OGH 7Ob86/02a

OGH7Ob86/02a22.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna E*****, vertreten durch Dr. Erich Proksch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) Leopold W*****, und 2.) Marianne W*****, beide vertreten durch Dr. Manfred Ainedter und Dr. Friedrich Trappel, Rechtsanwälte in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, wegen S 251.060,-- = EUR 18.245,24 sA, über die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 6. Dezember 2001, GZ 15 R 164/01z-35, womit das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 3. Mai 2001, GZ 6 Cg 68/00f-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit EUR 734,05 (darin enthalten EUR 121,34 USt) und der Nebenintervenientin die mit EUR 1.000,98 (darin enthalten EUR 166,83 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Auf den in B***** gelegenen, aneinander grenzenden Grundstücken der Streitteile war ein Doppelhaus so errichtet, dass die eine Hälfte des Gebäudes auf dem Grundstück der Klägerin, die andere auf jenem der Beklagten lag. Die Haushälften wurden durch eine einfache (nicht tragende) Ziegelmauer ("Brandwand") getrennt, während sich die - durchgehende - Decke über dem Erdgeschoss und der Dachstuhl von einer tragenden Wand der einen Haushälfte über die Brandwand hinweg zur tragenden Wand der anderen Haushälfte spannte.

Über Antrag der Beklagten bewilligte die Marktgemeinde B***** diesen den Abbruch ihrer Haushälfte, der im Jahr 1997 von der Nebenintervenientin durchgeführt wurde. Nach dem Abbruch liegt die Decke über dem Erdgeschoss nunmehr auf der für diese Last ungeeigneten Brandwand auf; auch der Dachstuhl wurde an der Abbruchkante einfach abgeschnitten. Die Tragfähigkeit und Standfestigkeit des noch bestehenden Gebäudeteiles wurde derart beeinträchtigt, dass für Personen, die das Gebäude betreten, Verletzungsgefahr besteht. Die Haushälfte der Klägerin ist also technisch abbruchreif, weshalb der Klägerin mit Bescheid der Marktgemeinde B***** vom 5. 10. 1998 der baupolizeiliche Auftrag zum Abbruch ihres Gebäudes erteilt wurde. Das Gebäude war allerdings mangels Feuchtigkeitsisolierung, Schadhaftigkeit (ua Vermoosung) des Daches, Rostschäden etc bereits zum Zeitpunkt des Abbruches des Gebäudeteiles der Beklagten insofern wirtschaftlich abbruchreif, als die notwendigen Reparaturarbeiten (auch wenn sie teilweise vom Ehemann der Klägerin durchgeführt worden wären) wesentlich aufwändiger gewesen wären, als Abbruch und Neuerrichtung an Ort und Stelle. Die technische Abbruchreife der Haushälfte der Klägerin wäre auch ohne Durchführung des Abbruches der Beklagten im Zeitraum von 1997 bis 2001 eingetreten.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten S 251.060,-- = EUR 18.245,24 (sA) mit der wesentlichen Begründung, die Beklagten hätten die ihnen mit der Abbruchbewilligung erteilte Auflage, die Standfestigkeit der anderen Haushälfte zu untersuchen und das Ergebnis bei den Bauarbeiten zu berücksichtigen, nicht erfüllt. Sie, die Klägerin, habe keine Möglichkeit gehabt, die baulichen Maßnahmen der Beklagten zu untersagen, weshalb die Beklagten ihr für die durch die Abbrucharbeiten verursachten Schäden iSd § 364a ABGB analog hafteten. Ihre Haushälfte habe einen Wert von zumindest S 50.000,-- gehabt, die Kosten des ihr aufgetragenen Abbruchs würden sich auf S 201.060,-- belaufen.

