OGH 7Ob70/02y

OGH7Ob70/02y8.6.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U*****versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Berndt Schön, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Karin M*****, vertreten durch Dr. Michael Kinberger, Rechtsanwalt in Zell am See, wegen S 150.000,-- (= EUR 10.900,93) sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 13. November 2001, GZ 6 R 211/01v-11, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 28. Juni 2001, GZ 5 Cg 70/01t-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 686,88 (darin enthalten EUR 114,48 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien schlossen einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABKH/BV 95) zugrunde liegen. Art 9 lautet:

"Was ist vor bzw nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?

(Obliegenheiten)

...

2. Als Obliegenheiten, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen sind und deren Verletzung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 2 VersVG), werden bestimmt,

...

2.2. dass sich der Lenker nicht in einem durch alkohol- oder suchtgiftbeeinträchtigten Zustand im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften befindet;

...

Eine Verletzung der Obliegenheit gemäß Punkt 2.2. liegt nur vor, wenn im Spruch oder in der Begründung einer rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung festgestellt wird, dass das Fahrzeug in einem durch alkohol- oder suchgiftbeeinträchtigten Zustand gelenkt wurde."

Am 31. 1. 1999 geriet die Beklagte um 4.45 Uhr in der Früh mit ihrem Fahrzeug auf der H*****-Bundesstrasse B ***** auf die linke Fahrbahnseite, wodurch es zur Kollision mit einem LKW kam. Die Beklagte wurde verletzt und ins Krankenhaus ***** eingeliefert. Dort wurde einige Stunden nach dem Unfall eine Blutabnahme zur Feststellung des Grades der vermuteten Alkoholisierung durchgeführt. Zum Zeitpunkt der Aufforderung, sich Blut abnehmen zu lassen, war die Beklagte jedoch sowohl aufgrund der Schwere ihrer Verletzungen als auch wegen der durchgeführten Notarztmedikation nicht in der Lage, eine Willenserklärung im Sinne einer Zustimmung oder Ablehnung zur Blutabnahme abzugeben. Sie befand sich in einem der Bewusstlosigkeit gleichzuhaltenden Zustand. Aus diesem Grund wurde wegen Vorliegens eines Beweismittelverwertungsverbotes das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG mit Aktenvermerk eingestellt. Der Beklagten wurde die Einstellung durch Übermittlung des Amtsvermerkes mitgeteilt. In dessen Begründung findet sich der Satz: "Die Auswertung des Blutes ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,54 Promille.".

Die Klägerin leistete als Haftpflichtversicherer S 157.109,-- an den durch den Unfall Geschädigten.

