OGH 7Ob75/15b

OGH7Ob75/15b2.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** Z*****, vertreten durch Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 34.650 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. Februar 2015, GZ 3 R 2/15m‑16, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 28. November 2014, GZ 16 Cg 5/14m‑12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00075.15B.0702.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.891,44 EUR (darin enthalten 315,24 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Streitteilen besteht ein Unfallversicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von 308.000 EUR für Freizeitunfälle, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1989) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

„...

Abschnitt B

Versicherungsleistungen

Artikel 7

Dauernde Invalidität

1. Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalles eine dauernde Invalidität zurückbleibt, wird aus der hiefür versicherten Summe der dem Grade der Invalidität entsprechende Betrag gezahlt.

6. Die Invaliditätsleistung wird je nach gewählter Variante A, B oder C wie folgt ermittelt.

Variante A:

Beträgt der gemäß Pkt. 2‑5 festgestellte Invaliditätsgrad mindestens 20 %, aber weniger als 50 %, wird die Leistung gemäß festgestelltem Invaliditätsgrad erbracht.

Bei einem Invaliditätsgrad ab 50 % wird für den 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die dreifache Leistung erbracht.

Bei einem Invaliditätsgrad von weniger als 20 % wird keine Leistung erbracht.

Variante B:

Beträgt der gemäß Pkt. 2‑5 festgestellte Invaliditätsgrad 50 % oder weniger, wird die Leistung gemäß festgestelltem Invaliditätsgrad erbracht.

Bei einem Invaliditätsgrad ab 50 % wird für den 50 % übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die dreifache Leistung erbracht.

Variante C:

Beträgt der gemäß Pkt. 2‑5 festgestellte Invaliditätsgrad 50 % oder mehr, wird die vereinbarte Versicherungssumme ausbezahlt; danach erlischt der Versicherungsvertrag automatisch. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 20 %, aber weniger als 50 % werden 5 % der für dauernde Invalidität vereinbarten Versicherungssumme (ohne Berücksichtigung einer eventuell zusätzlich mitversicherten Leistung nur nach Freizeitunfällen) als Schmerzengeld ausbezahlt. Diese Schmerzengeldleistung wird während der Vertragsdauer nur einmal erbracht.

...“

Die dem Kläger nach Vertragsabschluss im Jahr 1993 zugesandte Versicherungspolizze lautet auszugsweise:

„...

Hattrick Kompakt-Schutz

Position Versichertes Risiko Versicherungsleistung in S

0100 Z***** P*****

Geb.: *****

Dauernde Invalidität (Leistung gemäß

AUVB 1989, Art. 7, Pkt. 6 Variante C)

nach einem Berufs‑ oder

Freizeitunfall 2.000.000,-

zusätzlich

Dauernde Invalidität (Leistung gemäß

AUVB 1989, Art. 7, Pkt. 6 Variante C)

nach einem Freizeitunfall

(Bes.Bed. 403) 1.000.000,-

Dauernde Invalidität (Leistung gemäß

AUVB 1989, Art. 7, Pkt. 6 Variante C)

nach einem Unfall

Schmerzengeld von 100.000,-

...“

Am 19. 12. 2011 wurde der Kläger bei einem Freizeitunfall verletzt. Dies hatte eine dauernde Invalidität mit einem Invaliditätsgrad von 11,25 % zur Folge.