Die Beklagten und die auf ihrer Seite dem Prozess beigetretene Nebenintervenientin beantragten jeweils das Klagebegehren abzuweisen. Da die Gebäudehälfte der Klägerin bereits zuvor abbruchreif und wirtschaftlich nicht mehr sanierbar gewesen wäre, sei der Klägerin kein Schaden entstanden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwar sei durch die Abbrucharbeiten der Beklagten der Gebäudeteil der Klägerin zu deren Nachteil verändert worden, doch wäre die technische Abbruchreife auch ohne die Abbrucharbeiten eingetreten und daher ein Abbruchbescheid der Baupolizei zu erlassen gewesen. Die (von der Nebenintervenientin im Auftrag der Beklagten vorgenommenen) Arbeiten seien daher nicht kausal dafür, dass die Klägerin nunmehr ihre Haushälfte abreissen müsse. Die Beklagten seien daher nicht verpflichtet, der Klägerin den Wert ihres Hauses zu ersetzen, der ohnedies mit Null anzunehmen sei. Ebensowenig seien sie verpflichtet, der Klägerin die Abbruchkosten zu ersetzen, da ihr diese jedenfalls entstanden wären. Allenfalls sei durch die Abbrucharbeit der Beklagten die Abbruchreife des Hauses zeitlich vorverlegt worden (Eintritt der technischen Abbruchreife bereits im Dezember 1997 anstatt im Jahr 2001). Ein Schaden, der durch die Vorverlegung der Abbruchreife der Klägerin entstanden sei, sei jedoch nicht behauptet worden.

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und bestätigte daher dessen Entscheidung. Ein der Klägerin zu ersetzender Schaden, wie immer man ihn auch berechne, sei auf Grund des festgestellten Sachverhaltes in Verbindung mit dem Vorbringen der Klägerin nicht erkennbar. Bei dem auch aus den vorgelegten Fotos ersichtlichen, völlig desolaten Zustand des Gebäudes könne "vernünftigerweise von einer nachvollziehbaren und gefahrlosen wirtschaftlichen Nutzung, welcher auch immer, nicht ausgegangen werden".

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch über Antrag der Klägerin gemäß § 508 Abs 1 ZPO aber dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte; dies mit der Begründung, dass "unmittelbar verwertbare höchstgerichtliche Entscheidungen zur Schadensberechnung zwischen wirtschaftlicher und technischer Abbruchreife eines Gebäudes fehlen".

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist - da eine Stellungnahme des Obersten Gerichtshofes zur gegenständlichen Problematik aus Gründen der Rechtssicherheit angezeigt erscheint - zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin hält den Rechtsausführungen der Vorinstanzen im Wesentlichen entgegen, die schon zum Zeitpunkt des Abbruches der Haushälfte der Beklagten gegebene wirtschaftliche Abbruchreife sei nur für den Wertersatz des Gebäudes, nicht aber für die Abbruchkosten (von S 217.800,-- = EUR 15.828,12) von Bedeutung. Da die technische Abbruchreife 1997 noch nicht gegeben gewesen und erst durch die Abbrucharbeiten der Beklagten eingetreten sei, wobei die Beklagten (bzw die in ihrem Auftrag handelnde Nebenintervenientin) die ihnen von der Baubehörde erteilte Auflage, die Standfestigkeit der Gebäudehälfte der Klägerin zu untersuchen und beim Abbruch die Ergebnisse dieser Untersuchung zu berücksichtigen, nicht eingehalten habe, wären ihr zumindest die eingeklagten Abbruchkosten zuzusprechen gewesen.

Dem kann nicht beigepflichtet werden:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach stRsp (insbesondere zum Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 4 MG, nunmehr § 30 Abs 2 Z 14 MRG) zwischen technischer und wirtschaftlicher Abbruchreife zu unterscheiden ist (EvBl 1967, 330/254 = MietSlg 18.386 uva). Erstere liegt vor, wenn - weil das baufällige Gebäude eine Gefährdung darstellt - die technische Notwendigkeit zum Abbruch besteht. Zweitere erfordert dies nicht; wirtschaftlich abbruchreif ist ein Haus vielmehr auch schon dann, wenn es nur mehr durch wirtschaftlich nicht zumutbare Ausbesserungsarbeiten benützbar erhalten werden kann (MietSlg 33.346 mwN).

