Normen
Notariatszwangsgesetz §1 Abs1 lite
Notariatszwangsgesetz §1 Abs1 lite
Spruch:
Eine von oder mit einem Taubstummen errichtete Urkunde über ein Rechtsgeschäft unter Lebenden bedarf gemäß § 1 Abs 1 lit e NZwG zu ihrer Gültigkeit nur dann eines Notariatsaktes, wenn der mit dem Gebrechen behaftete Kontrahent nicht lesen oder nicht schreiben kann
OGH 12. 4. 1972, 7 Ob 88/72 (LGZ Graz 5 R 25/72; BGZ Graz 3 C 722/71)
Text
Mit der Behauptung, die Beklagte Maria L habe sich verpflichtet. In die Einverleibung der Mietrechte der Kläger ob der Liegenschaft EZ X iS des Mietvertrages vom 27. 6. 1967 einzuwilligen, sie weigere sich jedoch nunmehr, eine grundbuchsfähige Aufsandungserklärung abzugeben, beantragen die Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihre Einwilligung zur Einverleibung dieser Bestandrechte zu erteilen. Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen; sie behauptete, den Mietvertrag vom 27. 6. 1967, ohne seinen Inhalt zu prüfen und ohne dessen Wirkungen zu erfassen, unterschrieben zu haben und von den Klägern durch List zum Abschluß eines Vertrages veranlaßt worden zu sein, der überdies den guten Sitten wiederspreche.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Er traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Die Kläger mieteten im April 1969 ein auf der Liegenschaft EZ X errichtetes "Kellerstöckl" und ließen sich verschiedene Mitbenützungsrechte einräumen. Die Liegenschaft stand damals im Eigentum des taubstummen Franz K. Die Kläger wollten K und die Beklagte zur Errichtung eines schriftlichen Mietvertrages bewegen. Sie legten schließlich einen auf Grund ihrer Information von einem Rechtsanwalt errichteten Mietvertrag mit dem Datum 27. 6. 1967 dem Franz K und der Beklagten zur Unterschrift vor. Beide unterschrieben, nachdem die Beklagte den Vertrag vor Unterfertigung genau gelesen und den Vertragsinhalt mit Ausnahme des Vertragspunktes 8. in allen Teilen verstanden und zur Kenntnis genommen hatte. Im Kopf des Vertrages war angeführt, daß dieser von Franz K ... und "der Universalerbin nach Franz K, Maria L ... als Vermieter" abgeschlossen werde. In P 8. gestatteten die Mieter den Vermietern, einen Platz im Ausmaß von 10 m2 im Keller zur Einlagerung von Most und Kartoffeln zu benützen, wobei festgehalten wurde, daß dieses Recht rein prekaristisch sei. Die Beklagte wurde auf ihr Ersuchen vom Erstkläger über den Begriff "prekaristisch" dahin aufgeklärt, daß dadurch den Mietern von den Vermietern die Mitbenützung des Kellers gegen jederzeitigen Widerruf gestattet werde. Weiters stimmen in dem Mietvertrag die Vermieter der Einverleibung des Bestandrechtes nach dem Inhalt des Vertrages zu. "Zumindest seit 1970" ist die Beklagte Eigentümerin der Liegenschaft. Sie weigerte sich, den Vertrag einverleibungsfähig zu unterschreiben.
Rechtlich führte der Erstrichter aus, zwischen Franz K und den Klägern sei aus Gründen der Vertragsform kein gültiger Vertrag entstanden. Der Beklagten habe zwar im Zeitpunkt der Vertragserrichtung kein Verfügungsrecht über die Liegenschaft zugestanden, dieser Mangel sei jedoch dadurch weggefallen, daß sie inzwischen Eigentümerin der Liegenschaft geworden sei und als solche den Vertrag eingehalten habe. Die Beklagte sei jedoch vom Erstkläger listig in Irrtum geführt worden, da dieser sie über die Bedeutung des Begriffes "prekaristisch" unrichtig belehrt habe. Diese listige Irreführung betreffe einen wesentlichen Teil des Vertrages, der gesamte Vertrag sei daher nichtig. Das Klagebegehren sei aber auch deshalb abzuweisen, weil die Kläger die Einverleibung ihres Bestandrechtes iS des Vertrages, sohin auch iS der nichtigen Vereinbarung, begehrt hätten.