Der Kläger begehrte die Zahlung von 34.650 EUR sA aus der mit der Beklagten abgeschlossenen Unfallversicherung und hilfsweise die Feststellung, dass die Beklagte Versicherungsschutz im Umfang und nach Maßgabe des festzustellenden Invaliditätsgrades des Klägers zu gewähren habe. Die Beklagte sei gemäß Art 7.1. AUVB 1989 zur Leistung gemäß dem beim Kläger bestehenden Invaliditätsgrad verpflichtet. Die von ihm gewählte Variante C enthalte in Art 7.6. AUVB 1989 keine Hinweise, wonach bei einem Invaliditätsgrad von weniger als 20 % keine Versicherungsleistung zustehe. Die Zahlung eines Schmerzengeldes von 5 % der Versicherungssumme bei einem Invaliditätsgrad zwischen 20 % und 50 % würde neben der prozentuellen Versicherungsleistung gebühren. Allenfalls unklare Formulierungen gingen zu Lasten der Beklagten.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Aus der Formulierung des Art 7.6. Variante C AUVB 1989 ergebe sich für einen objektiven Erklärungsempfänger eindeutig, dass bei einer Invalidität von weniger als 20 % keine Leistung zustehe. Im Gegensatz zu den Varianten A und B werde in der Variante C jeweils ein pauschaler Versicherungsanspruch festgesetzt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Einem objektiven Betrachter müsse aus dem Wortlaut des Art 7.6. Variante C AUVB 1989 klar sein, dass bei dieser Variante eine Leistung erst ab einem Invaliditätsgrad von 20 % erfolge.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Werde die Grenze, ab der ein Anspruch entsteht, klar mit „mindestens“ 20 % definiert, bedürfe es nur eines einfachen gedanklichen Schlusses, dass keine Versicherungsleistung zustehe, wenn der genannte Schwellenwert nicht erreicht werde. Daran ändere auch die Verwendung des Begriffs „Schmerzengeld“ nichts, weil der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer diesem Begriff keine gesonderte Bedeutung beimesse. Im Text der Versicherungsbedingungen sei von einem „zusätzlichen Schmerzengeld“ nicht die Rede.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil der Sinn der Klausel eindeutig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Judikatur zur Auslegung des Art 7.6. AUVB 1989 nicht besteht. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Der Revisionswerber meint, bei Gesamtbetrachtung der Versicherungsbedingungen käme ihm die Unklarheitenregel des § 915 ABGB zu Gute:

1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063 [T71]; RS0112256). Bei Unklarheiten findet § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]).

Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut (RIS‑Justiz RS0008901) aus ihrem Zusammenhang heraus auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901 [T8]).

Gegenüber der Auslegungsregel des § 915 ABGB kommt den Auslegungsgrundsätzen des § 914 ABGB Anwendungsvorrang zu. Kann mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB das Auslangen gefunden werden, liegt der Fall des § 915 2. Halbsatz ABGB (undeutliche Äußerung) nicht vor (RIS‑Justiz RS0017752). Es ist daher zu prüfen, ob sich nach den Auslegungsregeln des § 914 ABGB ein eindeutiger Sinn der Vertragserklärungen ergibt.

1.2. Wie aus dem Einleitungssatz des Art 7.6. AUVB 1989 hervorgeht, wird in diesem Artikel die Ermittlung der Versicherungsleistung je nach gewählter Variante (A, B oder C) festgelegt. Die vom Kläger gewählte Variante C sieht zwei Leistungen vor, und zwar die Auszahlung der vereinbarten Versicherungssumme ab einem Invaliditätsgrad von 50 % (verbunden mit dem automatischen Erlöschen des Versicherungsvertrags) und die (während der Vertragsdauer einmalige) Auszahlung einer als „Schmerzengeld“ titulierten Leistung für den darunter liegenden Bereich ab einem Invaliditätsgrad von 20 % in Höhe von 5 % der näher definierten Versicherungssumme. Beide Leistungen errechnen sich ausdrücklich nicht unmittelbar aus dem festgestellten Invaliditätsgrad. Er hat nur insofern Bedeutung, als er gewisse Schwellenwerte für bestimmte Leistungen erreichen muss. Die Versicherungssumme wird danach erst ab jedem Invaliditätsgrad über 50 %, dann aber pauschal zur Gänze bezahlt. Ansonsten besteht nur ein Ausspruch auf das, auch in der Polizze genannte, „Schmerzengeld“ und zwar pauschal zwischen jedem Invalidätsgrad zwischen 20 % und 50 %. Die vom Kläger begehrte Leistung genau dem festgestellten Invaliditätsgrad von 1 %‑49 % entsprechend wird gerade nicht bei Variante C angeboten. Es ist damit schon aus dem eindeutigen Text der Variante C für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer klar, dass bei einem Invaliditätsgrad unter 20 % ‑ wie hier beim Kläger ‑ gar keine Versicherungsleistung gebührt. Das haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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