Die Klägerin begehrt nun im Regressweg die Bezahlung von S 150.000,-- sA, da sie wegen Obliegenheitsverletzung gemäß Art 9 ABKH/BV 95 leistungsfrei sei. Den Versicherten treffe die Obliegenheit, das Fahrzeug nicht in einem durch alkohol- oder suchtgiftbeeinträchtigten Zustand im Sinne der Straßenverkehrsordnung zu lenken. Dies sei durch den Aktenvermerk der Bezirkshauptmannschaft erwiesen. Die Rückrechnung des einige Stunden nach dem Unfall bei der Beklagten festgestellten Blutalkoholgehaltes von 1,54 Promille auf den Unfallszeitpunkt ergebe eine Alkoholbeeinträchtigung von rund 2 Promille. Bei dem gemäß § 45 Abs 2 VStG erlassenen Aktenvermerk, mit dem das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt worden sei, handle es sich um eine verwaltungsbehördliche Entscheidung, in welcher die Alkoholisierung der Beklagten zum Unfallszeitpunkt festgestellt worden sei. Dies bewirke die mit S 150.000,-- begrenzte Leistungsfreiheit der Klägerin.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung, dass sie zum Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen sei. Der Aktenvermerk der Bezirkshauptmannschaft sei keine verwaltungsbehördliche Entscheidung im Sinne des Art 9 ABKH/BV 95 und stelle zu dem nur fest, dass einige Stunden nach dem Unfall eine Blutabnahme erfolgt und ein Blutalkoholgehalt von 1,54 Promille ermittelt worden sei. Eine Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt selbst sei nicht festgestellt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass die Leistungsfreiheit der Klägerin von der doppelten Voraussetzung abhänge, dass zum einen das über den geltend gemachten Regressanspruch erkennende Gericht eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit durch Alkohol feststelle und zum anderen, dass in einem rechtskräftigen Erkenntnis des Strafgerichtes oder einer Verwaltungsbehörde eine gleichartige Feststellung erfolge. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen seien unter Beschränkung auf ihren Wortlaut gemäß §§ 914 f ABGB auszulegen, wobei Unklarheiten zu Lasten des Versicherers gingen. Der Aktenvermerk der Bezirkshauptmannschaft stelle mangels Bescheidqualität und Anfechtbarkeit keine "rechtskräftige verwaltungsbehördliche Entscheidung" im Sinne des Art 9 ABKH/BV 95 dar. Der im Aktenvermerk enthaltene Satz, wonach die Auswertung des Blutes der Beklagten einen Alkoholgehalt von 1,54 Promille ergeben habe, habe lediglich der Darlegung der Rechtswidrigkeit der erfolgten Blutabnahme, nicht aber der Feststellung, dass die Beklagte ihr Fahrzeug in einem durch alkohol- oder suchtgiftbeeinträchtigen Zustand gelenkt habe, gedient. Eine solche Feststellung hätte ja die Verwaltungsbehörde aufgrund des Beweismittelverwertungsverbotes auch gar nicht treffen dürfen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dass gemäß § 45 Abs 2 VStG für die Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens nach § 45 Abs 1 VStG ein Aktenvermerk mit Begründung genüge, sofern nicht einer Partei eine Berufung gegen die Einstellung zustehe oder die Erlassung eines Bescheides aus anderen Gründen notwendig sei. Der Aktenvermerk sei dem Beschuldigten mitzuteilen, wenn er von dem gegen ihn gerichteten Verdacht gewusst habe. Dem Aktenvermerk komme zwar keine Bescheidqualität zu, dennoch aber seien an den Verwaltungsakt Rechtsfolgen geknüpft, so vor allem die, dass die Verwaltungsbehörde das Strafverfahren nur gemäß § 52 VStG im Zusammenhalt mit § 69 AVG wieder aufnehmen dürfe. Der Aktenvermerk sei daher als rechtskräftiger Verwaltungsakt anzusehen. Es liege aber keine verwaltungsbehördliche oder strafgerichtliche Feststellung vor, dass die Beklagte das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigen Zustand gelenkt habe. Da die Leistungsfreiheit an diese Voraussetzung anknüpft, bestehe das Klagebegehren nicht zu Recht. Das Berufungsgericht änderte über Antrag der Klägerin seinen Ausspruch, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, mit der Begründung ab, das eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob ein Aktenvermerk gemäß § 45 Abs 2 VStG eine rechtskräftige verwaltungsbehördliche Entscheidung im Sinne der zu beurteilenden "Alkoholklausel" sei, bejahendenfalls ob eine Feststellung, dass das Fahrzeug in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt worden sei, ausdrücklich getroffen werden müsse, oder ob es genüge, dass darauf aus der Begründung geschlossen werden könne.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt. Nach Art 9 ABKH/BV 95 trifft den versicherten Lenker die Obliegenheit, sich beim Lenken des Fahrzeuges nicht in einem durch alkohol- oder suchtgiftbeeinträchtigten Zustand im Sinne der Verkehrsvorschriften zu befinden. Der Versicherer wird aber nur dann regressberechtigt, wenn im Spruch oder in der Begründung einer rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung festgestellt wird, dass dies der Fall war. Das Berufungsgericht hat schon zutreffend erkannt, dass also für die Leistungsfreiheit des Versicherers zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Es muss einerseits der Nachweis der Alkoholisierung im Regressprozess erbracht werden, andererseits muss eine rechtskräftige Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes vorliegen, in deren Spruch oder Begründung festgestellt wird, dass das Fahrzeug in einem durch alkohol- oder suchtgiftbeeinträchtigten Zustand gelenkt wurde. Die Obliegenheitsverletzung darf demnach nicht angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung durch Alkoholisierung zwar im Regressverfahren festgestellt werden konnte, aber eine rechtskräftige Entscheidung der angeführten Art nicht vorliegt (7 Ob 138/97p).

In dem das Verfahren einstellenden Aktenvermerk befindet sich in der Begründung der Hinweis darauf, dass ein Alkotest im Krankenhaus Zell einen Blutalkoholgehalt von 1,54 Promille ergeben habe. Es wird im Aktenvermerk weiters ausgeführt, dass der Kern des Verfahrens zur Entziehung der Lenkerberechtigung und des korrespondierenden Verwaltungsstrafverfahrens die Frage gewesen sei, ob die Abnahme des Blutes an der Beklagten zulässig gewesen sei oder unter einem Beweismittelverwertungsverbot stehe, weil die Beklagte eine Zustimmung zur Blutabnahme aufgrund ihres Zustands, der einer Bewusstlosigkeit gleichzuhalten gewesen sei, nicht ernstlich habe geben können. Die Verwaltungsbehörde begründet auch die Einstellung des Verwaltungsverfahrens damit, dass eben ein Beweismittelverwertungsverbot in Folge mangelnder Zustimmung zur Blutabnahme bestanden habe. Im Verwaltungsverfahren konnte daher ausdrückliche keine Feststellung darüber getroffen werden, dass die Beklagte in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt hatte. Auch das gerichtliche Strafverfahren wurde eingestellt.

Die Vorinstanzen haben also richtig erkannt, dass keine Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichtes vorliegt, in der die geforderte Feststellung enthalten wäre. Darf aber die Behörde in ihrem Verfahren die notwendige Feststellung nicht treffen, so kann diese nicht durch einen Akt der Beweiswürdigung von anderen - nicht weiter von der Behörde geprüften - Umständen im nachhinein ersetzt werden. Die Leistungsfreiheit des Versicherers hat eben nicht nur zur Voraussetzung, dass im Regressprozess Alkoholisierung festgestellt werden kann, sondern auch dass eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht in seiner rechtskräftigen Entscheidung vorher eine derartige Feststellung treffen konnte. Da dies hier nicht der Fall ist, können Erörterungen über den Rechtscharakter eines Aktenvermerks nach § 45 Abs 2 VStG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Es stehen nur 50% Einheitssatz zu. § 23 Abs 9 RATG bezieht sich auf das Berufungsverfahren.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte