OGH 8Nc7/08h

OGH8Nc7/08h10.7.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Sandra K*****, AZ 2 Nc 23/08v des Bezirksgerichts Favoriten, über die Anzeige eines Zuständigkeitsstreits zwischen diesem Bezirksgericht und dem Bezirksgericht Wolfsberg den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Akt wird dem Bezirksgericht Favoriten zurückgestellt.

Text

Begründung

Zu 2 P 22/07s des Bezirksgerichts Favoriten war ein Pflegschaftsverfahren bezüglich der am 7. Jänner 2003 geborenen mj Sabrina K***** anhängig, das mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 14. 3. 2008 gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht Meidling übertragen wurde. Das Bezirksgericht Meidling übernahm die Zuständigkeit. Dieses Pflegschaftsverfahren ist nun zu 24 P 36/08v des Bezirksgerichts Meidling anhängig.

Am 11. 3. 2008 stellte der zuständige Jugendwohlfahrtsträger beim Bezirksgericht Favoriten zu 2 P 22/07s bezüglich der mj Sandra, einer Halbschwester der mj Sabrina, den - bisher noch unerledigten - Antrag, in Durchführung einer Sofortmaßnahme wegen Gefahr im Verzug (§ 215 Abs 1 zweiter Satz ABGB) die gesamte Obsorge, die bisher offenbar der Mutter zustand, jedoch nach dem Vorbringen des Jugendwohlfahrtsträgers seit 1997 besachwaltet ist, dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen (ON 3). Auch über einen von der Mutter, vertreten durch ihre Sachwalterin, gestellten Antrag vom 2. 4. 2008, beide Kinder wiederum in ihre „Obhut" zu geben (ON 4), wurde bislang noch nicht entschieden.

Am 11. April 2008 teilte der Jugendwohlfahrtsträger dem Bezirksgericht Favoriten mit, dass die mj Sandra, die ab 29. 2. 2008 bei einer passageren Pflegemutter untergebracht gewesen sei, am 6. April 2008 dauerhaft von einer Pflegefamilie mit Wohnsitz in ***** übernommen worden sei (ON 1).

Das Bezirksgericht Favoriten verfügte am 18. 4. 2008 die Eintragung der Eingabe vom 11. April 2008 in das Nc-Register. In einem Vermerk vom 21. April 2008 (ON 5) legte das Bezirksgericht Favoriten dar, dass die mj Sandra nie einen Aufenthalt im 10. Wiener Gemeindebezirk gehabt habe. Sie habe bereits zum Zeitpunkt der Geburt mit der Kindesmutter in 1120 Wien gewohnt. Der Jugendwohlfahrtsträger habe die mj Sandra der Kindesmutter am 29. Februar 2008 abgenommen und die Übertragung der gesamten Obsorge beantragt. Dieser Antrag sei zu 2 P 22/07s des Bezirksgerichts Favoriten gestellt worden. Die mj Sandra und die mj Sabrina seien halbblütige Geschwister. Der Vater der minderjährigen Sandra sei Roman R*****; der Vater der mj Sabrina der geschiedene Ehegatte der gemeinsamen Mutter der Minderjährigen. Für die mj Sandra sei daher ein eigener Pflegschaftsakt zu führen. Das Bezirksgericht Favoriten sprach mit Beschluss vom selben Tag (ON 6) aus, dass es zur weiteren Führung des Verfahrens bezüglich der mj Sandra nicht zuständig sei und überwies das Verfahren „gemäß § 44 JN" an das Bezirksgericht Wolfsberg. Zur Begründung führte das Bezirksgericht Favoriten aus, dass zur Führung des Pflegschaftsverfahrens jenes Gericht zuständig sei, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Die mj Sandra habe ihren ständigen Aufenthalt in *****, weshalb das Verfahren an das Bezirksgericht Wolfsberg, in dessen Sprengel der Aufenthaltsort liege, zu überweisen sei. Als Zustellverfügung enthält die Urschrift dieses Beschlusses die Verfügung: „ZV: 1) 5fach mit Akt dem Bezirksgericht Wolfsberg; 2) 1 Ausf. zu 2 P 22/07s". Das Bezirksgericht Wolfsberg übermittelte den Akt dem Bezirksgericht Favoriten mit dem Bemerken zurück, dass die Übernahme der Pflegschaftssache abgelehnt werde, weil die Minderjährige erst seit 6. April 2008 aufgrund einer vorläufigen Maßnahme des Jugendwohlfahrtsträgers im Spregel des Bezirksgerichts Wolfsberg wohnhaft sei. Es könne daher nicht davon gesprochen werden, dass der ständige Aufenthalt im Bezirk Wolfsberg gelegen sei. Eine Übertragung der Sache scheine derzeit auch nicht zweckmäßig, weil die die Entziehung der Obsorge rechtfertigenden Umstände wegen der besseren Kenntnis der Sachlage vom Übertragungsgericht besser beurteilt werden könnten.