Infolge Berufung der Kläger hob das Berufungsgericht dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Aus der Präambel des Mietvertrages allein sei zu schließen, daß die Beklagte, die im Zeitpunkt der Vertragserrichtung nicht berechtigt war, über die Liegenschaft zu verfügen, sich nur für den Fall einer Universalsukzession nach Franz K an den Vertrag binden und den Vertrag nur unter dieser ausdrücklichen Bedingung abschließen wollte. Eine Universalsukzession der Beklagten nach Franz K habe jedoch noch nicht stattgefunden, die Beklagte sei vielmehr durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden Eigentümerin der Liegenschaft nach Franz K geworden. Daß die Kläger - und zwar unwidersprochen durch die Beklagte - den Eintritt der Bedingung "Universalerbin nach Franz K" mehr oder minder ihrem Begehren unterstellten, lasse den Schluß zu, daß die Streitteile bei Abschluß des Vertrages eine besondere Vorstellung davon hatten, warum die über den Vertragsgegenstand nicht verfügungsberechtigte Beklagte dennoch eine vertragliche Verpflichtung unter einer Bedingung einging; aus den angeführten Gründen müsse der Parteiwille erforscht werden, welche Bedeutung dem Wort "Universalerbin" beigemessen wurde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten gegen diesen Aufhebungsbeschluß nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Abgesehen davon, daß die Kläger vorbrachten, die Beklagte sei dem Bestandvertrag beigetreten, war das Berufungsgericht berechtigt, auch über das Parteienvorbringen hinausgehende Beweisergebnisse zu beachten (SZ 21/123; Fasching IV 313 Anm 14). Infolge des Widerspruchs zwischen dem Wortlaut der Präambel und dem Verhalten der Parteien in diesem Rechtsstreit (die Kläger belangten die Beklagte, obwohl die Universalsukzession nicht eingetreten war; die Beklagte wendete nicht ein, sie habe sich lediglich als Universalerbin verpflichtet) war das Berufungsgericht der Ansicht, der Wille der Parteien sei in dieser Richtung aufklärungsbedürftig. Die Feststellung der Bedeutung des Inhalts einer Urkunde auf Grund von Parteien- oder Zeugenaussagen fällt in das Gebiet der Tatsachenfeststellung und nicht in jenes der rechtlichen Beurteilung. Ist das Berufungsgericht der Ansicht, daß der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten, außer die vom Berufungsgericht behaupteten Feststellungsmängel wären aus rechtlichen Erwägungen nicht gegeben. Dies ist aber hier nicht der Fall.
Hatte sich die Beklagte nur für den Fall iS des Mietvertrages vom 27. 6. 1967 verpflichtet, daß sie als "Universalerbin" Rechtsnachfolgerin nach Franz K werde, so ist der gegen sie im Klagewege erhobene Anspruch schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Erbanfall nicht eingetreten ist; die Liegenschaft, auf der das gegenständliche Kellerstöckl steht, ging im Wege der Singularsukzession durch ein Rechtsgeschäft unter Lebenden auf die Beklagte über. In diesem Fall wäre nicht zu untersuchen, ob die Beklagte oder Franz K von den Klägern in Irrtum geführt wurde und ob zufolge der Irreführung der Vertrag rechtsunwirksam wäre. Es sei in diesem Zusammenhang jedoch zu der auch von der Beklagten vertretenen Rechtsansicht des Erstrichters Stellung genommen, der schriftliche Mietvertrag vom 27. 6. 1967 sei hinsichtlich des Franz K schon mangels der erforderlichen Vertragsform ungültig. Diese Rechtsansicht ist nach den bisherigen Feststellungen des Erstrichters nicht gerechtfertigt. Nach § 1 Abs 1 lit e NZwG bedürfen eines Notariatsaktes alle Urkunden über Rechtsgeschäfte unter Lebenden, die von Blinden oder von Tauben, die nicht lesen, oder von Stummen, die nicht schreiben können, abgeschlossen werden. Hinsichtlich der Taubstummen enthält das Gesetz keine Sondervorschrift. Daraus ergibt sich, daß eine mit oder von einem Taubstummen errichtete Urkunde über ein Rechtsgeschäft unter Lebenden nur dann zu ihrer Gültigkeit eines Notariatsaktes bedarf, wenn der mit dem Gebrechen behaftete Kontrahent nicht lesen oder nicht schreiben kann. Kann er beides, so besteht für ihn die Möglichkeit, sich mit seinem Vertragspartner zu verständigen, es fehlt sohin die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes durch eine Formvorschrift. Da nicht feststeht, daß Franz K im Zeitpunkt der Vertragserrichtung nicht lesen oder nicht schreiben konnte, ist die Ansicht des Erstgerichtes, der Vertrag vom 27. 6. 1967 sei hinsichtlich des Franz K schon mangels der vorgeschriebenen Form ungültig, durch die bisherigen Feststellungen nicht gedeckt.