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass zum Zeitpunkt der gegenständlichen Abbrucharbeiten die Gebäudehälfte der Klägerin zwar schon wirtschaftlich abbruchreif war, die technische Abbruchreife aber erst durch die Abbruchsarbeiten der Nebenintervenientin bewirkt wurde. Weiters steht aber fest, dass die technische Abbruchreife der Haushälfte der Klägerin ohnehin in relativ kurzer, absehbarer Zeit, spätestens im Jahr 2001, eingetreten wäre. Damit liegt ein Fall der überholenden Kausalität in Form eines sogenannten "Anlagefalles" vor:

In den Fällen überholender Kausalität führt ein Ereignis einen Schaden (wirklich) herbei, den später ein anderes Ereignis ebenfalls verursacht hätte. Der Schaden wäre daher "auch sonst" eingetreten, weil die "hypothetische Ursache" ("Reserveursache") zum Tragen gekommen wäre (Koziol/Welser, Bürgerliches Recht12 II 315 f uva). Bei den sogenannten Anlagefällen war die Reserveursache bei der konkreten Schädigung als Anlage bereits vorhanden. Diese Gestaltung kann sich vor allem bei Körperverletzung, aber - wie hier - auch bei Sachschäden ergeben (vgl Harrer in Schwimann, ABGB2 VII, § 1302 Rz 33, der als Beispiel die "Zerstörung eines einsturzgefährdeten Hauses" nennt). Nach hA hat grundsätzlich derjenige zu haften, der die nachteilige Veränderung real herbeigeführt hat (Koziol/Welser aao mwN aus der Rechtsprechung). Bei den Anlagefällen, bei denen "von der realen Tat ein Rechtsgut betroffen ist, das sein Ende im Schädigungszeitpunkt schon in sich trägt" (Reischauer in Rummel2, § 1302 Rz 15), hat der Täter nach hM allerdings nur den durch die Vorverlegung des Schadenseintrittes entstehenden Nachteil zu ersetzen (JBl 1974, 318; SZ 69/199; RIS-Justiz RS 0022684; Koziol/Welser aaO mwN; Harrer aaO Rz 35 mwN).

Da im vorliegenden Fall die technische Abbruchreife in absehbarer Zeit, spätestens 2001, auch ohne die Abbrucharbeiten der Beklagten eingetreten wäre und der Klägerin dann die Abbruchkosten nur etwas später entstanden wären, können ihr die Beklagten nur für jene Nachteile verantwortlich sein, die ihr dadurch entstanden sind, dass die Schadensentwicklung beschleunigt wurde und sich der Endschaden früher eingestellt hat (vgl Harrer aaO mwN). Derartige Schäden (in Betracht kommen etwa ein Zinsenaufwand, Kosten für eine durch den früheren Abbruch allenfalls notwendige Kreditaufnahme, Nachteile durch Schwankungen der Höhe der Abbruchkosten etc) hat die Klägerin aber - wie schon das Erstgericht zutreffend bemerkt hat - nicht geltend gemacht.

Auch ein stichhältiger Einwand, wonach es Gründe dafür gäbe, eine - wenn auch aufwändigere - Reparatur einem Abbruch samt Neuaufbau vorzuziehen, wurde nicht erhoben. Dass das auf Ersatz des Wertes des Gebäudes gerichtete Begehren im Hinblick darauf, dass das Haus bereits praktisch wertlos war, keine Berechtigung mehr haben kann, räumt die Klägerin (auch wenn sie förmlich weiterhin den Antrag stellt, dem gesamten Klagebegehren Folge zu geben) in der Revision ohnehin selbst ein. Da die Beklagten, wie eben erläutert, nur zum Ersatz der durch die durch ihre Abbrucharbeiten bewirkte Vorverlegung des Schadenseintrittes (nämlich des Auflaufens der Abbruchkosten) entstehenden Nachteile und Schäden herangezogen werden könnten, erweist sich auch die Abweisung des Begehrens auf Ersatz der Abbruchkosten frei von Rechtsirrtum.

Die Revision muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Im Gegensatz zu den Beklagten, deren Anwalt zwei Personen vertreten hat, gebührt der Nebenintervenientin kein Streitgenossenzuschlag gemäß § 15 RATG, weil ihr nicht "mehrere Personen gegenübergestanden sind" (vgl etwa 3 Ob 266/00i). Der dennoch höhere Kostenzuspruch an die Nebenintervenientin erklärt sich daraus, dass den Beklagten, anders als der Nebenintervenientin, mangels Verzeichnung kein Einheitssatz für Nebenleistungen gemäß § 23 RATG zugesprochen werden kann.

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