OGH 7Ob681/88

OGH7Ob681/8810.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Georg S***, Dienstnehmer, Aflenz-Kurort 291, vertreten durch Heinrich Hofrichter und Dr. Erwin Bajc, Rechtsanwälte in Bruck/Mur, wider die beklagte Partei R***-K*** P*** A***-K*** 290, vertreten

durch Dr. Ursula Schwarz, Rechtsanwältin in Bruck/Mur, wegen Feststellung (Streitwert S 35.000,-), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 7. Juni 1988, GZ 6 R 80/88-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 15. Jänner 1988, GZ 7 Cg 28/87-22, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft

EZ 364 KG Aflenz-Kurort, die beklagte Partei ist Eigentümerin der Nachbarliegenschaft EZ 201. Die Rechtsvorgänger des Klägers haben die Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 3. August 1962 von der beklagten Partei erworben. Nach Punkt 5. des Kaufvertrages räumten die Käufer für sich und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum der Verkäuferin und deren Rechtsnachfolgern das Recht ein, über den im Lageplan .... bezeichneten Teil der Kaufliegenschaft zu gehen, zu reiten, zu fahren und Vieh zu treiben. Im Jahre 1985 errichtete der Kläger je am Beginn und am Ende des Servitutsweges ein Holzgattertor. In einem daraufhin von der beklagten Partei angestrengten Besitzstörungsverfahren wurde dem Kläger das Schließen des Tores als Besitzstörungshandlung angelastet. Seitdem sind beide Tore geöffnet.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß er berechtigt sei, das an der westlichen (dem öffentlichen Wegenetz zugewandten) Grundstücksgrenze gelegene Tor unversperrt zu schließen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen befindet sich auf der Liegenschaft der beklagten Partei der im Jahre 1959 errichtete Pfarrhof. Die Eltern des Klägers waren Eigentümer eines westlich des Pfarrhofes gelegenen landwirtschaftlichen Anwesens und Pächter eines Teiles der Grundstücke der beklagten Partei. mit dem Kaufvertrag vom Jahre 1962 erwarben sie einen Teil dieser Grundstücke. Der Servitutsweg ist von der Ortsmitte von Aflenz über eine Gemeindestraße erreichbar, verläuft ab Beginn annähernd geradlinig Richtung Osten über etwa 50 m über die Liegenschaft des Klägers und führt zu den Grundstücken der beklagten Partei und zum Pfarrhof, in dem sich auch das Pfarramt befindet. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages und schon lange Zeit vorher wurde der Weg von Personen benützt, die zum Pfarramt wollten. Er wurde auch vom damaligen Pfarrer regelmäßig begangen und befahren. Auch die Wirtschaftsfuhren zum Pfarrhof wurden über diesen Weg abgewickelt. Der Weg wurde aber auch von Kindern und Erwachsenen benützt, um zu einer auf der Liegenschaft der beklagten Partei gelegenen Schiwiese zu gelangen, weiters von Einheimischen und Fremden als Zugang zu einem auf der Liegenschaft der beklagten Partei befindlichen alten Lindenbaum, einem beliebten Ausflugsziel. Am westlichen Beginn und am östlichen Ende des Weges waren Holzgatter vorhanden, die aber nur dann geschlossen wurden, wenn das Vieh der Eltern des Klägers getränkt wurde. Diese Art der Benützung wurde auch nach Abschluß des Kaufvertrages fortgesetzt. Ende der Siebzigerjahre verfiel das Holzgatter infolge Beendigung der Viehhaltung. Bis zum Jahre 1987 bestand keine andere Möglichkeit, auf die Grundstücke der beklagten Partei, insbesondere zum Pfarrhof mit einem PKW oder einem LKW zu fahren. Lediglich nördlich der Liegenschaft des Klägers bestand ein Fußsteig, über den der Pfarrhof von der Ortsmitte von Aflenz, allerdings über eine viel längere Strecke, erreicht werden konnte.

