OGH 7Ob664/78

OGH7Ob664/781.3.1979

SZ 52/26

Normen

Außerstreitgesetz §2
Bundesstraßengesetz 1971 §18
Bundesstraßengesetz 1971 §20 Abs2
Eisenbahn-Enteignungsgesetz §4
Eisenbahn-Enteignungsgesetz §5
Eisenbahn-Enteignungsgesetz §25
Außerstreitgesetz §2
Bundesstraßengesetz 1971 §18
Bundesstraßengesetz 1971 §20 Abs2
Eisenbahn-Enteignungsgesetz §4
Eisenbahn-Enteignungsgesetz §5
Eisenbahn-Enteignungsgesetz §25

 

Spruch:

Festsetzung der Enteignungsentschädigung unter Bedachtnahme auf die Nachteile des mietengeschützten Bestandnehmers, bezogen auf den Zeitpunkt der Enteignung, ohne Rücksicht auf eine Ersatzpflicht des Enteigneten nach Vertrag oder sonstigen gesetzlichen Bestimmungen und darauf, daß der Enteignete in diesem Umfang eine Erhöhung der für ihn selbst bestimmten Entschädigung begehrt

OGH 1. März 1979, 7 Ob 664/78 (LGZ Wien 44 R 95/78; BG Favoriten 2 Nc 309/75)

Text

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist das Begehren der Antragstellerin, die Enteignungsentschädigung für das im Spruch genannte Grundstück höher als mit den vom Rekursgericht zugesprochenen 630 000 S zu bemessen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Antragstellerin Folge, hob im bekämpften Umfang die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nicht gefolgt werden kann allerdings der Rechtsansicht der Revisionswerberin, daß das Vorhandensein eines mietengeschützten Bestandrechtes den Verkehrswert der Liegenschaft nicht beeinflussen könne. Richtig ist bloß, daß dem Enteigneten nicht nur der Ertragswert, sondern auch ein diesen allenfalls übersteigender Verkehrswert gebührt. Dieser Austauschwert ist jener Betrag, um den die Sache im Verkehr angeschafft oder veräußert werden kann, konkret jener Betrag, der für ein Grundstück gleicher Art und Beschaffenheit zum Zeitpunkte der Enteignung im örtlichen Bereich von Kauflustigen geboten worden wäre. Dabei ist auf konkrete, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bestehende wirtschaftliche Möglichkeiten Bedacht zu nehmen, nicht aber auf Verwendungsmöglichkeiten, die in unbestimmter Zukunft lagen (EvBl. 1976/255 mit weiteren Zitaten von Lehre und Rechtssprechung). Entgegen der Meinung der Rekurswerberin ist es eine Erfahrungstatsache, daß mietengeschützte Bestandrechte nicht nur den Ertragswert, sondern auch den Verkehrswert einer Liegenschaft wesentlich herabdrücken, weil Kaufinteressenten (auf den Zeitpunkt der Enteignung rückbezogen) für ein solcherart belastetes Grundstück nur einen entsprechend herabgesetzten Preis bieten (Krzizek, Probleme des österreichischen Enteignungsrechtes, ÖJZ 1969, 596, 597; s. auch Heller - Berger - Stix in Neumann - Lichtblau, EO [4], 1143; SZ 2/136; MietSlg. 22 696; selbst die im Revisionsrekurs bezogene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 2619/59 = VwGHSlg. 5520 A läßt offen, daß der Verkehrswert ausnahmsweise bis zum Ertragswert herabsinken kann).

Die erst während des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens erfolgte Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Bestandnehmerin ist für die Festsetzung der Enteignungsentschädigung schon deshalb unbeachtlich, weil es bei der gerichtlichen Entscheidung ebenso wie bei der Vorentscheidung der Verwaltungsbehörde auf den Wert der enteigneten Sache im Zeitpunkte des Eigentumsentzuges ankommt und damals bloß abstrakt bestehende Möglichkeiten, daß das Bestandrecht der Mieterin aus diesem oder einem andern Gründe irgendwann einmal beendet werden könnte, ohne rechtliche Bedeutung sind.

Entgegen der Meinung der Vorinstanzen ist jedoch bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung im vorliegenden Fall auch auf die vermögensrechtlichen Nachteile Bedacht zu nehmen, die die Bestandnehmerin des enteigneten Grundstückes durch die Enteignung erlitt. Der Berücksichtigung dieser Nachteile steht nicht entgegen, daß die Rekurswerberin die volle begehrte Entschädigung für sich selbst verlangt. Soweit nämlich eine Bedachtnahme auf obligatorisch Berechtigte nach § 5 EisbEG 1954 in Verbindung mit § 20 Abs. 2 BStG 1971 stattzufinden hat, werden auch solche Nachteile dritter Personen durch die (entsprechend erhöhte) Entschädigung des Enteigneten (das ist im Sinne des § 18 Abs. 2 BStG der dringlich Berechtigte) befriedigt (§ 25 Abs. 4 EisbEG in Verbindung mit § 20 Abs. 5 BStG).

