OGH 7Ob661/89

OGH7Ob661/8919.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert R***, Bauhandwerker, Uderns, Kleinboden Nr.22, vertreten durch Dr. Markus Baldauf, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Rosa R***, Hausfrau, Uderns, Kleinboden Nr.22, vertreten durch Dr. Dietmar Ritzberger, Rechtsanwalt in Schwaz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 21. Oktober 1988, GZ 4 R 188/88-54, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. Jänner 1988, GZ 18 Cg 680/85-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.087,-- (darin S 514,50 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 7.4.1958 die Ehe geschlossen. Sie sind österreichische Staatsbürger und hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Uderns. Der Ehe entstammen 7 Kinder. Mit der am 19.12.1985 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Folgender Sachverhalt steht fest:

Zwischen den Streitteilen kam es bereits seit Jahren zu Auseinandersetzungen, wenn der Kläger von seiner Berufstätigkeit in Deutschland an den Wochenenden (gelegentlich) nach Hause kam. Der Kläger verbrachte dann die Freitagabende vorzugsweise in Gasthäusern und kam in alkoholisiertem Zustand nach Hause. Dieser Alkoholkonsum war auch das auslösende Moment für das jeweils an den Tag gelegte aggressive Verhalten des Klägers gegenüber der Beklagten und seinen Kindern. Vor allem aber Ende der Siebzigerjahre verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Streitteilen zusehends. In angeheitertem Zustand griff der Kläger auch die Beklagte und die gemeinsamen Kinder tätlich an, wobei es auch zu Verletzungen kam. Bereits 1982 ohrfeigte der Kläger die Beklagte und versetzte ihr einen Tritt, worauf sie einen Arzt aufsuchen mußte. Am 28.2.1983 gegen 20,30 Uhr kam es erneut zu einem Vorfall, als der Kläger alkoholisiert nach Hause kam. Die Beklagte hielt sich mit der gemeinsamen Tochter Elisabeth im Wohnzimmer beim Fernsehen auf. Ohne besonderen Anlaß ging der Kläger ins Wohnzimmer und forderte die Tochter mit geballten Fäusten auf, schlafen zu gehen. Auf Grund der Haltung des Klägers hatte Elisabeth R*** Angst, an ihm vorbeizugehen, und wurde vom Kläger geohrfeigt. Die Beklagte forderte den Kläger auf, die Tochter in Ruhe zu lassen. Auch der gemeinsame Sohn Dietmar kam, durch den Lärm alarmiert, ins Wohnzimmer. Der Kläger wollte sodann noch die Beklagte tätlich angreifen und wurde vom Sohn Dietmar aufgefordert, die Beklagte in Ruhe zu lassen. Daraufhin ohrfeigte der Kläger auch seinen Sohn Dietmar, was zu einer Rißwunde an dessen Lippe führte. Schließlich spitzte sich die Situation so zu, daß sich die Beklagte und die Kinder genötigt sahen, die Hilfe der Gendarmerie in Anspruch zu nehmen. Das gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren endete mit einem Freispruch gemäß § 259 Z 4 StPO. Diese Auseinandersetzung war kein Einzelfall. Sie wiederholte sich in mehr oder weniger massivem Ausmaß häufig. Insbesondere führte beinahe jede Anwesenheit des Klägers an den Wochenenden zu Hause zu lautstarken Auseinandersetzungen, die vom Kläger verursacht und verschuldet wurden. Die Beklagte versuchte immer wieder, trotz des beinahe unerträglichen Verhaltens des Klägers zwischen ihm und den ehelichen Kindern zu vermitteln. So bat sie die Kinder auch immer wieder um Verständnis für den Vater und versuchte auch mehrfach, sich mit dem Kläger zu versöhnen, obwohl sie von diesem regelmäßig schikaniert und unterdrückt wurde. Der Kläger zeigte keinerlei Interesse an den gemeinsamen Kindern und an der Beklagten. Er empfand die Anwesenheit seiner Kinder und Enkelkinder als Zumutung. Seine Freizeit verbrachte der Kläger vor allem in Gasthäusern, aber auch mit anderen Frauen. Zu Aloisia S*** unterhielt der Kläger zumindest 1984 ehebrecherische Beziehungen; er besuchte mit ihr auch Tanzveranstaltungen. Am 23.11.1984 kam es über Betreiben der Beklagten zu einer Aussprache und zu einem Versöhnungsversuch zwischen den Parteien. Das Verhältnis verschlechterte sich aber innerhalb einer Woche wieder, als die Beklagte versuchte, zum Kläger zärtlich zu sein. Der Kläger verdrehte ihr die Hände und stieß sie von sich. Die Beklagte hat sich nicht geweigert, für den Kläger zu kochen oder seine Wäsche zu waschen. Der Kläger lehnte vielmehr die Bemühungen der Beklagten und ihre Hilfeleistungen ab. Heinz B*** ist ein Bekannter der Beklagten und der ehelichen Kinder, der sich zeitweise bei Irmgard B***, einer Verwandten der Beklagten, im Nachbarhaus während der Ferien aufhält. Irmgard B*** vermietet Ferienzimmer. Auch die Beklagte vermietet hin und wieder zwei Fremdenzimmer; auch Heinz B*** hatte einmal mit einer Freundin ein derartiges Fremdenzimmer gemietet. Die Beziehungen zwischen Heinz B*** und der Beklagten sowie den Kindern der Streitteile sind rein freundschaftlich. Gelegentlich ging Heinz B*** gemeinsam mit der Beklagten und den Kindern aus oder unternahm Wanderungen mit ihnen. Die Beziehungen zwischen Heinz B*** und der Beklagten sind weder ehewidriger noch ehebrecherischer Natur. Am 27.9.1985 kam der Kläger gegen Mitternacht alkoholisiert nach Hause, nachdem er sich zuvor letztmals am 24.12.1984 bei der Beklagten in der gemeinsamen Ehewohnung aufgehalten hatte. Trotz des Besitzes eines Schlüssels läutete der Kläger Sturm und forderte die Beklagte auf, sofort aufzusperren. Außerdem erklärte er, sie komme heute nicht mehr lebend ins Haus, er steche sie ab wie eine Katze. Die Beklagte - dadurch in Angst versetzt - lief weg und wurde vom Kläger verfolgt. Sie lief zum Nachbarhaus der Irmgard B*** und bat dort um Hilfe. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich gerade Heinz B*** im Hause der Irmgard B*** auf. B*** erklärte sich bereit, der Beklagten zu Hilfe zu kommen, und ging mit zum Wohnhaus der Streitteile, wo er vorerst versuchte, den Kläger zu beruhigen. Der Kläger beschimpfte aber sowohl Heinz B*** als auch die Beklagte auf das übelste und kam es zwischen den beiden Männern zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung. Ein sowohl gegen den Kläger als auch gegen Heinz B*** eingeleitetes Strafverfahren wurde eingestellt. Der letzte eheliche Verkehr zwischen den Streitteilen fand im Frühjahr 1984 statt, bevor der Kläger die Beklagte aus dem gemeinsamen Schlafzimmer wies und ihr auch die Rückkehr in das eheliche Schlafzimmer verwehrte. Ein Versöhnungsversuch der Beklagten im November 1984 brachte keinen Erfolg. Nachdem sich der Kläger nur noch sehr sporadisch in der Ehewohnung aufgehalten hatte, zog er am 14.2.1986 endgültig aus. Da er auch jede Unterhaltszahlung für die Beklagte einstellte, war diese gezwungen, im Sommer 1985 ihre Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend zu machen. Der Kläger wurde zu einer Unterhaltsleistung von monatlich S 3.000 ab 10.6.1985 an die Beklagte verurteilt. Ob und wann der Kläger zu einer psychiatrischen Begutachtung zur Überprüfung seiner Verkehrszuverlässigkeit vorgeladen wurde, ist nicht feststellbar; jedenfalls wurde eine derartige Begutachtung weder über Veranlassung noch auf Grund irgendeines Hinweises der Beklagten durchgeführt. Am 4.5.1984 hat die Beklagte gegen den Kläger eine Klage wegen Ehescheidung und Unterhalt eingereicht. Sie zog diese Klage am 19.2.1985 zurück, da sie sich psychisch auf Grund zweier Todesfälle in der Familie nicht mehr in der Lage sah, das Verfahren fortzusetzen.

