Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Klägerin schloss mit einer Ärztin einen Betriebsunterbrechungsversicherungsvertrag für deren Arztpraxis „Dr. E***** A*****“ mit einer Versicherungssumme von 480.000 EUR. Diese Arztpraxis versicherte die Ärztin gemeinsam mit drei weiteren an derselben Adresse bestehenden Betrieben (zwei KGs und eine GmbH) auch bei der Beklagten gegen das Risiko der Betriebsunterbrechung, und zwar mit einer Versicherungssumme von insgesamt 600.000 EUR. Der erforderliche Deckungsbeitrag (versichertes Interesse) für den Betrieb Arztpraxis „Dr. E***** A*****“ betrug 314.300 EUR, für alle vier Betriebe 984.700 EUR.
Im April 2010 trat bei allen vier Betrieben eine Betriebsunterbrechung durch Brandschäden ein. Der Schaden betrug hinsichtlich des von beiden Parteien versicherten Betriebs Arztpraxis „Dr. E***** A*****“ 93.826,58 EUR, hinsichtlich aller vier Betriebe zusammen 241.309,15 EUR.
Die Klägerin ersetzte den gesamten Unterbrechungsschaden der Arztpraxis „Dr. E***** A*****“ von 93.826,58 EUR. Die Beklagte zahlte im Hinblick auf die Unterversicherung 147.035 EUR, wovon auf den Betrieb Arztpraxis „Dr. E***** A*****“ 57.170,25 EUR entfielen.
Die Klägerin macht einen Regressanspruch infolge Doppelversicherung nach § 59 VersVG geltend. Sie habe ihre Zahlung an die Versicherungsnehmerin in Unkenntnis der Doppelversicherung geleistet. Die Beklagte habe vorprozessual behauptet, eine Aufteilung der Versicherungssumme auf die einzelnen Betriebe sei ihr nicht möglich. Im Hinblick auf die Zahlung der Beklagten, aus der ihr ebenfalls ein Ausgleichsanspruch gegenüber der Klägerin zustehe, begehre sie den Klagsbetrag.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe unter Berücksichtigung der Unterversicherung die Versicherungsleistung mit einer Quote von 60,9322 %, sohin 57.170,25 EUR erbracht. Die Beklagte habe an die Versicherungsnehmerin bereits mehr geleistet, als ihr im Sinn des § 59 Abs 2 VersVG nach ihrem Vertrag obliege. Die Klägerin könne keinen Ausgleichsanspruch nach § 59 Abs 2 VersVG geltend machen.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 35.524,23 EUR und wies das Mehrbegehren ab. Es liege eine Doppelversicherung hinsichtlich des Betriebs Arztpraxis „Dr. E***** A*****“ vor. Der Regressanspruch der Versicherer gemäß § 59 Abs 2 VersVG stelle eine besondere Form der gesamtschuldnerischen Haftung dar und entstehe dem Grund nach schon mit dem Versicherungsfall und nicht erst mit der Zahlung eines oder mehrerer Versicherer. Es sei daher unerheblich, welche Partei zuerst geleistet habe. Es komme nur auf die Aufteilung im Innenverhältnis und die Beträge an, die die Versicherer jeweils der Versicherungsnehmerin vertragsgemäß geschuldet hätten. Da der Klägerin gegenüber keine Unterversicherung vorliege, habe sie die Leistung im vollen Umfang geschuldet. Die Klägerin habe intern einen Anteil von 62,13797 % aus den 93.826 EUR, sohin 58.301,57 EUR zu leisten und es stehe ihr damit ein Ausgleichsanspruch in der Höhe von 35.524,43 EUR zu.
Das Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil ‑ auch wenn dies im Spruch nicht ausdrücklich hervorgehoben wird ‑ nur im Umfang der Klagsstattgebung auf (die Abweisung des Mehrbegehrens von 1.133,81 EUR erwuchs unangefochten in Rechtskraft). Entscheidungsrelevant sei, wann die Parteien Zahlungen an ihre Versicherungsnehmerin geleistet hätten. Der regresspflichtige Versicherer werde nicht dadurch von seiner Ausgleichsschuld befreit, dass er dem Versicherungsnehmer in Unkenntnis der Doppelversicherung mehr als den Ersatz des Schadens geleistet habe. Ihm stehe nur ein Rückforderungsanspruch gegen den Versicherungsnehmer zu.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der jeweilige Zeitpunkt der Zahlung von Mehrfachversicherern auf die Regressverhältnisse der Beteiligten nach § 59 VersVG Auswirkungen habe.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil im klagsstattgebenden Sinn wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise in der Sache selbst durch Klagsabweisung zu entscheiden, hilfsweise dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Die in § 59 Abs 1 VersVG definierte Doppelversicherung ist ein Sonderfall einer Neben‑ bzw Mehrfachversicherung nach § 58 VersVG. Sie setzt voraus, dass dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr bei zwei Versicherern versichert ist. Ein zusätzlich erforderliches Merkmal ist, dass entweder (erste Alternative) die Summe der Versicherungssummen den Versicherungswert übersteigt oder (zweite Alternative), dass die Summe der von den Versicherern zu zahlenden Entschädigungen aus anderen Gründen den Gesamtschaden übersteigt. Die Versicherer haften dem Versicherungsnehmer bei der Doppelversicherung im Sinn von § 890 ABGB zur gesamten Hand jeweils nach Maßgabe des Vertrags. Der Versicherungsnehmer kann also von jedem der Versicherer (ganz oder teilweise) die Entschädigung fordern, die ihm nach dem Vertrag gebührt. Jeder Versicherer ist daher gegenüber dem Versicherungsnehmer genau in jenem Umfang zur Leistung verpflichtet, in dem er es auch ohne Doppelversicherung wäre (7 Ob 52/02a, 7 Ob 223/11m, 7 Ob 9/12t).
Hier liegt eine Doppelversicherung nach der ersten Variante vor. Die Summe der Versicherungssummen übersteigt den Versicherungswert. Zwischen den Parteien ist nur noch strittig, ob es bei der Beurteilung des geltend gemachten Rückgriffsanspruchs nach § 59 Abs 2 VersVG auf den Zeitpunkt der Zahlungen an die Versicherungsnehmerin ankommt.
§ 59 Abs 1 VersVG sieht vor, dass die Versicherer dem Versicherungsnehmer zur ungeteilten Hand verpflichtet sein sollen. Nach § 59 Abs 2 VersVG sind die Versicherer nach Maßgabe der Beträge, deren Zahlung ihnen dem Versicherungsnehmer gegenüber vertragsmäßig obliegt, untereinander zum Ersatz verpflichtet.
Ziel und Zweck der Rückgriffsregelung des § 59 Abs 2 Satz 1 VersVG ist der jeder gesetzlich angeordneten Verteilung bei einer Gesamtschuldnerschaft innewohnende Gedanke, zu verhindern, dass durch Gläubigerwillkür bestimmt wird, welcher Gesamtschuldner (hier welcher Versicherer) das zur Befriedigung erforderliche „Opfer“ zu erbringen hat (7 Ob 223/11m; 7 Ob 52/02a, vgl Römer in Römer/Langheid 2 § 59 VVG [aF] Rn 11). Der bei einer Doppelversicherung auf Seiten der Versicherer entstehende Vorteil soll nach dem Willen des Gesetzgebers auf die an der Doppelversicherung beteiligten Versicherer nach dem Maßstab des § 59 Abs 2 Satz 1 VersVG verteilt werden. Danach wird das Maß der Anteile, die von jedem der gesamtschuldnerisch haftenden