unterhaltsbegehren als "vorläufig" bezeichnet hat. In der nicht veröffentlichten Entscheidung 6 Ob 114/66 hat der OGH ebenfalls ausgesprochen, daß die Rechtskraftwirkung einer Unterhaltsentscheidung für einen bestimmten Zeitraum der Geltendmachung höherer Unterhaltsbeträge für den gleichen Zeitraum nicht entgegenstehe, wenn für den betreffenden Zeitraum ein höheres Einkommen des Beklagten behauptet werde, als es im Urteil des Vorprozesses zugrunde gelegt wurde, eine nachträgliche Veränderung der näheren Individualisierungsmomente des diesen Zeitraum betreffenden Anspruches einen neuen Rechtsschutzanspruch entstehen läßt, der durch die Rechtskraft der Entscheidung über den im Vorprozeß geltend gemachten geringeren (Teil) Anspruch nicht berührt werde. Es kann daher auch für den österreichischen Rechtsbereich grundsätzlich im Sinne der herrschenden deutschen Lehre davon ausgegangen werden, daß Nachforderungen auch dann durch die Rechtskraft nicht ausgeschlossen sind, wenn die erste Klage nicht als Teilklage bezeichnet war und kein Vorbehalt weiterer Forderungen zum Ausdruck gebracht wurde. Eine teilweise von der deutschen Lehre (Pohle, 107) und Rechtsprechung (BGH, DJZ 1961, 546) auf Grund der Sondervorschrift des § 323d ZPO angenommene Einschränkung dieses Grundsatzes bei Nachforderungen von Unterhalts- und Rentenleistungen ist für den österreichischen Rechtsbereich schon deshalb nicht anwendbar, weil der österreichischen Zivilprozeßordnung eine solche Sonderregelung fehlt. Im vorliegenden Falle geht zwar sowohl die Klage im Vorprozeß als auch die gegenständliche Klage hinsichtlich des in Frage stehenden Betrages von dem gleichen Einkommen des Getöteten, dem gleichen Verteilungsschlüssel dieses Einkommens auf die Zweit- bis Viertkläger (je 10%), von der gleichen Höhe der Fixkosten und der gleichen Verteilung dieser Fixkosten aus. Die Differenz im Begehren ergibt sich nur dadurch, daß die genannten Kläger im Vorprozeß bei der Ermittlung des ihnen zuzurechnenden Einkommensanteiles von 10% auf Grund eines offenbaren Rechenfehlers nur einen aufgerundeten Betrag von 200 S statt richtig 297.22 S zugrunde gelegt haben. Der Umstand, daß sie in der Klage des Vorprozesses einen ihnen zurechenbaren Einkommensanteil des Getöteten von 10% als Unterhaltsentgang behauptet und ihrer Berechnung zugrunde gelegt haben, schließt es wohl aus, daß sie mit dem zufolge eines Rechenfehlers geringer bezifferten Klagsbetrag den gesamten Unterhaltsentgang geltend machen und von den Beklagten nicht mehr als diesen Betrag verlangen wollten, zumal vom gesetzlichen Vertreter nicht angenommen werden kann, daß er zum Nachteil seiner Pflegebefohlenen einen geringeren als den ihnen zustehenden Betrag geltend machen wollte. Darin ist vielmehr ein Vorbehalt einer weiteren Forderung des Unterhaltsentganges in Höhe der vollen 10% des Einkommens des Getöteten zuzüglich des zurechenbaren Anteiles an den Fixkosten zu erblicken. Die Rechtskraft des Urteiles im Vorprozeß steht daher der Geltendmachung des Differenzbetrages von 9894 S nicht entgegen.
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