Das Bezirksgericht Favoriten übermittelte am 19. Mai 2008 neuerlich den Akt dem Bezirksgericht Wolfsberg mit dem Hinweis darauf, dass das Gericht, an das überwiesen worden sei, seine Zuständigkeit nicht mit der Begründung ablehnen könne, dass das überweisende Gericht zuständig sei. Ferner ersuchte das Bezirksgericht Favoriten das Bezirksgericht Wolfsberg „um Zustellung des rechtskräftigen Beschlusses ON 6 gemeinsam mit dem Übernahmebeschluss". Das Bezirksgericht Wolfsberg übermittelte den Akt neuerlich dem Bezirksgericht Favoriten mit dem Bemerken, dass die Übernahme aus den bereits dargelegten Gründen abgelehnt werde.

Am 16. 6. 2008 legte das Bezirksgericht Favoriten den Akt gemäß § 47 JN dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Zuständigkeit zur Führung des Pflegschaftsverfahrens vor.

Vorauszuschicken ist zunächst, dass die Übertragung der Zuständigkeit durch das Bezirksgericht Favoriten nicht - wie vom Bezirksgericht Wolfsberg (offenbar) irrtümlich unterstellt - gemäß § 111 Abs 2 JN erfolgte: Das Bezirksgericht Favoriten bezog sich in seinem Beschluss vom 21. April 2008 nämlich ausdrücklich auf seine Unzuständigkeit und bezeichnete seinen Beschluss als „Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 44 JN".

Rechtliche Beurteilung

Die Aktenvorlage durch das Bezirksgericht Favoriten ist jedoch verfrüht:

Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 47 JN ist stets, dass beide konkurrierenden Gerichte rechtskräftig über die Zuständigkeit abgesprochen haben (Ballon in Fasching² I § 47 JN Rz 7; RIS-Justiz RS0046354; RS0046299; 2 Nc 1/08g); bei verfrühter Vorlage kann der Oberste Gerichtshof nur einen Rückleitungsbeschluss fassen (7 Nc 12/06h; 8 Nc 15/06g; 4 Nc 19/07t; 6 Nc 19/07g).

An einer wirksamen Zustellung des Unzuständigkeitsbeschlusses des Bezirksgerichts Favoriten an die Parteien fehlt es hier derzeit nach der Aktenlage.

Der Akt ist daher dem Bezirksgericht Favoriten zur Nachholung der Zustellung seines Beschlusses zurückzustellen. Sollte dieser Beschluss in Rechtskraft erwachsen, so wird das Bezirksgericht Favoriten den Akt (neuerlich) dem Bezirksgericht Wolfsberg zu übermitteln haben, das - sollte es ungeachtet der Bindungswirkung (RIS-Justiz RS0046391; 9 Nc 12/06y) des in Rechtskraft erwachsenen Unzuständigkeits- und Übertragungsbeschlusses des Bezirksgerichts Favoriten der Ansicht sein, für die Führung dieser Rechtssache nicht zuständig zu sein -, seinerseits die Zustellung eines Unzuständigkeitsbeschlusses an die Verfahrensparteien zu veranlassen haben wird. Nur für den Fall, dass auch eine allfällige zweite Unzuständigkeitsentscheidung in Rechtskraft erwachsen sollte, wäre der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 47 JN berufen.

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