Versicherer zu tragen sind, abweichend von § 896 Abs 1 Satz 1 ABGB mit dem Verhältnis der Beträge festgelegt, deren Zahlung ihnen dem Versicherungsnehmer gegenüber obliegt (7 Ob 52/02a, 7 Ob 223/11m; vgl Schauer in BK, § 59 VVG [aF] Rn 21 ff). Mehrere Versicherer haften bei der Doppelversicherung kraft Gesetzes als Gesamtschuldner. Das VersVG verdrängt insoweit die allgemeinen Bestimmungen über die Gesamtschuld, im Übrigen sind aber diese anzuwenden (vgl zur vergleichbaren deutschen neuen und alten Rechtslage: Schauer in BK § 59 VVG [aF] Rn 32; Kollhoser in Prölss/Martin 27 § 59 VVG [aF] Rn 13; Römer in Römer/Langheid 2 , § 59 VVG [aF] Rn 9; Armbrüster in Prölss/Martin 28 § 78 VVG [nF] Rn 18; Langheid in Römer/Langheid 3 § 78 VVG [nF] Rn 15). Der Ausgleichsanspruch selbst entsteht dem Grunde nach mit Eintritt des Versicherungsfalls (RIS‑Justiz RS0116371; Schauer , Das österreichische Versicherungsvertragsrecht 3 , 186; vgl Kollhoser in Prölss/Martin 27 , § 59 VVG [aF] Rn 13; Armbrüster in Prölss/Martin 28 , § 78 VVG [nF] Rn 18; Langheid in Römer/Langheid 2 , § 78 VVG [nF] Rn 16). Die Leistung, die ein Versicherer erbringt, kommt jedem anderen Versicherer insoweit zugute, als dieser ‑ im Rahmen seiner Versicherungssumme ‑ nur noch für jenen Betrag aufzukommen hat, um den der Schaden die Leistung des ersten Versicherers übersteigt. Wenn der Versicherungsnehmer bereits vollständig entschädigt worden ist, hat er gegen die übrigen Versicherer keinen Anspruch mehr. Wenn ein Versicherer unverhältnismäßig hoch in Anspruch genommen worden ist, kann er an den übrigen Versicherern Regress nehmen ( Schauer , Das österreichische Versicherungsvertragsrecht 3 , 184 f).
Die Gesamthandschuld ist, soweit im VersVG nichts Abweichendes geregelt ist, nach den allgemeinen Bestimmungen des § 896 ABGB zu beurteilen. Bei solidarisch haftenden Schuldnern kann nach ständiger Rechtsprechung erst dann Rückgriff genommen werden, wenn mehr als dem Innenverhältnis entsprechend gezahlt wurde. Erst durch die gänzliche oder teilweise Erfüllung befreit ein Mitschuldner objektiv die anderen von ihrer Verbindlichkeit im Umfang der Erfüllung (RIS‑Justiz RS0111694, RS0017564, RS0017568, RS0017390, RS0017558).
Durch den Versicherungsfall entsteht auf Grund des Gesetzes die Gesamthandschuld und versicherungsrechtlich der Regressanspruch der Mehrfachversicherer dem Grunde nach. Der Regressanspruch kann aber ‑ wie jeder Ausgleichsanspruch ‑ erst geltend gemacht werden, wenn und soweit Zahlung geleistet wird, ein Mitschuldner also von einer Verbindlichkeit befreit wird. Ist der Anspruch des Versicherungsnehmers im Zeitpunkt der Zahlung eines der Mehrfachversicherer bereits getilgt, wird der Versicherungsnehmer durch jede weitere Zahlung bereichert. Dies kann keinen Ausgleichsanspruch des überzahlenden Versicherers gegenüber den anderen Versicherern begründen, weil er keine die anderen Versicherer von einer Schuld befreiende Leistung erbringt. Es kann nur einen Bereicherungsanspruch gegenüber seinem Versicherungsnehmer entstehen.
Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass es für die Entscheidung über den vorliegenden Regressanspruch des klagenden Versicherers wesentlich ist, wann die Parteien die Zahlungen an ihre Versicherungsnehmerin geleistet haben, weil davon abhängt, ob die Klägerin die Beklagte mit ihrer Zahlung von einer offenen Forderung befreite oder nicht.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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