Im Jahre 1968 begann der Kläger mit der Errichtung eines Wohnhauses auf den von der beklagten Partei im Jahre 1962 erworbenen Grundstücken. Das Wohnhaus samt Wiesenfläche wurde nördlich des Servitutsweges errichtet und durch eine Betonmauer abgesichert. Südlich des Weges wurde ein Garten angelegt. Im Jahre 1985 errichtete der Kläger einen stabilen Holzzaun und die Holzgattertore. Das am Beginn des Weges errichtete Tor ist auf Betonstehern befestigt, besteht aus zwei Flügeln und hat eine Breite von 4,10 m. Das Tor ist mit einem Riegel verschlossen, ein Schloß ist nicht vorhanden. Beim Befahren des Weges mit einem LKW oder mit einem PKW müssen beide Torflügel geöffnet werden. Beim südlichen Betonsteher stellte der Kläger eine Tafel mit der Aufschrift "Allgemeines Geh- und Fahrverbot" und eine Zusatztafel mit der Aufschrift "Privatgrund, kein Durchgang, ausgenommen Pfarrhof" auf. Als Ende der Siebzigerjahre die P*** rund 500 m östlich des Pfarrhofes ein Rehabilitationszentrum errichtete, wurde über Ersuchen der Eltern des Klägers der nördlich ihrer Liegenschaft verlaufende Fußweg befestigt und am westlichen Beginn eine Tafel mit der Aufschrift "Zum Bürgergraben, zur P*** und zur Fitneßmeile" angebracht. Diese Vorkehrungen sollten eine Ausweitung der Benützung des Servitutsweges durch Gäste des Rehabilitationszentrums auf ihren Spaziergängen verhindern. Tatsächlich benützen aber die Spaziergänger den Servitutsweg weiter. Der Servitutsweg wird in den Wintermonaten von der Gemeinde von Schnee geräumt. Im Falle der Schließung des Tores könnte die Schneeräumung nicht durchgeführt werden.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß die Art der Ausübung einer Servitut zwar nach § 484 ABGB in das Belieben des Berechtigten gestellt sei, Dienstbarkeiten müßten aber, soweit es ihre Natur und ihr Zweck gestatte, eingeschränkt werden. Dieser scheinbare Widerspruch finde seine Lösung darin, daß die Interessen des Berechtigten und des Belasteten in ein billiges Verhältnis zu setzen seien. Im vorliegenden Fall diene die Liegenschaft des Klägers vorwiegend nur der Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses seiner Familie, wobei eine unmittelbare Störung des Wohnbereiches durch die Benützer des Weges nicht gegeben sei. Dagegen habe die beklagte Partei vielfältige Aufgaben zu erfüllen. Sie habe insbesondere dafür zu sorgen, daß der im Konkordat festgehaltene Auftrag, die Pfarre weiterzuführen, gewährleistet sei. Hiezu gehörten vielfältige Aufgaben, wie die Führung des Pfarramtes, die seelsorgerische Betreuung ihrer Mitglieder, die Organisation von Taufen, Begräbnissen, Hochzeiten, der Empfang von Besuchen ua. Von all diesen Aufgaben sei ein größerer Personenkreis betroffen. Wäge man die Interessen der Streitteile daher gegeneinander ab, sei es der beklagten Partei nicht zumutbar, die Erschwernis in der Dienstbarkeitsausübung hinzunehmen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens mit Ausnahme der Zeit des Schneefalles und/oder der eine gänzliche oder auch nur teilweise Räumung des Servitutsweges und des daran anschließenden Zufahrtsweges zum Pfarrhof erfordernden Schneelage, ab und wies im letztgenannten Umfang das Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000,-, der von der Bestätigung betroffene Wert S 60.000,- und der Wert des Streitgegenstandes insgesamt S 300.000,- übersteigt. Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes sei die mit dem Öffnen und Schließen des unversperrten Tores verbundene Unbequemlichkeit dem Servitutsberechtigten zumutbar.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, müssen Grunddienstbarkeiten unter möglichster Schonung des dienenden Grundstückes so ausgeübt werden, daß der Eigentümer des herrschenden Grundstückes berechtigte Maßnahmen des verpflichteten Eigentümers dulden muß, die die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschweren oder gefährden. Der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und des Belasteten ist in ein billiges Verhältnis zu setzen. Demgemäß ist es in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, daß die Errichtung eines unversperrten Tores durch den Belasteten in der Regel erlaubt ist. Die mit dem Öffnen und Schließen eines solchen Tores auf dem Servitutsweg verbundenen Unbequemlichkeiten sind dem Berechtigten zuzumuten (MietSlg. 32.032 mwN; vgl. auch JBl. 1958, 505; Klang in Klang2 II 565; Petrasch in Rummel, ABGB, Rz 5 zu § 485). Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß auch im vorliegenden Fall durch das unversperrte, jederzeit zu öffnende Tor derzeit die Ausübung der Dienstbarkeit der beklagten Partei weder ernsthaft erschwert noch gefährdet wird und die mit dem Öffnen des Tores verbundene Unbequemlichkeit zumutbar ist, zumal eine Vereinbarung eines völlig ungehinderten Zuganges in erster Instanz nicht einmal behauptet wurde. Es ist zwar richtig, daß aufgrund der Stellung und des Aufgabenbereiches der beklagten Partei eine größere Anzahl von Personen den Servitutsweg (berechtigterweise; vgl. hiezu Klang aaO 571 und Petrasch aaO Rz 1 zu § 492) benützt, als dies sonst bei einem Servitutsweg der Fall ist. Es kann jedoch nicht gesagt werden, daß nicht auch diesem Personenkreis die mit dem Öffnen und Schließen des unversperrten Tores verbundene Unbequemlichkeiten zugemutet werden könnte. Dem Hinweis der Revision auf eine dennoch mögliche Beeinträchtigung im Winter bei Schließen des Tores durch Dritte und die damit verbundenen Beweisschwierigkeiten kommt keine Bedeutung zu. Bei der Interessenabwägung zwischen Belastetem und Berechtigtem ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz abzustellen und auf in Zukunft bloß möglicherweise eintretende Umstände nicht Bedacht zu nehmen. Treten solche Umstände ein und führen sie zu einer Erschwerung der Ausübung der Dienstbarkeit, ermöglicht dies nicht nur eine Klage gegen den Störer, sondern, wegen der Zeitbezogenheit der Rechtskraftwirkung der vorliegenden Entscheidung (vgl. Fasching LB Rz 1531) auch eine Klage gegen den Kläger allenfalls auch auf Beseitigung des Tores. Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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