Nach § 5 EisbEG ist bei der Ermittlung der Entschädigung auch auf die Nachteile Rücksicht zu nehmen, die Nutzungsberechtigte, Gebrauchsberechtigte oder Bestandnehmer durch die Enteignung erleiden, und deren Vergütung dem Enteigneten obliegt, sofern der als Ersatz für den Gegenstand der Enteignung zu leistende Betrag nicht (im Sinne des § 4 Abs. 2 ohnehin) zur Befriedigung der gegen den Enteigneten zustehenden Entschädigungsansprüche zu dienen hat. Der Erstrichter hat aus diesem Wortlaut unter Hinweis auf die Entscheidungen GlUNF 3731 und 7285 abgeleitet, daß nur jene Nachteile obligatorisch berechtigter Dritter zu entschädigen seien, zu deren Vergütung der Enteignete verpflichtet sei. Eine Vertragspflicht dieser Art liege im vorliegenden Fall unbestrittenermaßen nicht vor, während ein Anspruch nach § 1112 ABGB Verschulden des Gegners voraussetze. Die zweite Instanz ist dieser Meinung ohne weitere Begründung beigetreten.

Der OGH hält jedoch an der Rechtsansicht fest, daß eine derart einschränkende Auslegung weder nach dem Wortlaut des Gesetzes zwingend ist noch dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Letzterer hat in den Materialien zum inhaltsgleichen Eisenbahnenteignungsgesetz 1878 deutlich ausgesprochen, daß entschädigungsberechtigt alle von der Enteignung betroffenen Personen sein sollen, also jeder, der durch die Enteignung einen unmittelbaren Nachteil erleidet, auch wer bloß ein tatsächliches Benützungsrecht an einem enteigneten Gegenstand hat und dasselbe nach der Enteignung nicht weiter auszuüben vermag, wie Mieter oder Pächter. Der in § 5 EisbEG eingeschobene Halbsatz "und deren Vergütung dem Enteigneten obliegt" hatte bei dieser Sachlage nur den Sinn, klarstellen, daß die obligatorisch Berechtigten keinen unmittelbaren Entschädigungsanspruch besitzen, sondern erst bei der Ausmittlung des Entschädigungsbetrages als mittelbar Berechtigte zu berücksichtigen sind (s. die Nachweise bei Gallent, ÖVA 1971, 185 ff.). Diese Formulierung wurde zwar bald als undeutlich erkannt, doch ist der Sinn, daß auf jene Nachteile Rücksicht zu nehmen ist, die u. a. Bestandnehmer durch die Enteignung erleiden, und daß (nicht: wenn) deren Vergütung dem Enteigneten obliegt, auch durch den dem Halbsatz vorgesetzten Beistrich angedeutet. Die dem Bestandnehmer durch Vermittlung des Enteigneten zu leistende Vergütung beschränkt sich demnach nicht bloß auf das, was der Bestandnehmer nach Gesetz (etwa §§ 1112 und 1120 ABGB) oder Vertrag aus dem Titel der vorzeitigen Auflösung des Bestandvertrages vom Bestandgeber als Ersatz zu fordern berechtigt wäre, sondern es sind ihm alle durch die Aufhebung des Bestandverhältnisses zugefügten Nachteile schon auf Grund der besonderen Enteignungsvorschriften zu ersetzen.

Dieser Standpunkt wurde nicht nur vom Obersten Gerichtshof seit der Entscheidung SZ 33/73 (die allerdings entgegen der neueren Ansicht noch eine Aufkündigung des Bestandnehmers des Enteigneten für erforderlich hielt, unter Berufung auf Randa, Eigentumsrecht, 180)

und in der Folge ständig vertreten (JBl. 1963, 572 = MietSlg. 15

006; SZ 42/95 = JBl. 1970, 377 = MietSlg. 21/40 mit weiterer

Begründung und Stellungnahme zu den Entscheidungen GlUNF 3731 und 7285 u. a.), sondern wird auch von der älteren (siehe oben) und jüngeren Lehre mindestens für die Fälle mietengeschützter Bestandrechte geteilt, weil bei ihnen der Verlust des Rechts zweifelsfrei als Vermögensschaden im Sinne der §§ 4 und 5 EisbEG und des § 18 Abs. 1 BStg erkennbar ist . (Krzizek a. a. O.; Gallent a. a. O., 185 ff., 196 ff.; Brunner, JBl. 1975, 586).

Das Verfahren erweist sich daher im antragsabweisenden Teil schon deshalb als ergänzungsbedürftig, weil nicht festgestellt wurde, welche Nachteile im vorliegenden Fall der Bestandnehmerin durch den Verlust des Bestandrechtes entstanden sind (zur Höhe vgl. JBl. 1963, 572 MietSlg. 15 006).

Die Kostenentscheidung grundet sich auf § 44 EisbEG in Verbindung mit § 20 Abs. 5 BStG in analoger Anwendung des § 52 ZPO. Kosten rechtsfreundlicher Vertretung gebühren jedoch unabhängig vom Verfahrensausgang nicht (PlssB GlUNF 1860; SZ 24/185 u. a.).

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