Hatte sich die Beklagte aber durch ihre Mitunterfertigung des Mietvertrages selbständig auch für den Fall der Einzelrechtsnachfolge nach Franz K hinsichtlich der Liegenschaft verpflichtet, lag sohin ein voll wirksamer Eintritt der Beklagten in den Mietvertrag für den Fall einer Singularsukzession vor, dann kommt dem Einwand der Beklagten, die Kläger hätten sie in Irrtum geführt, Bedeutung zu. In diesem Fall einer selbständigen Verpflichtung der Beklagten aus dem Mietvertrag durch Eintritt in diesen Vertrag wäre eine Irreführung des Franz K durch die Kläger ebenso irrelevant wie ein allfälliger Formmangel des zwischen Franz K und den Klägern geschlossenen Vertrages (zum Unterschied zu einem Beitritt der Beklagten zu dem von Franz K mit den Klägern geschlossenen Vertrag, da ein derartiger Beitritt zu seiner Wirksamkeit einen gültigen Vertrag voraussetzt).
Es ist daher rechtlich relevant, ob die Beklagte unter der Bedingung der Universalsukzession den Vertrag unterschrieb, oder ob die Mitfertigung des Vertrages durch die Beklagte einen anderen Zweck verfolgte. Die den Klägern durch den Vertrag vom 27. 6. 1967 eingeräumten Mietrechte wären zwar auch ohne selbständige von der Beklagten den Klägern gegenüber eingegangene Verpflichtung auf die Beklagte als Einzelrechtsnachfolgerin nach Franz K übergegangen, jedoch mit der Ausnahme einer vereinbarten bestimmten Dauer des Bestandverhältnisses. Ungeachtet anderer Vertragsbestimmungen verwandelt sich bei der Singularsukzession das Bestandverhältnis in ein solches von unbestimmter Dauer (MietSlg 17.229, 17.230, 7098 ua). Trotz des P 1 des Vertrages, in dem eine Vertragsdauer auf Lebenszeit beider Mieter festgehalten war, hätte sich der Vertrag sohin - ohne Vertragseintritt durch die Beklagte als Einzelrechtsnachfolgerin - in einen Vertrag von unbestimmter Dauer verändert. Daran ändert nichts, daß der Beklagten der Inhalt des zwischen Franz K und den Klägern geschlossenen Vertrages bekannt war (MietSlg 7098, 17.230). Da aber ein derartiger, auf unbestimmte Zeit geschlossener Mietvertrag nicht verbücherungsfähig ist (verbüchert können nur auf Lebensdauer oder auf bestimmte Zeit eingegangene Bestandverträge werden, s RZ 1937, 393; SZ 32/124; SZ 33/68; SZ 25/29 ua), müßte dem auf Einwilligung zur Einverleibung des Bestandrechtes gerichteten Begehren ein Erfolg schon wegen der Unmöglichkeit einer Durchführung der Einverleibung versagt werden, ohne daß es darauf ankäme, ob die Beklagte oder auch Franz K von den Klägern hinsichtlich einzelner Vertragspunkte irregeführt wurden.
Ehe der Einwand der Beklagten, sie und auch Franz K seien durch Irreführung zum Abschluß des Vertrages in der vorliegenden Form veranlaßt worden, geprüft wird, iS der Ausführungen des Beschlusses des Berufungsgerichtes zu untersuchen sein, welche Bedeutung der Bezeichnung "Universalerbin" nach dem erklärten Willen der Parteien bei Vertragsabschluß beizumessen ist.
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