Spruch:
Der nach § 364b ABGB. Anspruchsberechtigte kann die Schadensbehebung durch den für den Schadenseintritt Verantwortlichen ablehnen.
Entscheidung vom 23. April 1968, 8 Ob 107/68.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Erstklägerin ist zu 2/5, der Zweitkläger zu 1/5 und die Drittklägerin zu 2/5 Miteigentümer eines Hauses in W. Der Erstbeklagte ist zu 490/7627, der Zweitbeklagte zu 639/7627, die drittbeklagte Partei zu 2128/7627, der Viertbeklagte zu 2747/7627 und der Fünftbeklagte zu 1623/7627 Eigentümer der Nachbarliegenschaft. Auf dieser Liegenschaft wurde durch die Firma
V. & Co. ein Neubau aufgeführt. Die Bauführung wurde behördlich genehmigt. Die Feuermauer des Hauses der Kläger wurde gemäß den baubehördlich genehmigten Plänen unterfangen. Dennoch wurde die Standfestigkeit des Hauses der Kläger durch den Neubau beeinträchtigt. Die Feuermauer wich seitlich geringfügig aus und senkte sich an der linken Grundgrenze. Bereits bestehende Risse verbreiterten sich und es traten neue Risse und andere Schäden auf. Die Behebung der ausschließlich auf die Bauführung auf der Liegenschaft der Beklagten zurückzuführenden Schäden kostet 26.968
S.
Die klagenden Parteien begehrten mit der Klage vom 18. November 1966 die Verurteilung der beklagten Parteien zur Zahlung von 25.627 S s. A., wobei sie die von den einzelnen beklagten Parteien den einzelnen klagenden Parteien zu zahlenden Teilbeträge nach den Eigentumsanteilen aufschlüsselten.
Das Erstgericht verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung von 21.600 S s. A. an die klagenden Parteien nach Maßgabe der Miteigentumsanteile der Streitteile und wies das Mehrbegehren der klagenden Parteien auf anteilsmäßige Zahlung von 4027 S ab. Es führte aus, daß die beklagten Parteien als Gründeigentümer den klagenden Parteien, ihren Nachbarn, gemäß § 364b ABGB. für den durch den Neubau entstandenen Schaden zu haften hätten. Allerdings gebühre den klagenden Parteien der Ersatz nur in der Höhe, den die beklagten Parteien bei einer Behebung des Schadens durch die Firma V. & Co. hätte aufwenden müssen. Die beklagten Parteien hätten den klagenden Parteien die Behebung der Schäden durch die Firma V. & Co. angeboten, doch haben die klagenden Parteien die Behebung des Schadens durch dieses Unternehmen abgelehnt. Zu dieser Ablehnung seien die klagenden Parteien nicht berechtigt gewesen, weil sie verpflichtet seien, den ihnen zugefügten Schaden so gering wie möglich zu halten.
Das Berufungsgericht änderte über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß die beklagten Parteien zur Bezahlung des gesamten Klagsbetrages nach Maßgabe der Miteigentumsanteile der Streitteile verurteilt wurden.
Was die Frage anbelange, ob die klagenden Parteien das Anbot der beklagten Parteien, den Schaden durch die Firma V. & Co. beheben zu lassen, hätten annehmen müssen, stimme das Berufungsgericht mit der Ansicht des Erstgerichtes nicht überein. Es sei zwar richtig, daß in erster Linie ein Schaden in natura zu beseitigen sei, doch sei die Wiederherstellung des früheren Zustandes ein bloßes Recht und nicht eine Pflicht des Geschädigten. Dieser könne sich zwar mit der Herstellung des früheren Zustandes begnügen, müsse sich aber nicht damit begnügen (vgl. EvBl. 1954 Nr. 328 S. 481). Dem Geschädigten müsse es insbesondere dann freistehen, die Beseitigung des Schadens (vorerst) auf seine Kosten selbst vorzunehmen, wenn er Grund dafür habe, die Beseitigung des Schadens nicht dem Beschädiger zu überlassen (vgl. Ehrenzweig, System[2], Obligationenrecht, § 303, S. 65). Der gegenständliche Ausgleichsanspruch nachbarrechtlicher Natur berechtige, volle Schadloshaltung zu begehren (vgl. SZ. XXV 67). Sollte man aber die Bestimmung des § 1323 ABGB. analog anwenden, wäre das Ergebnis das gleiche. Bei einer Reparaturvornahme könne Geldersatz verlangt werden, noch bevor der Schaden beseitigt worden sei (vgl. EvBl. 1955 Nr. 85 S. 143).