In ihrer rechtlichen Beurteilung vertraten die Vorinstanzen die Ansicht, die Beklagte habe schwere Eheverfehlungen nicht begangen. Aus den festgestellten Auseinandersetzungen könne nicht auf ein Verschulden der Beklagten geschlossen werden. Die Zwistigkeiten gingen vielmehr auf ein göbliches Fehlverhalten des Klägers zurück. Es wäre verfehlt, von einem Ehegatten eine schweigende und widerspruchslose Duldung von Eheverfehlungen seines Partners zu verlangen. Habe sich die Beklagte allenfalls den vom Kläger vom Zaun gebrochenen Konfrontationen gestellt, könne daher daraus ein Verschuldensvorwurf nicht abgeleitet werden.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und beantragt, es dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren Folge gegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 49 EheG kann ein Ehegatte Scheidung begehren, wenn der andere durch eine sonstige schwere Eheverfehlung (§§ 47, 48 EheG) oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, daß die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Eine unheilbare Zerrüttung der Ehe ist anzunehmen, wenn die geistige, seelische oder körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg 51.601). Mag die Ehe der Streitteile auch in diesem Sinn zerrüttet sein, weil es genügt, wenn der Kläger die eheliche Gesinnung verloren hat (EFSlg 51.602), ist für die Entscheidung doch wesentlich, ob das Verhalten der Beklagten geeignet war, dem Kläger die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen (vgl. EFSlg 51.603). Feststellungen über eine schwere Eheverfehlung der Beklagten wurden aber nicht getroffen. Es ist zwar - wie in der Revision ausgeführt wird - richtig, daß auch der Verstoß eines Ehegatten gegen seine Verpflichtung zur anständigen Begegnung (§ 90 ABGB) eine schwere Eheverfehlung darstellen kann (Schwind in Klang2 I/1, 774), doch wurde ein derartiger Verstoß der Beklagten nicht festgestellt. Der Kläger führt in seiner Revision auch nicht aus, in welchem Verhalten der Beklagten er einen solchen Verstoß sieht.

Es bedarf deshalb entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung auch nicht einer Bedachtnahme auf § 49 Satz 2 EheG, wonach jener, der selbst eine Verfehlung begangen hat, die Scheidung nicht begehren kann, wenn nach Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist. Die Anwendung dieser Verwirkungsklausel setzt voraus, daß sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 49 Satz 1 EheG gegeben sind und trotzdem wegen der besonderen Voraussetzungen des § 49 Satz 2 EheG das Scheidungsbegehren abzuweisen ist. Schwere Eheverfehlungen der Beklagten oder doch ein Verhalten der Beklagten, das in seiner Gesamtheit als schwere Eheverfehlung anzusehen wäre, wurden aber, wie bereits hervorgehoben wurde, nicht als erwiesen angenommen.

Der Revision war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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