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der erst-, zweit-, viert- und fünftbeklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision bekämpft zunächst die Zuerkennung eines Ausgleichsanspruches nach § 364b ABGB., weil dieser zur Voraussetzung habe, daß die Aushebung der Vertiefung durch den Bauführer der beklagten Parteien an und für sich unzulässig gewesen wäre. Im vorliegenden Fall sei die Bauführung aber behördlich genehmigt und unter Einhaltung der baubehördlichen Vorschriften und der technischen Erfordernisse durchgeführt worden. Die Revision beruft sich zur Stützung ihrer Rechtsansicht auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes EvBl. 1957 Nr. 19 S. 38 ff., in welcher der Satz vorkomme, die Bestimmung des § 364b ABGB. habe zur Voraussetzung, daß die Vertiefung an und für sich unzulässig sei. Der Oberste Gerichtshof hat aber auch wiederholt ausgesprochen und hält im vorliegenden Fall daran fest, daß eine Haftung nach § 364b ABGB. auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn für die Bauarbeiten eine baubehördliche Genehmigung erteilt wurde (vgl. SZ. XI 233; SZ. XXIV 312, SZ. XXV 67). Der Anspruch nach § 364b ABGB. setzt nach ständiger Rechtsprechung Verschulden nicht voraus (vgl. SZ. XI 233, SZ. XXV 67, JBl. 1966 S. 144 u. a.). Die anderweitige Befestigung war nach den bindenden Feststellungen der Untergerichte nicht ausreichend.
Weiter führen die beklagten Parteien aus, die klagenden Parteien hätten in analoger Anwendung des § 1323 ABGB. Anspruch nur auf Naturalersatz, also auf Beseitigung der Schäden durch die Firma V. & Co. gehabt und dieses Anbot hätten die klagenden Parteien abgelehnt. Die Entscheidung EvBl. 1954 Nr. 328 S. 481 beträfe einen nicht rechtsähnlichen Sachverhalt. Dadurch, daß die klagenden Parteien die Behebung der Schäden durch die Firma V. & Co. abgelehnt haben, hätten sie auch gegen die Verpflichtung, den Schaden so gering wie möglich zu halten, verstoßen.
Auch damit können die beklagten Parteien nicht durchdringen. Es ist ihnen zwar zuzugeben, daß die Entscheidung EvBl. 1954 Nr. 328 S. 481, welche das Berufungsgericht zur Stützung seiner Rechtsansicht anführte, den Klägern könne Naturalersatz nicht aufgedrängt werden, im vorliegenden Fall fehl am Platze ist, weil der gegenständliche Sachverhalt rechtlich anders gelagert ist als der der zitierten Entscheidung zugrunde liegende. Ob auf einen Anspruch nach § 364b ABGB. die Bestimmung des § 1323 ABGB. über die in erster Linie durchzuführende Naturalrestitution überhaupt anwendbar ist, kann dahingestellt bleiben. Denn selbst bei Anwendung der zitierten Gesetzesstelle erschiene die Verpflichtung der Beschädigten für diese unzumutbar, die Schadensbehebung der den Schaden unmittelbar verursacht habenden Bauunternehmung zu überlassen (vgl. Ehrenzweig Obligationenrecht[2], § 303, S. 65). Damit erweisen sich auch die Ausführungen der beklagten Parteien in der Richtung, daß die klagenden Parteien gegen die Verpflichtung, den Schaden so gering wie möglich zu halten, verstoßen hätten, als nicht stichhältig.
Der Revision war der Erfolg daher zu versagen.
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